Sommersemester 1999

Diskussionsvorlagen
 

Inhalt:
 
"Alumni-Clubs" "Treten Sie doch zur Vordertür ein, Madame! Die Unviersität hofiert das Kapital." Artikel der Liste LINKS in der Uni-Spezialausgabe der jungen welt zum Sommersemester 1999 über sog. Alumni-Clubs.
"Private Berater" Martin Bennhold: „Private Berater“ – Weichensteller im Dienste der Wirtschaft. Funktionen des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) und des Bertelsmann-Konzerns in der Hochschulstrukturdiskussion. (Überarbeitete Fassung eines Referats über die Bertelsmann-Stiftung und das Centrum für Hochschulentwicklung CHE auf dem Seminar „Wissenschaft und Macht“ des BdWi und der Heinrich-Böll-Stiftung NRW vom 22. - 24. Januar 1999 in Münster). Wir danken dem Autor für die Genehmigung, diesen Text im Internet zu veröffentlichen. Er erscheint im Oktober 1999 in: Christoph Butterwegge/Gudrun Hentges (Hg.): Alte und Neue Rechte an den Hochschulen. Münster: Agenda-Verlag. Ein Vorabdruck ist bereits im Forum Wissenschaft Nr. 3 erschienen.
Grüne "Junge Wilde" "Bündnis 90/Die Grünen haben eine zweite Chance verdient!": Die Verfasser dieses Papiers wollen endgültig Schluß machen mit den "Mantren" (FAZ) der Grünen.
Sozialdemokratische "Junge Wilde" In Berlin soll alles rechter werden: "Aufbruch nach Berlin" - Das "Youngster"-Papier "junger" SozialdemokratInnen. 
"Schröder/Blair-Papier" Die sozialdemokratischen Verlierer der Europawahl wollen mit diesem innenpolitischen Kampfprogramm auf Kapitalservilität gegen die "Gleichmacherei" des "Sozialklimbims" trimmen.

 

Jakobinersperling



"Uni und Wirtschaft"

Treten sie doch zur Vordertür ein, Madame!
Die Universität hofiert das Kapital

An der Hamburger Universität ist eine neue "Marktlücke" entdeckt worden: Es wird auf eine engere Bindung zu ehemaligen Studierenden gesetzt, um das "schlechte Image" und die "mangelnde Bindung an die Wirtschaft" zu überwinden. Nach US-amerikanischem Vorbild sollen Absolventen und Absolventinnen der Hochschule als "Förderer, Fürsprecher und Imageträger" gewonnen werden, sich in sog. Alumni-Clubs (lat.: alumnus - der ernährt, gepflegt und aufgezogen wird oder worden ist) assoziieren, als Geldgeber agieren und zur Erschließung neuer privater Geldquellen beitragen. Die Universität soll als Statussymbol fungieren, auf das die ausgebildete Elite stolz zurückschauen kann und durch finanzielle Traditionspflege zur Imagepolierung beiträgt.

Der Hamburger Unipräsident J. Lüthje, der sich in letzter Zeit maßgeblich durch seine Beteiligung an der Entwicklung von - als "sozial" getarnten - Studiengebührmodellen hervorgetan hat, setzt hierbei vor allem auf einen "inhaltlichen Austausch", in dem "die Absolventen in Lehrveranstaltungen mitwirken und Anregungen aus der Praxis geben" sollen (zitiert nach: Hamburger Abendblatt: "Alte Bekanntschaften neu belebt", 9.3.’99).

Die Agentur Uni-Concepts, die von der Universität mit der Aufgabe betreut wurde, die Bindung der Absolventen an ihre Universität zu stärken, macht die eigentliche Intention deutlich: "Warum sollte Sponsoring nur in anderen Bereichen möglich sein, wenn es bei den Hochschulen mindestens genauso attraktiv ist?" - "Langfristiges Ziel unserer Arbeit ist es, einen großen Sponsoring-Markt aufzubauen" (ebenda).

Die Privatisierung der Hochschulen wird hiermit in neuer Qualität forciert: Unter dem massiven Druck der "Leistungsanforderungen" des wirtschaftlichen Wettbewerbs wird auf reaktionäre Werte wie "Tradition", "Stolz" und "Elite" zurückgegriffen, um die Verkaufsfähigkeit der Universität zu steigern. Dies ist durchaus kompatibel mit der von konservativer Politik durchgesetzten Novellierung des Hochschulrahmengesetzes (HRG), deren Ziel die konsequente Durchkommerzialisierung der Wissenschaften zur Sicherung und zum Ausbau des "Standortes Deutschland" in der Weltmarktkonkurrenz war. Seit der Abwahl der konservativ-neoliberalen Regierung wird der Privatisierungskurs sozial-liberal abgefedert umgesetzt, um Akzeptanz zu schaffen und zu verhindern, daß sich Widerstand gegen die kapitalkonforme Umstrukturierung der Hochschulen entwickelt.

So wird die Betriebswirtschaftslehre zur Leitwissenschaft. Über Sparmaßnahmen und "Finanzautonomie" (Globalhaushalte), "Effizienzorientierung" und "leistungsorientierte Mittelvergabe" wird der Wissenschaftsprozeß unter Konkurrenzbedingungen reguliert und im Verwertungsinteresse privatisiert. Dies wird flankiert von massiver Entdemokratisierung und ordnungspolitischen Maßnahmen. Ein schnelles und marktgerechtes Studium wird restriktiv erzwungen (Zwangsberatungen und -exmatrikulationen, Kurzzeitstudiengänge, Leistungspunktsysteme, Studiengebühren...).

Mit dieser Entwicklung werden die Bedingungen geschaffen, dem Kapital den direkten Einfluß auf die Wissenschaften zu ermöglichen, die Vordertür wird freudig geboten. Im dienstleistungsorientierten Betrieb "Forschung und Lehre" wird die Wissenschaft zur Ware, der Studierende zum "Kunden" und die Wirtschaftsmanager zum Auftraggeber. Flexibel lernt der Student, auf die Anforderungen des Marktes zu reagieren, die Lehrenden bilden dafür aus und 'wissen', daß sie für ihre Forschungsergebnisse einen profitjagenden Abnehmer finden müssen, und das Verwaltungspersonal arbeitet gern, effizient und am besten für zwei.

