„Es war eine Fehlentscheidung, den Neubau der Universität auf dem Großen Grasbrook aus Rücksicht auf das Wehklagen der Betroffenen abzusagen. Wer den Teich trockenlegen will, darf nicht die Frösche fragen: Eines der Hauptprobleme hiesiger Hochschulen ist es seit Langem, dass sich zu viele gemütlich im Mittelmaß eingerichtet haben, sich am liebsten mit sich selbst beschäftigen und Exzellenz eher als Bedrohung denn als Ziel verstehen.“
Matthias Iken, „Universität neu denken“ (Leitkommentar), „Hamburger Abendblatt“, 5./6.4.’14, S. 2.
„In dieser Reihenfolge liegt eben das Versöhnende; das Barbarische empört uns nicht mehr, und das Abgeschmackte verletzt uns nicht mehr, wenn wir es als Anfänge und notwendige Übergänge betrachten.“
Heinrich Heine, „Reise von München nach Genua“ Kapitel II, 1828/1829.
Es ist schon erstaunlich, wie starrsinnig manche Leute an korrigierten Fehlentscheidungen, Fehlern oder noch bestehenden Mißlichkeiten festhalten. Die drei Herren von der politischen Seitenlinie, Wolfgang Peiner (CDU), Klaus von Dohnanyi (SPD) und Wilfried Maier (Grüne), haben zusammen einen Brief geschrieben – „In Sorge um [die Gewinnzone] Hamburg“ –, in dem sie mehr „international wettbewerbsfähige Forschung und Wissenschaft“ für Hamburg fordern. Damit sind sie zu Bürgermeister O. Scholz gelaufen und haben gefordert, er möge dies zur sogenannten Chefsache machen. Das hat dann Herr Iken vom „Abendblatt“ fürsorglich kommentiert. Dabei konnte er nicht lassen, den Verbleib der Hamburger Universität im Grindelviertel zu beklagen. Man hätte nicht auf die Frösche zur Trockenlegung ihres Teiches hören sollen. Man hat aber. Und das ist gut so.
Die Hamburger Universität ist eine republikanische Gründung von 1919. In der diktatorischen Zeit von 1933-1945 waren viele ihrer Mitglieder vorauseilend gehorsam. Mit 1945 wurde ein bürgerlicher Neubeginn versucht. Ab 1968 wurde politisch, kulturell und sozial richtig durchgelüftet. (Einige Gebäude wie der Philturm und das Audimax entstanden schon im architektonischen Vorgriff einige Jahre früher.) Mit den 1970er Jahren begann die Umsetzung von Reformen; die soziale Öffnung, die demokratische Strukturierung, die Entwicklung von kritischen Wissenschaftsinhalten und entsprechenden Studiengängen wurde realisiert. Der Verbleib eines großen Teils der Universität in City-Nähe ist nicht zuletzt in diesem historischen Bewußtsein, in kultureller Wertschätzung gelungen.
Nach mehreren CDU-Senaten und dem Bologna-Desaster beginnen seit einiger Zeit alle Hochschulen, echte Reformen (Bachelor und Master menschlich(er) gestalten, demokratische Partizipation stärken, Wissenschaftsinhalte und -methoden reflexiver und nachhaltiger realisieren) auf den Weg zu bringen. Zudem ist die chronische Unterfinanzierung der Hochschulen in diesem Zusammenhang ein dauerhafter Kritikpunkt.
Die schwarz-pastellrot-grüne Allianz von Peiner, Dohnanyi und Meier (plus Iken) will von Gestern nicht lassen. Die sogenannten Frösche aber haben Neues im Sinn. Das zählt.
Zurück zum AnfangZeitung zum Semesteranfang Sommersemester 2014
„Gute Bildung ist Geld wert, das würden Ökonomen und Sonntagsredner sofort unterschrieben. Aber wie viel? Media Markt lieferte im Juli 2011 mit einer Werbeaktion eine überraschende Antwort: Für jede Eins im Schlusszeugnis gebe es zwei Euro Rabatt, warb der Elektronik-Fachmarkt in einem Passauer Wochenblatt – und lockte damit viele junge Kunden an. Der Verbraucherzentralen Bundesverband (VZBV) fand die Aktion alles andere als originell. Er hat den Elektronikkonzern bis vor den Bundesgerichtshof gezerrt. Dort wollten die Verbraucherschützer derartige Werbung für unlauter erklären lassen. Vergebens: Der BGH hat die Klage am Donnerstag abgewiesen. (…) Für das BGH-Urteil war nun ausschlaggebend, dass sich die Werbekampagne von Media Markt auf kein konkretes Produkt bezog. Die Werbung übe auch keinen unangemessenen Einfluss auf die Entscheidungsfreiheit der Schulkinder aus, so das Gericht.“
Robert Gast, „Zwei Euro für jede Eins im Zeugnis“, „Süddeutsche Zeitung“, 3.4.’14.
„Kaufen, was einem die Kartelle vorwerfen; lesen, was einem die Zeitungen erlauben; glauben, was einem Kirche und Partei gebieten. Beinkleider werden zur Zeit mittelweit getragen. Freiheit gar nicht.“
Kurt Tucholsky, „Schnipsel“, 1932.
In gewisser Weise hat der BGH (s.o.) recht mit seinem Urteil: Abgesehen davon, daß es beim Media Markt nur Elektronik-Waren gibt, können emsige Schülerinnen und Schüler ihren Notenbonus auf alle Waren des Großhandelsunternehmens einlösen. Kein produzierender Großkonzern ist davon benachteiligt. Alle sind in der Konkurrenz gleich.
Was in diesem Falle eher nötig ist: Bildungsschützer statt Verbraucherschützer. Bildung muß und sollte keine Ware sein, die man billig auf dem Markt feilbietet. Geiz ist die Kehrseite der Gier und keine positive psychologische Kategorie. Das Wachsen sozialer Ansprüche ist die Alternative.
Mit der Abschaffung der Studiengebühren (bis auf die skurrilen „Verwaltungsgebühren“), der Reformierung (Entspannung) des Ba-/Ma-Systems, der Re-Demokratisierung der Hochschulen, der gesellschaftlich verantwortlichen Neubestimmung der Wissenschaftsinhalte, der Entwicklung von Gruppen übergreifender Solidarität und dem Engagement für eine ausreichende Bildungsfinanzierung sind Aktivitäten realisiert, die auf die „Bildung durch Wissenschaft“ auf die Entwicklung mündiger und gesellschaftlich verantwortlicher Persönlichkeiten gerichtet sind. Dadurch sind Maßstäbe gebildet, die Gültigkeit für alle (Aus-)Bildungsbereiche haben.
Dieser aktive Trend richtet sich gegen die Käuflichkeit von Bildung und Wissenschaft, übersteigt die primitive Standortlogik und hebt sich ab von der neoliberalen Dressurabsicht, wie sie auch bei Ökonomen und Sonntagsrednern – ebenso launig kommentierenden Politikern – propagandistisch zum Ausdruck kommt.
Insofern ist es sehr nützlich, sich diesem Trend anzuschließen und die positiven Veränderungen fortzusetzen. Das hat auch allgemeine und konkrete Bedeutung für die Bildung eines AStAs wirksamer studentischer Interessenvertretung und die demokratische Reformierung des Hochschulgesetzes. Die Käuflichkeit ist nicht, wenn wir sie nicht zulassen.
„Es geht auch aber auch [sic!] darum, dass die Hochschulen sich selbst als Einzelinstitution und als Teil des Hochschulstandortes Hamburg dem Wettbewerb national und international stellen, im Rahmen ihrer Mittel mutig und entschlossen ihre Profilbildung vorantreiben und auch eine Leistungsverpflichtung für die Gesellschaft akzeptieren. Das verlangt Führung und nicht lamentieren.“
Klaus von Dohnanyi (SPD), Willfried Maier (Grüne) und Wolfgang Peiner (CDU), „In Sorge um Hamburg – Warum unsere Stadt ihre Bedeutung nur als Wissenschaftsmetropole sichern kann“, 4. April 2014.
„Das ist nun Deutschland, ein Land, das sich für alles interessiert, was in der Welt vorgeht, und ist doch eine Provinz geblieben, trotz allem:
Provinz Deutschland. Woran liegt das –?“
Kurt Tucholsky, „Die Augen der Welt“, 1931.
„Die Bildung muß auf die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und auf die Stärkung der Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten gerichtet sein. Sie muß zu Verständnis, Toleranz und Freundschaft zwischen allen Nationen und allen rassischen oder religiösen Gruppen beitragen und der Tätigkeit der Vereinten Nationen für die Wahrung des Friedens förderlich sein.“
UN-Menschenrechtscharta, Artikel 26 (Abs. 2), 10. Dezember 1948.
Drei Herren aus CDU, SPD und GRÜNEN legen die ohnehin geringen parteipolitischen Differenzen beiseite in gemeinsamer „Sorge“ um ihre ‚Heimat' Hamburg. Mit markigen Worten wie Mut, Entschlossenheit, Leistung und Pflicht wird gefordert, daß die Einzelnen (in dem Fall die Hochschulen) für das Ganze (den „Standort“) dazusein haben. Da möchte man fast annehmen, es ginge in den Krieg.
Hinter der Ansammlung neoliberaler Worthülsen verbirgt sich der wenig überzeugende Versuch, ein praktisch gescheitertes Verständnis von Bildung und Wissenschaft zu retten. Deren Bedeutung bestehe nämlich in: „mehr junge Leute anziehen“, „mehr neue Unternehmen gründen“, „bessere Einkommen erzielen“, „mehr Innovationen und stärkere Arbeitsplatzentwicklung hervorbringen“ sowie „höhere Steuereinkünfte erhalten“. Das ist betriebswirtschaftlich begrenzt, regional borniert und führt sozial, wissenschaftlich und kulturell ins Abseits.
Die Hamburger Hochschulen sind dagegen schon große Schritte hinaus aus der Enge der „unternehmerischen Hochschule“. In mehreren hochschulweiten Arbeitstagungen („dies academicus“) treibt die Universität eine Studienreform voran, die auf eine Renaissance von Persönlichkeitsbildung und verantwortlicher Mündigkeit gerichtet ist. An der HAW hat insbesondere die Fakultät für Technik und Informatik die Nase voll von privatwirtschaftlichen Abhängigkeiten und sich für die Etablierung einer verbindlichen Zivilklausel entschieden. Das Präsidium der Universität kündigte kürzlich an, eine wissenschaftliche Konferenz zur Solidarität mit den vom brutalen Sparkurs bedrohten griechischen Hochschulen ausrichten zu wollen – gemeinsam gegen die Kürzungspolitik.
