Zeitung zum Semesteranfang Sommersemester 2011
„Magazin: In welche Richtung wird es weitergehen? Suchen die Menschen künftig mehr das Ursprüngliche als den schönen Schein?
Schmidt: Wir müssen uns klarmachen: Noch drei solche Unfälle, und unsere kleine Erde ist unbewohnbar. Für viele Leute sind damit ganz zentrale Dinge – die Liebe zur Natur, die Liebe zur Kultur, die menschliche Wärme überhaupt – in Frage gestellt.
Magazin: Wie wird das die Warenwelt beeinflussen?
Schmidt: Die menschlichen Sehnsüchte werden größer, und Menschen wollen in ihrer Auseinandersetzung mit sich selbst ihre Sehnsüchte auch mit Produkten der Warenwelt befriedigen. Nehmen Sie eines der merkwürdigsten Produkte, das Parfüm: Das nehmen wir, um uns ein Wohlgefühl zu verschaffen. Gleichzeitig senden wir damit aber auch ein Signal aus.“
Der Designer Peter Schmidt (auch Uni-Logo) im Gespräch mit „magazin“/„Hamburger Abendblatt“, 26./27.3.'11.
„Mehr als ein Souvenir – ein Zaubermittel wie vom Hexenmeister Cagliostro ist Rosens Toilettenpapier. Edel, rassig und schnittig in der Linie, hat es sich rasch in die Aristokratie der Eleganz eingeschmeichelt. Vergessen Sie nicht, bevor Sie das zierlich gebundene Päckchen verschenken, die Ecken der einzelnen Blätter umzubiegen: Sie geben dadurch Ihrem Geschenk eine persönliche Note.“
Kurt Tucholsky, „Werbekunst oder: Der Text unsrer Anzeigen“, 1927.
Warenwelt? Wohlgefühl? Wenig Geld? Viel Gewühl?
Infolge der Katastrophe in Japan und des anhaltenden GAUs in Fukushima, in Auseinandersetzung mit mehr als nur mit sich selbst – mit Mappus, Merkel und morgen beispielsweise – haben am 26.3. diesen Jahres mindestens 250.000 Menschen in der Bundesrepublik (50.000 davon in Hamburg) gegen die Atomkraft bzw. für das sofortige Abschalten der entsprechenden Kraftwerke demonstriert.
Diese Demonstrationen waren ebenfalls ein Ausdruck der Ablehnung wirtschaftsfrommer schwarzgelber Regierungspolitik sowie ein Votum für eine Wende in der Energiepolitik nicht nur dieses Landes. (Ein Ergebnis ist auch, daß ein grüner – realpolitischer – Katholik wohl bald der nächste Ministerpräsident von Baden-Württemberg sein wird. Nun ja.)
Einen Tag später, am Sonntag danach, fand eine weitaus größere Demonstration ganz anderer Art in Hamburg statt.
Laut der Aussage von „City-Managerin“ Brigitte Engler sollen sich an diesem verkaufsoffenen Sonntag geschätztermaßen 600.000 Menschen durch die Innenstadt bewegt haben – mehr als doppelt so viel wie in der gesamten Republik gegen die Atomkraft. (Auch Hamburg lebt vom Tourismus.)
Hier mag zutreffen, was Hans Magnus Enzensberger schon 1960 in seinem Essay „Plebiszit der Verbraucher“ („Zusatz: Sieben Hauptfiguren konservativer Rhetorik“, „VI: Es ist gut so wie es ist“) kritisch charakterisiert:
„(..) Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, daß das Reich der Freiheit arg zusammengeschrumpft ist: ungefähr auf den Flächeninhalt eines Selbstbedienungsladens. Gegängelt in der Schule, im Beruf, von Behörden und Polizisten? Bedauerlich. Aber ein Trost bleibt uns allen: beim Einkaufen sprengen wir unsere Fesseln. Unbeeinflußt von Reklame- und Marketingtechniken, frei von jedem Druck, von jeder Überredung, kommen wir im Akt des Kaufens zu uns selbst.“ (Von Herrn Schmidt hatte Enzensberger damals noch keine Ahnung.)
Da mit Parfüm bekanntermaßen keine Fesseln zu sprengen sind, sei empfohlen, nur das käuflich zu erwerben, was man wirklich braucht – auch Bücher beispielsweise – , und ansonsten brauchen wir im Alltag eine Wende hin zum politischen Menschen.
Emanzipation als Lebensfreude steht in keinem Warenregal.
Tatsächliche Demokratie ist ein nicht käufliches Bedürfnis.
„Studienbeiträge verfolgen wie dargestellt eben nicht nur das Anliegen, den Hochschulen Geld zu beschaffen. Es war und ist gleichermaßen damit intendiert, etwa den Wettbewerb der Hochschulen um die Studierenden zu steigern. Studierende als zahlende Nachfrager (nicht Kunden) sollen in eine bessere Position versetzt werden, gute Leistungen von der Hochschule einfordern zu können; dieser Effekt wird zerstört, wenn der private Finanzierungsbeitrag entfällt. Staatliche Kompensationsmittel können die Leistungs-Gegenleistungs-Beziehung zwischen Hochschule und Studierenden nicht ersetzen.“
„Centrum für Hochschulentwicklung“ (CHE) der Bertelsmannstiftung, „Stellungnahme des CHE zur Abschaffung der Studienbeiträge in NRW“, November 2010.
„Alle Wissenschaft und Künste haben ein Gut und Ziel, das größte und wichtigste von allen, die Staatswissenschaft: Ihr höchstes Gut ist Gerechtigkeit, diese aber besteht in der Verwirklichung des Gemeinwohls“
Aristoteles (384-322 v.u.Z), „Älteste Politik“.
Die „Leistung-Gegenleistung-Beziehungen“ machen eine häßliche Gestalt. Die jüngsten Errungenschaften der Dominanz der Geschäftemacherei sind eine globale Finanzund Wirtschaftskrise, Kriege ums Öl und ein atomarer Super-GAU.
Lokal hindert die auf diesem Prinzip gebaute Elbphilharmonie sinnvolle Kultur für alle, und von einem Besuch einer der kommerziellen „Asklepios-Kliniken“ in Hamburg ist, wenn irgend möglich, dringend abzuraten. Überall steht eine grundsätzliche Veränderung auf der Tagesordnung.
Politisch am Ende ist daher auch der Versuch, das wissenschaftliche Studium mittels Käuflichkeit zur Ware zu degradieren: Mit negativer Beihilfe durch das Ba/Ma-System bleibt das aktuelle Niveau wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns weit hinter den gesellschaftlichen Erfordernissen und Möglichkeiten zurück. Die Studiengebühren werden von der Universität und der Bevölkerung mehrheitlich ungebrochen abgelehnt.
Als Meinungsmacher-Fabrik war das „Centrum für Hochschulentwicklung“ – ausgestattet mit reichlich Finanzen vom Bertelsmannkonzern – einst angetreten, um „Kostenbeiträge“ für Studierende in der ganzen Republik zu installieren. Das Studium sollte als „Investition“ in die eigene Ware Arbeitskraft verstanden werden und so just-in-time nur noch gelernt und gelehrt werden, was den antizipierten Verwertungsinteressen der Arbeitsverwender entspricht.
Und nu? Nach dem Ausstieg von NRW verbleiben lediglich vier Bundesländer, in denen derzeit noch gesetzlich allgemeine Studiengebühren gezahlt werden müssen. Die designierte Landesregierung Baden-Württembergs hat bereits für das nächste Wintersemester die Abschaffung angekündigt, und wann es in Hamburg soweit ist, hängt maßgeblich vom fortgesetzten Nachdruck der studentischen Bewegung ab.
Mit Beratungen in Vollversammlungen, Diskussionen und Beschlüssen in den akademischen Gremien, Unterschriftenlisten, Urabstimmungen, Streiks und Gebührenboykotten haben die Studierenden dauerhaft für eine gesellschaftlich verantwortungsvolle Wissenschaft durch Gebührenfreiheit gekämpft. So konnte der Profittechnokrat Jörg Dräger – 2001 vom erheblich rechten Senat aus CDU, Schill-Partei und FDP als Wissenschaftssenator eingesetzt – seine Träume von semesterlichen 2.500 Euro Studiengebühren nie verwirklichen. Durch das kritische außerparlamentarische Engagement wurden stattdessen die (zögerlich eigeführten) ten) Gebühren bei 500 € eingegrenzt und als weiterer Zwischenschritt konnte die Reduzierung auf 375 Euro einschließlich einer partiellen Nachlagerung erstritten werden.
Nach dieser letzten, durch die Grünen zu verantwortenden Ausflucht muß nun auch in Hamburg die unausweichliche Rückkehr zu einem gebührenfreien Studium folgen. Jedes weitere Semester Gebührenerhebung würde die soziale Last für die Studierenden fortsetzen und damit die Einschränkung der Entfaltung der Wissenschaft für eine lebenswerte Gesellschaft.
Die erkämpfte Gebührenfreiheit schafft neu Bedingungen für einen wissenschaftlichen Beitrag für weltweite zivile Entwicklung, soziale Gerechtigkeit, ein vernünftiges Verhältnis zwischen Mensch und Natur, menschenwürdige Gesundheitseinrichtungen, geistreiche Kultur und die Überwindung der primitiven Geschäftemacherei.
Damit sind auch Maßstäbe für einen künftigen AStA gesetzt.
„Du bist kein Unsichtbarer,
Nicht Unendlich bist du!
Sondern sieben Meter hoch.
In dir ist kein Geheimnis
Sondern Öl.
Und du verfährst mit uns
Nicht nach Gutdünken, noch unerforschlich
Sondern nach Berechnung.“Bertolt Brecht: Siebenhundert Intellektuelle beten einen Öltank an (1929).
Während die Bevölkerung in Libyen – vermeintlich zum Schutz der Bevölkerung – von einer Koalition „williger“ NATO-Staaten weiter bombardiert wird, wird mittlerweile offen darüber fabuliert, die Gaddafi-Gegner auch direkt mit Waffen zu beliefern. Hinter den Kulissen wird für die Zeit nach dem keinesfalls mit dem Völkerrecht zu vereinbarenden „regime-change“ bereits über die Verteilung der Ölressourcen verhandelt. Hinter dem gnadenwie kopflosen Krieg steht ein bestimmtes Kalkül: Im Zuge der Umwälzungen in Nord-Afrika versuchen die westlichen Industriestaaten verzweifelt, sich auf die richtige Seite zu schlagen, damit die Geschäfte möglichst ungehindert fortgesetzt werden können. Eine tatsächlich souveräne demokratische und soziale Entwicklung in Libyen würde dies erschweren.
Die ehemalige italienische Kolonie, viertgrößtes und reichstes Land des afrikanischen Kontinents, wurde 1951 unabhängig. Die Ölquellen des Königreichs Libyen waren damals schon als wahre Goldgruben bekannt. Heute ist Libyen weltweit der viertgrößte Lieferant von Erdöl und -gas und liefert 70% des Energiebedarfs Europas. Ein Viertel der staatlichen Öleinnahmen wird für Waffen aus Europa und den USA ausgegeben (die Bundesrepublik wiederum steht an dritter Stelle der Rüstungsexporteure) – eine Hand wäscht die andere.
Muammar Al-Gaddafi hat sich im Laufe der Zeit mehrmals vom Lieblingsfeind Nummer eins des „Westens“ zum hoch geschätzten Geschäftspartner und wieder zurück zum „Terroristen“ gewandelt. Sein größtes Verbrechen aus Sicht hiesiger Eliten besteht wohl darin, nach dem Sturz der Monarchie 1969 die Ölfelder des Landes verstaatlicht und die Ölexporteinnahmen für Bildung, Soziales, Infrastruktur und die Fruchtbarmachung der Wüste (Wasser ist eine lebensnotwendige Ressource) gesteckt zu haben. Seitdem die ausländischen Ölkonzerne (u.a. British Petroleum, die italienische ENI, der US-Konzern Occidental) das Land und seine blühenden Öl- Oasen verlassen mußten, führen insbesondere die USA einen jahrzehntelangen verbissenen Machtkampf um Einfluß und Geschäftsbedingungen einschließlich Bombardierungen und Invasionsdrohungen, was von Libyen mit Terroranschlägen beantwortet wurde.