Mit "Dienstleistungskatalogen", von privaten "Gönnern" gespendeten Gebäuden und Inneneinrichtungen, uni-internen Unternehmensberatungen, privat zu zahlenden Studiengängen für die in- und ausländische "Elite" und dem aktuellen Werben um die Ehemaligen versucht die Hamburger Uni dem neuen Kurs gerecht zu werden.

Mit der Inszenierung der "Alumnis" wird die Interessengebundenheit der anstehenden Umstrukturierungen an der Hochschule erneut deutlich: Es geht um Elitenbildung im profitbestimmten Verwertungskampf. Die allgemeine Verrohung verbirgt sich hinter schönem Schein - Dequalifizierung, Verdummung und umfassende Entmündigung sind die realen Folgen.

Wissenschaftliche Qualifizierung, kritische Aneignung gesellschaftlicher Verhältnisse als emanzipatorische Subjektentwicklung und die Reformforderungen der 70er Jahre - "Bildung für alle" durch freien Hochschulzugang, bedarfsdeckende staatliche Ausbildungsfinanzierung, materielle Absicherung und Ausbau von Bildungseinrichtungen - sollen bei diesem Kurs überrollt werden. Statt sich an der in den Reformen der 70er Jahre angelegten Alternative zu orientieren, werden erkämpfte soziale Errungenschaften zurückgenommen.

Dabei stand durch die Wahl der rot-grünen Regierung notwendige Reformpolitik allgemein auf der Tagesordnung: Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen aller, Umverteilung und soziale Gerechtigkeit, Entmilitarisierung und die Demokratisierung gesellschaftlicher Institutionen.

Das Kapital, dem diese Reformen abgerungen werden müßten, wehrt sich und macht Druck. Ohne außerparlamentarischen Gegendruck führt dies dazu, daß selbst ein maßvoller Reformpolitiker wie Oskar Lafontaine zurücktritt, die bisher eher pazifistischen Grünen den Expansionsminister stellen und die Wirtschaft direkt regiert. Dagegen hilft nur Widerstand. Die 70er Jahre haben gezeigt, daß über außerparlamentarische Bewegungen Druck auf eine sozial-liberale Regierung ausgeübt und eine andere Politik durchgesetzt werden kann.

In den Institutionen der Wissenschaft ist Widerstand darüber zu entwickeln, daß der gesellschaftliche Widerspruch, daß die Individuen unter kapitalistischen Verhältnissen höhere Qualifikation und Einsicht unter Absehung ihres eigenen, verallgemeinerbaren Interesses realisieren sollen, thematisiert wird. Über die Kritik an der neoliberalen Privatisierungs- und Sparpolitik hinaus muß die Grundkontroverse gesellschaftlicher Auseinandersetzungen an den Hochschulen - Wissenschaften zur "Standortsicherung" oder für humanistische Nützlichkeit - erkannt und diskutiert werden.

Statt sich freiwillig und konsensvermittelt den Marktgesetzen unterzuordnen und die gesellschaftlichen Anforderungen individuell, isoliert und unter Konkurrenzbedingungen zu erfüllen, müssen die Individuen über Art, Inhalt und Methode von Produktion und Reproduktion gesellschaftlich kooperativ bestimmen können. Hierfür ist die massenhafte demokratische Qualifizierung aller Menschen nötig, die die Einsicht in die je eigenen Lebensbedingungen und die Erkenntnis des verallgemeinerbaren Interesses als Voraussetzung für eine fortschrittliche humanistische Gesellschaftsentwicklung ermöglicht.

Bildung und Wissenschaft müssen also dafür qualifizieren, die gesellschaftlichen Verhältnisse in ihrer historischen Entwicklung zu erkennen, um sie selbsttätig verändern zu können. In diesem Sinne müssen wissenschaftliche Inhalte darauf gerichtet sein, die globalen sozialen Probleme (z. B. Krieg!) und ihre Ursachen zu analysieren und zu deren Überwindung beizutragen.

 Der solidarische Kampf für radikale Gesellschaftskritik, Demokratisierung und umfassende Qualifizierung ist der einzig sinnvolle Weg, die allgemeinen Lebensbedingungen zu verbessern und zu einer bewußten gemeinsamen Planung menschlicher Lebensverhältnisse unter Beteiligung aller zu kommen. Hiervon muß der Wissenschaftsprozeß bestimmt werden - hierfür muß er aus kapitalistischer Unterwerfung befreit werden.

Anja Post-Martens, Liste LINKS, Universität Hamburg
 

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Martin Bennhold
„Private Berater“ – Weichensteller im Dienste der Wirtschaft
Funktionen des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) und des Bertelsmann-Konzerns in der Hochschulstrukturdiskussion
 
Jeder ist unseres Glückes Schmied
Jahresmotto 1999 der Bertelsmann AG


An den Hochschulen und im Bildungssystem überhaupt wird zur Zeit hohe Politik gemacht. Aber die Betroffenen, Lehrende und Lernende, fangen erst allmählich an, deren Charakter zu begreifen und sich einzumischen. Dafür ist es höchste Zeit, denn von (im wahrsten Sinne des Wortes) herrschender Politik werden zur Zeit noch alle Reformdebatten bestimmt. Dabei geht es nicht nur darum, Mängel in Lehre und Forschung zu beseitigen oder gar linke und andere kritische Positionen zu eliminieren; es geht mindestens im selben Umfang um die Auflösung von Positionen, die an ständisch-traditionellem Gedankengut, z.B. an der überkommenen Ordinarienherrschaft, orientiert sind. Das macht die Lage einerseits kompliziert, andererseits wird dadurch klar, dass es sich hierbei nicht um einen bloßen Rückschritt etwa im Sinne einer Wiederherstellung alter Strukturen oder eines Machwerks der „Ewiggestrigen“ handelt, sondern um etwas Neues, um eine fundamentale Strukturänderung – so fundamental, dass sie auch mit allen demokratischen Kontrollen und sonstigen Demokratie-Elementen an Hochschulen Schluss machen soll.