Dies ist die weltoffene Bedeutung von Bildung und Wissenschaft: sich gemeinsam als mündige Persönlichkeiten zu entfalten bzw. der Lösung gesellschaftlicher Probleme und Aufgaben (Frieden, Umwelt, Soziales, Demokratie) zu widmen.
In dieser Kontroverse zwischen betriebswirtschaftlich und weltoffen ist auch die aktuelle Auseinandersetzung um die Neufassung des Hamburgischen Hochschulgesetzes positiv zu entscheiden. Der Radieschen-Senat („außen rot und innen weiß“) hält mit Hochschulräten, hierarchischen Strukturen, Ziel- und Leistungsvereinbarungen und Restriktionen gegen Studierende noch fest an der Ideologie der „unternehmerischen Hochschule“. Studierendenvertretungen, hochschulische Gremien und Gewerkschaften treten dagegen ein für die notwendige Demokratisierung durch den Ausbau der Gruppengremien, für kooperative Entscheidungsprozesse über die Wissenschaftsentwicklung, die Herausbildung einer solidarischen Alltagskultur und eine menschliche Reform des Studiums. Das umfaßt auch die Forderung nach der bedarfsdeckenden öffentlichen Finanzierung der Hochschulen.
Die Veranstaltungen zum Thema, Vollversammlungen, die Anhörungen vor dem Wissenschaftsausschuß der Bürgerschaft und Demonstrationen in den kommenden Wochen schaffen reichlich Gelegenheit für alle, die gesellschaftlich eingreifende Wissenschaft schon heute voll zu realisieren.
„Die Erweiterung der EU ist aktive europäische Friedenspolitik“.
„Deutschlands Zukunft gestalten“ – Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD.
„Mit Sanktionen und Säbelrasseln schüren EU und USA die Furcht vor einer russischen Expansion. Das ist die falsche Antwort auf Putins Griff nach der Krim. Denn der Expansionsdrang des Kreml-Chefs ist nicht unersättlich – anders als der des Westens.“
Jakob Augstein, „Das falsche Feindbild“ in: „S.P.O.N. – Im Zweifel links“, Spiegel Online 24.3.2014.
Vor zwei Jahren erhielt die Europäische Union den Friedensnobelpreis für den jahrzehntelangen „erfolgreichen Kampf für Frieden und Versöhnung und für Demokratie sowie die Menschenrechte“. Hervorgehoben wurde vom Nobelpreiskomitee die deutsch-französische Freundschaft, die Überwindung der Teilung zwischen Ost und West, die Aussöhnung auf dem Balkan sowie die Demokratisierung der Türkei.
Die Realität sieht anders aus: Seit ihrer Gründung in den 1950er Jahren sind die Europäischen Gemeinschaften vor allem ein ökonomischer Block zur Absicherung der Geschäfte auf dem europäischen Markt – in Konkurrenz zu anderen Teilen der Welt. Seit Anfang der 1990er Jahre werden diese Interessen zunehmend mit machtpolitischen und militärischen Mitteln versucht durchzusetzen, bis hin zur Schaffung einer „Verteidigungsagentur“ und Verpflichtung aller Mitgliedsstaaten, ihre „militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern“ (Vertrag von Lissabon). Die ständige Ausdehnung der EU Richtung Osten gehört dazu, flankiert von der Ost-Erweiterung der NATO, Raketen„abwehr“systemen und anti-russischer Propaganda.
Der aktuelle Konflikt um die Ukraine ist entbrannt durch die Forcierung eines Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine mit der Erpressung, die Ukraine müsse sich zwischen EU und Rußland entscheiden. Mithilfe von Geheimdiensten, Stiftungen, Waffen und Geldern wird aggressiv von außen interveniert und dabei in Kauf genommen, auch faschistischen Kräften an die Macht zu verhelfen, die gegen „Russensäue, die Deutschen, die Judenschweine und andere Unarten“ (Vorsitzender der faschistischen „Swoboda“-Partei) hetzen und mit brachialer Gewalt vorgehen. Das Ziel ist eine Regierung, die nach Maßgabe von EU, IWF und Weltbank Austeritätspolitik nach dem Muster von Griechenland und Spanien durchsetzt: massive Kürzungen im Staatshaushalt, Lohnkürzungen im Öffentlichen Dienst und Massenentlassungen. Ausländische Konzerne stehen in den Startlöchern, um Gasunternehmen und Großindustrie zu übernehmen und die ertragreichen Landschaften der Ukraine intensiver auszubeuten.
An der Lage der Bevölkerung, die gegen korrupte Oligarchen-Regimes protestiert haben, wird sich dadurch nichts verbessern.
Mit dem Versuch, Rußland ökonomisch und militärisch einzukreisen, haben die EU- und NATO-Staaten eine gefährliche Konfrontation angezettelt, die mit Machtpolitik nicht zu lösen ist. Um Mißverständnisse zu vermeiden: Die Eingliederung der Krim in die Russische Föderation war nicht im Einklang mit dem Völkerrecht, und jegliche militärische und verbale Aufrüstung wird nicht zur Lösung des Konflikts führen. Eine politische Lösung kann nur auf internationalem Wege gefunden werden.
Um Frieden in der Ukraine zu schaffen, muß alle militärische Mobilmachung sofort beendet werden, müssen alle Sanktionen und Drohungen eingestellt und diplomatische Verhandlungen aufgenommen werden. Die Unterstützung der illegitimen Regierung in der Ukraine durch die USA und die EU muß beendet werden. Die faschistischen Kräfte müssen verboten und entwaffnet werden. So bald wie möglich sollten tatsächlich demokratische Wahlen durchgeführt werden. Für eine Verbesserung der Lage der Bevölkerung ist die Austeritätspolitik zu beenden und sind soziale Bedingungen zu schaffen, die allen Menschen ein Leben in Würde ermöglichen. Die EU werde entmilitarisiert, demokratisiert und sozial gestaltet. Eine ganz entschiedene Schlußfolgerung muß insgesamt sein, daß das Völkerrecht künftig von allen einzuhalten ist!
Und was können wir tun? Wir gehen beim Ostermarsch gegen Krieg und Aufrüstung auf die Straße, führen unser Engagement für Frieden als Leitwissenschaft verstärkt fort und setzen uns u.a. für eine Zivilklausel im Hamburgischen Hochschulgesetz ein!
„Von allem Anfang an bestimmte sich der Mensch über die Fähigkeit, den Status quo im Sinne seiner Vorstellungen eines guten Lebens zu hinterfragen und zu verändern. Zwei Eigenschaften ermöglichen ihm, seiner eigensinnigen Entfaltung entgegenstehende Daseinsbedingungen zu überwinden: die Fähigkeit, sich wie ein objektiver Beobachter der Natur gegenüberzustellen, ihre Gesetzmässigkeiten zu durchschauen und in seinem Sinne zu verändern. Und das Vermögen, soziale Utopien entwickeln und darauf aufbauend neue Gemeinschaftsformen verwirklichen zu können.“
Prof. (em.) Erich Ribolits, „Lernen, um sich anzupassen“, „Neue Zürcher Zeitung“ („NZZ“), 6.11.’13.
„Die Verachtung des ›seelenlosen Rationalismus‹ wirkt nur darum negativ, weil sie noch Volldampf voraus gegen den Rationalismus bedeutet, während längst der Augenblick gekommen ist, aus allen Kräften Gegendampf zu geben.“
Thomas Mann, Tagebuch, 16.3.’35.
„Wenn mir nichts einfällt, dann lasse ich mir etwas einfallen.“
Woody Allen im Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ („FAS“), 3.11.’13.
Doktrin, Staatshandeln und Kultur des Neoliberalismus wirken bisweilen zäh wie eine alte Schuhsohle. Die dazugehörigen Schnürstiefel sind jedoch längst abgelaufen. Sie gehören schleunigst in die Resteverwertung.
Die Studienreform (Ba/Ma) hat begonnen, das Hamburgische Hochschulgesetz soll reformiert werden (allerdings wirklicher, als es die Behörde bislang vorhat).
„Wenn der Mensch
von den Umständen
gebildet wird, so muß
man die Umstände
menschlich bilden.“
Karl Marx/Friedrich Engels,
„Die heilige Familie“
1844/45, MEW 2, S.138.
Es geht um die Re-Kultivierung des Studiums und die Demokratisierung der Hochschulen zur Bildung mündiger Subjekte bzw. zur Entwicklung gesellschaftlich verantwortungsvoller Wissenschaften: für Frieden, internationale Solidarität, demokratische Partizipation, Gesundheit, Bildung und Kultur. Das ist unsere Aufgabe.
So kooperieren wir mit anderen fortschrittlichen Gruppierungen in den Gremien der studentischen Interessenvertretung, in der Akademischen Selbstverwaltung und in außerparlamentarischen Bewegungen: in Fachschaftsräten, in der Fachschaftsrätekonferenz, im Studierendenparlament, in Bezug auf den Akademischen Senat, in Fakultätsräten, in der Friedensbewegung, in Bündnissen gegen Neofaschismus, in Aktivitäten gegen Sozialabbau. Wir sind bundesweit als Gründungsmitglied im Hochschulgruppenverband Die Linke.SDS organisiert.
Dieses Engagement ist uns alltägliche und sehr menschliche Angelegenheit. Allseitige Emanzipation sei erstes Bedürfnis. Dem sollte sich auf Dauer niemand entziehen.
„Wer seine Lage erkannt hat, wie soll der aufzuhalten sein?“
Bertolt Brecht, „Lob der Dialektik“, 1934.
„Die ‚Sewol‘ lässt sich sogar als Signatur der Gegenwart, ja als eine Metapher unserer heutigen Gesellschaft deuten. (…) Verantwortlich für dieses Unglück ist aber zunächst die neoliberale Politik des Ex-Präsidenten Lee Myung-bak, der auch Manager von Hyundai war. (…) Die rein profitorientierte Unternehmenspolitik erhöht massiv das Unfallrisiko. Kosten senken, effizient wirtschaften, dieses neoliberale Diktum geht auf Kosten des Menschenlebens und der Menschenwürde. (…) Die heutige Form des Neoliberalismus produziert dagegen [Gemeinsinn und Menschlichkeit] lauter Egos, Unternehmer ihrer selbst.“
Byung-Chul Han, „Das Schiff sind wir alle“, „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ („FAS“), 27.4.'14, S. 39.
