Sommersemester 2018

Flugblätter

Semesteranfangszeitung Sommersemester 2018

Die Liste LINKS trifft sich freitags, 16 Uhr,
im Raum des FSR Erziehungswissenschaft.
(Von-Melle-Park 8, Raum 035b)

Schuld? Verantwortung!
Der Schritt aus der Krise hinaus

„Im Laufe der Krise änderte sich die Gemütslage im Land. Die Arroganz schwand ein bisschen. Eine Gesellschaft, die korrupten Banken Gelder garantierte, fand es vermutlich verlogen, jetzt auf die Ärmsten zu schielen. Soviel Sozialmissbrauch konnte es gar nicht geben, um die Summe zu erreichen, die der Steuerzahler an Rettungszahlungen für die Finanzhäuser bereitstellte. (...) Nicht dass man auf die Idee kam, jetzt komplett umzudenken, Hartz IV zu humanisieren: So weit ging die Einsicht freilich nie. Aber Debatten über schärfere Sanktionen oder härtere Maßnahmen gab es fast keine mehr. Das Leben von Langzeitarbeitslosen wurde nicht besser, aber schon ein wenig ruhiger.
Bis die aktuelle Regierung ins Amt kam. Die hat offenbar nichts anderes im Sinn, als die alten Debatten von damals neu aufzulegen. Der Bundesgesundheitsminister scheint über das Leben der Armen bestens im Bilde zu sein: So richtig arm seien die nämlich gar nicht, meint Jens Spahn (CDU). Und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD), der nur so heißt, aber selbst nie einen richtigen Job hatte, schon direkt vom Studenten zum Abgeordneten mutierte, lässt sich über Workfare aus, plant die Neuauflage gemeinnütziger Arbeit, weiß aber ansonsten auch nichts zu Hartz IV zu sagen – außer, dass diese Jahrhundertreform ein Erfolg war.“

Roberto De Lapuente, „Die Renaissance der Hetze“, „Neues Deutschland“, 28.3.2018.

 

„HA: Sie weisen damit auf die sozialen Rahmenbedingungen hin...
Bodansky: Die grundsätzliche Frage ist, wie können diese Bedingungen so gestaltet werden, dass Menschen tatsächlich gut handeln können.
Recki: Es gehört aber zur moralischen Kompetenz, die Bewertung des eigenen Handelns nicht abhängig zu machen von anderen, sondern unter Umständen sogar Gegenkräfte gegen ein Milieu zu entwickeln.“

Die Philosophin Birgit Recki und der Sozialpsychologe Alexander Bodansky im Gespräch mit dem „Hamburger Abendblatt“, 31.3.2018., „Die Fragen des Lebens: Wann ist der Mensch gut?“.

Sicherlich: Der Mensch ist dann gut, wenn er Gutes tut (Erich Kästner). Er sollte sich dabei seines eigenen Verstandes bedienen (Immanuel Kant). Bedeutend dabei ist, auf solidarische Weise Bedingungen zu schaffen, die sozial, politisch und kulturell menschenwürdig sind (Karl Marx und Friedrich Engels). Dazu gehört unweigerlich, elende Verhältnisse in Frage zu stellen, sie nicht mitzumachen, anderes zu unternehmen und andere davon zu überzeugen – mittels des gemeinsamen Engagements in manchen Parteien, in den Gewerkschaften, den sozialen Bewegungen sowie in der betrieblichen und institutionellen Interessenvertretung (das gilt somit auch für die studentische Interessenvertretung bzw. die Akademische Selbstverwaltung).

Von der neuen „GroKo“ ist eine Verbesserung der sozialen Lage, besonders auf diesem Gebiet der Erwerbslosigkeit respektive der prekären Beschäftigung, nicht zu erwarten. Vielmehr wird seitens der Bundesregierung wesentlich an dem Hartz-IV-System – Armut und bürokratische Repression per Gesetz – festgehalten. Dieses System suggeriert die volle individuelle Schuld an der politisch organisierten Misere. Die sogenannte Eigenverantwortung soll anstatt der Solidarität, sozialstaatlicher Sicherung und tendenzieller (tariflicher und sinnhafter) Vollbeschäftigung zwingende Gültigkeit behalten. Das sei die neoliberale Fortsetzung des streng katholischen Schuldprinzips von Sünde, Angst und permanenter Devotion.

Diese drückenden Einreden sind in ihrer Wirkung aber immer schwächer geworden, da ihre Glaubwürdigkeit durch Tatsachen (reale soziale Ungleichheit), Kritik, Widerstand und alternative Forderungen für die Rekonstruktion sozialer Gerechtigkeit zunehmend in Frage gestellt worden sind. Dieses gestaltbare Verhältnis – auch zu rechten Kräften und ihren brutalen Verunglimpfungen – läßt wachsend deutlich werden, wie sehr sich das gemeinsame Engagement für die Verbesserung der gesellschaftlichen Bedingungen und Möglichkeiten lohnt. Überall. Zu jeder Zeit. Und für Alle.

