Sommersemester 2001

Anträge und Resolutionen
 

Inhalt
 
Ethikrat Thesen zum Ethikrat der Universität Hamburg (09.07.01)
Frieden Aufforderung zur Besonnenheit und Wahrung der internationalen Rechtsordnung
Universität Hamburg bekennt sich zu weltoffener Internationalität

Jakobinersperling



Golnar Sepehrnia
Olaf Walther

Thesen zum Ethikrat der Universität Hamburg
 

„Eine Menschheit, stolpernd in einem Perlmutterdunst von Aberglauben und alten Wörtern, zu unwissend, ihre eigenen Kräfte voll zu entfalten, wird nicht fähig sein, die Kräfte der Natur zu entfalten, die ihr enthüllt. Wofür arbeitet ihr? Ich halte dafür, daß das einzige Ziel der Wissenschaft darin besteht, die Mühseligkeit der menschlichen Existenz zu erleichtern. Wenn Wissenschaftler, eingeschüchtert durch selbstsüchtige Machthaber, sich damit begnügen, Wissen um des Wissens willen aufzuhäufen, kann Wissenschaft zum Krüppel gemacht werden, und eure Maschinen mögen nur neue Drangsale bedeuten. Ihr mögt  mit der Zeit alles entdecken, was es zu entdecken gibt, und euer Fortschritt wird doch nur ein Fortschreiten von der Menschheit weg sein. Die Kluft zwischen euch und ihr kann eines Tages so groß werden, daß euer Jubelschrei von einem universalen Entsetzensschrei beantwortet werden könnte.  (...)
Wie es nun steht, ist das Höchste, was man erhoffen kann, ein Geschlecht erfinderischer Zwerge, die für alles gemietet werden können.“
Bert Brecht, „Das Leben des Galilei“, 1938/39.
 

Gentechnik: Heilungsversprechen und Illusionen

Die Gentechnologie boomt. In tausenden universitärer und privater Einrichtungen sowie Laboren gehört die gezielte Aufschlüsselung und Veränderung des Erbmaterials von Viren, Bakterien, Pflanzen und Tieren hierzulande bereits zur täglichen Arbeit – finanziell gefördert aus Landes-, Bundes- und EU-Mitteln. Ein kritischer öffentlicher Dialog über Chancen und Risiken, über Nutzen und Gefahren dieser Technologie(n) aber findet kaum statt, wirksame Überwachungs- und Kontrollmechanismen sind nicht entwickelt und von der „Gen-Lobby“ unerwünscht.

Die moderne Bio- und Gentechnologie wirft grundsätzliche Fragen nach den Verhältnissen zwischen den Menschen und ihrem kulturellen Verhältnis zu Umwelt und Natur auf. Eine lediglich formale Trennung zwischen medizinischer, umwelttechnischer und landwirtschaftlicher Bio- und Gentechnologie erscheint hypothetisch und besteht nur arbeitsteilig, da die jeweiligen Ergebnisse aus den Forschungsfeldern zwischen den unterschiedlichen Experimentiergebieten austauschbar sind. Es ist keine Utopie mehr, gentechnisch veränderte Tiere herzustellen, um diese als Organspender für Menschen einzusetzen oder als Pharmazeutika-Produzenten zu benutzen. Relevante Nahrungspflanzen wie Mais, Reis, Kartoffeln und Soja werden heute schon im großen Maßstab gentchnisch „optimiert“ und gelangen, teils illegal und undeklariert, in den weltweiten Nahrungs- und Futtermittelkreislauf.

Patente auf genetisches „Material“ von Menschen, Tieren und Pflanzen stellen demokratische Entscheidungsrechte weitgehend in Frage und schränken Individualrechte empfindlich ein. Das Klonen von Tieren und damit nahezu auch von Menschen ist machbar. Gentechnische Eingriffe zur „Optimierung“ des menschlichen Erbmaterials und das Klonen von Menschen sind deshalb grundsätzlich zu erörtern, bevor die technologische Entwicklung die Entwicklung ethischer, demokratischer und politischer Maßstäbe, Regularien und Partizipationsmöglichkeiten überholt.

Gentechnische Verfahren z.B. im vorgeburtlichen Bereich machen es möglich, frühzeitig Informationen über mögliche Veränderbarkeiten/Veränderungen in den Erbanlagen zu erhalten. Doch was geschieht mit diesen Informationen? Welche Erkrankungen werden künftig gesellschaftlich akzeptiert und welche nicht? Wer entscheidet darüber, wie mit diesen Informationen umgegangen wird? Die biologischen bzw. rechtlichen Eltern oder die Krankenkassen; Versicherungen, Arbeitgeber bzw. ökonomische Verwertungsdiktate? Heute lassen sich mit Hilfe gentechnischer Verfahren biologische Anfälligkeiten für bestimmte Erkrankungen oder auch Schadstoffe ermitteln. Aber was sind die Konsequenzen aus diesen Informationen? Dürfen Arbeitgeber über derartige Informationen verfügen? Werden hier nicht gesundheitliche Risiken von den sozialen sowie kulturellen Bedingungen abstrahiert und biologisch individualisiert? Werden nicht Menschen, Tiere und Pflanzen einer gesundheitsschädlichen Umwelt angepaßt, statt die Lebensbedingungen nachhaltig zu verbessern?