Der Autor ist Professor für Philosophie an der Universität der Künste in Berlin.
„Die mehr als dreifache Überladung der Fähre, die ungenügende Sicherung der Ladung und der durch zusätzliche Aufbauten verlagerte Schwerpunkt hätten den Untergang beschleunigt, sagen die Ermittler.“
Bernhard Zand, „So viel zerstörte Zukunft“, „SPIEGEL“ Nr. 18/2014, S. 91.
„Schwimme, wer schwimmen kann, und wer zu plump ist, gehe unter. (…) Das Recht wohnet beim Überwältiger, und die Schranken unserer Kraft sind unsere Gesetze.“
Friedrich Schiller, „Die Räuber“, Franz, erster Akt, erste Szene, 1781.
Das südkoreanische Schiff, in Japan kurz vor der Ausmusterung, ist nicht nur über 18 Jahre alt und war völlig überladen, sondern die Mannschaft – einschließlich des Kapitäns – auch mangelhaft qualifiziert und unterbezahlt. Die Rettungsdienste Südkoreas sind teilprivatisiert.
Hier liegen die Ursachen für die Schiffskatastrophe, die mehrere hundert Menschen das Leben kostete – darunter sehr viele Kinder und Jugendliche.
Diese Katastrophe wäre zu vermeiden gewesen, sie ist politisch gemacht. Eine bessere Ausbildung und Bezahlung der Schiffsmannschaft, höhere Sicherheitsstandards für Schiffe und ein wirkungsvoller Rettungsdienst hätten diese Katastrophe verhindert und die Passagiere heil an ihr Ziel kommen lassen. Neoliberalismus ist also tödlich.
Er bringt ebenso schädlichen Egoismus hervor. Jeder sei auf sich geworfen und handle unmittelbar nach seinem Nutzen, zu seinem direkten Vorteil – auf Kosten anderer und damit auch zu seinem eigenen Schaden.
Solidarität als Verbesserung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, Kollegialität am Arbeitsplatz und Fairneß im Alltagsverhalten gelten nach dieser rohen Doktrin als schwach und von gestern.
Dagegen sind in Wirklichkeit praktizierter Gemeinsinn und unerschütterliche Menschlichkeit die heutigen Garanten für eine menschenwürdige Zukunft, die aktuell beginnt: für die Schaffung von Frieden, die Rekonstruktion des Sozialstaates und sinnvolle Arbeitsbedingungen, Bildung und Kultur für Alle sowie die Beseitigung von allerlei Schlaglöchern.
Diese schöpferische Wende beginnt schon damit, dem Egoismus tiefgründig zu mißtrauen und sich bzw. Seinesgleichen als erkennendes und positiv gestaltendes Wesen zu begreifen. Angenehme Lebensbedingungen und die Achtung der Mitmenschen sind keine Schande. Das gilt ebenso für die gründliche Reformierung der Hochschulen.
Zurück zum Anfang„2
Und weil der Mensch ein Mensch ist
Hat er Stiefel im Gesicht nicht gern.
Er will unter sich keinen Sklaven sehn
Und über sich keinen Herrn.“Bertolt Brecht, „Einheitsfrontlied“, Svendborger Gedichte 1939.
„Frank Horch: Auch in Zukunft wird die individuelle Automobilität nicht wegzudenken sein. Ein Blick auf die Zahlen zeigt aber auch, dass der Kfz-Verkehr im Bereich der inneren Stadt abnimmt. Dieser Trend wird sich vermutlich fortsetzen. Der private Kfz-Besitz wird nicht mehr so sehr dominieren wie noch heute. Dafür wird es für unterschiedliche Lebenssituationen maßgeschneiderte Mobilitätsangebote geben: Vom klassischen Autovermieter über verschiedene Formen von CarSharing bis vielleicht zur Taxi-Flatrate.“
Frank Horch, Wirtschafts- und Verkehrssenator in Hamburg, im Gespräch mit „Auto“/Mai 2014, S. 10.
Das Magazin ist eine Beilage des „Hamburger Abendblattes“. Frank Horch war Präses der Handelskammer und vordem Manager bei Blohm & Voss.
„Im Dauerregen und Dauerstau – viele Autofahrer hätten sich gewiss einen besseren Start in die Arbeitswoche vorstellen können. Doch das Chaos kam am Montagmorgen keineswegs aus heiterem Himmel: Nicht nur am Elbtunnel, sondern praktisch im gesamten Hamburger Westen brach der Verkehr zeitweise zusammen.“
„Hamburger Abendblatt“, 13.5.'14, S. 7.
„Wenn die vermeidbaren Ursachen erkannt werden, können die schlimmen Zustände bekämpft werden. (…) Alles kommt darauf an, daß ein richtiges Denken gelehrt wird, ein Denken, das alle Dinge und Vorgänge nach ihrer vergänglichen und veränderbaren Seite befragt.“
Bertolt Brecht, „Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit“, 1935.
Hamburg steht im Stau. Es geht nicht mehr voran.
Bundesweit beträgt der Sanierungsstau der Verkehrswege (Straßen, Schienen, Wasserwege) Milliardenhöhe. Staatliches Handeln hat auch hier kaputtgespart.
Ebenso in der Hansestadt ist das Schlagwort sprichwörtlich: Es wird Flickschusterei an allen Ecken betrieben, das „Busbeschleunigungsprogramm“ (gut 260 Millionen Euro) verengt zudem. Hinzu kommen Straßenverstopfungen durch Neubauten von Häusern. Das Chaos ist perfekt.
Bundesweit wird keineswegs die Umlenkung des Güterverkehrs auf die Schiene betrieben. Zudem fahren immer mehr Busse (gesetzlich erleichtert) im Fernverkehr.
Hamburg hat in der Bundesrepublik den höchsten Deckungsgrad des öffentlichen Nahverkehrs durch den Verkauf der Fahrkarten. Dem entspricht auch das teuerste Semesterticket im Vergleich der Bundesländer. Die „Schuldenbremse“ (Deckelung der öffentlichen Ausgaben unter der Inflationsrate) wirkt überall. Es leiden darunter die öffentlichen Einrichtungen – d.h. die Menschen – in Bildung, Soziales, Kultur, Bildung und Gesundheit. Dem entspricht auch die fortgesetzte chronische Unterfinanzierung der Hochschulen – einschließlich der unzureichenden Zuschüsse für das Studierendenwerk (Wohnen, Essen) und dem kärglichen BAföG. Dies ist eindeutig Ergebnis der falschen neoliberalen bzw. der Austeritätspolitik. Freiheitlich verklemmt eben. Hier helfen keine Appelle an die Geduld. Die Zeit der Geduld ist nunmehr vorbei.
Stattdessen bedarf es höherer Einnahmen und Ausgaben des Staates, um den Bedarf der öffentlichen Einrichtungen ausreichend staatlich zu finanzieren. Der Staat muß zum Allgemeinwohl investieren und die Einrichtungen reformieren (Mitbestimmung, Erweiterung der Aufgaben).
Das tut er nicht von allein. Deshalb müssen wir ihm Beine machen. Dafür müssen wir selbst in Bewegung geraten. Das ist nichts Schlimmes, sondern wirksam.
Zurück zum Anfang„Der neue Deutschlandbericht der OECD gibt es uns schwarz auf weiß: Wir leben in einem Land, in dem die Ungleichheit zunimmt und die Chancen ungerecht verteilt sind. (…) ’Unsere Kernbotschaft ist, dass Deutschland ein inklusiveres Wachstumsmodell verfolgen sollte. Basierend auf guten Löhnen, einem fairen Steuersystem, gleichen Bildungschancen für alle und höheren Bildungsinvestitionen.’ Der Generalsekretär der OECD Angel Gurría hat das am Dienstag in Berlin gesagt. Gute Löhne. Ein faires Steuersystem. Gleiche Chancen. Ausreichende Bildungsinvestitionen. All das sieht die OECD in Deutschland offenbar nicht gewährleistet. Dabei steht die Organisation nicht im Ruf, Hort linksradikalen Denkens zu sein.“
Jakob Augstein, „Die Deutschen lassen sich zu viel gefallen“, „SPIEGELONLINE“, 15.5.'14.
„Für mich ist arm, wer unterhalb des sogenannten sozialen Existenzminimums lebt. Dieses garantiert dem Menschen, dass er vor extremer Armut geschützt ist, dass er ein menschenwürdiges Leben führen und an der Gesellschaft teilhaben kann, dass er Zugang zu gemeinsamen materiellen und intellektuellen Werten hat. Der Mensch soll die Möglichkeit haben, sich moralisch und intellektuell zu entfalten. Ich entwickle eine erweiterte Definition von Armut: Sie charakterisiert sich durch die chronische Verletzung des Rechts auf einen menschenwürdigen Lebensstandard, der sich nicht im physischen Überleben erschöpft.“
Elena Pribytkova, Rechtswissenschaftlerin an der Universität Basel, im Interview mit der „Neuen Zürcher Zeitung“ („NZZ“), 19.5.'14.
Von Thilo Sarrazin (SPD), dem beleidigten Bestseller, stammen intelligente Vorschläge, wie sich wärmer anzuziehen, wenn die Heizkosten nicht bezahlbar sind und daß der (genetisch intelligente) Deutsche sich doch besser vermehren solle. Er vergiftet das geistige Klima der Republik und muß dafür sein Parteibuch nicht abgeben. Er sitzt am Stammtisch der Regierungspolitik.
Nun ist aber erneut amtlich, was schon länger Viele drückt und die gesamte (Wohl-)Entwicklung der Gesellschaft empfindlich einschränkt: Die soziale Ungleichheit in der BRD hat weiter zugenommen. Die OECD, deren Sitz sich nicht auf Kuba befindet, empfiehlt deshalb nachdrücklich angemessene Löhne, Steuern, gleiche Bildungschancen für Alle und die Erhöhung der Bildungsinvestitionen. (Ganz besonders den Sozialdemokraten sei dies hinter die Ohren geschrieben. Sie haben durch energisches Lernen viel von Hartz IV und Sarrazin wett zu machen.)
Armut ist ein strukturelles Problem, politisch gemacht und beschämt und hemmt die ganze Gesellschaft. Wer zudem sozial Benachteiligte, Kritiker und Immigranten denunziert, hat heftigste Gegenwehr verdient, die daran erinnert, daß Sozialdarwinismus und Rassismus nicht nur hinter die Aufklärung zurückgehen, sondern auch die geistige Grundlage für Verbrechen aller Art bilden und – zumal nach zwei Weltkriegen – nicht ins 21. Jahrhundert gehören.
