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Leitbild Das Leitbild der Universität Hamburg wurde 1998 unter studentischer Beteiligung erarbeitet. Dort findet sich die widersprüchlichen Optionen der Universitätsentwicklung – Konkurrenz vs. Humanismus – wieder, die es in den kommenden Auseinandersetzungen  fortschrittlich aufzuheben gilt.
'Megathema' Bildung Thesen zur Rede des Bundespräsidenten Roman Herzog am 05.11.97 in Berlin, in der die politisch-ideologische Grundlage für die marktkonforme Hochschulumstrukturierung (Novellierung des Hochschulrahmengesetzes) auf den Punkt gebracht wurde.

Jakobinersperling



"Bildung muß in unserem Land zum 'Megathema' werden..." *
Thesen zur Rede des Bundespräsidenten Roman Herzog am 05.11.97 in Berlin
 
"Herzogs jetzt bekräftigte Bildungspolitik ist nämlich konservativ in den Grundlagen wie in ihren Perspektiven: Fortschritt ist nicht Ziel, sondern Methode; Richtschnur ist nicht die Veränderung, sondern die Eignung - die Eignung für eine globalisierte Gesellschaft..."
FAZ-Kommentar vom 06.11.97


0. In der neoliberalen Bildungs- und Wissenschaftspolitik werden die Errungenschaften von 1968ff. grundlegend revidiert: die Massenuniversität, in der Bildung für alle realisiert werden sollte; die Demokratisierung der akademischen Selbstverwaltung (Gruppenuniversität); humanistische und antifaschistische Wissenschaftsinhalte und der auf Reformen orientierte kritische Gesellschaftsbezug. Anstelle der Sozialwissenschaften soll nun die Betriebswirtschaftslehre die neue Leitwissenschaft sein - sowohl die Inhalte von Forschung und Lehre als auch den Gesellschaftsbezug und die Struktur der Hochschulen betreffend. An den Hochschulen soll "für den Markt" ausgebildet werden, der Wissenschaftsbetrieb hat entsprechend - marketing- und serviceorientiert - "effizient" organisiert zu sein. Unterordnung wird zur Tugend, massenhafte Verdummung ist die Folge.

1. Die Rede des "Präsidenten des Volkes" soll Akzeptanz schaffen für die von neoliberaler Seite - in organisierter Form sind das z. B. der "Sachverständigenrat", der BDI sowie der Arbeitgeberverband - geforderte und vom "Zukunftsminister" Rüttgers ausgearbeitete Neustrukturierung des Bildungswesens. Die angestrebte "Deregulierung", die de facto eine Regulierung im Interesse von Wirtschaft und profitabler Verwertung sowie notfalls autoritäre Ordnungspolitik ist, soll der Mehrheit der Menschen als hehres Ziel im Interesse aller vorgegaukelt werden. Nicht mehr die Gesellschaft, vermittelt über den Staat, soll über die Bildungs- und Wissenschaftspolitik entscheiden, sondern die Bildungs- und Wissenschaftspolitik soll den "freien Kräften" des Marktes untergeordnet werden. Der Bundespräsident erfüllt dabei die Funktion, "sein Volk" ideologisch darauf vorzubereiten und ihm zu zeigen, daß vor dem Markt alle gleich und frei sind, sich unterzuordnen.

2. Das dargelegte Menschenbild ist biologistisch und autoritär. Es geht aus von "natürlichen" angeborenen Eigenschaften, deren Wert und Nützlichkeit sich in einem "natürlichen Ausleseprozeß" herausbildet und die "Gleichheit" der Menschen - als "Gleichheit" in den "natürlich" vorgegebenen, "unveränderbaren" Ausgangsbedingungen und unabhängig vom jeweiligen Gesellschaftsbezug - begründet. Die Menschen werden entsprechend aufgeteilt in eine "unbegabte Masse" und eine "begabte Elite", wobei alle ihren vom "Schicksal" zugeordneten Platz einzunehmen haben. Entwicklungsfähige, handelnde Subjekte gibt es nicht: "Menschen sind Individuen. Sie haben unterschiedliche Begabungen. (...) Wer die Welt mit der Hand begreift, hat nicht weniger Anspruch auf bildungspolitische Beachtung als der theoretisch begabte." "Wir sollten wieder den Mut finden, gute Schüler gut und schlechte Schüler schlecht zu nennen."

3. Der gesellschaftliche Bezug wird über "Sekundärtugenden" und voraufklärerische Werte aus Militärwesen und Religion hergestellt. Einsicht in die eigenen Lebensbedingungen, die Befähigung zum kritischen Urteilsvermögen und eine daraus abgeleitete  konsequente Handlungsperspektive gehören nicht dazu: "Verläßlichkeit, Pünktlichkeit und Disziplin, vor allem aber der Respekt vor dem Nächsten und die Fähigkeit zur menschlichen Zuwendung." "Deshalb gehört zum Beispiel der Religionsunterricht in die Schule und darf nicht in die Pfarrsäle gedrängt werden."

4. Geschichte ist nicht mehr vom Menschen gemacht, sondern ein "Schicksal", dem man sich zu fügen hat: sie "passiert" einfach: "Keiner von uns weiß, welches Konzept zum Erfolg führen wird. Aber da wir es alle nicht wissen, lassen Sie uns doch nicht alles schon von vornherein bürokratisch festlegen."