Bei der folgenden Untersuchung eines Teils der Instrumente und Methoden, die zur Planung und Durchsetzung der herrschenden Hochschulpolitik gehören, wird entschieden differenziert zwischen einer politischen Freiheit, an der demokratische Maßnahmen und Kontrollen stets zu messen sind, und einer Markt-„Freiheit“, welche die beliebige Disposition über jene besondere Art Eigentum meint, womit man über andere Menschen und deren Arbeitskraft verfügen kann.
 

Ökonomie und Politik des konzentrierten Kapitals

Wir haben es am Ende des 20. Jahrhunderts – wie schon einmal zu seinem Beginn – mit einem Schub besonders rapider politisch-ökonomischer Entwicklungen zu tun. Die Konzentrations- und Zentralisationsbewegungen des Kapitals sind von gewaltigen Beschleunigungen bestimmt; eine Kapitaleinheit frisst die andere, treibt sie in den Ruin, vereinigt sich mit ihr per Ausgleich oder Zielanpassung, damit die nächsten Fusionen vorbereitend. So sind heute feindliche und freundliche Übernahmen an der Tagesordnung; die größten Kapitale schließen sich Ländergrenzen und Kontinente übergreifend auf inzwischen höchster Ebene zusammen, und dabei wird so getan, als ob dies rein ökonomische oder gar fortschrittliche Prozesse seien. Tatsächlich handelt es sich um höchst politische Prozesse, nämlich solche, die jeweils zugleich Schritte in Richtung ökonomisch-politischer Diktate auf wachsender Stufenleiter darstellen. Und jede dieser Stufen verschärft den Widerspruch zwischen demokratischer Einflussnahme und sozialer Kontrolle von unten auf der einen Seite und der tatsächlichen ökonomisch-gesellschaftlichen Macht auf der anderen Seite.

Dies ist der Grund dafür, dass sowohl soziale als auch demokratische Kontroll- und Widerstandspotentiale zunehmend sanktioniert, eingeschränkt, abgebaut und ersetzt werden sollen:
- einerseits durch Mechanismen mit reinen Legitimationsfunktionen
- andererseits durch verschiedene Arten ökonomisch-politischer Diktate,
mit denen etwa Regierungsprogramme bestimmt werden, Kabinette verändert, Minister zum Rücktritt gezwungen, Gesetze präjudiziert oder in aller Öffentlichkeit missachtet etc.; dabei verfährt man mit solchen Diktaten immer ungeschminkter und selbstverständlicher. Die Diktate folgen oft genug gerade nicht etwa ökonomischer Not, sondern umgekehrt und dann in besonders verschleierter Weise ökonomischen Interessen an noch weiterer Bereicherung und weiter optimierten Bedingungen für jeweils nächste Konzentrationsbewegungen des Kapitals, die nächste gesellschaftliche Machterweiterung anpeilend. All dies ist heute so fortgeschritten, dass der alte Streit über die Priorität von Ökonomie oder Politik längst obsolet ist: diese Ökonomie ist die Politik des Kapitals.

Für das Kapital auf einem solchen Niveau ist der Begriff „Reichtum“ schon lange nicht mehr angemessen, sondern eine verschleiernde Kategorie, die hinter dem Schein rein quantitativer Differenzen zwischen Arm und Reich die neue extreme Qualität jenes Kapitals verschwinden läßt.

Mit Konzentrationsbewegungen der beschriebenen Art wird die Zahl der Menschen, die das Kapital repräsentieren, immer kleiner, und deren Interessen geraten in immer abgrundtieferen Widerspruch zu den in der Gesellschaft verbreiteten sozialen, ökonomischen, politischen (und das heißt zugleich: demokratischen) Interessen. So entwickelt sich eine kleinste Minderheit, ausgestattet mit unglaublicher ökonomischer Macht und extremste Ziele verfolgend, die ihr Diktat durch politisch-ökonomischen Druck auf staatliche Willensbildungsprozesse, mittels kapitalistischer Gründungen, Stiftungen bzw. Unterstützungen oder über scharfe Sanktionen wie Entlassungen, Kreditentzug und anderes mehr ausübt.

Die Politik einer solchen extremen Minderheit, d.h. diese politische Ökonomie, kommt ohne zweierlei nicht aus: eine kontinuierliche, sich intensivierende Propaganda für „unpopuläre Maßnahmen“ und die fundamentale Verkehrung von Sprache als Kommunikations- und Erkenntnismittel in ein Instrument zur Verschleierung bzw. Erkenntnisverhinderung. Letzteres geschieht vor allem mit Hilfe der Verwendung positiv besetzter Begriffe für Eingriffe und Maßnahmen, die substanziell die Lebensbedingungen einer wachsenden Mehrheit von Menschen verschlechtern. Daher z.B. muß heute alles „Reform“ heißen, und zwar umso entschiedener, je brutaler der Eingriff ist.

Dies weiß am besten ein Medienkonzern wie der größte in der Bundesrepublik und der weltweit verbreitetste und verflochtenste: der Bertelsmann-Konzern mit zentralem Sitz in Gütersloh. Auf seine Initiative hin und aus seinen Strukturen heraus, insbesondere über die Bertelsmann Stiftung, wurde im Mai 1994 das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) gegründet – ein Instrument zur Steuerung der Hochschulreform mit Zielen, die weder altruistisch noch gemeinwohldienlich sind, sondern mit Interessen des Konzerns selbst und sonstigen hochkonzentrierten Kapitals zu tun haben.
 

Das CHE – personelle und institutionelle Einbindungen

Das Centrum für Hochschulentwicklung, selbst gleichfalls in Gütersloh angesiedelt, hat eine private Rechtsform und dennoch öffentliche Funktionen; das garantiert „Unabhängigkeit“ (man ist frei von allen noch so indirekten demokratischen Kontrollen und nur dem Konzernkapital verpflichtet), aber auch Einfluss, dessen Umfang von der Macht des Kapitals, das hinter ihm steht, sowie den Verpflichtungen und Verbindungen abhängt, die es repräsentiert. Im Falle des CHE wird dies in spezifischer Weise ergänzt durch eine breite öffentlich-institutionelle Fundierung, d.h. durch die engste Verflechtung mit Einrichtungen des hoheitlichen Sektors.