Dagegen ist daran zu erinnern, daß die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (1948) und der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (1966) das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard Aller setzen. Das Recht auf eine sozial menschenwürdige Existenz ist Bestandteil des Völkerrechts und somit verallgemeinert.
Insofern ist mit allem demokratischen (auch wissenschaftlichen) Engagement für die Rekonstruktion des Sozialstaates bzw. der kulturellen Teilhabe zu wirken. Das schließt auch die Beendigung von Kriegen sowie des Exportwahnsinns und die Wiederherstellung des Asylrechts ein. Niemand ist illegal.
Zurück zum Anfang„In Krisen liegt die Macht nicht bei denen, die formal zuständig sind, sondern bei denen, die Lösungen hervorbringen und Mehrheiten organisieren.“
Wolfgang Münchau, „Bekenntnisse eines einstigen Europa-Fans“, „SPIEGELONLINE“, 19.5.'14.
„Das SIPRI [Stockholmer Friedensforschungsinstitut] nutzt dafür nur öffentlich zugängliche Quellen. Wezeman [Forscher am SIPRI] kann nicht sagen, ob ehemalige Bundestagsabgeordnete womöglich in einen Bestechungsfall verwickelt waren, bei dem deutsche Panzer nach Griechenland verkauft wurden. Aber er sagt, dass schon immer die Frage gewesen sei, wozu Griechenland eigentlich so viele Waffen, so viele Panzer brauche. ‚Das ergab keinen Sinn. Der Gedanke, dass da Bestechung im Spiel ist, ist nicht neu.‘
Eine andere Frage: Kann Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) umstrittene Rüstungslieferungen nach Algerien und Saudi-Arabien wirklich nicht mehr stoppen, wenn die Vorgänger-Regierung sie bereits genehmigt hat? Wezeman weiß es nicht. Er fragt: ‚Warum braucht Saudi-Arabien überhaupt all diese hochentwickelten Waffen?‘ Iran, das immer als potenzielle Bedrohung angeführt wird, stehe unter Embargo und sei nicht in der Lage aufzurüsten.‚Wenn der Westen all diese Rüstung an Saudi-Arabien verkauft, untergräbt dies dann nicht eine Konfliktbewältigung in der Region?‘“Silke Bigalke, „Einfach skrupellos“, „Süddeutsche Zeitung“ („SZ“), 3.6.'14.
„Jeder Pazifismus, der den Krieg für Petroleum, für Industrien, für Schutzzölle nicht rundweg ablehnt, ist weder gesund noch ungesund, sondern überhaupt keiner.“
Kurt Tucholsky, „‚Gesunder Pazifismus‘“, 1928.
Jeder vernünftige und weitreichende Entwicklungspfad ist zivil. Frieden bedeutet soziale, kulturelle und demokratische Entwicklung aller Länder und Menschen.
Die Bundesrepublik Deutschland ist – hinter den USA und Rußland – der drittgrößte Waffenexporteur der Welt.
Die hiesige Rüstungsindustrie liefert – von der Bundesregierung genehmigt – nicht nur Waffen nach Algerien und Saudi-Arabien, sondern auch beispielsweise nach Ägypten, wo gepanzerte Fahrzeuge gegen Demonstrationen eingesetzt werden.
Rüstungsexporte sind also nicht nur äußerst lukrativ, sondern gleichfalls demokratie- und entwicklungsfeindlich. Die europäischen Länder und die USA vermindern laut SIPRI ihre Rüstungspotentiale. (Was nicht heißt, daß die Gefährlichkeit der Armeen nachließe; siehe Drohnen und Atomwaffen!) Dadurch drängen die Rüstungskonzerne stärker in den Export – auch und nicht zuletzt in Krisenregionen.
Die Konkurrenz zwischen den Produzenten von Waffen wächst, die Intransparenz der Geschäfte nimmt zu, Korruption wird zur Regel. Dieser Zusammenhang schürt und eskaliert militärische Konflikte, die in der Regel einen sozialen (häufig kolonialgeschichtlichen) Hintergrund haben und steigert die Geschäfte einer nutzlosen Industrie.
Deshalb ist es nicht nur äußerst sinnvoll und human, alle Kriege zu beenden, sondern auch, die Waffenexporte drastisch einzuschränken, die Rüstungsproduktion in zivile Herstellung umzuwandeln, die Bundeswehr aus Schulen und Arbeitsämtern zu verbannen und somit die Gesellschaft sowie die internationalen Beziehungen zu kultivieren.
Da zur Zeit das Hamburgische Hochschulgesetz (HmbHG) novelliert wird, sollte auf jeden Fall eine Zivilklausel Bestandteil des Gesetzes werden.
Die Wissenschaften sollten sich auf das Wesentliche konzentrieren.
Zurück zum Anfang„Trittins Scheitern ist folgerichtig. Denn die Kampfzeit ist vorbei. Die Grünen sind längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Sie regieren in sieben Ländern, fast in der ganzen alten Bundesrepublik. Sie sind etabliert, kümmern sich um pragmatische Lösungen, um die Wirtschaft, den Mittelstand, sie suchen Unternehmen und Interessenverbände zu überzeugen. Sie definieren sich nicht gegen die Gesellschaft, sondern als Teil von ihr.“
Markus Wehner, „Arbeiterkampf“, „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ („FAS“), 8.6.'14, S. 10.
„Es gilt nicht: Was will ich? Sondern: Was kommt an? Wie kann ich Bestrafungen vermeiden? Merkel ist die Meisterin dieser Lebensform. (…) Merkel ist in der Lebensform Anpassung authentisch.“
Dirk Kurbjuweit, „Wir werden Bundeskanzlerin“, „SPIEGEL“ Nr. 24/2014, S. 130f.
„soziale Wahrnehmung, engl. Social Perception, Sozialpsychologie 1) die von Annahmen über Gründe, Absichten und Motive des Verhaltens anderer sowie von Vorannahmen (Vorurteilen) und Stereotypen mitbestimmte Wahrnehmung der sozialen Umwelt; 2) der Einfluss sozialer und persönl. Faktoren, der subjektiven Situation auf die Wahrnehmung der dingl. und sozialen Umwelt und auf die Herausforderung von Gegenständen zu einem bestimmten Verhalten (Aufforderungscharakter); solche Einflüsse finden z.B. im Streben nach Konformität mit der Wahrnehmung anderer oder mit sozialen Werten, Erwartungen, Stereotypen und Tabus und einer hierdurch geprägten Begriffs- und Urteilsbildung ihren Ausdruck.“
Brockhaus 2010, S. 7146.
Die Grünen sind unter formalen Gesichtspunkten im Bundestag eine Oppositionspartei. Die Regierung hätt's eigentlich nötig.
Mittlerweile melden sich aber immer mehr Würdenträger der grünen Partei und meinen, sie sollte die erodierende FDP beerben. Man solle die liberale Partei in Deutschland sein, Ökologie und Ökonomie miteinander versöhnen, für echten Wettbewerb eintreten und dem Staatsdirigismus der Großen Koalition Einhalt gebieten usw. etc. pp. Damit sei man auch für Liberale wählbar. Die Zeit der Trauerarbeit sei vorbei, man solle sich lieber der inhaltlichen Neuausrichtung zuwenden.
Das ist Opportunismus in Reinkultur.
Waren die Grünen zur Wahl noch damit angetreten, wenigstens den Schuldenabbau durch Steuererhöhungen (bei den eher Wohlhabenden) zu bestreiten und somit weitere Kürzungen (Kultur, Soziales, Bildung) zu vermeiden, sollen sie nunmehr vollends auf den gescheiterten Trip des Neoliberalismus gebracht werden. Ökologisch, versteht sich.
Das wäre, nachdem schon der Pazifismus und jeglicher gesellschaftskritischer Impetus über Bord geworfem worden sind, der Weg in die gesellschaftspolitische Unbedeutendheit.
Dabei stehen Frieden, die Wiederherstellung des Sozialstaates, die (echte) Reform des Bildungswesens, insgesamt vernünftiges Handeln und die Vermenschlichung des gesellschaftlichen Lebens mehr denn je auf der politischen Tagesordnung.
Die Grünen kommen darin nicht vor, wenn sie meinen, sie müßten vollends zur Markt-Partei werden. Sie müßten eigentlich nur mehr in die Gesellschaft schauen – historisches Bewußtsein täte auch nicht schaden – als in den Spiegel, um zu erkennen, daß sie immer mehr aus der Zeit geraten.
Die Zukunft gehört dem sozialen Fortschritt und menschenwürdigen Lebensbedingungen.
Politische Eitelkeit kann auch heiter genommen werden.
Zurück zum Anfang„Ob die Affen einen Präsidenten haben? Und eine Reichswehr? Und Oberlandesgerichtsräte? Vielleicht hatten sie das alles, im fernen Gibraltar. Und nun sind sie eingegangen, weil man es ihnen weggenommen hat. Denn was ein richtiger Affe ist, der kann ohne so etwas nicht leben.“
Kurt Tucholsky, „Affenkäfig“, 1924.
„Inklusion ist ein Modewort geworden. Es geht dabei aber nicht um Modisches, sondern um Wichtiges, um Demokratisches: um die Eingliederung der Menschen mit Behinderung in die normale Alltagswelt – so gut es nur geht.
Inklusion heißt Abbau von Barrieren und Zugänglichkeit – und zwar nicht nur zu Gebäuden und Verkehrsmitteln. Es ist kein bautechnisches, sondern ein gesellschaftspolitisches Prinzip. Gemeint ist die Zugänglichkeit der Gesellschaft insgesamt, die Integration im Arbeits- und Freizeitleben. Inklusion heißt Anerkennung und Wertschätzung für Menschen mit Behinderungen.“Heribert Prantl, „Soziale Stärke“, „Süddeutsche Zeitung“ („SZ“), 16.6.’14.
„Eine Gleichheit und Freiheit festsetzen, so wie sie sich jetzt viele Menschen gedenken, das hieße ein elftes Gebot geben, wodurch die übrigen zehn aufgehoben würden.“ (153)
Georg Christoph Lichtenberg, „Sudelbücher“, Heft K, 1793-1796.
Inklusion ist nicht nur ein Modewort geworden, sie soll auch nichts kosten, also eigentlich nicht stattfinden. Das wird vorrangig im Schulbereich deutlich, wo in Hamburg insbesondere die Stadtteilschulen Inklusionsaufgaben ohne ausreichende Mittel und qualifizierte Pädagoginnen und Pädagogen realisieren sollen – Kritik daran gilt bei den dafür politisch Verantwortlichen gemeinhin als bloße Nörgelei, besserenfalls wird eher beschwichtigt. Folgelosigkeit ist die Folge.