5. Über die soziale, und somit auch über die bildungs- und wissenschaftspolitische Entwicklung soll nicht gesellschaftlich verfügt werden. Demokratie steht der Unterordnung unter das Kapitalverwertungsinteresse entgegen. Über die Abschaffung der akademischen Selbstverwaltung im Hochschulrahmengesetz sollen sich hinterrücks und quasi "natürlich" autoritäre Leitungsstrukturen - zurück zu den Talaren! -  durchsetzen. Die Entscheidungen über die weitere Entwicklung sollen von einer Elite - in den entsprechenden Positionen im Bildungssystem - gefällt werden: "Die Stärke der Novelle des Hochschulrahmengesetzes liegt meines Erachtens vor allem darin, daß es sich durch die Streichung von Vorschriften teilweise selbst außer Kraft setzt. Ich warne davor, diese kreativen Lücken nun in den Länderparlamenten wieder mit Paragraphen zu füllen. Geben wir die Kompetenzen dorthin, wo die neuen Konzepte greifen sollen."

6. Die "internationale Konkurrenzfähigkeit" des "Standort Deutschland" ist der Maßstab für die - nationalistische und elitäre - Marktausrichtung von Bildung und Wissenschaft. Provinzialität ist die entsprechende präsidiale Mentalität: Bildung "ist zugleich das Lebenselixier der Demokratie in einer Welt, die immer komplexer wird, in der kulturelle Identitäten zu verschwimmen drohen und das Überschreiten der Grenzen zu anderen Kulturen zur Selbstverständlichkeit wird. (...) Noch ist es so, daß Eliten in Asien oder Südamerika häufig deutsch sprechen (...). Aber die Söhne und Töchter dieser Eliten zahlen inzwischen lieber hohe Studiengebühren in den Vereinigten Staaten von Amerika, als daß sie an unseren Universitäten studieren möchten. (...) Toleranz kann es nur geben, wo es einen eigenen Standpunkt gibt. Eine Auseinandersetzung mit fremden Denk- und Wertesystemen setzt das Wissen über die eigene Herkunft und die eigenen prägenden Traditionen voraus."

7. Die Marktausrichtung von Bildung und Wissenschaft bedeutet die Durchsetzung von Konkurrenz und Selektion als maßgebliche "Steuerungskriterien". Der Mensch ist auf dem Markt gleichzeitig Kunde und Ware: als "Kunde" nimmt er das Dienstleistungsunternehmen "Ausbildung" in Anspruch und er verläßt es als "Produkt", das es meistbietend zu verscheuern gilt: "Ich wünsche mir (...) ein Bildungssystem, das Wettbewerb zuläßt. Wenn wir mehr Spitzenleistungen wollen, müssen wir Unterschiede in den Leistungen sichtbarer machen. (...) Vor allem für die Hochschulen ist es höchste Zeit, sich vom Mythos vermeintlicher Gleichheit zu verabschieden. Seien wir realistisch: Niemand wird in der Wirtschaft heute nur auf Grund eines Stückes Papier mit einer Note eingestellt. (...) Wir müssen die Qualitätsunterschiede wieder transparent machen und auch dafür sorgen, daß gute Leistungen belohnt und schlechte durch die Entziehung von Ressourcen sanktioniert werden."

8. Die wissenschaftliche Qualifizierung aller Menschen ist aufgrund des hohen Stands der wissenschaftlich-technischen Entwicklung und dem hohen Maß an zu lösenden sozialen und globalen Problemen zunehmend notwendig, aber auch möglich, da der Mensch in der unmittelbaren Produktion tendenziell nur noch planend und lenkend tätig ist. Die "Reform" des Bildungssystems ist jedoch nicht an diesen gesellschaftlichen Möglichkeiten orientiert, sondern  an der Unterordnung unter die als "natürlich" und unveränderbar geltenden sozialen (und Markt-) Bedingungen, die über das Einverständnis mit den gesellschaftlichen Verhältnissen realisiert werden soll: "Andererseits sind unsere universitären Studiengänge noch zu oft so strukturiert, als ob die Studierenden allesamt zu potentiellen Wissenschaftlern ausgebildet werden müßten." "Außerdem ist Bildung ein unverzichtbares Mittel des sozialen Ausgleichs. Bildung ist der Schlüssel zum Arbeitsmarkt und noch immer die beste Prophylaxe gegen Arbeitslosigkeit. Sie hält die Mechanismen des sozialen Auf- und Abstiegs offen und hält damit unsere Gesellschaft in Bewegung."

9. Bildung und Wissenschaft haben ergo dem Markt und seinen Apologeten zu dienen: "Warum sind die Worte 'Service' und 'Kundenorientierung' auf dem Campus noch immer Fremdwörter?"

10. Statt Unterordnung, Entdemokratisierung und Verdummung ist Erkenntnis und erweiterte Verfügung über die eigenen Lebensbedingungen sowie solidarische Kooperation zu realisieren.
 
 

"Wir müssen an die Inhalte unseres Bildungswesens herangehen!"






* Die kursiv gesetzten Zitate stammen aus der Rede des Bundespräsidenten vom 05.11.97.
 

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Jakobinersperling