2002 begann eine „Normalisierung“ der Beziehungen: Damit auch neue Quellen sprudeln können, liefern westliche Unternehmen moderne Technologie und das Öl fließt wieder nahezu ungehemmt. Der „freundliche Tyrann“ erklärt seinen Verzicht auf Massenvernichtungswaffen, Libyen ist kein „Schurkenstaat“ mehr und auch die Waffengeschäfte blühen wieder. Gaddafi und Sarkozy (zwei große Männer!) schließen sogar einen Vertrag über den Bau eines Atomkraftwerks in Libyen ab. Mitte Februar diesen Jahres, als die erste Welle der Protestbewegung gegen die Regierung in Tripolis begann, wurde gerade ein strategisches Energiegeschäft zwischen Libyen, Rußland und Italien abgeschlossen – ein Affront gegen Frankreich, Großbrittanien und die USA...
Es gibt also gute Gründe, der herrschenden Meinungsbildung zu mißtrauen und zu widersprechen und sich für einen zügigen Waffenstillstand und eine dauerhafte Beendigung aller Kriegshandlungen einzusetzen. Zivile Verhandlungen zwischen den Bürgerkriegsparteien sind nur ohne imperialistische Einmischung möglich. Die Verwirklichung von sozialer Demokratie und Menschenrechten ist die eigenständige Angelegenheit der libyschen Bevölkerung, für die internationale Solidarität „von unten“ (statt Bomben von oben) sehr förderlich ist.
Wichtige Lehren aus dieser Auseinandersetzung mögen sein, daß die Emanzipationsbewegungen engagiert weitergehen, daß alle Waffenexporte eingestellt werden, die Reichtümer der Bevölkerungen überall zu Gute kommen und darüber hinaus ernsthaft an der Entwicklung regenerierbarer Energien gearbeitet wird.
All das sind ebenfalls nachhaltige Aufgaben von sinnvoller Forschung und Lehre sowie des entsprechenden Studiums.
Auftakt:
Kriegsklotz am Dammtordamm, um 12 Uhr.
Demoroute:
Durch die Innenstadt mit einer Zwischenkundgebung in der Mönckebergstraße bei Vattenfall.
Abschluß:
Friedensfest auf dem Carl-von-Ossietzky-Platz (Lange Reihe, St. Georg).
Die Liste Links trifft sich Freitags, 15 Uhr, im studentischen Café Subkultur-Paranoia der Erziehungswissenschaft. (Im Souterrain des schwarzen Würfels)
„Dass die reiche Stadt Hamburg gerade wirtschaftlich wieder in Champagner-Laune ist, als hätte es eine Krise nie gegeben, verbittert die betroffenen Kulturarbeiter natürlich besonders. Aber es weckt auch Zorn. ‚Kampfansage‘ steht seit dem gestrigen Donnerstag in riesigen Lettern am Schauspielhaus gegenüber dem Hauptbahnhof. Mit Betteln scheint jetzt erst mal Schluß zu sein.“
Till Briegleb, „Kampfansage“, „Süddeutsche Zeitung“, 24.9.'10, S. 12.
„Den meisten Leuten sollte man in ihr Wappen schreiben: Wann eigentlich, wenn nicht jetzt?“
Kurt Tucholsky, „Schnipsel“, 1932.
Erstens: Der schwarz-grüne Senat hat so manches Faß überlaufen lassen.
Zweitens: Hamburg ist seit ein paar hundert Jahren noch nie eine arme Stadt gewesen.
Drittens: Die Mehrheit der Bevölkerung muß selbst für das Allgemeinwohl sorgen.
In diesem Zusammenhang sind die Hochschulen eine politische Angelegenheit. Aufklärung oder Betriebswirtschaft.
Soziale Offenheit, demokratische Partizipation, solidarisches Lernen, gesellschaftliche Verantwortung der Wissenschaften – ausreichend öffentlich finanziert – stehen auf der Tagesordnung. Das ist ein praktischer Widerspruch zu Studiengebühren, Ba/Ma, Hochschulrat und negativ fortgesetzter Unterfinanzierung.
Emanzipation durch Bildung ist von großer Nützlichkeit.
Positive Veränderungen sind ein gewachsenes Bedürfnis.
Auf dieser Strecke hat sich 1993 die Liste LINKS gegründet.
Wir arbeiten zusammen mit anderen fortschrittlichen Gruppierungen in den Gremien der studentischen Interessenvertretung, in der Akademischen Selbstverwaltung und in außerparlamentarischen Bewegungen: in Fachschaftsräten, in der Fachschaftsrätekonferenz, im Studierendenparlament, in Fakultätsräten, in der Friedensbewegung, in Bündnissen gegen Neofaschismus, in Aktivitäten gegen Sozialabbau. Wir sind bundesweit als Gründungsmitglied im Hochschulgruppenverband Die Linke.SDS organisiert.
Dieses Engagement begreifen wir als alltägliche und sehr menschliche Angelegenheit. Allseitige Emanzipation sei erstes Bedürfnis. Dem sollte sich niemand auf Dauer entziehen.
„Wer seine Lage erkannt hat, wie soll der aufzuhalten sein?“
Bertolt Brecht, „Lob der Dialektik“, 1934.
„Auf was ist die hohe Anzahl von Promotionen in Deutschland im internationalen Vergleich zurückzuführen?
Anstatt nur die zum Verfahren zuzulassen, die in der Wissenschaft weiterkommen wollen und können, vergibt man Titel an Leute, die ihn in erster Linie zu Statuszwecken anstreben. Es fehlt eine strenge Qualitätskontrolle. Und es wird umgekehrt durch die Drittmittelgeber jeder Anreiz gesetzt, Doktorfabriken (Exzellenzcluster, Graduiertenkollegs) zu gründen. Wer fünfzehn Doktoranden hat, gilt als Professor mehr als jemand, der noch lesen kann, was die seinen schreiben.“
Jürgen Kaube, Leiter des Ressorts „Geisteswissenschaften“ im Feuilleton der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ („FAZ“) im Interview mit „Frankfurter Allgemeine Hochschulanzeiger“ (zur Causa Guttenberg), April 2011, S. 66.
„Jener Typus des Intellektuellen, der den sozialen Schäden ein willig Ohr leiht, der sich in den Dienst ‚der nationalen Gemeinsache‘ stellt, jener falsch-liberale, neudeutsche Mensch, der Kritiken zuläßt, soweit er nicht selber gemeint ist, und nur soweit Kritik ihm die Möglichkeit verschafft, seinen ‚Standpunkt‘ ausführlich darzulegen oder gar ein Amt anzutreten, dieser Mensch wird, wenn man ihm den neuen Krieg, die neue Verwicklung, die neue Diebsgenossenschaft nur plausibel genug macht, mit allen Fasern seines Herzens noch einmal dabei sein.“
Kurt Tucholsky, „Stahlhelm oder Filzhut?“, 1927.
An dieser Stelle soll nicht erörtert werden, ob Strenge wirklich der richtige Weg ist (wenn auch Professoren mehr zum Lesen kommen, ist das sicher nicht schädlich) oder wem Promoventen möglicherweise gehören, sondern:
Der Fall Guttenberg – zuzüglich „Bild“ und Kriegsministerium – paßt nur zu gut in das gesamte Hamsterradsystem von Ba-Ma, privat-kommerziellen Akkreditierungen von Studiengängen und (Wirtschafts-)Clustern aller Art in der bundesdeutschen Wissenschaftslandschaft. (Mit Silvana Koch-Mehrin, FDP, zeichnet sich ein neuer Fall ab.)
Herrn Kaubes Kritik trifft zu, wenn er meint, daß das Problem in der Statusfixierung besteht. Statt seriöser Wissenschaftlichkeit (relevante Themen, analytische Tiefe, problemlösende Tragweite) zählen der schöne Schein und die Verkäuflichkeit von – saisonal bedingtem – Wissen oder der Vortäuschung von Wissen. Bei Guttenberg sei er „verblüfft vom Ausmaß an Dreistigkeit“. Die Öffentlichkeit war es auch. Er mußte gehen. Immerhin.
Spätestens jetzt und aus diesen Gründen sind Studienbedingungen zu schaffen, die Lehre und Forschung einschließen, in denen ernsthaftes wie freudvolles forschendes Lernen gewollt und möglich ist.
Dazu gehören in Kürze:
Die Wissenschaften können in gesellschaftlicher Verantwortung eine positive Rolle zur Verbesserung der sozialen und kulturellen Lebensbedingungen der Menschen übernehmen.
Dann haben Plagiatoren aller Art kaum noch eine Chance. Aufklärung ist eine kooperative Aufgabe.
Zurück zum Anfang„Je erfolgreicher jemand ist, desto mehr Neid ruft er auf den Plan. Das führt leicht dazu, dass Tüchtige ihre Leistungen herunterspielen, um Missgunst gar nicht erst zu produzieren, den düsteren Satz der 'Todsünde' vor Augen: Wer Neid sät, der Elend erntet. Oder aber sie schotten sich ab. So wie manche Reiche und Neureiche, die lieber unter sich bleiben, weil der Bentley in der Garage kein Gerede provoziert, sondern in der monetären Oberklasse ganz selbstverständlich zum Fuhrpark dazugehört.“
Ursula Kals, „Das Leid vom Neid“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ („FAZ“)/„Beruf und Chance“, 24.4.'11, S. C 1.
„Die Wucht der Goldpreishausse der letzten Jahre erklärt sich aus der enormen Aufblähung der Geldvermögen in den letzten beiden Jahrzehnten.“
Lucas Zeise, „Die Angst der Vermögenden“, „Financial Times Deutschland“ („FTD“), 26.4.'11, S. 24.
„Daß der Arbeiter für seine Arbeit auch einen Lohn haben muß, ist eine Theorie, die heute allgemein fallengelassen worden ist.“
Kurt Tucholsky, „Kurzer Abriß der Nationalökonomie“, 1931.
Thilo Sarrazin, buchnotorischer Rassist, vom Schiedsgericht seiner Partei nunmehr unbehelligt, meinte zu seinem abgewendeten Parteiausschlußverfahren, dies sei „ein positiver Beitrag zu den Wahlchancen der SPD.“
Als er noch Finanzsenator in Berlin war, empfahl er Hartz-IV-Geschädigten, doch lieber Pullover in der Wohnung zu tragen, statt die Heizung höher zu drehen.
Ein Bentley, der in England weitgehend handgefertigt wird, ist ab 180.000 Euro käuflich zu erwerben. Steht er in einer Garage, ist diese an kalten Tagen sicherlich ausreichend geheizt.
So verschieden ist es im menschlichen Leben.
Der Reichen Reichtum ist der Armen Armut. Dieses soziale Verhältnis ist keine Frage von Tüchtigkeit (oder gar Genen), sondern eine politische Tatsache. Die einen zahlen wenig Steuern, die anderen erhalten wenig (wenn überhaupt) Lohn.
Schuld daran ist nicht „der Islam“ oder das unverschämte Anspruchsdenken der Arbeitenden oder der von Sozialleistungen Abhängigen, sondern die (falsche) politische Gestaltung der Gesellschaft sowie die „spekulativen Exzesse an den Aktien-, Kredit- und Immobilienmärkten des Globus“ (Lucas Zeise, a.a.O.).
Dies kritisch festzustellen, ist keine Frage des Neides, sondern ein politisches Gebot der Vernunft.
Daraus folgen die Notwendigkeit einer scharfen Regulierung der Finanzmärkte, die deutliche Erhöhung der Steuern für Reiche und Vermögende, ein flächendeckender Mindestlohn, Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich, auskömmliche Tariflöhne und ebenso die sofortige Abschaffung der Studiengebühren.
(Auch an Kriegen und Militär läßt sich viel für zivile Aufgaben und Ausgaben „sparen“!)
Frieden, Arbeit, Bildung und Kultur sind menschliche Herausforderungen.
Mit kritischem Engagement – auch: „Gerede provozieren“ – läßt sich da gewiß etwas machen.
Ganz ohne Neid. Von der Mehrheit für die Mehrheit.
Sonntag, den 1. Mai 2011
Demobeginn: 10:30 Uhr,
ab Gewerkschaftshaus am Besenbinderhof
Abschlußkundgebung: 13 Uhr,
U/S Barmbek, Museum der Arbeit
„Sie [die Gesellschaft] muss offener klären, ob wir zum Beispiel für die weniger Begabten nicht doch einfachere und kürzere Ausbildungsberufe brauchen, um unter anderem auch die endlosen Warteschlangen im Ausbildungsbereich zu leeren; ob zu hohe Mindestlöhne nicht vielleicht doch die einfacheren Arbeitsplätze aus dem Land vertreiben und dann das ‘Aufstocken’ am Ende sozialer gerechter wäre. Die wachsende Spanne zwischen der Zahl der wissensbasierten Jobs und den weniger Lernfähigen in dieser Wissensgesellschaft kann jedenfalls auch durch die besten Schulen niemals wirklich überwunden werden. Wir aber müssen daran arbeiten, diese Kluft nicht unnötig groß werden zu lassen. Nur wer die Tatsache akzeptiert, dass es unterschiedliche Befähigungen gibt, kann gegenüber den weniger Befähigten gerechter werden. Der SPD ins Stammbuch!“
Klaus von Dohnanyi, „Der SPD ins Stammbuch!“, „Die Politik sollte die Thesen von Thilo Sarrazin endlich ernst nehmen“; „SPIEGEL“ 18/2011.