Gegen echte Inklusion und soziale und kulturelle Verbesserungen hat zur Zeit (noch) die Kürzungspolitik (Austerität/„Schuldenbremse“) Vorrang, um die Banken zu bedienen; zudem wird politisch die Ideologie der Tüchtigkeit vertreten, wonach sich nur recht ordentlich anzustrengen sei, um – wie sinnvoll auch immer – Leistungen zu erbringen, die dem inneren und äußeren Wettbewerb dienen. (Insofern geht Inklusion Alle an, denn es geht darum, in welcher Gesellschaft wir eigentlich leben wollen.)
Dabei wird geflissentlich unterschlagen, daß wir in einem Gemeinwesen leben, daß vor nicht allzu langer Zeit schon ein höheres Maß an Sozialstaatlichkeit und solidarischer Praxis realisiert hat und daß aktuelle Erkenntnisse ergeben, wie sehr das gestiegene Problem sozialer Ungleichheit zu wachsender gesellschaftlicher Unproduktivität führt. Hartz IV ist eben nicht nur Armut und Demütigung per Gesetz, sondern kostet auch hohen bürokratischen und nutzlosen Aufwand.
Sozial und solidarisch ist eine Gesellschaft, wenn der Sozialstaat seinen Namen verdient – man nicht die Polizei oder die Mahnbescheide auf Alle loßläßt – und die aufgeklärten Erkenntnisse der Wissenschaft für die Kultivierung der menschlichen Lebensverhältnisse angewandt werden.
Das bedeutet immer, diese Aufgaben auch ausreichend öffentlich zu finanzieren.
Die Zeit dafür ist: immer. Inklusion bedeutet die Anerkennung des Menschen.
Zurück zum Anfang„Die bürgerliche Revolution muß sich ins Ökonomische fortentwickeln, die liberale Demokratie zur sozialen werden.“
Thomas Mann, „Meine Zeit“, 1950.
„Auf die Aufrüstung der Bundeswehr mit bewaffneten Drohnen kann nur verzichten, wer weitere Auslandseinsätze ausschließt. Wer sie aber für möglich hält, muss die Soldaten mit dem Besten ausstatten,was auf dem Rüstungsmarkt zu bekommen ist – und zwar nicht erst zum Ende eines Einsatzes hin. Drohnen sind wichtige taktische Systeme, deren Bedeutung für den Schutz der eigenen Soldaten noch zunehmen wird.“
Berthold Kohler, „Angst und Schrecken“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ („FAZ“), 3.7.'14, Leitkommentar.
„Der Freitag hat noch einmal nachgefragt. Das Meinungsforschungsinstitut TNS Emnid kommt zu einem eindeutigen Ergebnis: 78 Prozent der Deutschen sind dagegen, dass Deutschland in der Welt größeres militärisches Engagement zeigt. 63 Prozent sind dagegen, dass die Bundeswehr mehr Geld für ihre Aufgaben erhält.“
Jakob Augstein, „Der Freitag“, 3.7.'14, Leitkommentar.
Der damalige (2004-2010) Bundespräsident Horst Köhler hat, in einem Moment mangelnder Wachsamkeit, ausgeplaudert, worum es eigentlich geht: „In meiner Einschätzung sind wir insgesamt auf dem Wege, in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe, mit dieser Außenhandelsabhängigkeit, auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren – zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch negativ auf unsere Chancen zurückschlagen, bei uns durch Handel Arbeitsplätze und Einkommen zu sichern. Alles das soll diskutiert werden – und ich glaube, wir sind auf einem nicht so schlechten Weg.“
(Zitiert nach www.tagesschau.de, 11.6.'10)
So, so: Das, was hier unverhüllt zum Ausdruck kommt, steht seit den 1990er Jahren in den „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ der Bundesrepublik und wird seitdem fortgeschrieben. – Und stets bemäntelt mit der Verteidigung „westlicher Werte“ und der „Menschenrechte“. Export ist in diesem Zusammenhang ein kriegerisches Wort für aggressives ökonomisches und politisches Handeln, zu dessen profitablen Zwecken militärische Mittel verkauft und eingesetzt werden.
Dagegen gilt tatsächlich der Vorrang – sogenannte Traumtänzerei – des Zivilen: die Konversion der Rüstungsproduktion, das Verbot von Waffenexporten (zumindest in Spannungsgebiete), die Beendigung von Kriegen, die zivile Konfliktregulierung (Vorrang der Diplomatie und politische Lösungen), die Wiederherstellung des Asylrechts im Grundgesetz, keine Bundeswehragitation an Schulen und Arbeitsämtern, die Rekonstruktion des Sozialstaates und eine aufgeklärte demokratische Gesellschaft.
In diesem Zusammenhang stehen auch die Bemühungen um eine Zivilklausel für die Hochschulen.
„Die Kenntnis um die tendenzielle Entwicklung der Anforderungen an das Qualifikationsniveau künftiger Berufsanfänger ermöglicht es, eine Konzeption für eine bedarfsgerechte Weiterentwicklung des Erwerbspersonenpotentials zu erarbeiten. Im Rahmen der Fachkräftestrategie des Senats wird die Situation der Fachkräfte in Hamburg laufend einem Monitoring unterzogen, an dessen Präzisierung gearbeitet wird.“
„Strategische Perspektiven für die hamburgischen Hochschulen“, 17.6.'14, S. 10.
„›Du verfluchter Kriegsverlängerer, du verfluchter Kriegsverlängerer‹ murmelt der Zug, indem er seine Wege rattert, und skandiert diesen Satz im Gebein dessen, der in diesem Güterwagen liegt, ohne eine Schütte Stroh als Unterlage zu haben, wie man sie hinzubreiten pflegt, wenn man diese Wagen ihrer zubestimmten Aufgabe zuführt, achtundvierzig Menschen – einfach Mann genannt – oder sechs Pferde von der Stelle zu schleppen. Um ebensoviel Offiziere zu verfrachten, braucht man mindestens acht Kupees zweiter Klasse – im Kriege nämlich.“
Arnold Zweig, „Der Streit um den Sergeanten Grischa“, Drittes Kapitel „Der Waggon“, 1927/1977, S. 31.
„Wie nun in der bürgerlichen Gesellschaft ein General oder ein Banker eine große, der Mensch schlechthin dagegen eine sehr schäbige Rolle spielt, so steht es auch hier mit der menschlichen Arbeit.“
Karl Marx, „Das Kapital“, Erster Band, 1. Kapitel „Die Ware“, Hamburg 1890, Marx-Engels-Werke (MEW), Band 23, S. 59.
Der Hamburger Senat hat ein sogenanntes Strategiepapier für die Hamburger Hochschulen vorgelegt, das offiziell von der Wissenschaftssenatorin Dorothee Stapelfedt verantwortet wird, aber eigentlich von Bürgermeister O. Scholz autorisiert ist und höchstwahrscheinlich aus der Feder des Leiters des Hochschulamtes, Herrn Datzer, stammt. (So muß die Senatorin Schelte einstecken, die sie so gar nicht verdient hat.) Hier geht es um Sinn und Perspektive der Wissenschaften. Die Hochschulen sind dabei, dazu Stellung zu beziehen.
Nun aber zur Schelte:
Der SPD-regierte Senat führt – in leicht gemäßigter Form – das Erbe der vorherigen CDU-Senate fort. Dieses besteht im Wesentlichen in den neoliberalen Hochschuldeformen von „Wissenschaftsmanager“ Jörg Dräger (Amtszeit von 2001-2008), der mittlerweile Geschäftsführer des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE), einer gemeinsamen Einrichtung der Bertelsmann Stiftung und der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), ist. Leitbild seiner hochschulpolitischen Maßnahmen war die „Unternehmerische Hochschule“. Zu seinen Maßnahmen gehörten die Einführung von Studiengebühren, die Zerteilung der Universität in Fakultäten, die rigide Einführung von Bachelor und Master, die Entfernung demokratischer Strukturen sowie die Fortsetzung der chronischen Unterfinanzierung.
Mittlerweile sind die Studiengebühren abgeschafft, werden die Ba-Ma-Studiengänge reformiert und durch das neue Hochschulgesetz wieder neue Beteiligungsstrukturen vorgesehen.
Bei der „Unternehmerischen Hochschule“ tut sich der politische Senat aber nach wie vor schwer: Das „Humankapital“ heißt nun „Erwerbspersonenpotential“. Mit diesem Terminus wird die wissenschaftliche Bildung auf die Nachfrage „der Wirtschaft“ reduziert.
Weit darüber hinaus gehen die positiven Reformbemühungen der Unisversität selbst, die in ihren Leitbild von 1998 klar und deutlich gefaßt sind:
„Bildung mündiger Menschen
Ihren Bildungsauftrag sieht die Universität in der Entwicklung von Sachkompetenz, Urteilsfähigkeit und der Fähigkeit zu argumentativer Verständigung auf wissenschaftlicher Grundlage. Für alle Menschen will sie ein Ort lebenslangen Lernens sein und ein öffentlicher Raum der kulturellen, sozialen und politischen Auseinandersetzung.“
Wir werden weiter daran arbeiten.
Zurück zum Anfang„Eigentlich durchblickt jeder, was da an Blendwerk betrieben wird, um zu vertuschen, wie wenig der Vortragende zu sagen hat oder preisgeben will. (…) Der ganze Powerpoint-Zirkus sei nicht nur nervig, sondern schädlich, schrieb schon 2003 der Yale-Professor Edward Tufte in einem Artikel mit der Überschrift ‚Powerpoint is evil‘. Powerpoint ist grausam. Und nicht nur das: Powerpoint macht dumm, behauptete der Emeritus für Statistik, Grafik-Design und politische Ökonomie.“
Bettina Weiguny, „Der Powerpoint-Irrsinn“, „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ („FAS“), 13.7.'14, S. 17.
„Kompetenzen ohne Bildung – geht das?
Ja, leider, weil man Kompetenzen auch ohne Inhalte trainieren kann. Bildung ist etwas anderes. Der sich Bildende sucht die Auseinandersetzung mit dem Fachinhalt, will den Inhalt verstehen, Zusammenhänge erkennen und Neuland entdecken. Kurz – er denkt selber. Das selbständige Denken wird durch Kompetenzen aber weniger gefördert. Hier geht es vielmehr um Anpassung und trainierbare Fertigkeiten.“Jochen Krautz, Prof. der Didaktik (Uni Wuppertal), im Interview mit der „Neuen Zürcher Zeitung“ („NZZ“), 14.7.'14.