Mit einem Jahresetat von 2 bis 3 Mio. DM ist das CHE eine private, als gemeinnützig anerkannte GmbH und dennoch mitgegründet durch die Hochschulrektorenkonferenz (HRK), also durch eine Versammlung der Repräsentanten hoheitlicher Bildungseinrichtungen, der Form nach selbst vertreten durch die Stiftung zur Förderung der Hochschulrektorenkonferenz (als juristische Person). Bis heute steht das CHE in engstem praktischem Verbund mit der HRK.

Sein Leiter, Detlef Müller-Böling, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Dortmund, hatte schon während der 13. Wahlperiode des Bundestages enge Beziehungen zum damaligen Wissenschaftsminister Jürgen Rüttgers. Er war von ihm an jenen Runden Tisch berufen worden, der im Wissenschaftsministerium zum Hochschulrahmengesetz eingerichtet worden war.

Zum damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog und zu dessen Amt bestanden enge und immer wieder erneuerte Kontakte. Unter seiner Schirmherrschaft wurde der „Initiativkreis Bildung“ tätig, welcher – an prominentester Stelle – Vorschläge zur „Erneuerung des Bildungswesens“ entwickeln und damit einer der zahlreichen institutionellen Impulsgeber sein sollte, die das CHE etabliert hat. Desgleichen wurden im Benehmen mit dem und unter Beteiligung des Bundespräsidenten ab und zu „Nationale Bildungskongresse“ veranstaltet, sämtlich mit der Funktion bedacht, die vom CHE längst propagierten Umstellungsimpulse zum Bildungswesen auf zentraler Ebene zu verstärken.

Auf Länderebene ist das CHE vielfach aktiv. Sein Leiter ist, um nur einige Beispiele zu nennen, Mitglied der Hochschulstrukturkommission in Baden-Württemberg und Berater des Bundes Norddeutscher Hochschulen; das CHE leitet bei der Landesregierung Niedersachsen den Wissenschaftlichen Beirat, der das „Modellvorhaben für eine Erprobung der globalen Steuerung von Hochschulhaushalten“ im Auftrag des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur begleitet. (Dieser immerhin von einer Landesregierung eingesetzte Beirat hat seine Geschäftsstelle in den Räumen des CHE in Gütersloh, das seinerseits innerhalb des Bertelsmann-Anwesens residiert.) Außerdem steht das CHE in vertraglicher Kooperation mit dem Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Freistaates Thüringen. Damit sind nur einige der zahlreichen institutionalisierten und in juristische Formen gegossenen Kooperationen genannt.

Interessant ist der 10-köpfige Beirat, den die Bertelsmann Stiftung dem CHE zugeordnet hat. In ihm sitzen zwei hochrangige Kapitalvertreter, Mark Wössner, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann Stiftung (in dieser Eigenschaft und in seiner Beiratsfunktion hat er im Oktober 1998 Reinhard Mohn abgelöst, den einflussreichsten Vertreter der Familie Mohn, die den Bertelsmann-Konzern insgesamt beherrscht), und Tyll Necker, Vizepräsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, sowie acht Universitätsprofessoren, darunter zwei Wissenschaftsminister (in Sachsen und Rheinland-Pfalz), der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, Klaus Landfried, sowie dessen Vorgänger und jetziger Präsident der Vereinigung der Rektorenkonferenzen der EU-Mitgliedsstaaten, Hans-Uwe Erichsen. Lange war auch der renommierte Politikwissenschaftler Werner Weidenfeld im CHE-Beirat; er gehörte überdies dem Vorstand der Bertelsmann Stiftung an und zu den engen Vertrauten des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl.
 

Der Konzern und das CHE

Das CHE ist nicht nur eine Gründung der Bertelsmann Stiftung, sondern auch in seiner Existenz und seinem Wirkungsgrad von ihr abhängig. An deren Spitze steht Mark Wössner, bis Oktober 1998 Chef der Bertelsmann AG, also des Weltkonzerns in der Form einer Holding. Dessen Vorgänger in beiden Funktionen, Reinhard Mohn, hatte die Stiftung 1977 gegründet, und zwar entsprechend seinem Motto: „Eigentum verpflichtet zur Verantwortung für die Gesellschaft.“

Wohl zunächst unter steuerlichen Gesichtspunkten etabliert, wurde die Stiftung schon bald für zahlreiche Unterstützungsmaßnahmen in Anspruch genommen. Die entscheidende Perspektivänderung nahm Reinhard Mohn 1993 vor. Er übertrug – wiederum nicht zuletzt aus steuerlichen Gründen – 68,8 Prozent des Grundkapitals der Bertelsmann AG auf die Stiftung, über zwei Drittel also der Anteile des Bertelsmann-Konzerns als Holding, und verband mit dieser gewaltigen Transaktion eine neue programmatische Perspektive: Von der Stiftung sollten nicht mehr im wesentlichen Einzelprojekte gefördert werden, sondern flächendeckende Initiativen, Initiativen mit gesamtgesellschaftlicher und damit hoch politischer Wirksamkeit. Dementsprechend reichlich und z.Zt. rapide wachsend ist ihr Budget: Es beträgt 1998/99 nicht weniger als 83 Mio. DM, 11 Mio. DM mehr als im letzten Geschäftsjahr.

Die Stiftung ist somit ein gewichtiger Teil der Gesamtstruktur der Bertelsmann AG, welche bis kürzlich zu 90 Prozent ihres gesamten Kapitals und zu 100 Prozent des stimmberechtigten Kapitals der Familie Mohn und der Bertelsmann Stiftung gemeinsam gehörten. Mit dem Rest ihres Kapitals ist die Stiftung verbunden mit der entsprechenden Einrichtung der Wochenzeitung Die Zeit; die ZEIT-Stiftung hält 10 Prozent nichtstimmberechtigter Aktien.

Nach einer Umstrukturierung zum 1. Juli 1999 tritt an die Stelle der bis dahin führenden Konzernfigur Reinhard Mohn eine neu gegründete Bertelsmann Verwaltungsgesellschaft mbH als sechsköpfiges Leitungs- und Lenkungsgremium (mit Mark Wössner als Geschäftsführer) für den gesamten Konzern. Auf der Grundlage einer minimalen Beteiligung am Konzernkapital soll ihr die alleinige Entscheidungskompetenz für alle ihn betreffenden Grundsatzfragen vorbehalten bleiben – neben gewaltigen Konzernkapitalbeteiligungen ohne Stimmrecht seitens der Bertelsmann Stiftung und der Familie Mohn.