„Die darwinistisch gewordene Soziologie hat also nicht nur alles Ökonomische aus der gesellschaftlichen Erkenntnis vertrieben, sondern auch alles Soziale. Dies ist methodologisch notwendig. Wenn die Soziologie sich auf Biologie oder Anthropologie gründet, kann sie keine wesentliche Veränderung, geschweige denn einen Fortschritt zugeben.“
Georg Lukács, „Die Zerstörung der Vernunft“, „III Der soziale Darwinismus“, 1954, S. 543.
„Warteschlangen leeren“, „Arbeitsplätze aus dem Land vertreiben“ – Karl Kraus und Kurt Tucholsky hätten ihre satirische Freude an den Stilblüten des begabten Herrn v. Dohnanyi gehabt.
Klaus v. Dohnanyi war unter anderem 1972–1974 Bundesminister für Bildung und Wissenschaft sowie 1981–1988 Bürgermeister von Hamburg. Er hat jüngst Thilo Sarrazin vor dem Schiedsgericht der SPD verteidigt und plädiert nun im „SPIEGEL“ für seine biologistischen Ergüsse.
Die biologischen Forschungen von Charles Darwin (1809–1892) haben der Menschheit historische Erkenntnisse über die Entwicklung der Natur gebracht.
Ihre – zumal vulgäre – Übertragung auf den Menschen, d.h. auch auf die sozialen, politischen, weltanschaulichen und kulturellen Konflikte sowie ihre Entwicklung, ist rückschrittlich, statisch und also menschenfeindlich. „Der Kampf ums Dasein“ prinzipiell ungleichwertiger (z.B. auch: „begabter“) Menschen („Rassen“) legitimiert auf primitive Weise soziale Ungleichheit und politische Unterdrückung – im Extremfall Diktatur, Krieg und Massenmord. Alles Unmenschliche wird so für „natürlich“ erklärt.Wer arm ist, sich im Elend befindet, ist eben weniger „begabt“, „befähigt“ oder möglicherweise willens, sein Glück zu machen bzw. ein nutzbares Element der Gemeinschaft zu sein. Diese Naturalisierung des Menschlichen geht hinter die Aufklärung zurück und soll jegliche Emanzipation verhindern.
Auf der Ebene der politischen Maßnahmen empfiehlt Herr v. Dohnanyi Ausbildungsgänge light (für Doofe) sowie nicht allzu hohe Mindestlöhne (für Faule). Das wiederum geht hinter volle Tariflöhne sowie hinter den Anspruch „Bildung für Alle!“ zurück.
Dagegen ist es an der Zeit, Kriege aller Art zu beenden, sinnvolle Arbeit zu schaffen, Bildung und Kultur allen zu ermöglichen und nicht mehr so dummes Zeug zu reden und zu schreiben.
Herr Sarrazin sollte dabei rechts stehen gelassen werden.
„Die bürgerliche Revolution muß sich ins Ökonomische fortentwickeln, die liberale Demokratie zur sozialen werden.“
Thomas Mann, „Meine Zeit“, 1950.
„Der SPD ins Stammbuch!“ (Ein Stück weit.)
Auf die Lernfähigkeit!
Sonntag, 08. Mai 2011
66. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus
15:00 Uhr: Lesung und musikalische Beiträge
L. Zieske liest „Wo sind die Desserteure“ von Heinrich Böll,
Premiere des Schauspiels „Kriegsgericht“, u.a.
16:30 Uhr: Kunstaktion
„Versäumtes nachholen: Wir Motten ein Kriegsdenkmal ein“
mit Uwe Schmidt, Hajo Busch & Co.
„Was meine Dissertation anbetrifft: an der Universität Heidelberg habe ich die Arbeit 1999 eingereicht, und dort wird sie jetzt überprüft. Ich möchte, das diese Prüfung nun vertraulich, fair, nach rechtsstaatlichen Maßstäben und ohne Ansehen der Person durchgeführt und nicht dadurch belastet wird, dass ich herausgehobene Ämter innehatte.“
Silvana Koch-Mehrin, Erklärung zum Rücktritt von ihren Ämtern als Vorsitzende der FDP im EU-Parlament, der dortigen Vizepräsidentschaft sowie des Präsidiums der FDP, 11.5.'11.
„Betrug, im allgemeinen jede absichtliche Verletzung oder Unterdrückung der Wahrheit; nach dem Strafrecht begeht einen B., wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, daß er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält; nach dem Zivilrecht ist B. oder arglistige Täuschung die Mitteilung falscher oder das Verschweigen wahrer Tatsachen in dem Bewußtsein, daß der andere dadurch zu einer Erklärung veranlaßt wird, die er bei der Kenntnis der richtigen Sachlage nicht abgegeben haben würde.“
Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Felix Meiner Verlag Hamburg 2001, S. 105.
Die FDP ist keine sozial-liberale und/oder Bürgerrechtspartei.
Sie hängt in bundesweiten Meinungsumfragen bei vier Prozent fest.
Ihr Mitglied Rainer Brüderle meint, man sei fest entschlossen, das Blatt zu wenden.
Die Universität Bayreuth wirft Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) systematische Täuschung beim Verfassen seiner Doktorarbeit vor.
Die Universität Konstanz entzieht Veronica Saß, Tochter von Edmund Stoiber (CSU), wegen Abschreibens den Doktorgrad.
Die Universität Heidelberg steht davor, Silvana Koch-Mehrin (FDP) wegen mehrer festgestellter Plagiate den Doktortitel abzuerkennen.
Zufall?
Auf jeden Fall fließen hier mehrere Tatsachen zusammen: Der Doktortitel erleichtert den Aufstieg auf der gesellschaftlichen Hühnerleiter. Der schöne Schein ist wichtiger geworden als wirkliche Qualität. Täuschung gilt zunehmend als sportlicher Charakter. Die bürgerlichen Parteien tun so, als ob sie die Interessen der Bevölkerung verträten.
Dem steht entgegen: Die Wissenschaften mit ihrer z.T. bedenkenlosen Marktnähe, den formalen Machtkämpfen, ihrer chronischen Unterfinanzierung und ihren gestuften Abschlüssen sowie mit ihrem seriös zu klärenden Gesellschaftsbezug stehen vor einer Neu- Orientierung. Der schöne Schein verliert immer mehr seinen Glanz. Täuschungen werden besser durchschaut und weniger akzeptiert. Die politische Praxis von Kriegsführung, Sozialabbau, Kulturzerstörung und demokratischen Einschränkungen wird zunehmend abgelehnt.
Da nützt es auch wenig, Beteuerungen abzugeben. Der Mentalitätswechsel in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit läßt das Herabmindern von relevanten Vergehen zu bald vergessenen Bagatellen nicht mehr zu. Ein Come back von zu Guttenberg (und anderen) ist deshalb eher unwahrscheinlich.
Von dieser kritischer gewordenen Haltung ist es nicht weit zu weiteren Einsichten bzw. kritischeren Handlungsweisen – soll heißen: sich immer weniger gefallen zu lassen. Weitere Minister und Ministerinnen, politische Prozentpunkte, Vorsitzende aller Art, Studiengebühren und Kriegseinsätze können dann fallen.
Zurück zum Anfang„Ja, mich dünkt zuweilen, der Teufel, der Adel und die
Jesuiten existieren nur so lange, als man an sie glaubt.“Heinrich Heine, „Reise von München nach Genua“, Kapitel IX, 1828.
„Wir können nicht eine Währung haben, und der eine kriegt viel Urlaub und der andere ganz wenig.“
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) anläßlich der Vorstellung des Sondergutachtens des „Sachverständigenrates“ für die Bundesregierung.
„Vor Geistlichen darf man nicht Gott lästern. Vor Nationalen darf man nichts gegen das Vaterland sagen. Vor Kapitalisten nichts gegen die Nase der Börse, die tausend Nasen hat und keine... Die Empfindungen könnten verletzt werden. Aber ich habe noch nie gehört, daß in Deutschland irgend etwas getan wird oder unterblieben ist, weil sich Pazifisten in ihren Empfindungen verletzt fühlten.“
Kurt Tucholsky, „So verschieden ist es im menschlichen Leben“, 1928.
Eines vorweg: Den Bewohnerinnen und Bewohnern Griechenland sollte es gut bzw. besser gehen. Sie sollten nicht durch IWF und EU stranguliert werden. Es sollte sozial zugehen im menschlichen Leben, anstatt die Banken zu füttern...
Immer wenn die Kinder unartig sind oder unartig zu werden drohen, werden ihnen Sündenböcke vorgeführt.
So behauptete Frau Merkel, daß in südeuropäischen Ländern weniger gearbeitet, mehr Urlaub genossen und eher in die Rente gegangen würde als in deutschen Landen.
Nichts davon ist richtig.
In Griechenland, Portugal und Spanien gilt das gleiche Renteneintrittsalter wie hierzulande.
In diesen Ländern sind die geltenden Urlaubszeiten kürzer als in der BRD.
Warum also diese offenkundigen, leicht tumben Unwahrheiten?
Der Deutsche als solcher (gemeint sind nicht Frau Klatten [BMW], Herr Albrecht [Aldi] oder Marianne Fürstin zu Sayn-Wittgenstein-Sayn [St.-Moritz-Adel]) soll laut „Sachverständigenrat“ und unserer Kanzlerin mehr arbeiten, weniger faulenzen und später in Rente gehen.
Das nennt sich dann Wissenschaft bzw. „Richtlinienkompetenz“ der Politik. Das mutet schon ein wenig gespenstisch an.
Da ist es in jedem Fall besser, den Mut aufzubringen, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen. (Kant für Anfänger und Fortgeschrittene.)
Immer wenn Verzicht gepredigt wird, ist genau der richtige Zeitpunkt, neue und alte berechtigte Ansprüche anzumelden und zu verwirklichen. Geist und Tat sind Geschwister ersten Grades.
Studiengebühren gehören schleunigst abgeschafft. Sparpolitik ist Mist. Löhne sind keine Almosen. Freude ist kein Verbrechen. Wissenschaft hat irgendwie etwas mit Wahrheit zu tun. Politisches Handeln sollte sich daran orientieren.
Und: Der Sozialstaat ist besser als irgendein Polizeistaat.
Zurück zum Anfang„Im vergangenen Jahr waren Sie voll des Lobes für Karl Theodor zu Guttenberg. Wünschen Sie sich sein Comeback?
Er hatte die Fähigkeit, Menschen für Politik zu interessieren. Das war ein großes politisches Kapital. Deshalb ist es schade, dass dieses Kapital verloren gegangen ist. Daher war meine Empfindung, als die Plagiatsvorwürfe erhoben wurden, nicht Scham, sondern Bedauern. Ob das Kapital, das mit seiner Person verbunden war, noch einmal gehoben werden kann, ist eine schwierige Frage. Da muss Zeit ins Land gehen, um sie zu beantworten.“
Peter Müller (CDU), saarländischer Ministerpräsident im Interview („Wer regiert, verliert“) mit der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ („FAS“), 29.5.'11, S. 7.
„Die Demokratie ist ein Staat, wo das souveräne Volk, von den Gesetzen geleitet, die sein Werk sind, selbst dasjenige tut, was es gehörig tun kann, und durch Abgeordnete alles dasjenige tun läßt, was es nicht selbst zu verrichten imstande ist.“
Maximilien de Robespierre, „Über die Prinzipien der politischen Moral“, Rede vom 3. Februar 1794.
Mit „Kapital“ meint Herr Müller bei Freiherrn v.u.z. Guttenberg gewiß nicht die Rüstungsindustrie oder die Waldwirtschaft, sondern das Vermögen – Können –, die Bevölkerung mit einigem Glanz hinters Licht zu führen. Deshalb empfindet Herr Müller bezüglich der arglistigen Täuschung des CSU-Freiherrn zur Erringung akademischer Meriten auch keine Scham, sondern lediglich Bedauern. Schade, schade. Da „Schwamm drüber“ nicht geht, soll Gras über die Sache wachsen.