„Symbol für den rationalistischen Irrglauben ist der Homo oeconomicus, jenes Zerrbild eines überrationalen, allwissenden und ständig optimierenden Wesens. Dieses wahrlich unsympathische Geschöpf ist gierig, selbstsüchtig und misstrauisch. Es besitzt eindeutige und quantifizierbare Präferenzen. Es ist mehr Computer als Mensch. Alles, was den Homo oeconomicus interessiert, ist sein eigener Nutzen. Je größer der Profit, desto größer der Nutzen.“
Benedikt Herles, promovierter Ökonom, Autor und Berater, „Die kaputte Elite“, München 2013, S. 47.
Kompetenz oder Bildung? Das ist fast eine rhetorische Frage.
Bildung hat den Maßstab mündiger Menschen. Mündige Menschen sind streitfähig. Streit ist erforderlich für das (ggf. heitere) Verlassen von Fehlern und Irrtümern. Der Ausgang der Menschheit aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit ist ein zu verwirklichender Kernsatz der Aufklärung. Mündige Menschen sind unerläßlich für die Lösung sozialer und kultureller Probleme der Gesellschaft. Die Wissenschaften sind – idealtypisch – die Produktionsgemeinschaft mündiger Menschen. Politisches Denken und Handeln ist dabei keine Schande. Somit ist die Einheit von Persönlichkeitsentwicklung und Schaffung von Allgemeinwohl Entwicklungsmaßstab für die Hochschulreformen.Was zu realisieren ist.
Das betrifft die bedarfsgerechte Hochschulfinanzierung – nicht gegen die, sondern mit anderen öffentlichen Einrichtungen –, die Erweiterung demokratischer Strukturen, die Kooperativität von Lehr- und Lernformen, die Behandlung von relevanten Themen, das lernende Lehren, die Gleichberechtigung aller Hochschulmitglieder sowie das streitbare Eingreifen (z.B. in Friedensangelegenheiten) in die Gesellschaft.
Dagegen steht (nicht nur) in Hamburg die politische Bockigkeit der SPD, die sich nur recht wenig von der Handelskammer, der „Schuldenbremse“, der „Unternehmerischen Hochschule“ bzw. von ihrer Mehrheitsborniertheit (Sitze) und Bevölkerungsferne (Distanz zu sozialen und kulturellen Bedürfnissen) lösen will.
Die Auseinandersetzung wird weiter gehen. Die Hochschulen können dabei eine positive Rolle spielen. Und: Es sind ja auch bald Neuwahlen für die Bürgerschaft. Auf denn.
Zurück zum Anfang„Und so saßen die Bundesbanker im zweiten Stock der DGB-Zentrale in Berlin-Mitte etwa einem Dutzend Ökonomen, Arbeitsmarkt- und Tarifexperten aus den Einzelgewerkschaften und ihrer Dachorganisation gegenüber.
Sieben Stunden lang diskutierten die Teilnehmer über die Folgen des neuen Mindestlohns, über den Arbeitsmarkt, die Zukunft der Rente und einen Marshallplan für Europa, ein Anliegen, das den Gewerkschaftern besonders am Herzen lag.
Doch auch die Bundesbanker hatten ein Lieblingsthema. Sie wollten nicht nur wissen, wie die Gewerkschafter auf die Höhe ihrer Lohnforderungen kommen, sie gaben den Funktionären zu verstehen, diese sollten bei künftigen Tarifrunden nicht mehr so bescheiden auftreten wie bisher. Nach Jahren der Lohnzurückhaltung, ließen die Währungshüter durchblicken, sei es nun an der Zeit, Löhne und Gehälter deutlich zu erhöhen.“Markus Dettmer, Christian Reiermann, „Ende der Bescheidenheit“, „SPIEGEL“ 30/2014, S 58ff.
Lohnzurückhaltung ist eigentlich nie richtig. Sie minimiert die gesellschaftliche Kaufkraft und die Lebensqualität der Lohnabhängigen; sie reduziert die Steuereinnahmen und damit mögliche bedarfsgerechte Einnahmen für Soziales, Gesundheit, Bildung und Kultur; sie schränkt die Zahlungen in die Sozialkassen ein; sie drängt zu Mehrarbeit und Arbeitsverdichtung, welche zu negativem Streß führt sowie zusätzlich die Konkurrenz am Arbeitsplatz bzw. auf dem Arbeitsmarkt erhöht; sie verengt die Möglichkeiten, Exportwaren zu erwerben; sie macht mehr und mehr bescheiden, sie schafft also massenweise Verdruß. Lohnzurückhaltung ist demnach grundsätzlich von Übel.
Wenn also die Bundesbanker gegenüber den Gewerkschaftern anregen, bei künftigen Lohnforderungen den „volkswirtschaftlichen Verteilungsspielraum“ voll auszuschöpfen, dann geht es ihnen nicht nur um eine ausbalancierte Inflationsrate und um die Steigerung der Massenkaufkraft (was für sie neu ist), sondern sie geben damit auch einer gesellschaftlichen Notwendigkeit der ökonomischen Entwicklung nach, die als Einsicht mehr und mehr in der Bevölkerung zum Ausdruck kommt.
Damit wird deutlich, daß wir uns am Ende der Bescheidenheit befinden. Eine neue Etappe der Entwicklung respektive Verwirklichung von berechtigten sozialen und kulturellen Ansprüchen beginnt.
Das betrifft ebenso die nachhaltige Infragestellung der „Schuldenbremse“, d.h. die überfällige und erforderliche öffentliche Finanzierung entsprechender Einrichtungen.
Wir können uns auf den Weg machen.
Brav zu sein hat sich geschworen
Deutscher Michel, war oft bang.
Esel haben auch zwei Ohren,
In der Regel sind sie lang.
Dennoch ist der Mensch kein Langohr,
Hat zwei Beine und Verstand;
Kann verlassen das Verliestor,
Kann verändern allerhand.
Darum ist stets zu bedenken –
In der Regel nicht allein –,
Wohin wir die Schritte lenken,
Um von Last befreit zu sein.
Meisten gibt uns mehr Vergnügen
Freiheit, Gleichheit, die versteht
Man als Kontra gegen Lügen –
Schlicht als Solidarität.
„Spricht einer über Rußland anders als schimpfend, dann wird er schief angesehn. Nimmt er die Russen gar ernst und lobt ihr ungeheures Werk, so heben die Leute im Salon den Kopf, wie wenn er einen Wind gelassen habe, und gehen naserümpfend von ihm fort, – ausgestoßen sei er!
Es ist schon so, dass durch die Verdummungsarbeit der Presse, durch die Beeinflussung der Kirchen und die eigne Denkfaulheit der Mann von der Straße in Frankreich, Schweden, England und der Schweiz sich die Russen immer noch so vorstellt, wie sie das anti-bolschewistische Plakat der Jahre 1919/1920 abgebildet hat: blutgierig, das Messer zwischen den Zähnen, in Lumpen gehüllt und jederzeit bereit, sich auf ganz Europa zu stürzen.
Hinter diesem Plakat lassen sich die herrlichsten Geschäfte machen. Und sie werden gemacht.“Kurt Tucholsky, „Schnipsel“, 1932.
„Der russische Präsident steht enttarnt da, nicht mehr als Staatsmann, sondern als Paria der Weltgemeinschaft.“
„Ende der Feigheit“ „SPIEGEL“ 31/2014, Leitartikel, S. 10.
Die Paria werden die „Unberührbaren“ genannt; die so genannten Menschen gelten als niedrig und gehen schlechtest bezahlter Arbeit nach. Ihre soziale Existenz bzw. die Bezeichnung „Paria“ ist diskriminierend.
Während der „SPIEGEL“ mit massivem Ressentiment („Stoppt Putin jetzt!“) titelt, warnt Jakob Augstein – einhundert Jahre nach Beginn des Ersten Weltkrieges – vor eskalierender Stimmungsmache: „Rache liegt in der Luft. Wo sonst Vernunft herrscht, ist jetzt Wut. Aber Rache ist ein gefährliches Spiel und Wut kein guter Ratgeber.“ und mahnt zur Vernunft: „Und sie [die verantwortlichen Politiker der BRD] tun Recht daran, sich mit (Vor-)verurteilungen an die Adresse Moskaus zurückzuhalten. Russland ist ein Machtfaktor im Osten, mit dem wir rechnen müssen. So oder so.“ („SPIEGELONLINE“, „Warum die Schuldfrage nicht weiterführt“, 24.7.’14.)
Der Ursprung des heftigen Konfliktes in der Ukraine ist in den starken sozialen Spannungen des Landes zu finden. Diese Spannungen werden durch den Druck der EU, die sich gen Osten auf neoliberale Weise ausweiten will, noch erhöht. Die Einheit von Oligarchen, Militär und Nationalisten, die gegen angemessene soziale und demokratische Forderungen aus der Bevölkerung stehen, mobilisiert antirussische Vorurteile, um von der notwendigen Verbesserung der gesellschaftlichen Lebensbedingungen abzulenken.
Die EU will in Richtung der ehemaligen Staaten der UdSSR expandieren und sich mit der „NATO-Osterweiterung“ verbinden, obwohl zu Beginn der 1990er Jahre die Übereinkunft zwischen West und Ost galt, die Osterweiterung zu unterlassen. Das ist der Sinn der publizistischen Propaganda.
Dagegen gelte: Dialog statt Sanktionen, Diplomatie statt Militär, Sozialstaat statt Privatisierungen und: Die Waffen nieder!
Deshalb ist zu verwirklichen:
Aufklärung, Frieden und sozialer Fortschritt sind die Alternative zur Gewalt.
Zurück zum Anfang„SPIEGEL: Der Historiker Heinrich August Winkler hat kürzlich gesagt, es sei ein pathologischer Lernprozess, wenn die Deutschen aus dunklen Kapiteln ihrer Geschichte den Schluss ziehen, sich nicht in einer weltpolitischen Nische zu verstecken.
Käßmann: Was soll daran pathologisch sein? Sind die Schweizer pathologisch? Oder die Schweden? Ich fände es gut, wenn wir als Konsequenz aus den Schrecken des 20. Jahrhunderts sagen: Wir beteiligen uns nicht an Kriegseinsätzen.“Margot Käßmann (ehemalige EKD-Vorsitzende) im „SPIEGEL-Gespräch“, „SPIEGEL“ 33/2014.