Der Konzern war gerade in den letzten Jahren mit milliardenschweren Umsätzen im In- und Ausland erfolgreich: 1996/97 mit 22,4 Milliarden DM und 1997/98 mit 26,5 Milliarden DM. Zugleich machte er gewaltige Gewinne: mindestens 805 Millionen DM im Jahr 1995/96 und über eine Milliarde DM im Jahr 1996/97 (vgl. Dohmen 1998, S. 68; Liedtke 1998, S. 87). Wie global die Holding agiert, zeigt sich darin, dass ihr Gesamtumsatz zu zwei Dritteln außerhalb der Bundesrepublik anfiel.

Wie ein solcher Konzern aussieht und welche Tätigkeiten er umfasst, kann hier nur in Kürze anhand der vier wichtigsten „Linien“ angegeben werden:

1. Die auf Bücher bezogene Linie umfaßt Buch-Clubs und – laut Spiegel (Nr. 30/1999) – 25 Verlage. In den Clubs sind weltweit über 25 Millionen Menschen auf allen Kontinenten organisiert – von Nord- und Südamerika über die meisten Staaten Europas bis hin zur Volksrepublik China. Der Verlagsbereich konzentriert sich auf den deutschsprachigen Raum, expandiert hier bis in die neueste Zeit (Oktober 1998: Übernahme des Springer-Wissenschaftsverlags und – vorübergehend - des Nomos-Verlags) und dehnt sich zunehmend auch auf die USA und Spanien aus.

2. Der Entertainment-Bereich umfasst die weltweiten Tonträger- und TV/Film-Aktivitäten des Konzerns. Zu den Bertelsmann-Labels im Schallplattenbereich gehören z.B. so mächtige wie RCA, Ariola, Arista sowie 200 weitere kleine Labels in über 50 Ländern der Erde. Im TV-Bereich ist CLT-UFA „mit 22 Fernsehsendern und 22 Radiostationen (...) führend in Europa. In Deutschland zählen dazu RTL, RTL 2, Super-RTL, VOX und Premiere“ (Liedtke 1998, S. 85f.) – der letztgenannte Pay-TV-Sender wurde mittlerweile an den Kirch-Konzern verkauft –, in Frankreich M6, Serie Club, Multivision, TMC und RTL 9; überdies gehören zu CLT-UFA weitere Sender in Großbritannien und allen drei Benelux-Staaten. Mit CLT-UFA ist Bertelsmann klarer Marktführer des werbefinanzierten Fernsehens in Europa und damit organisatorischer Hauptträger der fortschreitenden Niveau-Senkung in diesem Bereich, weil eben deren Profiteur. Ein gewaltiges Geschäft und ebenfalls der Niveau-Senkung dienlich ist der Handel mit Aufführungsrechten – sie werden in über 140 Länder verkauft.

3. Der dritte Hauptbereich heißt aus historischen Gründen „Produktlinie Gruner + Jahr“ und umfasst 75 Zeitschriften (davon 34 in Deutschland) sowie zehn Zeitungen. Der Konzern beherrscht so bekannte Zeitschriften wie Stern, Brigitte, Frau im Spiegel, Eltern, Geo, Capital, Art, Marie Clair, Essen & Trinken und Schöner Wohnen. Seit 1990 ist er groß eingestiegen in den Aufkauf und die Übernahme ostdeutscher Tageszeitungen, z.B. Berliner Zeitung, Chemnitzer Morgenpost, Dresdner Morgenpost, Sächsische Zeitung; darüber hinaus befindet er sich heute im Besitz dreier bedeutender Zeitungen in Ungarn und der Slowakei.

4. Der Multimedia-Bereich expandiert mit besonderer Dynamik, vor allem, seitdem Bertelsmann die Internet-Online-Dienste AOL und CompuServe für Europa übernommen hat (in Form eines Joint-Ventures mit America Online).

Die sonstigen Aktivitäten reichen vom Immobilienhandel im In- und Ausland bis zu Finanzverschiebungen über eine Bertelsmann International Finance Limited NV, auf der kleinen Antillen-Insel Curaçao angesiedelt.

Bertelsmann ist weltweit so vielfältig aufgegliedert, dass eine schaubildmäßige Darstellung sich längst verbietet; die fast 600 selbständigen Einheiten muss die – laufend ergänzte – Publikation „Konzerne in Schaubildern“ (Darmstadt: Hoppenstedt, seit 1990) auf 14 Seiten verteilen.
 

„Eigentum verpflichtet“

Das CHE ist nur dem hinter ihm stehenden Kapital verantwortlich. Es handelt sich hier zum einen um den organisatorischen Hebel einer ökonomisch gewaltigen und medial erfahrenen Einflussgruppe, nein: Machtzentrale, zum anderen auch um eine Einrichtung, die den privaten Bereich, in dem sie zunächst agiert, mit öffentlichen Funktionen aufzuladen sucht. Dabei geht es vor allem um die Zurückdrängung öffentlicher oder gar demokratischer Kontrollen, was am konsequentesten durch eine Übertragung öffentlicher Funktionen auf privates Kapital zu leisten ist. Das Besondere und Auffällige an den CHE-Aktivitäten besteht in der öffentlichen, der staatlichen Akzeptanz und Förderung dieser Aktivitäten einer privaten Firma, ja, in deren Mitinitiierung durch staatliche Hoheitsträger und in der seitdem bestehenden engsten institutionellen Verflechtung mit zahlreichen staatlichen Instanzen – trotz (oder gerade wegen) offensichtlichster Abhängigkeit von der mächtigen und ihre privaten, nämlich der öffentlichen Kontrolle entzogenen Interessen kaum verheimlichenden Bertelsmann Stiftung.