Die CDU-Leute haben zur Zeit zunehmend Angst um ihren Status als sogennannte Volkspartei. In den Bundesländern wie in den Umfragen zur Bundesebene steht die konservative Partei schlecht da. Es greint, das Volk, „der große Lümmel“. (Heinrich Heine)
Immer weniger akzeptiert werden der Krieg, die Atomkraft, die Bildungs-, Sozial- und Kulturkürzungen (Studiengebühren gehören auch dazu), die hohlen Inszenierungen und Versprechungen etablierter PolitikerInnen – das Füttern der Banken respektive das Hungern der öffentlichen Einrichtungen sowie die behebbare Not der Mehrheit der Bevölkerung. Die CDU steht Herrn Ackermann zu nahe, als daß hier Vertrauen angemessen wäre. Die FDP ist mit ihrem „einfühlsamen“ Marktliberalismus auch nicht glaubwürdiger geworden.
Nun haben jüngst in Hamburg Herr und Frau Greiner mehrheitlich die SPD gewählt. Das entspricht tradiertermaßen den politischen Usancen in diesem reichen Stadtstaate. Die Spezialdemokraten stellen seit ein paar Wochen alleine den Senat, die Regierung.
Mit diesem Regierungswechsel waren bislang positive Erwartungen verbunden – beispielsweise die zügige Abschaffung von Studiengebühren und die Überwindung der chronischen Unterfinanzierung der Hochschulen.
Da aber Bürgermeister Scholz & Co. auf die – selbst mit beschlossene – „Schuldenbremse“ und die sogenannte Haushaltskonsolidierung fixiert sind, soll damit erst einmal Pustekuchen sein.
Fernab von hohen Mehreinnahmen durch Steuern – bedingt durch gute Konjunktur und nachdrücklichere Steuereintreibung –, ungeachtet der Möglichkeiten bundesweiter Verbesserung staatlicher Einnahmen (z.B. Vermögenssteuer, Steigerung der Progression, Finanztransaktionssteuer) und unter Mißachtung allgemeiner Bedürfnisse sowie auch eigener Wahlversprechen, sollen die Hochschulen verstärkt die Sparknute spüren. Das sei „schmerzlich“, aber alternativlos – so Wisenschaftssenatorin Dorothee Stapelfeldt. (Nebenbei: CDU und Grüne wollen's garantiert auch nicht besser.)
Hier ist also gesteigertes praktisches Mißtrauen durchaus angemessen.
Demokratie ist aufgeklärtes, eigenständiges und gemeinsames Handeln.
Zurück zum Anfang„An den Marull
Groß willst du und auch artig sein?
Marull, was artig ist, ist klein.“Gotthold Ephraim Lessing, Sinngedichte und Lieder, 1753–1771.
„Die SPD ist die Partei der fleißigen Leute, die Partei der Arbeit. Daraus folgt zwingend auch eine sehr pragmatische Wirtschaftspolitik. (...) Die Haushaltskonsolidierung hat für uns alle Priorität. Klar ist, dass wir die Schuldenbremse einhalten wollen. Man kann auf Dauer nicht mehr Geld ausgeben, als man einnimmt. Wir werden in Folge der Schuldenbremse aber darüber reden müssen, wie die Einnahmeseite der öffentlichen Haushalte maßvoll verbessert werden kann.“
O. Scholz (SPD), Erster Bürgermeister von Hamburg, im Interview mit dem „Tagesspiegel“, 4.6.'11.
„[Friedrich] Ebert war der Typ des deutschen Handwerksmeisters; gediegen, gewissenhaft, von beschränktem Horizont, aber in seiner Beschränkung eben ein Meister; bescheiden-würdig im Umgang mit vornehmer Kundschaft, wortkarg und herrisch in seiner Werkstatt. Die SPD-Funktionäre zitterten ein bisschen vor ihm, so wie Gesellen und Lehrlinge vor einem strengen Meister zittern. Er war nicht besonders beliebt in der Partei, aber er genoss gewaltigen Respekt. In den großen Debatten, die die Vorkriegspartei erschütterten – über Revolution oder Reform, Massenaktion oder Parlamentarismus -, hatte er kaum eine Rolle gespielt; aber was er sofort getan hatte, als er in den Parteivorstand gewählt wurde, war, für Telefone und Schreibmaschinen in den Parteibüros zu sorgen und eine ordentliche Registratur einzuführen. Unter Ebert herrschte Ordnung.“
Sebastian Haffner, „Die deutsche Revolution 1918/19“, „6. Die Stunde Eberts“ 1979/2002/2008, S. 95.
Unter Scholz herrscht Ordnung...
Laut Scholz & Co. soll die SPD mal wieder beides: „die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen erhalten und stärken“ sowie dafür sorgen, „dass die Arbeitsplätze sicher bleiben und die Arbeitnehmer [wenn fleißig] ordentlich bezahlt werden.“ (A.a.O.)
Kürzen bis die Schwarte kracht und dann (wann?) die Einnahmeseite „maßvoll“ verbessern – das ist auch beides; auch das geht nicht.
Wäre die SPD eine „Partei der Arbeit“ (des Lebens, der Freude, der Zukunft, des Mutes, der Bildung, der Kultur, der Gesundheit, des Friedens etc.), dann ginge das vielleicht so: Erst guckt man sich die Welt an, die Straßen, die Schulen, die Hochschulen, die Theater, die Museen, nicht zuletzt die Menschen und dann überlegt man sich – mit den „Betroffenen“ -, was zu unternehmen ist und verbessert demzufolge die Einnahmeseite, damit genügend öffentliche Mittel für die Verbesserung des gesellschaftlichen Lebens zur Verfügung stehen.
„Wettbewerbsfähigkeit“, „Standortpolitik“, betriebswirtschaftliches Gedöns, vom Verfall der Einrichtungen, von sozialen und kulturellen Einschränkungen, von Hetze und Verdruß haben wir nun mehr als genug gehabt.
Die SPD ist wahrscheinlich nicht dafür gewählt worden, daß sich ihre amtlich Verantwortlichen immer wieder in die Hosen machen.
Darüber hinaus sind in der Stadt gegen die politischen Verheerungen der letzten Jahre viele positive und durchsetzungswürdige Anliegen artikuliert und begründet worden. (Dies ist übrigens eine erfreuliche Tendenz, die international zu beobachten ist.)
Dazu gehören auch die Überwindung der chronischen Unterfinanzierung der Hochschulen, die sofortige Abschaffung der Studiengebühren, eine kräftige (menschen- und wissenschaftsfreundliche) Reformierung der Ba-/Ma-Studiengänge, die (Re-)Demokratisierung der wissenschaftlichen Einrichtungen sowie baldige und bedarfsgerechte Baumaßnahmen.
Wohlgemerkt: Dies alles nicht in Konkurrenz zu anderen gesellschaftlichen Bereichen, sondern im vollen Einklang mit ihnen. Schulen sind keine Konkurrentinnen der Hochschulen; die Rekommunalisierung der Stromnetze steht nicht im Widerspruch zur sozialen Zugänglichkeit der Kindertagesstätten.
Ja, liebe SPD, aus der Geschichte lernen heißt: wirklich vernünftig werden.
Trotz Handelskammer und alledem.
Zurück zum Anfang„HA: Libyen wird bombardiert, Syrien nicht, Saudi-Arabien gehätschelt – misst der Westen mit zweierlei Maß?
Steinbach: Gewiss! Der Angriff auf Libyen war falsch; wenn sich der Westen schon einmischt, wäre es in Syrien jetzt angemessen. Doch man nimmt davon Abstand. Das deutet darauf hin, dass die Einmischung nicht um der Menschen willen geschieht, sondern aus ökonomischen und politischen Interessen.“
Prof. Udo Steinbach im Interview mit dem „Hamburger Abendblatt“, 11.6.'11. Er leitete von 1976 bis 2007 das Orient-Institut in Hamburg.
„Du bist kein Unsichtbarer
Nicht unendlich bist Du!
Sondern sieben Meter hoch.
In Dir ist kein Geheimnis
Sondern Öl.
Und Du verfährst mit uns
Nicht nach Gutdünken, noch unerforschlich
Sondern nach Berechnung.“Bertolt Brecht, „700 Intellektuelle beten einen Öltank an“, Gedichte 1927-1930.
By the way: Auch Syrien ist nicht zu bombardieren...
Alle Regierungen, die gegen Libyen Krieg führen, vertreten mittels dieses Waffenganges Ölkonzerne ihres jeweiligen Landes: Frankreich (Total), Großbritannien (Royal Dutch/Shell), Italien (Eni/Agip) und die USA (Occidental Petroleum) haben mit ihrem Gewaltakt Geschäftliches im Sinn.
Aber auch die bundesdeutsche Regierung, die sich militärisch an dem Krieg nicht beteiligt und lediglich politisch und mit Hilfslieferungen Bürgerkriegspartei gegen den amtierenden Despoten Gaddafi ist, vertritt die Interessen von Wintershall und RWE Dea.
Die Waffen, mit denen das Gaddafi-Regime gegen die Oppositionellen vorgeht, stammen aus den gegen Libyen kriegführenden Ländern bzw. aus der BRD.
Die Administrationen der Industrieländer benutzen – auch wider die UN-Resolution 1973 („Schutz der Zivilbevölkerung“) – die politischen Auseinandersetzungen in Libyen, um bessere Geschäftsbedingungen zu schaffen und die politischen Bewegungen in Nordafrika unter Kontrolle zu bekommen.
Damit verstoßen sie eindeutig gegen das Gewaltverbot der UN-Charta und die dort verankerte Souveränität aller Staaten.
Demzufolge ist der Krieg nicht nur nicht legitim, sondern nach internationalem Recht auch illegal.
„Scheißegal“ ?
„Nein, das ist der falsche Weg. Die Revolten im arabischen Raum müssen aus sich heraus erfolgreich sein.“
(Udo Steinbach, a.a.O.)
Kein Krieg – nirgends.
Wie läßt sich dieser Krieg historisch erklären und aktuell bewerten?
Was kann die Friedensbewegung zur Beendigung des Krieges unternehmen und dazu beitragen, daß eine zivile, demokratische und soziale Entwicklung in Libyen ermöglicht wird?
Diese und weitere Fragen mögen für eine bessere Perspektive diskutiert werden.
mit Prof. Dr. Norman Paech (DIE LINKE)
Völkerrechtler (ehem. HWP), MdB bis Ende 2009
Donnerstag, 16. Juni 2011, 19.30 Uhr
Kulturhaus Eppendorf, Julius-Reincke-Stieg 13 a,
(früher: Martinistraße 40)
„Bürgermeister Olaf Scholz hat mit seinem alternativlosen Konsolidierungskurs das richtige Zeichen gesetzt, wenngleich es hierbei sicherlich noch der inhaltlichen Ausfüllung und Profilierung bedarf. Das zeigt zum Beispiel die Debatte um den Wissenschaftsstandort. Ich begrüße den pragmatischen Kurs des Ersten Bürgermeisters, der die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Hamburgs als Ausgangspunkt jeglicher Politikgestaltung ins Zentrum seiner Politik stellt.“
Fritz Horst Melsheimer, Präses der Handelskammer Hamburg, Statement zu „100 Tage neuer Senat“, 14. Juni 2011
„Und was gölte den Fürsten alle Wissenschaft, Studien oder Bildung, wenn die heilige Sicherheit ihrer Throne gefährdet stünde!“
Heinrich Heine, „Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland“, Erstes Buch, 1834.
Zahmer Scholz, brave SPD!
Bereits 1998 legte die Handelskammer mit ihrer Schrift „Hamburger Hochschulen reformieren / Mehr Freiheit für unternehmerisches Handeln“ eine Programmatik vor, nach der die Hochschulen Anbieter am Markt sein sollen und wo die „Hochschulen als Unternehmensschmiede“ ihren unmißverständlichen Zweck zugewiesen bekommen haben.
Die fatale Serie von rechten Senaten (bzw. die Fachkraft Jörg Dräger und dann Senatorin Herlind Gundelach) setzte dann ab 2001 die darin aufgestellten Forderungen – allerdings gegen erheblichen Widerstand und somit nur in modifizierter Form – an den Hamburger Hochschulen um: Studiengebühren, gestufte und leistungsterroristische Abschlüsse, Entdemokratisierung der Beteiligungsstrukturen sowie leistungsbezogene Bezahlung sollten die Wissenschaften dem Markt näherbringen. Das haben sie dann ja auch, und jetzt haben wir den Salat.
Das heißt: Die Fakultätenbildung hat die Universität zerstückelt; die Ba-/Ma-Studiengänge sind unwissenschaftlich und nervtötend; die Entdemokratisierung wirkt demotivierend; die leistungsbezogene Bezahlung und Mittelvergabe fördert das Geprotze statt die inhaltliche Produktivität; die permanente Unterfinanzierung führt zum Absterben wichtiger Bereiche und Arbeiten.