„Mars ist blind und hat keinen Kopf. Er hat nur einen Helm.“
Kurt Tucholsky, „Der Leerlauf eines Heroismus“, 1930.
Die militärische Interventionspolitik der USA – für Öl und geostrategischen Vorrang –, speziell der Präsidenten Bush senior und Bush junior, hat im Irak ein Desaster hinterlassen: Kriegstote, Leid, soziales Elend und eine zerstörte Infrastruktur und kaum wieder hergestellte Institutionen des öffentlichen Lebens. Der völkerrechtswidrige Einmarsch von US-Truppen hat auch die Terrorgruppen des „Islamischen Staates“ (IS) hervorgebracht.
Nun ist es zunehmend falsch, den brutal ausgetragenen Konflikt im Irak durch weitere Militarisierung zu eskalieren.
Stattdessen sollten direkte Konfliktregulierung, die politische De-Eskalation sowie die massive humanitäre Hilfe an erster Stelle der Maßnahmen der Weltgemeinschaft stehen. Das muß ebenso die offene Aufnahme von Flüchtlingen aus dem (Bürger-)Kriegsgebiet einschließen.
Im Weiteren muß sich die internationale Gemeinschaft unter dem Dach der UNO und im Rahmen des Völkerrechts ernsthaft zivilisiert zusammentun, um eine Entwicklungsstrategie für die (selbst geschaffene) Krisenregion zu entwickeln. Das ist adäquates Handeln.
Speziell die Bundesregierung – auch wenn es Christ- und Sozialdemokraten schwer fällt – sollten das historisch bewußte Credo von Frau Käßmann politisch beherzigen und sich auf humanitäre Hilfe sowie zivile Konfliktregulierung beschränken und strikt Waffenlieferungen in die Krisenregion oder gar eine Beteiligung an militärischen Interventionen unterlassen.
Das Vernünftige wird allerdings nicht von allein geschehen. Rationale Friedenspolitik bedarf der massiven Nachhilfe durch die Bevölkerung(en), die sichtbar, artikuliert und begründet ist.
Nicht nur aus den enormen Verheerungen von zwei Weltkriegen und den desaströsen Militärinterventionen der beiden letzten Jahrzehnte, sondern auch aus der Geschichte der Friedensbewegung ist zu lernen. Sie allein hat Zukunft.
Die Macht sagt:
Du darfst alles tun, was ich will.
Die Vernunft antwortet:
Wir brauchen andere Verhältnisse.
„Die Bundesregierung ist die Bundesregierung, sie ist kein Wirtschaftsunternehmen und schon gar kein Rüstungskonzern. (…) Aber eine Bundesregierung kann die Grundsätze, die sie bei kommerziellen Waffengeschäften anzuwenden hat, bei nicht-kommerziellen Exporten nicht vernachlässigen.“
Heribert Prantl, „Gefährlicher Alleingang der Regierung“, „Süddeutsche Zeitung“ („SZ“), 16.8.’14.
„Es herrscht Krieg. Niemals seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs traf das mehr zu als heute. Das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung zählt mehr bewaffnete Konflikte denn je. Eine neue Kultur des Krieges ist auf dem Vormarsch. Auch Deutschland soll die Bomben wieder lieben lernen. Politiker und Medien wollen den Deutschen ihren Pazifismus abgewöhnen. Wer Gewaltlosigkeit predigt wie Margot Käßmann wird zur lächerlichen Figur gemacht. Wir müssen dem Einhalt gebieten. Die Zyniker, die nur noch den Krieg denken können, nicht mehr den Frieden, haben den Kampf um unsere Köpfe begonnen. (…) Es gibt eine Alternative. Sie lautet: ‚Wenn du den Frieden willst, bereite den Frieden vor.‘“
Jakob Augstein, „Waffen! Waffen! Waffen!“, „SPIEGELONLINE“, 14.8.’14.
Intensive Propaganda, Vorbereitungen hinter den Kulissen, politische Tabubrüche und Gefahren schaffende Eskalation: Erst werden Hilfsgüter geliefert, dann defensives Militärgerät, dann sollen – in Absprache mit anderen europäischen Ländern – offensive Waffen geliefert werden.
Die Kriegsspirale wird weiter gedreht.
Heribert Prantl hat (im legalen wie im legitimen Sinne) recht, wenn er darlegt, daß das Grundgesetz (Artikel 26, Absatz 1) nach dem Grundsatz des „friedliche(n) Zusammenleben(s) der Völker“ Angriffskriege verbietet und daß das Kriegswaffenkontrollgesetz sowie das Außenwirtschaftsgesetz strenge Kriterien für Waffenexporte anlegen. Zudem ist ihm zuzustimmen, daß eine enge Kabinettsentscheidung (Kanzlerin, Außenminister, Wirtschaftsminister, Finanzminister) unter Umgehung des Parlamentes wahrlich nicht demokratisch genannt werden kann.
Darüber hinaus ist keineswegs einzusehen, daß die kriegerische Eskalation Frieden, Freiheit, zivile Entwicklung und allgemeine Wohlfahrt fördern soll.
Friedenspolitik hingegen bedeutet, daß man – im Bewußtsein des eigenen Schadens, den man bereits angerichtet hat – alles unternimmt, um den Krieg zu stoppen, im Keim zu ersticken. – Damit die Menschen Luft bekommen.
Das bedeutet konzeptionell und praktisch ganz gewiß: Humanitäre Hilfslieferungen, Sicherung und Aufnahme der Kriegsflüchtlinge, keine Waffenlieferungen, politische Ächtung der aggressivsten Kriegspartei, Aufnahme von Verhandlungen, Entwicklung einer internationalen Friedensordnung für die Krisenregion. Vernünftig ist, was zu gewaltfreien Lebensverhältnissen der Menschen führt.
Der Kriegspropaganda, die immer Unheil stiftet, ist massiv zu widersprechen. Unser Handeln schafft Tatsachen.
Zurück zum Anfang„Du. Mann an der Maschine und Mann in der Werkstatt. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst keine Wasserrohre und keine Kochtöpfe mehr machen – sondern Stahlhelme und Maschinengewehre, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!“
Wolfgang Borchert, „Dann gibt es nur eins!“, 1947.
„Je nach Umfrage sind zwischen sechzig und achtzig Prozent der Deutschen gegen deutsche Waffenlieferungen an die Kurden. Diese Umfrage-Deutschen wollen jedoch partout nicht zu Demo-Deutschen werden, und weit und breit sind auch keine Nachfahren von Petra Kelly oder Gert Bastian auszumachen, die ‚Frieden schaffen ohne Waffen‘ rufen, also das Kategorische, Prinzipielle der pazifistischen Position geltend machen würden.
Weil das so ist, kann die Verteidigungsministerin einen Strukturwandel der Öffentlichkeit registrieren. Man diskutiere jetzt offener, sagt sie und meint: ungestört von pazifistischer Prinzipienreiterei. Umgekehrt stellt Frau von der Leyen klar, dass der diskursive Durchmarsch der Verantwortungsvokabel keine bellizistische Lizenz bedeutet: ‚Dass wir inzwischen parteiübergreifend offener diskutieren, ist keine Militarisierung der deutschen Politik.‘ Die jetzige Entscheidung, beteuert sie, ziehe keinen Automatismus nach sich, in beliebige Krisengebiete deutsche Waffen zu liefern.
Und doch ist im pazifistischen Diskursfeld nun eine militärische Spur gebahnt, wie die Ministerin ohne triumphierende Gesten einräumt.“Christian Geyer, „Pazifismus – ein Abgesang“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ („FAZ“), 1.9.’14, S. 9.
„Es ist ein bekannter Fluch des Kapitalismus, die Bedürfnisse der Welt nach den wirtschaftlichen Forderungen der Liefernden zu regeln. Nicht ob du Zahnbürsten brauchst, ist das wesentliche, sondern daß es eine Fabrik gibt, die ihre Million Zahnbürsten im Jahr absetzen muß. Und bist du nicht willig, so braucht sie Gewalt, von der Reklame bis zum Zoll.“
Kurt Tucholsky, „Offiziere“, 1920.
Noch einmal sei es gesagt und gepfiffen: Humanitäre Hilfslieferungen – ja; die offene Aufnahme von Kriegsflüchtlingen – ja; strikte diplomatische Verhandlungen – ja; die Schaffung einer internationalen Friedensordnung für die Krisenregion(en) unter dem Dache der UNO – ja, denn der Pazifismus ist ein kritischer Ja-Sager. Tucholsky hat immer noch recht.
(Übrigens sollte ebenso das Asylrecht im Grundgesetz wieder hergestellt werden!)
Die Bundesregierung (!) liefert Waffen: 16.000 Gewehre, 8.000 Pistolen, 240 Panzerfäuste und 30 Panzerabwehrraketen- Werfer an eine kurdische Brigade gegen den „Islamischen Staat“ (IS). Dies soll nicht die letzte Lieferung sein.
Damit ist ein positives politisches Tabu – 100 Jahre nach Beginn des Ersten und 75 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkrieges, fast 70 Jahre nach der Befreiung vom Faschismus – gebrochen: Bundesdeutsche Waffen werden unverhohlen in ein brisantes Krisengebiet, den Irak, geliefert – gegen das Völkerrecht, bundesdeutsche Gesetze und die feste Mehrheitsmeinung der Bevölkerung.
Der Irak ist Krisengebiet, Kriegsgebiet, Ölfeld, strategisches Terrain und durch den Angriffskrieg der USA (und Großbritanniens) in seiner Infrastruktur zerstört, und die Menschen haben Tausende Tote zu beklagen und soziales Elend zu erleiden. Das Land ist in einen Zustand des Bürgerkriegs gebracht. Da helfen am wenigsten Waffenlieferungen, sondern nur ein ungebrochener friedenspolitischer Kurs.
Und nun zum Pazifismus. Am 1. September, dem Antikriegstag (Beginn des Zweiten Weltkrieges vor 75 Jahren), haben in der Bundesrepublik in 180 Städten zigtausend Menschen für den Frieden demonstriert und somit ihrer gesellschaftspolitischen Auffassung aktiv Ausdruck gegeben. Das festigt auch den gesellschaftlichen Konsens auf diesem Gebiet und steht zu der Handlungsweise der Bundesregierung im direkten Widerspruch. Dabei soll es auch bleiben.