Gegen tiefgreifende Bedenken und Skepsis in Fachkreisen und der Bevölkerung setzt die Gentechnik-Wirtschaft und -Forschung wesentlich „technische“ Heilungsversprechen: Moderne Bio- und Gentechnik solle u.a. den Hunger in der Welt beseitigen sowie die Menschen von seltenen und schweren Krankheiten heilen, ohne die Berücksichtigung sozialer, kultureller, demographischer oder klimatischer Ursachen und Faktoren.

Doch allzu häufig hat sich in den letzten Jahren gezeigt, daß diese Versprechen nicht nur nicht erfüllt, sondern daß neue Probleme erst erzeugt werden. Hohe Geldsummen werden von staatlichen Institutionen sowie der Privatwirtschaft in die Entwicklungsforschung der modernen Bio- und Gentechnik investiert. Die Investoren sind an einer möglichst schnellen ökonomischen Verwertung interessiert. Deshalb soll die Akzeptanz in der Bevölkerung geschaffen werden. Hier zuerst – und nachrangig in wissenschaftlicher Allgemeinnützlichkeit – liegen die Ursachen für Heilungsversprechen und Illusionen.

Die Entwicklung wirksamer demokratischer und transparenter gesellschaftlicher Regulierung und Überwachung der modernen Bio- und Gentechnologie sowie die Veränderung von Forschungszielen sind deshalb unerläßlich und müssen gegen den Druck wirtschaftlicher Verwertungsdiktate errungen werden und, wo vorhanden, ausgebaut werden. Stammzellenforschung, Klonen von Menschen und der Eingriff in die menschliche Keimbahn u.ä. müssen auch weiterhin verboten bleiben.

Auch gentechnisch veränderte Lebensmittel sowie der militärische Einsatz der Gentechnik sind abzulehnen.

Der massive Ausbau der Sicherheits- und interdisziplinären Begleitforschung sowie die Veröffentlichungspflicht für alle modernen bio- und gentechnologischen Praktiken sind unverzichtbar.

In den Hochschulen und in der Gesellschaft sind eine streitbare Diskussion und ein breiter öffentlicher Dialog, ohne zeitlichen und wirtschaftlichen Druck, nötig, um zu humanistischen Maßstäben für die gentechnologische Entwicklung zu gelangen.

Folgende Sofortmaßnahmen sind dringend erwägenswert:

* Kontrollen aller medizinischen Einrichtungen auf Einhaltung der
  Verbote von PID, „Zuchtauswahl“ und Eingriffen in die
  menschliche Keimbahn sowie der Embryonenschutzgesetzgebung;

* Kontrolle der Lebensmittelforschung;

* Kontrollen in den Mensen, um Sicherheit zu schaffen, daß keine
  gentechnisch manipulierten Nahrungsmittel in Umlauf kommen;

* Für die universitären Forschungseinrichtungen möge die Maxime
  gelten: Nicht das Machbare ist das Maß der Dinge, sondern das
  demokratisch ermittelt Vertretbare.
 
Der Ethikrat der Universität initiiert mit seiner Tätigkeit nicht nur die Diskussion in den Gremien der universitären akademischen Selbstverwaltung, sondern er regt auch den Dialog mit anderen Hamburger Hochschulen und angegliederten Einrichtungen an.

(09.07.01)

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Beschluß des Akademischen Senats der Universität Hamburg vom 20.9.2001 - beantragt von Liste LINKS und juso hsg

 

Aufforderung zur Besonnenheit und Wahrung der internationalen Rechtsordnung
Universität Hamburg bekennt sich zu weltoffener Internationalität

 

Angesichts der schrecklichen Attentate in den USA drückt die Universität Hamburg ihre tiefe Bestürzung und ihr Mitgefühl gegenüber den Opfern aus.

Sie appelliert aus diesem Anlass dringend an alle politisch Verantwortlichen in der Bundesrepublik, in Europa und in der internationalen Staatengemeinschaft, die nun anstehenden Probleme im Sinne kritischer Rationalität, Humanität, Wahrung der Menschenrechte und auf der Grundlage der internationalen Rechtsordnung und ihrer von der UNO sanktionierten Prinzipien zu lösen. Pauschalisierungen jeder Art sollten dabei vermieden werden.

Für die Universitäten sind Internationalität, Offenheit gegenüber anderen Kulturen und Meinungen sowie Freiheit der wissenschaftlichen Zusammenarbeit in Forschung, Lehre und Studium unverzichtbar. Als Bildungsstätten tragen die Universitäten besondere Verantwortung für die Vermittlung der Fähigkeit zu argumentativer Verständigung. Als öffentlicher Raum der wissenschaftlichen, kulturellen, sozialen und politischen Auseinandersetzung sind die Universitäten der Weltoffenheit und Toleranz, der internationalen Zusammenarbeit und der Universalität von Wissenschaft verpflichtet. Die Universität sieht die Notwendigkeit, die Reflexion über die politischen und sozialen Bedingungen zu fördern, die diese terroristischen Anschläge ermöglicht haben.

In dieser Verantwortung ruft der Akademische Senat der Universität Hamburg die Mitglieder der Universität sowie die Bürgerinnen und Bürger Hamburgs auf, jeder pauschalen Verurteilung von Menschen anderer Nationalität und Religionszugehörigkeit entgegenzutreten. Das Tor zu Welt muss offen sein, die weltoffene Internationalität unserer Stadt muss erhalten bleiben. Studierende, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus anderen Ländern und Kulturen sind auch in Zukunft an der Universität Hamburg willkommen.

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Jakobinersperling