Zwar hat sich der Senat großzügig überlegt, schon ab WiSe 2012 die Studiengebühren abschaffen (und voll kompensieren) zu wollen; zwar soll Ba/Ma entschärft werden; zwar soll es einige Re-Demokratisierungen geben (demokratische Aufwertung des Akademischen Senats, Wiedereinführung von Institutsräten) – der große Wurf mit großem Elan ist dies ganz gewiß nicht, zumal die Hochschulen weiter gekürzt werden sollen.
Die „Schuldenbremse“ ist eine Besserungsbremse.
Das alles ist halb demokratisch, halb sozial, halbherzig und schlecht finanziert.
Dabei wissen wir seit ehedem von der Handelskammer, daß sie – Realismus suggerierend – das Unmögliche (das Falsche sowieso) will: wenig Steuern für das Kapital, geringe Löhne für die Arbeit, Einsparungen im Haushalt und hohe Ausgaben des Staates für die Infrastruktur. Hier dürfen Funktionäre Cognak schwenken. Mehr aber bitte nicht.
Die Wissenschaften hingegen benötigen gute Bedingungen für engagierte Menschen.*
So ist das eben.
* Forderungen des Akademischen Senats: http://www.uni-hamburg.de/Kampf_um_die_Zukunft/resolutionen.html
Zurück zum Anfang„Zu beobachten ist eine grundlegende Veränderung im gesellschaftlichen Denken, die Auflösung von Lagern, eine Verschiebung des ideologischen Kräfteverhältnisses. Zu verarbeiten ist die allmählich wachsende Einsicht, dass 1989 wohl doch nicht der globale Siegeszug des Bürgertums begann, sondern der Feldzug eines finanzökonomischen Monstrums, das auch das Bürgertum zu verschlingen droht. Der Gang der Welt verübt Attentate auf das bürgerliche Denken, in immer kürzeren Abständen. Es sind mächtige Anschläge: Finanzkrise, Euro-Debakel, Atomkatastrophe. Und es sind verstörende Übergriffe: Doktor-Affäre, Sarrazin-Debatte, Libyen-Posse.“
Cordt Schnibben, „Die bürgerliche Kernschmelze“, „SPIEGEL“, Nr. 26/2011.
„Der Zeit aber wollen wir nicht nachlaufen, wir wollen in ihr leben.“
Kurt Tucholsky, „Die Zeit“, 1930.
Die „Kernschmelze“ (des Bürgerlichen) ist ein hartes Wort: Der „SPIEGEL“ ist irritiert – Gewißheiten gehen flöten...
Der Krieg wird ganz und gar nicht mehr gemocht, der Operetten-Guttenberg ist futsch; der Sozialstaat soll sein, (mindestens) die Energienetze in öffentlicher Hand; Banken gelten schon länger nicht mehr als rein seriös, Steuererleichterungen werden zunehmend als Gewinnerleichterungen gewertet; „Bildung für Alle“ hat wieder geistige und politische Konjunktur – die Bevölkerung meldet Ansprüche an, die auf das Allgemeinwohl gerichtet sind.
Insofern haben die Zweifel an der alternativlosen Allmacht des Marktes, am „freien Spiel der Kräfte“, an der „unsichtbaren Hand“, die alles lenke, ihren produktiven und bejahenden Charakter.
Warum sollen Krieg und Elend sein, wenn Frieden, Aufklärung, sozialer Fortschritt, demokratische Partizipation, kultureller Genuß, zivile Entwicklung und somit Lebensfreude allerorten ebenso machbar und möglich sind?
„Vaterland“, Markt, „anything goes“, besinnungsloser Egoismus sowie die dazugehörigen Institutionen und Personen stecken in einer tiefen Krise – auch Sackgasse genannt. In erster Linie wird nur noch die eigene Ratlosigkeit verwaltet. Die Inszenierungen von Handlungskompetenz werden immer schwächer.
Dies ist erst recht die Stunde des – produktiven – Zweifels, da genügend Reichtümer und Erfahrungen vorhanden sind, aus dieser Sackgasse wieder herauszukommen. (Wenn der Papst dort bleiben will, kann er es gerne tun. Wir sind da tolerant.)
Dem Menschen gerechte Arbeit, Bildung und Kultur stehen ganz oben auf der gesellschaftlichen Tagesordnung.
Wir müssen allerdings etwas dafür tun.
„Schönster Zweifel aber
Wenn die verzagten Geschwächten den Kopf heben und
An die Stärke ihrer Unterdrücker
Nicht mehr glauben!“Bertolt Brecht, „Lob des Zweifels“, Gedichte 1934-1939.
Das ist für Alle gut.
Zurück zum Anfang„Die Beispiele dafür, dass wir es auf europäischer Ebene mit schwerwiegendem Elitenversagen zu tun haben, dürften zahlreich sein. Entscheidend ist aber, dass dieses Versagen nur durch die Eliten selbst korrigiert werden kann und der Versuch, Elitenversagen durch forcierte Demokratisierung wettzumachen, in einem ungeordneten Zerfall des verfassten Europa enden würde.“
Herfried Münkler, „Alle Macht dem Zentrum“, „SPIEGEL“-Essay, „SPIEGEL“ Nr. 27/2011, S. 108f. Der Autor ist Professor für Politikwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin.
„Die Demokratie ist insofern verwirklicht, ist heute in dem Sinne eine innere Tatsache, als die Politik zu jedermanns Sache geworden ist und keiner sie verleugnen kann, weil sie mit einer Unmittelbarkeit, die frühere Zeiten nicht kannten, jedem auf den Nägeln brennt.“
Thomas Mann, „Spanien“, 1937.
Die Eliten haben versagt, es leben die Eliten!
Der Professor für Politikwissenschaften hat ein erstaunlich vor-bürgerliches Verständnis von Demokratie. Die Bevölkerung habe nur die Wahl zwischen verschieden befähigten Eliten. Wollen (aufgeklärte) Menschen mehr, stiften sie nur Unruhe, Chaos oder gar Zerfall. Hier spricht im Hintergrund Margret Thatcher mit ihrem Tina-Prinzip. („There is no alternative.“)
Was haben uns aber die „Eliten“ aus Wirtschaft, Politik und Militär gebracht?
Kurz gesagt: Krieg, Hartz IV und den „Leopard 2“.
(Auch die entdeckten gefälschten Doktorarbeiten des politischen Personals mehren sich.)
Etwas anderes – besseres – ist nicht zu erwarten, wenn lediglich das Personal ausgetauscht wird. Die Zerstörung liegt ursächlich eigentlich auf dieser Seite.
Zu diesem weltweiten neoliberalen Bürgerkrieg gehören auf wissenschaftlicher Ebene Hochschulräte, Dekanate, Fakultäten, Studiengebühren, das Ba-/Ma-Laufrad und der betriebswirtschaftliche Geist von beispielsweise Kühlschrankherstellung.
Insofern ist nur zu begrüßen, wenn sich gegen Unsinn und Plage die Menschen – z.B. in Griechenland, in Spanien, auch in Hamburg – erheben.
Demokratie ist am ehesten dann, wenn sich mehr und mehr Menschen informieren, eine Meinung bilden, sich aufraffen, gemeinsam sich am gesellschaftlichen Leben beteiligen, Forderungen stellen und Änderungen respektive Verbesserungen im allgemeinen Interesse für zivile, demokratische, soziale und kulturelle Entwicklung des (auch internationalen) Zusammenlebens erwirken. Durch die Mehrheit für die Mehrheit. Für sinnvolle Arbeit und eine würdige Existenz.
Das mag dann der Zerfall des Krieges, der Lügen, der Konkurrenz, ja, auch der Bedeutung der „Eliten“ sein – aber diese Ergebnisse sind ein eindeutiges Positivum eines vernünftigen, mündigen und menschengerechten Lebens.
Dieses Engagement ist der Ausgang aus einer entnervenden Krise.
Zurück zum Anfang„Nun, das Geistige, unter dem politischen Gesichtswinkel gesehen, ist das Begehren der Völker nach besseren, gerechteren, glücklicheren, dem Stande des menschlichen Selbstbewußtseins richtiger angepaßten Lebensbedingungen, – es ist dieses Begehren in seinem Bejahtsein durch alle, die guten Willens sind.“
Thomas Mann, a.a.O.
„Es sind Ängste und Sorgen, die Zehntausende Studenten plagen, und häufiger wachsen sie sich zu tiefgehenden seelischen Nöten aus. Rund 23.200 Studierende haben 2010 die psychologischen Beratungsstellen des deutschen Studierendenwerks besucht, die Zahl der Beratungen hat sich seit 2003 verdoppelt. Die Ratsuchenden berichten von chronischer und bleierner Müdigkeit, von scheinbar grundloser Traurigkeit, von Konzentrationsschwächen, von der plötzlichen Angst vor Mitmenschen.“
Christoph Wöhrle, „Total am Ende“, „UniSPIEGEL“ 4/2011, S. 9.
„Frei? Wie? Vogelfrei vielleicht?“ (152)
Georg Christoph Lichtenberg, „Einfälle und Bemerkungen“, Heft E, 1775-1776.
Fachleute gehen davon aus, es könne jeden treffen...
Wenn alle – je einzeln – in ihrem Hamsterrad laufen, allein, mit hoher Anstrengung und ohne Fortkommen, ein Salatblatt pro Tag; das Laufrad in einem Käfig steht, viele Käfige sich nebeneinander befinden, und man hört neben dem Surren der Räder das Zwitschern der Ziervögel und das Gurgeln der kleinen Wasserpumpen für die Aquarien, es riecht leicht dumpf nach Streu und Feuchte -, dann gleicht die Universität einer Zoohandlung, in der sich gelangweilte Leute einen Hamster kaufen können...
Da der Mensch aber bekanntlich kein Hamster ist und die Käuflichkeit seinem Wesen eigentlich nicht entspricht, ergibt sich hinsichtlich der Ba-/Ma-Tortour dringender – gründlicher und schneller – Veränderungsbedarf.
Fürs erste müßte die Anzahl der normierten Leistungsanforderungen deutlich minimiert werden, die Strenge von STINe einer menschenfreundlichen Organisation weichen, die Hürde von Ba zu Ma dahinsinken und gleichviele Masterplätze wie Bachelorstudierende geschaffen werden.
Das Studium sollte statt strampelnd erkenntnisorientiert, kooperativ, voller Lernund Mitmenschenfreude, eigenständig in gesellschaftlicher Verantwortung und einladend für die Vertiefung der Themen und Erweiterung zur Interdisziplinarität der Fächer und Fächerkulturen sein.
Die Hochschulen stehen in einer bewegten Welt vor einem Wendepunkt.
Dies machen die Auseinandersetzungen um die (bedarfsgerechte öffentliche) Finanzierung der Wissenschaften (aber auch insgesamt von Bildung, Sozialem, Gesundheit und Kultur) in der Stadt sowie gesamt in der Gesellschaft deutlich.
Wahrheitsfindung, Aufklärung, allgemein nützliche Problemlösung und dadurch bzw. dafür mündige, verantwortlich zusammenwirkende Menschen sind nicht zum Nulltarif oder gar durch Kürzungen zu haben.
Verlassen wir gemeinsam das Rad, den Käfig und die Zoohandlung.
Zurück zum Anfang„Unsere Welt wird noch so fein werden, daß es so lächerlich sein wird, einen Gott zu glauben als heutzutage Gespenster.“ (326)
Georg Christoph Lichtenberg, „Einfälle und Bemerkungen“, Heft D, 1773-1775.
„Die Sozialdemokraten müssen anerkennen, dass die globalisierte Welt eine Welt der Wirtschaft und der Unternehmer ist. Da gibt es große und kleine Unternehmer, und auch abhängig Beschäftigte können ein gutes Auskommen haben. Aber es ändert nichts daran: Jede freiheitliche Welt ist auch eine Welt des Wettbewerbs im Kommerz – finito!“
Klaus v. Dohnanyi im Gespräch mit der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ („FAS“), 17.7.'11, S. 6.
„Darum erhöre uns
Und erlöse uns von dem Übel des Geistes.
Im Namen der Elektrifizierung
Der Ratio und der Statistik!“Bertolt Brecht, „700 Intellektuelle beten einen Öltank an“, Gedichte 1927-1930.
Ist „Freiheit“ der Herr-im- Hause-Standpunkt? Aus, Ende!?
Obgleich der ehemalige Bürgermeister von Hamburg (1981-1988) im durchaus gediegenen Areal von Eppendorf/ Harvestehude wohnt, dürfte ihm aufgefallen sein, daß selbst in dieser reichen Stadt der Zustand von Gehsteigen, Fahrradwegen, Straßen und öffentlichem Winterdienst nicht der beste ist.