Es liegt auf der Hand, wie damit Zuständigkeitsbereiche, die öffentlicher Kontrolle zu unterliegen haben, von privaten Einrichtungen Schritt für Schritt besetzt werden sollen und das interessierte Diktat, die schiere Kontrolle durch das Kapital und seine Funktionäre, immer weitere Bereiche der Gesellschaft erfasst und die restlichen Entscheidungs- und Kontrollkompetenzen öffentlicher Organe vollends aushöhlt oder diese zu bloßen Instanzen einer Legitimation entwertet, die nur noch der Lähmung von Kritik und Widerstand dient.

Reinhard Mohn stellte die Bertelsmann Stiftung unter das Motto „Eigentum verpflichtet“, jenes Prinzip, das die Eigentumsgarantie in Artikel 14 Grundgesetz ergänzt und absichert. „Sozialpflichtigkeit“ meint im allgemeinen Verständnis die Einschränkung der generell freien, nämlich rücksichtslosen Verfügung über Eigentum, damit der konsequenten Privatnützigkeit in der Zielsetzung des Umgangs und des Einsatzes von Kapital. Seit das Kapital wieder in höchster Konzentration in Deutschland auftritt, wird dieses Verständnis der Sozialpflichtigkeit vom Kapital selbst ausgehebelt. Längst ist die „Sozialpflichtigkeit“ in einem dem Kapital überaus günstigen Sinne umdefiniert, ja geradezu pervertiert, indem die Privatnützigkeit, in totaler Konsequenz angewandt, quasi zur obersten Pflicht des Kapitals avanciert – so in der wahrhaft herrschenden Lehre seit Anfang der 80er Jahre.

Bereits in den 70er Jahren formulierte Hermann Josef Abs (1976, S. 92 f.), als Vorstandssprecher der Deutschen Bank (und ehedem, nicht zu vergessen, führend beteiligt an der „Entjudung“ deutschen Kapitals ab 1938 und ab 1939 ausländischen Kapitals) seinerzeit vielleicht wichtigster Repräsentant des deutschen Kapitals: „Eine parlamentarische Demokratie ist geradezu dadurch charakterisiert, daß die Legitimation durch Wahlen und die Legitimation durch Privateigentum in einem Gleichgewicht stehen.“

Hier war bereits eine spezielle Legitimation der Kapitalbesitzer zum Eingreifen in Politik gefordert oder behauptet worden, eine Legitimation, die gleichsam selbstverständlich aus der Verfügung über einigermaßen konzentriertes Kapital erwachsen sollte. Diese Position wurde von Staatsrechtlern konsequent ausgebaut und 1983 in eine quasi offiziöse Kommentierung zum Grundgesetz aufgenommen, den renommierten Grundgesetz-Kommentar von Maunz-Dürig, unter Auswechslung des Kommentators und der bisherigen Grundlinie des Kommentars zu Art. 14. Hans-Jürgen Papier, der neue Kommentator, vollzog in über 600 Randnoten eine wahrhaft gründliche Umkommentierung. Danach beinhaltet die Sozialpflichtigkeit geradezu einen Anspruch des Kapitals auf Einmischung in die Politik, und zwar in dem Maße wachsend, wie das Kapital konzentriert und mächtig auftritt. Das Gewicht des jeweiligen Kapitals gilt überhaupt nicht mehr als Gefahr für die Demokratie, sondern umgekehrt die Demokratie als Gefahr für die Freiheit des agierenden Kapitals, und deshalb wird es – zu seinem Schutz –regelrecht verpflichtet, mit welchen Mitteln auch immer als Teil der gesellschaftlichen Gewalten aufzutreten. Unsere „Eigentumsordnung“ erfordere dies „gerade auch wegen ihrer politischen Explosivität“ (Maunz-Dürig, Grundgesetz, München 1983 ff. Art. 14, Rdnr. 5). Jürgen Papier hebt dabei hervor, dass die Einmischung nicht einmal das Gemeinwohl im Auge zu haben brauche, also übergreifende Ziele; vielmehr beinhalte die Sozialpflichtigkeit des Eigentums eine Einmischung „mit privatnütziger Zielsetzung“ (Rdnr. 4 und 276) bzw. mit dem Ziel einer „privatnützigen Mitgestaltung der Sozialordnung“ (Rdnr. 12). Papier führt dafür sogar ein neues Verständnis der Gewaltenteilung ein; er spricht von einer unsere Verfassung prägenden sozialen „Gewaltenteilungsfunktion“ des Art. 14 (Rdnr. 4), also davon, dass dem Kapital im Grade seiner Konzentration eine besondere Legitimation, nämlich die Legitimation zur Teilhabe an gesellschaftlicher Gewalt zukomme, eben als Gegengewicht zu den demokratischen Rechten des Volkes. Eine rein auf den Volkswillen gestützte Demokratie lehnt er entschieden ab: das Grundgesetz kenne gemäß Art. 14 „keine Totalität des (demokratisch legitimierten) Hoheitsakts (...), keine potentiell absolute Herrschaft der politischen Demokratie über Gesellschaft und Wirtschaft“ (Rdnr. 4).

Papier, mittlerweile zum Richter am Bundesverfassungsgericht und zum Vorsitzenden von dessen Erstem Senat aufgestiegen, hat damit die verfassungsrechtliche Anpassung an den herrschenden Neoliberalismus geleistet. Seine extreme Interpretation der Sozialpflichtigkeit des Eigentums, die Demokratie einschränkt und sie subtil eines totalitären Charakters verdächtigt, entspricht neoliberalen Vorstellungen und Interessen.

Dies war keine theoretische Konstruktion, sondern fand seine Entsprechung in einer praktischen Politik, für die von der Regierung und vom Parlament die Tore bereits weit geöffnet waren. Seit Anfang der 80er Jahre sind die Steuern auf das Kapital, insbesondere auf das konzentrierteste Kapital, stufenweise und schließlich radikal gesenkt worden. Dies hatte für unseren Zusammenhang zweierlei Folgen: zum einen wuchs die Beweglichkeit des Kapitals, wuchs die Möglichkeit, es frei einzusetzen, in hohem Maße; zum anderen verarmten die öffentlichen Haushalte zunehmend – eine für das weitere Erstarken des Kapitals wichtige Schwächung des öffentlichen Sektors.