Den „FAZ“-Redakteuren sei, frei nach Herbert Wehner (zu den CDU-Abgeordneten, die die Bundestagsdebatte verließen), mitgeteilt: „Ich sage Ihnen Prost!, weil Sie wahrscheinlich da hingehen!“
Der Ernst der Lage schließt Heiterkeit nicht aus.
Zurück zum Anfang„Die Parteispitze [der AfD] scheint zum Schluss gekommen zu sein, dass man sich öffnen muss. Man hat sich geöffnet, wie die sächsische Kampagne gezeigt hat, vor allem nach rechts. Die Art und Weise, in der mit zahllosen Anspielungen Stimmung gemacht wurde gegen das Schengener Grenzregime, gegen Tschechen, Asylsuchende und Ausländer und gegen alles, was dem konservativen Familienbild der AfD zuwiderläuft, war garstig und dem, was die Neonazis absonderten, zum Verwechseln ähnlich. (…)
Zur Hauptsache alimentierte sich die AfD aus der CDU, von der laut Infratest 33 000 Wähler kamen. Von der FDP wanderten 18 000 Wähler herüber, weniger von den Grünen (3000) und der SPD (8000). Von der NPD aber kamen nicht weniger als 18 000 neue AfD-Wähler.“Ulrich Schmidt, „Saturiertheit siegt in Sachsen“, „Neue Zürcher Zeitung“ („NZZ“), 1.9.’14.
„Und so sehen diese beiden Deutschland aus: Auf der einen Seite steht der größte Teil der herrschenden Klasse und ein erheblicher Teil des Bürgertums und noch mehr des Klein-Bürgertums. Die sittliche Beschaffenheit dieser Kreise ist im heutigen Deutschland geradezu erschreckend. Nicht, als ob sie jene große sittliche Verworfenheit des alten Rom hätten – Gott bewahre.
Es sind fast alles Spießer – kleine Naturen, denen das Geld und die Geltung am höchsten stehen – denen die innere Gestaltung nichts und die äußere Form alles ist. Allen gemeinsam ist der unbeirrbare Glaube an die rohe Gewalt. “Die Kerle müßten an die Wand jestellt wern!„ – das ist so das Rezept, nach dem die soziale Frage gelöst wird. Sie haben ferner fast alle die Überzeugung, dass der gut gebadete Mensch auch der bessere Mensch überhaupt ist. (Obgleich die Körperpflege des deutschen Durchschnittsbürgers noch sehr zu wünschen übrig läßt.) ›Arm‹ und ›schlecht‹ – das sind für sie dieselben Begriffe.“Kurt Tucholsky, „Die beiden Deutschland“, 1922.
Die sächsische Momentaufnahme macht deutlich – es gibt sie noch, die alten Gegensätze: Links/Rechts – Egalitär/Elitär – Progressiv/Regressiv – International/National – Pazifismus/Bellizismus – kulturelle Souveränität/Gehorsam – Kooperation/Konkurrenz – Solidarität/Einzelkampf – geistige Aufgeklärtheit/normative Dogmen – Sozialstaat/Ordnungsstaat – kritisches Geschichtsbewußtsein/Unmittelbarkeit des Moments – Humanismus/Technokratismus – alles in allem: umfassend menschenwürdig oder pur verwertungstauglich. Politische Kräfte wie die AfD – leicht links von der NPD, leicht rechts von der CDU – dienen vorrangig der Irritation. Sie sollen die (drohende) emanzipatorische Dynamik in der Gesellschaft behindern.
Gefährlich gemutlich daherkommend – mit kräftigen kulturellen Anleihen aus den 1950er Jahren –, vertreten sie den starken Nationalstaat, Ausländerfeindlichkeit, Austeritätspolitik und Kinder, Küche, Kirche. Es läßt sich also von einer Mischung aus konservativen, neoliberalen und rechtspopulistischen Elementen in ihrer Programmatik sprechen.
Gesellschaftliche Probleme sollen rundum rechts „gelöst“ werden. Rechts ist somit da, wo der Daumen links ist, und der zeigt eindeutig nach unten.
In der Mehrheit der Bevölkerung bricht sich hingegen immer mehr die Auffassung Bahn, daß gesellschaftliche – auch internationale – Probleme nur in progressiver Tendenz (Frieden, Sozialstaat, Demokratie, Bildung) gelöst werden können. Die Maßstäbe sind klar gesetzt.
Wichtig ist nun, diese Tendenz zu verstärken. Daran können sich sehr Viele beteiligen. Man kann dabei seinen eigenen Anliegen folgen. Es mag schon damit beginnen, darüber zu sprechen. Manchmal entsteht dabei Erstaunliches. Dem ersten Schritt dürften weitere folgen.
„Erstaunlich und aller Achtung wert ist es, dass der Arbeiter nach seinem Achtstundentag, den sie ihm jetzt auch noch entreißen wollen, überhaupt noch Zeit und Kraft aufbringt, sich um geistige Dinge zu kümmern.“
Kurt Tucholsky, a.a.O.
Nicht zu vergessen ist dabei: Wir sind weiter als 1922.
Zurück zum Anfang„Das Wort Liberalität hat seine Konturen verloren, seitdem die FDP ihre Konturen verloren hat – aber das ist schon gut dreißig Jahre her, das war die Zeit, als sich die FDP noch als den politischen Hüter des Rechtsstaats begriffen hat, als sie sich mit Stolz Rechtsstaatspartei nannte. Diese Zeit ging zu Ende, als die FDP 1995 dem großen Lauschangriff zustimmte und ihr Heil dann in einem billigen Neoliberalismus suchte.
Wenn Datensammelwahnsinn grassiert, wenn also das Abhören von Handys, das Anzapfen von Computern, das Horten und Verwerten von privatesten Daten durch Geheimdienste und Internetkonzerne zum Alltag wird; wenn die Grundrechte auf dem Weg der Gesellschaft in die Internetwelt nur noch bettelnd am Wegesrand stehen; wenn vom Stolz auf die Bürgerrechte im politischen Alltag nichts mehr zu spüren ist; wenn das Asylrecht, das einst ein Leuchtturm war, zum Teelicht verkümmert; wenn auf die zugewanderten Neubürger in Deutschland wieder mit dem Finger gezeigt wird und von ihnen als ‚den anderen‘ geredet wird; und wenn das Wort ‚Verantwortung‘ jetzt dazu dienen soll, deutsche Waffen und deutsche Soldaten am Grundgesetz vorbei in alle Welt zu schicken – dann, ja dann wünscht man sich die Renaissance einer liberal-rechtsstaatlichen Politik.“Heribert Prantl, „Noch eine Chance für die Liberalen“, „Süddeutsche Zeitung“ („SZ“), 24.9.’14.
„Dieser Ausgleich aber [‚die Versöhnung von Freiheit und Gleichheit‘] ist niemals vollendet und endgültig erreicht, er bleibt eine immer aufs neue zu lösende Aufgabe der Humanität; und wir fühlen, daß heute in der Verbindung von Freiheit und Gleichheit das Schwergewicht sich nach der Seite der Gleichheit und der ökonomischen Gerechtigkeit, vom Individuellen also nach der Seite des Sozialen verlagert. Die soziale Demokratie ist heute an der Tagesordnung – ...“
Thomas Mann, „Das Problem der Freiheit“, 1939.
Die, wenn man so will, Blüte des Liberalismus (der FDP) in der BRD läßt sich auf die Zeit der sozialliberalen Koalition von 1969 bis 1983 datieren. Die parteilich organisierten Liberalen sahen sich positiv in einem Bündnis mit der Arbeiterbewegung (hier SPD). Bürgerrechte, Rechtsstaat und die Freiheit der Individuen wurden mit der reformerischen sozialen Progression (Sozialstaat, Demokratie, Arbeitnehmerrechte) verknüpft. Programmatisch fand der bürgerrechtliche Sozialliberalismus seinen Ausdruck in den „Freiburger Thesen“ von 1971. Die Entspannungspolitik mit den sozialistischen Ländern – auch Elemente des Antifaschismus – waren fester Bestandteil der Außenpolitik. (Eine ähnliche politische Assoziation bestand in Österreich 1983 bis 1987 zwischen SPÖ und FPÖ.) Die „Kieler Thesen“ der FDP von 1977 bedeuteten eine tendenzielle Hinwendung zum Wirtschaftsliberalismus; der Bruch mit der sozialliberalen Koalition besiegelte diesen Kurs. In den 1990er Jahren verwickelte sich die FDP in den Neoliberalismus (alles sei „Markt“). Ihr Ende ist durch das Scheitern dieser Politik voraussehbar.
So ist zu erkennen, daß Freiheit und Gleichheit im dynamischen Wechselspiel miteinander verknüpft sind. Zudem läßt ein Blick in die Geschichte deutlich werden, daß kein gesellschaftlicher Fortschritt ohne soziale und kulturelle Auseinandersetzungen zu verwirklichen ist – beispielsweise nicht ohne „’68“ und das soziale Korrektiv der sozialistischen Länder.
Heute wächst die soziale Demokratie wieder zu einer umfassenden Notwendigkeit heran. Der vermehrte gesellschaftliche Reichtum muß wieder und gesteigert für die Entwicklung des Allgemeinwohls (Löhne, Arbeit, Gesundheit, Soziales, Bildung, Kultur) politisch eingesetzt werden. In dieser Verwirklichung haben die Bürgerrechte bzw. der Rechtsstaat ihren bedeutenden Ort.
Da diese Errungenschaften nicht vom Himmel fallen, bedarf es des Engagements der Vielen für die Vielen. Nur die Mehrheit schafft für ihr Interesse den Weg aus der Krise – durch gesellschaftliche Verbesserungen, die auch ökonomisch vernünftig sind. Das Engagement für den Frieden gehört unverzichtbar dazu.
So bekommt auch das Grundgesetz – besonders mit seinen Grundrechten – wieder einen Sinn.
„Mir bricht das Herz. Ich sehe sie vor mir: schluchzende Devisenhändler, taschentuchauswringende Fondsmakler, zusammengebrochene Kommerzienräte ... nach bestem Wissen und Gewissen ... es muß furchtbar sein. Da gibts nur ein Mittel. Sich auch weiterhin der Rechtlosen anzunehmen: jener kleinen Leute, die in die Klauen der Justiz fallen, und die sich nicht wehren können. “Das Gesetz in seiner erhabenen Gleichheit verbietet Armen und Reichen, unter den Brücken zu schlafen„ – sagt Anatole France.“
Kurt Tucholsky, „Handelsteil“, 1929.
Solidarität steht also eindeutig auf der gesellschaftlichen und je individuellen Tagesordnung.
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