Wenn er eine Zeitung oder Zeitungen liest – wovon wir ausgehen -, dann könnte er registriert haben, daß, bei klapperdürren öffentlichen Kassen, die Privatvermögen in der Bundesrepublik Deutschland 2010 auf 4,93 Billionen Euro Billionen Euro angewachsen sind – um fünf Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Zu entdecken ist ebenso bei halbwegs gründlicher Frühstückslektüre, daß die realen Lohneinkommen der BRD 2010 um 2,5 Prozent niedriger sind als im Jahr 2000. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) stellt einen besonders starken Rückgang bei den Niedriglöhnen bzw. eine Zunahme von Leiharbeit und Minijobs fest. Hier handelt es sich also um abhängig Beschäftigte, die auch ein gutes Auskommen haben können.
Aus diesen Tatsachen ergeben sich gewisse Zusammenhänge, die deutlich machen (von wegen: „finito!“), wie wenig sein muß, was zu Zeit ist: Wenn die Steuern dort, wo etwas zu holen ist, steigen und wenn die (ja leider auch vorhandenen) Lohnabhängigen mehr Lohn haben, ist es um die öffentlichen Kassen und die staatliche Handlungsfähigkeit zum Zwecke des Allgemeinwohls (Bildung, Soziales, Gesundheit, Kultur) besser bestellt. – Auch Herr v. Dohnanyi muß dann nicht mehr stolpern.
Da die menschliche Welt – auch: Gesellschaft – mehr, andere und bessere Bedürfnisse repräsentiert als die von Aktienbesitzern, horrend bezahlten Beriebsleitern, fragwürdigen Doktor-Trägern und -Trägerinnen oder von Menschen, die anscheinend eher zufällig das SPD-Parteibuch („Doch-nie-da“ seit 1957!) besitzen, kommt es also darauf an, diesen sinnvollen Anliegen für ein ziviles, demokratisches sowie freundliches und freudiges Leben zunehmend solidarischen Ausdruck zu geben.
– Gegen alle geistigen Verdrehungen und wider sämtliche Basta-Politik.
Avanti!
Zurück zum Anfang„Heyenn: (...) Energieversorgung gehört zur öffentlichen Daseinsvorsorge. In Hamburg wird jährlich 15 000 sozial Schwachen der Strom abgestellt. Was würden Sie machen, Frau Suding, wen man Ihnen den Strom abstellt?
Suding: Eine Kerze anmachen.“Streitgespräch zwischen Katja Suding (FDP) und Dora Heyenn (LINKE) im „Hamburger Abendblatt“, 16./17.7.'11, S. 12. Beide Frauen sind Fraktionsvorsitzende ihrer Partei in der Hamburgischen Bürgerschaft.
„Es gibt ein Leben vor dem Tod. Der Tag wird kommen, wo Menschen in Frieden, Gerechtigkeit, Vernunft und Freiheit, befreit von der Angst vor materieller Not, zusammenleben werden.“
Jean Ziegler, Nicht gehaltene Rede zur Eröffnung der Salzburger Festspiele.
Jean Ziegler, Soziologe und viele Jahre UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, nunmehr Vizepräsident des beratenden Ausschusses des UN-Menschenrechtsrates, durfte entgegen ursprünglicher Einladung seine Rede zur Eröffnung der Salzburger Festspiele nicht halten.
Stattdessen hat der unvermeidliche Pfarrer Joachim Gauck eine Rede über die Freiheit als solche gehalten.
Die Unfreiheit der Zensur, die auf Jean Ziegler angewandt wurde, betraf offenkundig den kritischen Gehalt seiner Ausführungen.
Hier bezeichnet der engagierte Humanist die Tatsache, daß beispielsweise alle fünf Sekunden ein Kind verhungert, als Mord, „da die Weltlandwirtschaft das Doppelte der Weltbevölkerung normal ernähren könnte.“ Weil das Geld für das Welternährungsprogramm zur humanitären Soforthilfe fehlt. Der Grund?
„Weil die reichen Geberländer – insbesondere die EU-Staaten, Kanada und Australien – viele tausend Milliarden Euro und Dollars ihren einheimischen Bank-Halunken bezahlen mußten: zur Wiederbelebung des Interbanken-Kredits zur Rettung der Spekulationsbanditen.“ Auch die Spekulationen auf Grundnahrungsmittel treibt die Preise in die Höhe, so daß die armen Länder keine Vorräte anlegen können.
Das ist die Freiheit von Herrn Gauck und Frau Suding. (Thilo Sarrazin hatte ja einst Hartz-IVGeschädigten empfohlen, bei nicht bezahlbaren Heizungskosten einen Pullover anzuziehen.)
Die Kerze, der Pullover, die Hungerdiät – ein Freiheitsprogramm.
Allerdings hat die FDP auch schon eine Strafe für ihr asoziales Programm des Vulgärliberalismus. Sie liegt in aktuellen Umfragen bei drei Prozent.
Jean Ziegler hingegen verbindet seinen positiven und menschenfreundlichen Begriff der Freiheit mit Frieden, sozialer Gerechtigkeit – in diesem Sinne – Vernunft sowie mit der Abwesenheit der Angst vor materieller Not.
Das ist ein Programm, für das sich jeder Gedanke und jedes Engagement lohnt.
Mehr Vernunft, mehr Mensch – mehr Freude.
Zurück zum Anfang„Ob ein obdachloser Heroinabhängiger dich um 50 Cent für eine Tasse Tee anhaut oder ein vollgekokster Manager im Nadelstreifenanzug von seinem Schnellboot faselt, sie sind von einer toxischen Aura umgeben, die verhindert, dass man eine gegenseitige Verbindung herstellt. Sie alle umhüllt ein Hauch von anderswo, sie schauen durch dich hindurch, wo sie lieber wären. Und dort sind sie natürlich auch. Das Wichtigste für jeden Süchtigen ist es, den Schmerz des Lebens zu betäuben und sich täglich etwas Linderung zu kaufen.“
Russell Brand, „Ein Hauch von anderswo/Zum Tod der britischen Soulsängerin Amy Winehouse“, „SPIEGEL“, Nr. 31/2011, S. 124.
„Gehorsam ist ein großes Wort.
Meistens heißt es noch: Sofort.
Gern haben's die Herrn.
Der Knecht hat's nicht so gern.
Reicher Mann und armer Mann
Standen da und sahn sich an.
Und der Arme sagte bleich:
Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich.“Bertolt Brecht, „Alfabet“, 1934.
Schokolade? Ikea? Heroin? Koks? Schnellboote? Filosofie?
Wie ist mental sinnvoll und praktisch relevant zwischen Wert und Bedeutung zu unterscheiden?
Das „Alfabet“ (damals noch – mit Bedacht – als falsche Schreibweise) von Bertolt Brecht trifft auch heute zu: der Armen Armut ist mehrheitlich, individuell und auch staatlich ökonomisches bzw. politisches Resultat der Reichen Reichtum.
Insgesamt ist die sogenannte soziale Marktwirtschaft vorrangig eine Angstgesellschaft. Humanität gelte als gestrig und als Schwäche, Gleichgültigkeit – nicht gleiche Gültigkeit – soll sozial zwischen den Menschen dominieren.
„Leistung“ drückt nach den Maßgaben der Quartalsberichte, oder gar noch schneller, des Shareholder Value, ungesicherte Arbeits-, Sozial- und Lebensbedingen drücken die meisten, die Wenigen treibt die Angst vor unsicheren Werten in den Goldrausch.
Damit sei nun genug. Die Welt soll anders und besser werden.
„Sparen“ läßt sich in diesem Zusammenhang am ehesten an den Kriegen. Unruhe wird aus diesen Gründen zur ersten Bürgerpflicht – des citoyen, des aufgeklärt und kritisch engagierten Subjekts, das zusammen mit anderen in voller Motivation die eigenen Belange selbstbewußt in gesellschaftlicher Verantwortung geistig und praktisch wahrnimmt.
Für die Beendigung der Kriege sowie zivile internationale Entwicklung; für einen Sozialstaat, der den Namen verdient; für sinnvolle Arbeit mit nennbarer Entlohnung; für aufgeklärte und kooperativ verantwortungsvolle Wissenschaften; für eine ausreichend ernährte Kultur – für ein freudiges Leben.
Dagegen steht – auch in Hamburg – das sogenannte pay as you go (mit einem „s“), des Hamburger Senates.
Auch davon muß man sich nicht beirren lassen.
Bescheidenheit war noch nie eine Zier. Ansprüche können wachsen.
Der Schmerz läßt nach – damit auch der Zwang zur Betäubung.
Keine Angst vor Humanität!
Zurück zum Anfang„›Wer glaubt, zittert nicht‹, sagte der unvergessene Papst Johannes XXIII.“ (...)
„Dahin müssen wir auf Bundesebene und Landesebene wieder kommen: dass wir in den Augen der Bürger wieder die Partei der einfachen Leute, die große Volkspartei der Mitte sind. Die einfachen Leute sind immer in der Mehrheit. Und die CDU braucht sich um Mehrheiten nicht zu sorgen, wenn sie die Partei der einfachen Leute ist.“Erwin Teufel (CDU), von 1991 bis 2005 Ministerpräsident von Baden-Württemberg, in einer Rede in Berlin vor der Seniorenunion. Zitiert nach „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (“FAS"), 31.7.'11, S. 3.
„Sittenspruch
Brav selbst hat manchen guten Schauer;
Wär' Eselstrab auch nur von Dauer.“Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781), „Sinngedichte“ (Nachlese) aus dem Nachlaß.
„Wer glaubt, zittert nicht...“
Für den klassischen Konservativen Erwin Teufel ist die CDU „die große Volkspartei der Mitte“ (da, wo alle Katzen schwarz sind), „die Partei der Sozialen Marktwirtschaft“ (der weltweiten Krise), „die Partei von Konservativen, die Werte bejahen, die immer gelten“ (Gott und Vaterland), „die Partei der Liberalen, die sich für den Rechtsstaat und die Freiheit (des Unternehmertums) einsetzen“, „die Partei der sozialen Gerechtigkeit und der großen Sozialreformen“ (Mitleid statt Sozialstaat), „die Partei der Familienpolitik“ („Mut zur Erziehung“), „Die Partei der Selbständigen und des unselbständigen Mittelstands und die Partei der Arbeitnehmer“ (alles an seinem natürlichen Platze).
Obgleich so ja alle vertreten sein sollen, macht sich Herr Teufel Sorgen um die CDU, da sie bei der Bundestagswahl 2009 1,4 Millionen Wählerinnen und Wähler an die FDP und über eine Million Menschen an die Gruppe der Nichtwähler verloren hat.
Da macht er sich so seine Gedanken. Wie zum Beispiel, daß die konjunkturbedingten Mehreinnahmen des Staates zur Schuldentilgung verwendet werden sollen; daß die christlichen Werte („Letztverantwortung vor Gott“) wieder eine größere Rolle spielen sollten; daß am dreigliedrigen Schulsystem festgehalten werde; daß das Rentenalter heraufgesetzt werden müsse; daß man älteren Menschen zuhören müsse und daß – hier fällt er ein wenig aus dem klassischen Rahmen – eine Finanztransaktionssteuer eingeführt werden solle. Immerhin wird an dieser Stelle kritisiert, „dass durch Spekulieren weit mehr Geld verdient wird als durch Arbeit und Investitionen.“ Das ist als ein Problem aufgefallen.
Man merkt dem Konservativen an, daß er in großer Kümmernis über ein tiefes Gewässer rudert. Die Ordnung, die er vertritt, ist in einer tiefen Krise. Er kommt aus dem Teufelskreis nicht hinaus, daß diese Art von Politik nicht die Interessen der „einfachen“ Leute, nicht das Allgemeinwohl vertritt.
Zwar sind 30 Prozent (in Umfragen) auf Bundesebene für die CDU nicht wenig – ehrlich gesagt: zu viel -, aber „in den Augen der Bürger“ ist Krieg nicht Frieden, arm nicht reich, Sonntagsgerede keine Wahrheit, schlechte Verwaltung keine Demokratie, Vertrösten keine Hoffnung, Hartz IV kein Leben, BaMa nicht unbedingt eine wissenschaftliche Freude und die Erde keine Scheibe.
Deshalb hat das Konservative weder vernünftigen Sinn noch sollte es von Dauer sein.
Die Sorgen der einen sind die Hoffnung der anderen. Und umgekehrt.