An dieser Stelle muss auf den hoch politischen und entdemokratisierenden Charakter von Steuersenkungen zugunsten einflussreicher Konzerne hingewiesen werden. Jede Schwächung staatlicher Finanzkraft, z.B. im Hinblick auf das Bildungswesen, reduziert die Fähigkeit der öffentlichen Hand, solche Aufgaben zu erfüllen; es sind aber gerade die hoheitlichen Institutionen, die noch einer gewissen öffentlichen Kontrolle unterliegen. Ökonomisch tritt nun an deren Stelle die umso größere Fähigkeit der steuerlich begünstigten Konzerne, diese Funktionen in eigener Regie und ohne derartige Kontrolle wahrzunehmen. Das ist zwar am deutlichsten bei Steuerentlastungen zugunsten des konzentriertesten Kapitals, gilt aber prinzipiell auch für alle Gesetzesregelungen, die einen speziellen Steuererlass für Stiftungen und Sponsorentum vorsehen. Auch hier tritt nämlich – wie sehr die von Stiftungen und Sponsoren Bedachten im Einzelnen davon profitieren mögen – an die Stelle abgebauter Steuern eine umso größere Fähigkeit privaten Kapitals, ohne jede demokratische Kontrolle entsprechende gesellschaftliche Aufgaben – in seinem Sinne – zu übernehmen.
 

Funktionen und Ziele des CHE

Das CHE begreift sich selbst als „Denkfabrik“, die sogar Arbeitspapiere für die Weltbank verfasst – eine Beschönigung, denn es ist ein Instrument, das längst vorentschiedene Ziele durchsetzen soll und dementsprechend vorgegebene Interessen verfolgt; sein großer Vorteil ist die ihm eigene Fähigkeit zu Kampagnen mit langem Atem. Inhaltlich stimmt das CHE in seinen wesentlichen hochschulpolitischen Forderungen und Perspektiven überein mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), dem Bundesverband des Deutschen Groß- und Außenhandels sowie dem Deutschen Industrie- und Handelstag (DIHT), aber auch mit dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, mit dem es teilweise unmittelbar kooperiert. Nur im professionellen Geschick der Durchsetzung ist das CHE diesen Institutionen selbst vielleicht überlegen – was gerade seine Funktion ist: methodisch und gezielt vorzugehen, also etwa:

- durch erfahrene Nutzung und Bearbeitung der Medien, nicht zuletzt erleichtert durch die oben beschriebenen Konzern-Verbindungen, wie oben beschrieben, zusätzlich durch die gegenseitigen Verflechtungen mit dem Springer-Konzern, der ZEIT-Stiftung und dem Spiegel-Verlag von Rudolf Augstein;
- durch Symposien und Kongresse, oft verbunden mit gezielten Abschlusserklärungen (z.B. die bereits als „Ruck“ verstandene Leipziger Erklärung zur Hochschuleingangsprüfung von 1996 oder die vom CHE zusammen mit dem ausscheidenden Bundespräsidenten Herzog organisierte Berliner Tagung vom 13. April 1999, für die sogar rasch noch eine kleine CHE-nahe Studentenorganisation gegründet wurde);
- also auch durch Förderung mit dem CHE kooperierender Student(inn)en, ja, durch Initiierung und Aufbau eines Studentenverbandes namens „scheme“ oder „sCHEme“, bestehend „aus handverlesenen Studenten aus ganz Deutschland“ (vgl. Die Zeit v. 11.2.1999);
- durch Projekte mit Modellcharakter (z.B. das genannte Modellvorhaben zur Erprobung der globalen Steuerung von Hochschulhaushalten in Niedersachsen und zahlreiche andere Kooperationen mit Hochschuleinrichtungen, desgleichen durch Modellentwicklungen z.B. in Kooperation mit dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und anderen wirtschaftsnahen Organisationen);
- nicht zuletzt durch die unentwegte Präsenz Detlef Müller-Bölings selbst in Printmedien und einschlägigen Fernsehsendungen.

Damit tritt das CHE z.B. als Promotor auf für Hochschuleingangsprüfungen, für die Einführung von Studiengebühren (vom CHE in „Kostenbeteiligung“ umbenannt), für die Einsetzung von Hochschulräten/Beiräten/Kuratorien, bezeichnet als Vertretungen „gesellschaftlicher Gruppen“ (keineswegs nur mit beratender Funktion), für neue, nämlich privatisierte Formen der Hochschulfinanzierung (mit allen Folgen auch inhaltlicher Abhängigkeit), für neue Strukturen der inneruniversitären Mittelverteilung, für eine damit verbundene Konzentration der Führungsfunktionen an den Universitäten auf Dekane und den Präsidenten (mit großen Mittelverteilungs-Privilegien) sowie für die Einführung von Evaluationen, die auch bei der Lehre im wesentlichen nicht von Student(inn)en getragen werden sollen. All dies würde letztlich eine gesteigerte Einflussnahme seitens privater Geldgeber auf inhaltliche Prozesse und personelle Stellenbesetzungen garantieren, ja vielleicht im selben Maße bis in Einzelheiten hinein den Durchgriff des Kapitals ermöglichen, wie bereits 1997 in dem heftigen Konflikt zwischen dem Vorstandsvorsitzenden des Bertelsmann-Konzerns, Mark Wössner, und der Privatuniversität Herdecke vorexerziert (vgl. Die Welt v. 24.3.1997). Schließlich tritt das Interesse an der Bekämpfung einer „undifferenzierten Demokratisierung der Hochschulen“ (Müller-Böling, in: Süddeutsche Zeitung v. 21.2.1998), das gewaltige Eingriffsinteresse, das mit solchen „Reformen“ durchgesetzt werden soll, klar hervor.

Kein Wunder, dass die Durchsetzung all dessen trotz aller noch herrschender Lethargie an den Hochschulen nicht so leicht möglich ist; da ist man schon auf Verschleierungsbegriffe wie „Autonomie“, „größere Handlungsspielräume“, „doppelte Legitimation“, „neue Formen der Partizipation“ etc. angewiesen; anders wären die unternehmerähnlichen Führungsfunktionen zu offensichtlich und würden stärkeren Widerstand provozieren; da hört sich die Formel „Korporative Autonomie“ doch einschmeichelnder an als jede offene Propaganda in Richtung von Führerstrukturen.