Zurück zum Anfang„(Vincent) Truglia wurde zu einem der weltweit führenden Experten, er ging zu Moody's, von 1996 bis 2008 war er dort Chef der ›Soverin Risk Unit‹, verantwortlich für die Bewertung von hundert Staaten. (...) Damals, als Moody's- Mann, erzählt er, konnte er jeden treffen, ›Präsidenten, Regierungschefs, die Vorsitzenden der Zentralbank. Die meisten Regierungen sind aber direkt zu uns gekommen‹, nach New York, ins Hauptquartier der Agentur. (...) Vielmehr hätten die Regierungen ihre Sicht der Dinge erklärt. Und vielleicht auch die Konsequenzen erwähnt, die eine Herabstufung für Millionen Menschen haben kann? Das habe ihn ›niemals beeinflusst, zu keiner Sekunde‹. Man dürfe ein Rating nicht emotional sehen. ›Es geht auch nicht darum, ob ein Land gut oder schlecht ist, nur wie kreditwürdig.‹“
Michaela Schiessl, Christoph Schult, Thomas Schulz, „Die Not mit den Noten“, „SPIEGEL“, Nr. 33/2011.
„Realpolitik und Pragmatismus verdecken die gähnende Leere, und die Entschuldigung, Fehler machten ja auch die anderen, ist das Pfeifen im Walde. Aber es geht heute nicht allein um falsches oder richtiges politisches Handeln. Es geht darum, dass die Praxis dieser Politik wie in einem Echtzeitexperiment nicht nur belegt, dass die gegenwärtige ›bürgerliche‹ Politik falsch ist, sondern, viel erstaunlicher, das die Annahmen ihrer größten Gegner richtig sind.“
Frank Schirrmacher, „›Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hat‹/Im bürgerlichen Lager werden die Zweifel immer größer, ob man richtig gelegen hat, ein ganzes Leben lang“, „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ („FAS“), 14.8.'11, S. 17.
Wird Kassandra, die Seherin in Troja, rehabilitiert, oder wird gar nun auf sie gehört?
Nicht Kassandra, die Figur der griechischen Mythologie, die den Fall Trojas vorhersah – niemand glaubte ihr –, war's, sondern beispielsweise Joseph Stiglitz, Ökonom und Nobelpreisträger, der am 17. Juli 2008 in der „Financial Times Deutschland“ folgenden Satz formulierte: „Der neoliberale Marktfundamentalismus war immer eine politische Doktrin, die gewissen Interessen diente. Sie wurde nie von der ökonomischen Theorie gestützt, ebenso wenig von historischen Erfahrungen. Wenn diese Lektion jetzt gelernt wird, wäre das ein Hoffnungsschimmer hinter der dunklen Wolke, die momentan über der Weltwirtschaft hängt.“ („Das war's, Neoliberalismus“)
Worin besteht die Lektion? Was ist gescheitert?
Der (neoliberale) Kapitalismus führt nicht nur zunehmend Kriege, die viel kosten, Elend und Zerstörung bringen, zur kulturellen Verrohung maßgeblich beitragen, die Wahrheit nicht fördern und zu sonst nichts führen, sondern es ist auch noch so: Wenn die gemeinschaftlich erwirtschafteten Gewinne nicht zurückfließen in Arbeit (Löhne), Bildung, Gesundheit, Soziales und Kultur, also das Allgemeinwohl, dann werden nicht nur die öffentlichen Kassen immer knapper, die Portemonnaies der Mehrheit immer schmaler, sondern es wird auf Teufel komm heraus mit diesen Werten spekuliert – in Derivate von Derivaten, in Rohstoffe, Nahrungsmittel und so mit dem Leben von zig Millionen Menschen (siehe Jean Ziegler).
Da aber Autos keine Autos kaufen (Henry Ford), wird die Malaise immer größer, der Staat soll retten, die Kosten dafür sind enorm, immer mehr Länder geraten in die Schuldenkrise.
Da hilft keine „Schuldenbremse“, sondern nur eine Vermögensbremse über wesentlich die Zahlung von Steuern und Löhnen für (sinnvolle) Arbeit, Bildung, Kultur, Soziales und Gesundheit. Damit ließen sich alle Schlaglöcher reparieren und jeder Hunger stillen.
Diese Idee ist nicht neu – warum sollte sie es auch sein? –, aber sie ist akut.
„Die Existenzgrundlage der sozialen Rechte wie des Rechts auf Ausbildung, des Rechts auf Arbeit, des Rechts auf Gesundheit, ist eine egalitäre Grundlage. Alle drei zielen darauf ab, die Ungleichheit zwischen denen, die haben, und denen, die nicht haben zu verringern oder eine immer größere Zahl von Individuen in die Lage zu versetzen, weniger ungleich in bezug auf solche Individuen zu sein, die durch Geburt und gesellschaftlichen Rang eine glücklichere Ausgangsbasis haben.“
Noberto Bobbio, „Rechts und Links/Gründe und Bedeutungen einer politischen Unterscheidung“, 1994, S. 82.
Links.
Zurück zum Anfang„Die neuen Sparmaßnahmen Frankreichs stehen in Zeichen der Präsidentenwahl 2012. Sie sehen kaum Ausgabenkürzungen vor, sondern fast nur die Streichung von Steuervergünstigungen, also Steuererhöhungen. Weil sich diese auf wohlhabende Franzosen, große Unternehmen sowie de Konsumenten von Zigaretten und Alkohol konzentrieren, hofft die Regierung, große Unzufriedenheit in der breiten Bevölkerung zu vermeiden.“
Christian Schubert, „Sarkozy setzt ein Signal mit der Reichensteuer“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ („FAZ“), 24.8.'11.
„Früher war mehr Lametta.“
„Opa Hoppenstedt“, Loriot. (Mit einer leichten Verbeugung.)
Nicolas Sarkozy ist ein durch und durch Konservativer. Er hat bisher nicht mit Kriegsführung, rassistischen Äußerungen und neoliberaler Politik gegeizt. Er galt seither als „Präsident der Reichen.“ Dagegen wurde viel Kritik und Widerstand entwickelt – seine Wiederwahl als französischer Präsident steht zunehmend in Frage.
Daher kommt die leichte aber deutliche politische Kehrtwende, die sogar eine Reichensteuer vorsieht. Der Premierminister François Fillon ist gar mit der Aussage zu vernehmen: „Wir haben Sorge getragen, dass unsere Maßnahmen die fiskalische und soziale Gerechtigkeit stärken.“ Große Worte. Weniger große Taten, denn die Verheerungen, die vorher durch dieselbe Regierung angerichtet wurden, sind damit noch lange nicht beseitigt.
Dennoch zeigt dieses (nur eine) europäische Beispiel, daß sich etwas bewegen muß bzw. daß sich etwas bewegen läßt.
Daraus kann und sollte der Hamburger Senat lernen, der sich an die „Schuldenbremse“ klammert und nicht wahrhaben will, daß er damit gegen die Ansprüche und Bedürfnisse der Mehrheit der Bevölkerung handelt.
Dabei läßt sich auch hier aus der Entwicklung (Geschichte?) lernen und eine andere Steuer-, Finanz-, Haushalts-, Bildungs-, Sozial- und Kulturpolitik machen, als die schwarzgelbgrünen Vorgänger einem hinterlassen haben. Eigentlich ist die allzu ängstliche SPD auch dafür gewählt worden. Nun macht sie nicht, wie sie sollte und – ein Stück weit – könnte.
Deshalb ist ihr und ihren Amtsträgern ( und -trägerinnen) vermehrt deutlich zu machen, was vernünftig, nötig und möglich ist.
Die Ansprüche auf ein menschenwürdiges Leben sind ein guter Ratgeber.
Der Druck für positive Veränderungen ist groß.
Er kann erhöht werden.
Es ist, wie es ist,
Wie es nicht ist,
Wird es nicht,
Soll es werden;
Kann nichts tun,
Auch nicht ruh'n –
Ist es, wie es ist?
„Mit seinem Rücktritt wären die Probleme der Liberalen nicht gelöst. Westerwelle ist nur ein Symptom der verzweifelten Lage der Partei, nicht deren Ursache. Die FDP hat sich mit ihrer anachronistischen Form eines plumpen Verteilungsliberalismus in die Ecke manövriert. Im Zeitalter der Krisen sind Steuersenkungen für Besserverdienende nicht nur unbeliebt, sondern auch einfach nicht machbar.“
Wolfgang Münchau, „Guido muss gehen“, „Financial Times Deutschland“ („FTD“), 31.8.'11, S. 24.
„Das Volk glaubt nicht mehr an die Bibel – und es glaubt nicht mehr an die Gottgewolltheit des Unternehmerprofits.“
Kurt Tucholsky, „Die beiden Deutschland“, 1922.
Schon in den 1970er Jahren, als die FDP auf der Grundlage ihrer „Freiburger Thesen“ noch sozial- und bürgerrechtsliberal war bzw. mit der SPD zusammen die „Entspannungspolitik“ vertrat, konnte sich in dem Loriot-Sketch „Der Wähler fragt“ über die liberale Figur gedankenvoll amüsiert werden: „Im liberalen Sinne heißt liberal nicht nur liberal, sondern auch liberal.“
Auch wenn Außenminister Westerwelle – im politischen Einklang mit der Kanzlerin – sich mit seiner Enthaltung zur UN-Resolution 1973 („Flugverbotszone über Libyen“) ausnahmsweise richtig verhielt – die faschistische „Wehrmacht“ wütete einst in Libyen –, ist die FDP én gros und én detail nicht mehr haltbar.
Die Mehrheit der Bevölkerung (des großen Lümmels) ist nicht nur intolerant gegenüber dem Krieg (auch gegen Jugoslawien, Irak und Afghanistan), sondern auch für den – im Grundgesetz verankerten – Sozialstaat, für allgemeine Aufgaben in öffentlicher Hand, für Tariflöhne, für gut ausgestattete und bezahlbare bzw. sinnvoll nutzbare öffentliche Einrichtungen (Bildung, Gesundheit, Kultur) und für in diesem Interesse und Sinne handelnde und redende Politiker.
Die FDP hingegen ist, besonders mittels Westerwelle, eine kleine Krakeel-Partei, die für die Diktatur des Marktes tut und spricht.
Da diese primitive Augenblickspolitik, inclusive deren geschichtsarmer Stammtischrhetorik, wesentlich verantwortlich ist für die großen wirtschaftlichen, sozialen, politischen und kulturellen Probleme der Gegenwart, wird der FDP, auch diesem verkorksten Liberalismus, nur noch wenig bis gar nichts Positives zugemessen. (Die Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin werden diese Partei wahrscheinlich unter die Parlamentsgrenze von fünf Prozent drücken.)
Das ist, mit Freude für die Notwendigkeit, zu begrüßen. Begründet, ehrlich, überzeugend, friedenspolitisch, sozial, demokratisch und (heiter) wegweisend ist mit den Liberalen nicht zu haben. Sie haben abgewirtschaftet.
Auch von daher kommt es wieder auf uns selber an.
Was zu beweisen war.
Zurück zum Anfang„Ein Stand serviert Bio-Currywurst mit Champagner, in keinem Gericht verdichtet sich die neue Klientel der Grünen treffender. War einst Gorleben der Quellort der Bewegung, so ist es heute der Kollwitzmarkt. Künast hat viel dafür getan, die Grünen in die Bürgerlichkeit zu führen. Sie hat die Partei in die Mitte der Gesellschaft getragen, aber ihr eigenes Auftreten wirkt noch immer, als kämpfe sie von deren Rand aus.“
Markus Feldenkirchen, „Fluch der Vergangenheit“, „SPIEGEL“ Nr. 36/2011. Ein Bericht über den Wahlkampf von Renate Künast (Grüne) in Berlin.
„I
Ich bin nicht ungerecht und auch nicht mutig
Sie zeigten mir da heute ihre Welt
Da sah ich nur den Finger, der war blutig
Da sagt ich eilig, daß sie mir gefällt.“Bertolt Brecht, „Ballade von der Billigung der Welt“, 1934.
Es ist Zeit, Bilanz zu ziehen.
Die Schädlichkeit der gebückten Haltung:
Die Grünen haben mancherorts – auch in Hamburg – recht skrupellos mit den Schwarzen angebandelt. (Studiengebühren werden geduldet.) Ihre größte Krümmung besteht darin, daß sie ihren Frieden mit dem Krieg gemacht haben. Mit dieser Haltung sind sie konsequent „in der Mitte der Gesellschaft“ angekommen. Der Katzentisch ist das neue Möbel dieser Partei. Das Soziale wird von ihnen nur noch klein geschrieben. Ökologisch ist lediglich ein schmückendes Beiwort zur allmächtigen „Marktwirtschaft“.
Die aufgesetzte Bürgerlichkeit. Der Hut wackelt:
Wer Currywurst mit Champagner verzehrt, hat kein kulinarisches Bewußtsein. Das macht nichts, da auch die Anzüge schlottern.Wer Hartz-IV-Abhängige zu verantworten hat, geht zur Abwechslung mal einen Latte macchiato schlürfen.Wer nach Oben buckelt,muß nach Unten treten. Das Lächeln gilt den Kameras.
Zwischenhoch:
Der Höhenflug – nach Prozenten – geht langsam zu Ende. Die Schwäche von Schwarz-Gelb, der GAU von Fukushima und der Protest von „Stuttgart 21“ haben den organisierten Mittelschichtlern die Steigerung von Zustimmungswerten beschert.
Nun wird nach und nach deutlich, daß das Grüne auch nicht das Gelbe vom Ei ist.
Krieg ist nicht Frieden, KonsumentInnensouveränität keine Demokratie, „Marktwirtschaft“ nicht ökologisch, grün nach wie vor nicht sozial, Anpassung weder sympathisch noch realistisch und die Parlamente nicht das Zentrum der (gesellschaftlichen) Opposition.
Verlassen einer Illusion:
Die Grünen wollen die Welt so, wie sie ist, weil sie ihren Platz (nahe dem Kachelofen) in ihr eingenommen haben.
Da die Welt aber anders werden muß, ist ihre Plazierung falsch.
So ist mit den Grünen nicht mehr zu rechnen.
Illusionen zu verlassen macht heiter und eröffnet neue Wege.
Zurück zum Anfang„Welche Qualifikationen braucht ein Militärseelsorger?
Schadt: Er muss Diplom-Theologe und als Priester oder Pastoralreferent im Dienst der Kirche sein. Ein paar Jahre Erfahrung in der Gemeindeseelsorge sind sehr nützlich. Man muss ‘Hochseefischer’ sein, fernab von binnenkirchlichen Strukturen agieren. Wir arbeiten an Bord von Kriegsschiffen, in Einsatzländern oder auf Truppenübungsplätzen und erleben so die ganze Bandbreite des Menschseins. Militärseelsorger dürfen nicht engstirnig sein. Sie müssen grundsätzlich den Dienst der Soldaten bejahen, auch den Dienst mit der Waffe. Sie müssen sich damit identifizieren und auch den Spagat aushalten, dass Soldaten ihr Handwerk ausüben müssen.“ (...)
„Unser Auftrag ist immer die Verkündigung des Friedens und des Heiles durch das Evangelium für die Menschen.“
Militärdekan Rainer Schadt im Interview mit „Himmel & Elbe“, eine Beilage des „Hamburger Abendblatts, der Evangelisch-Lutherischen Kirche, der Diakonie, der Katholischen Kirche und der Caritas Hamburg“, 13.9.'11, S. 11.
„A. Muß man nicht erschrecken, wenn man bedenkt, daß wir mehr Mönche haben als Soldaten?
B. Erschrecken? Warum nicht eben sowohl erschrecken, daß es weit mehr Soldaten gibt als Mönche? Denn eins gilt nur von dem und jenem Lande in Europa; und nie von Europa überhaupt. Was sind Mönche? und was sind denn Soldaten?
A. Soldaten sind Beschützer des Staats etc!
B. Mönche sind Stützen der Kirche!
A. Mit eurer Kirche!
B. Mit eurem Staate!
(...)“
Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781), Theologiekritische und philosophische Schriften.
Aufklärung ist A & O: Analyse, Beweise, Courage, Darlegung, Entgegnung, Falsifizierung, Geraderücken, Haltung, Ideenfindung, Ja-Sagen, Kritik, Lust, Mahnung, Nein-Sagen, Objektivität, Perspektive, Qualität, Ruhe, Subjektivität, Triftigkeit, Unruhe, Verbreitung, Weiterkommen, X statt U, Ysop (Heilpflanze), Zukunft. Von A bis Z rational und menschlich.
Das sollte das streng zivile Alphabet einer Universität und einer kultivierten Gesellschaft sein.
Die real existierende Gesellschaft führt aber Kriege, an den Universitäten werden Theologen ausgebildet, die den Krieg gutheißen und ihre Seelsorge in seinen Dienst stellen. Alles im „Namen Gottes“.
„Wir dürfen und werden keine Waffen segnen oder Soldaten fanatisieren. Sondern wir sorgen dafür, dass Menschen einen Raum bekommen, wo sie ihre Gefühle loswerden können.“ (Schadt, a.a.O.)
Das ist relativ neu. Bis 1945 war es üblich, daß Waffen gesegnet wurden und die Bevölkerung – auch durch die Kirche(n) – fanatisiert wurde.
Heutzutage, wo, gegen das Grundgesetz und die UN-Charta, aus ökonomischen Interessen und zu entsprechenden politischen Zwecken Kriege im Namen der „Humanität“ geführt werden (was kaum noch jemand glaubt), hat die spezifische Seelsorge den Auftrag, die schlimmsten psychologischen Kriegsfolgen der Soldaten (und Soldatinnen) zu lindern.
Dieser unmittelbare therapeutische Auftrag ist eindeutig eine Kriegshilfe und beinhaltet unzweideutig die Bejahung militärischer Interventionen. Wo bleibt da die pazifistische – auch bisweilen christliche – Losung „Schwerter zu Pflugscharen“?
Der publizistische Mainstream von Springerpresse, beiden christlichen Konfessionen, Diakonie und Caritas kann das Alphabet der Aufklärung und des Friedens nicht buchstabieren.
An der Universität hingegen sollte es gelehrt und im Leben angewandt werden. In der ganzen „Bandbreite des Menschseins“.
Trotz Weihrauch, Papst und alledem.
Zurück zum Anfang„Nun also legt der Papst die Hostie dem Gläubigen wie früher auf die Zunge. Der kniet. Was auch angemessen ist. Vorsichtig betreibt der Papst all diese Restaurationen. Er rettet, was zu retten ist, auch im Missionsland der Deutschen.“
Matthias Matussek (Autor der Kulturabteilung des „SPIEGEL“), „Fels im Sturm/Warum der Katholizismus nicht protestantisch werden darf“, „SPIEGEL“, Nr. 38/2011, S. 144ff.
„Als der Intendant wenige Minuten nach zwei in sein Studio kam, war der Bur-Malottke-Vortrag eben angelaufen: ...und wo immer, wie immer, warum immer und wann immer wir das Gespräch über das Wesen der Kunst beginnen, müssen wir zuerst auf jenes höhere Wesen, das wir verehren, blicken, müssen uns in Ehrfurcht vor jenem höheren Wesen, das wir verehren, beugen und müssen die Kunst dankbar als ein Geschenk jenes höheren Wesens, das wir verehren, entgegennehmen. Die Kunst...“
Heinrich Böll, „Doktor Murkes gesammeltes Schweigen“, 1955.
Der „SPIEGEL“ ist irgendwie liberal. In derselben Ausgabe, in der Matussek ins Mittelalter – hinter Reformation und Aufklärung – zurück will, um gewissermaßen die Nation zu retten, darf der Theologe und Papstkritiker Hans Küng, in einem Gespräch 70 Seiten vorher, dezidiert genau das Gegenteil äußern: „Die [katholische] Kirche wird ein Stück evangelischer werden. (...) Aber wenn sich wieder alles im Amt konzentriert, dann steht am Ende wieder der mittelalterliche Pfarr-Herr, der Fürstbischof und eben der Papst als der absolute Herrscher, der gleichzeitig Exekutive, Legislative und Judikative verkörpert: im Widerspruch zur modernen Demokratie und zum Evangelium.“
Mal gucken, was dabei rauskommt?
Nein. Wenn schon nicht auf seiten des Glaubens und der Religion, so doch jedenfalls Partei ergreifen für die (kritische) Rationalität und die (erweiterungswürdige) Demokratie. Mindestens Hans Küng oder gar Uta Ranke-Heinemann. Mit Böll und Kant und anderen. – Heinrich Heine überließ den Himmel den Engeln und den Spatzen.
Was der Papst als Oberhaupt einer fragwürdigen Organisation – auch vor dem bundesdeutschen Bundestag – verlangt, ist Demut. Unterwerfung unter „jenes höhere Wesen, das wir verehren“. Kniet nieder, faltet die Hände und schauet ehrfurchtsvoll nach oben. Brav sein im Diesseits und bänglich hoffen auf ein besseres Jenseits.
Eiapopeia.
By the way: Die Vatikanbank („Institut für die religiösen Werke“), dem „Heiligen Vater“ direkt angehörig, bekannt für ihre Verbindungen zur italienischen Mafia, mit Einlagen von mehreren Milliarden Euro, ist mehrfach Gegenstand von Untersuchungen wegen Geldwäsche gewesen.
Die himmlische Mission ist also sehr irdisch und dient ordinären Zwecken.
Strengste Hierarchie, mittelalterliche Dogmen, rituelle Benebelungen, Lust- und Demokratiefeindlichkeit dienen dem Zweck, die herrschende Ordnung durch Einschüchterung zu reproduzieren.
Dagegen helfen nur Vernunft, Solidarität, das bewußte Erinnern an progressive Sprünge in der Geschichte und das Pfeifen auf der Straße.
Amen.
Zurück zum Anfang„Mittel gegen den Hochmut der Großen
Viel Klagen hör ich oft erheben
Vom Hochmut, den der Große übt.
Der Großen Hochmut wird sich geben,
Wenn unsre Kriecherei sich gibt.“Gottfried August Bürger, 1787.
„Zur Hälfte der Legislaturperiode steht Schwarz-Gelb konzeptionell schwächer da als je eine Koalition zuvor.“
Albrecht von Lucke, „Europas Krise, Merkels Schicksal“, „Blätter für deutsche und internationale Politik“, Nr. 9.
„Ich sehe die Potenziale gesellschaftlichen Fortschritts nicht in Gesinnungsdingen. Ich sehe die Potenziale darin, dass man den Leuten den Schleier von den Augen reißt: Der Reichtum, der nötig ist, die Freiheit zu finanzieren, existiert tatsächlich. Deshalb muss man nicht so bescheiden sein, die linke Position als diejenige zu sehen, in der man gegen das üble Leben aufbegehrt. Links ist, das einem zustehende und sich in Reichweite befindliche gute Leben einfach zu verlangen.“
Dietmar Dath, „Alles fragen – nichts fürchten“, im Interview mit Martin Hatzius, 2011.
Die Zentralregierung ist nicht nur rat-, sondern auch hilflos. Zu verschleiern ist dies nicht mehr. Das muß die Regierten nicht ängstigen. Hieraus ergeben sich für Alle neue Möglichkeiten.
Wohl war: Das gute Leben – nicht: „Schöner Wohnen“, sondern menschenwürdiger sein –, da möglich, befindet sich in Reichweite und sollte deshalb gemeint, gewollt und verlangt werden.
Dagegen stehen allerdings der Krieg, der Mensch als Sache und das Beharren auf der „Schuldenbremse“. Das ist ein gewisser Gegensatz bzw. Widerspruch. (Im Grunde genommen sind wir alle Griechen.)
Es soll aber weiterhin suggeriert werden, dahinter stehe ein großes Muß: „Glaube. Heimat. FDP.“ (Ein Niedergang – in der Tat.)
Dagegen wiederum sind die Kriege zu beenden, der Rüstungshaushalt zu senken („Zerstörungsbremse“), die Steuern der Reichen zu erhöhen; echte Löhne zu zahlen, die Ausgaben für Gesundheit, Bildung und Kultur zu erhöhen d.h. praktische Vernunft walten zu lassen. Das gilt – mindestens – für Europa, die Bundesrepublik und ebenso für Hamburg.
Das ist seitens Schwarz-Gelb nicht gewollt, SPD-Grün hat dies bei weitem noch nicht begriffen.
Da die Alternative nicht von alleine kommt, muß sie im „Kampf um die Zukunft“ begründet und erstritten werden.
Dafür ist hilfreich, sich und andere als einen relevanten Faktor der positiven Entwicklung zu begreifen und sich entsprechend zu betätigen. Sollte es eines aktuellen Beweises bedürfen, so hat der Papst-Besuch groß inszeniert deutlich gemacht, daß uns mit Sicherheit kein „hö'hres Wesen“ rettet.
Im aufgeklärten Unterschied dazu stehen die Weichen auf Beseitigung des überwindbaren Elends. Der Zug kann sich in die richtige Richtung bewegen.
Der Kaiser ist nackt. Es darf gelacht werden.
Somit steht heiter auf der gesellschaftlichen Agenda:
Zurück zum Anfang„Soziale Demokratie ist heute an der Tagesordnung; nur in dieser geistigen Form und Verfassung, als eine zum Sozialen gereifte Freiheit, welche durch freiwillige Zugeständnisse an die Gleichheit die individuelle Werte rettet, kann Demokratie überhaupt noch bestehen – innerhalb der Völker und zwischen ihnen.“
Thomas Mann, „Dieser Krieg“, 1940.