Eine solche Propaganda ist aber kein Skandal, der einer antidemokratischen Haltung personell zuzuordnen wäre, sondern das logische Ergebnis eines mit jedem Konzentrationsschub notwendigerweise wachsenden Widerspruchs: Je mächtiger und gewaltiger das konzentrierte Kapital auftritt, desto unerträglicher werden ihm alle demokratischen bzw. sozialen Bändigungsversuche und institutionellen Regelungen, die solches unterstützen. Deren Einschränkung oder Beseitigung ist kein willkürliches, sondern sein expansionsbedingtes, also lebensnotwendiges Ziel.

Es geht hier eben nicht nur um „reine Ökonomie“, um billige, kurzfristig verwertbare Arbeit in Forschung und Lehre oder auch nur billige und kurzfristig abgeschlossene Ausbildung (so vor allem in den neuen Bachelor-Studiengängen); es geht darüber hinaus – und wiederum nicht nur - um eine Ausrichtung, eine nicht zuletzt ideologische Ausrichtung des Studiums allein auf Marktprinzipien, auf ein Selbstverständnis der eigenen Qualifikation, wonach diese nichts anderes mehr darstellen soll als eine „Investition in die eigene Person“ (deutlich insbesondere bei Studiengebühren), verbunden mit der Propagierung einer biographischen Rentabilität dieser „Investition“ als Maßstab. Um all dies geht es zwar auch, aber letztlich stehen im Mittelpunkt politisch-ökonomische Perspektiven: die Durchsetzung einer Sachgerechtigkeit als Prinzip, eine mentale Einstimmung, die sich jedes Fragen oder gar In-Frage-Stellen hinsichtlich der Bedingungen von Vorgängen oder Maßnahmen verbietet, diese gleichsam als religiös oder naturgesetzlich akzeptierend. Und das ganz entgegen jeder aufgeklärten Perspektive von Hochschulen und ihrer aufklärerischen Funktion, die Menschen aus ihrer Opferrolle herauszuholen, die Bedingungen ihres Handelns ihnen selbst verstehbar zu machen und ihr eigenes Handeln begreifbar. Folge soll vielmehr sein, dass der Abbau von z.B. 50 Prozent der Studierenden als Ergebnis einer unwiderstehlichen Naturgesetzlichkeit, erzwungen durch den Markt, gelten wird. Es geht dabei um den Versuch einer Ersetzung von Politik durch marktgesetzliche Sachgerechtigkeiten und den Aufbau von Strukturen, deren Sinn es nicht zuletzt ist, jeden Widerstand als widersinnig darzustellen, als Selbstschädigung der Subjekte, die ihn leisten.

Daher: Eliminierung allgemein-politischer Interessen, nachdem allgemein-politische Äußerungen von Vertreter(inne)n längst verboten sind, Eliminierung aller Befähigung zu allgemein-politischer Analyse, Eliminierung aller Utopien und aller an ihnen ausgerichteten Denkformen – und ihre Ersetzung durch das kalte Kalkül als Lebensperspektive.

Es ist kein Zufall, dass diese fundamentalen Änderungen im Bildungssystem gerade jetzt in Gang gesetzt und durchgesetzt werden sollen. Angesichts der gegenwärtig beschleunigten technologischen Fortschritte, ja, Sprünge, wird darüber entschieden, durch wen und in welchen Relationen zwischen den Klassen und den rivalisierenden Gesellschaftsgruppen die gewaltigen Mehrprodukte zu realisieren sind, wer also über jene gesellschaftlich hervorgebrachten Mehrprodukte letztlich verfügt, die sich aus den großen technologischen Produktionssteigerungen ergeben.

Die allgemein-politischen Interessen – sowohl allgemein in der Gesellschaft als auch gerade unter den Studierenden – stellen für die Freiheit des Kapitals eine potenzielle Einschränkung, also eine Gefahr dar und werden so wahrgenommen. Die Frage der Studiengebühren ist politisch hier angesiedelt: Mit ihnen sollen im Rahmen von „Sparmaßnahmen“ zwar auch Einkommen zugunsten der öffentlichen Haushalte erzielt werden. Aber vor allem geht es um eine soziale und eine ideologische Selektion, mit der letztlich durchgesetzt werden soll, dass nur noch solche Mentalitäten zu dulden und zu fördern sind, die sich hauptsächlich an Marktgesetzlichkeiten orientieren.

All dies sind keine völlig neuen Phänomene in der Wissenschaft und in der Forschung; die Drittmittel-Finanzierung ist längst verbreitet und jene Abhängigkeit damit konstituiert. Aber sie flächendeckend zu etablieren, sie zum Grundprinzip aller Wissenschaft, Forschung und Lehre zu erheben, das ist das Ziel der aktuellen Veränderungsprozesse. Damit könnte eine überaus konsequente Einbindung der betroffenen Hochschulangehörigen in das marktgerechte Unterdrückungssystem durchgesetzt werden.

Vielleicht gibt es bereits heute ein ideales Vorbild für die Strukturen, die letztlich angepeilt werden. Im Oktober 1998 hat die Bertelsmann AG eine hauseigene „Corporate University“ eröffnet, und zwar in Form einer virtuellen Universität, perfekt ausgerichtet auf die Interessen des Konzerns selbst: Führungskräfte aus 50 Ländern werden hier in ihre Tätigkeiten im Konzern eingewiesen und periodisch qualifiziert. Dabei soll es nicht nur um die Vermittlung substanzieller Qualifikationen gehen, sondern zugleich und vor allem um die Schaffung eines neuen Bewusstseins, nämlich einer Corporate Identity – wie der Name der Universität schon sagt – , und zwar als einer virtuellen Wirklichkeit, hoch effektiv den Marktinteressen des Bertelsmann-Kapitals angepasst.
 

Literatur

Abs, Hermann Josef (1976): Lebensfragen der Wirtschaft, Düsseldorf/Wien 1976
Dohmen, Florian (1998): Medien und Macht, Hamburg
Liedtke, Rüdiger (1998) Wem gehört die Republik? – Die Konzerne und ihre Verflechtungen ‘99, Frankfurt am Main
 

Prof. Dr. jur. Martin Bennhold lehrt Rechtssoziologie an der Universität Osnabrück.

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