Humane Wissenschaft =
kritische Wissenschaft

„Im Mittelpunkt unseres Wirkens steht der Mensch. Moderne Bildung ermöglicht ihm, sich zu entwickeln, zu zeigen, was in ihm steckt, zur eigenen Persönlichkeit zu reifen. Forschung und Wissenschaft dagegen ermöglichen Innovationen, die unser aller Leben besser machen. Erst beide zusammen ermöglichen es uns, in einer Welt des Wandels mit Mut und Vertrauen in die Zukunft zu blicken.“

Anja Karliczek (CDU), Bundesministerin für Bildung und Forschung, Bundestagsrede bei der Aussprache zur Regierungserklärung, Berlin, 22.3.2018.

 

„Demnach ist Wissenschaft quasi als solche Kritik und Selbstkritik: Aber nicht die konkurrenzbestimmte profilierungssüchtige Kritik vieler bürgerlicher Intellektueller, sondern eine Kritik zur Durchsetzung des menschlichen Erkenntnisfortschritts im Interesse aller Menschen gegen die bornierten Interessen der Herrschenden an der Fortdauer menschlicher Fremdbestimmung und Unmündigkeit.“

Klaus Holzkamp: „ Theorie und Praxis im Psychologiestudium“, Forum Kritische Psychologie, Heft 12, 1983.

Menschlichkeit, Persönlichkeitsentwicklung bzw. die Verbesserung der Lebensbedingungen – an diesen sinnvollen Maßstäben für Bildung und Wissenschaft muss sich sogar die jüngst ins Amt gerutschte neue Bundesministerin für Bildung und Forschung orientieren.

Hier finden offenkundig die positiven Ansprüche der erfolgreichen studentischen Bewegung und hochschulischen Proteste gegen Kommerzialisierung (Studiengebühren), Entdemokratisierung (wirtschaftsdominierte Hochschulräte) und Just-in-time-Ausbildung von Humankapital (Ba/Ma-System) ihren Niederschlag.

Das kleine Wörtchen „ dagegen“ verrät jedoch den konservativen Geist, der zwischen Entfaltung der Persönlichkeit und gesellschaftlicher Nützlichkeit einen Widerspruch konstruiert, weil am Prinzip der profitablen Verwertung als „Gemeinnutz“ nicht gerüttelt werden darf.

Wenn Wissenschaft und Bildung tatsächlich den Menschen in den Mittelpunkt stellen, bedeutet dies, sich mit allem anzulegen, was einer menschenwürdigen Entwicklung entgegensteht. Sozial- als Friedenswissenschaft heißt demnach Gegnerschaft zu den Rüstungsgeschäften; ein Beitrag der Naturwissenschaften zur nachhaltigen Entwicklung der natürlichen Lebensgrundlagen gelingt nur in Kritik an der profitablen Ausbeutung der Umwelt; Ökonomie für soziale Wohlentwicklung beinhaltet die Infragestellung der systematischen Ungleichheit; inklusive Pädagogik schließt Leistungsideologie und Selektion aus und eine humane Medizin will keine Gewinne sehen, sondern Heilung.

Eine solche kritische, weil verantwortungsvolle Wissenschaft als „ein dauernder Kampf gegen Borniertheit, Oberflächlichkeit, Scheinwissen, ein permanentes In-Frage-Stellen des scheinbar Selbstverständlichen“, bei der es „um die Herausarbeitung von Zusammenhängen [geht], wo nur isolierte Einzelteile gesehen wurden, den Aufweis von Widersprüchen, wo man nur eine glatte Fläche wahrnahm,“ ist „ein nie abgeschlossener Prozess menschlichen Erkenntnisgewinns“ (Klaus Holzkamp, a.a.O.).

Das ist die Einheit von persönlicher und gesellschaftlicher Emanzipation.

Dafür sind die Hochschulen dringend weiterzuentwickeln: Schluß mit der strukturellen Unterfinanzierung, Abschaffung der Ba/Ma-Hürde und eine Masterplatzgarantie für alle, Überwindung von Prüfungsdruck und Fristenstreß, deutlicher Ausbau der demokratischen Beteiligung aller Mitglieder an der Hochschulentwicklung, ein solidarisches und faires Miteinander für die heitere Einheit von Lernen und Forschen.

„Auf stund der Doktor Galilei
Und sprach zur Sonn: Bleib stehn!
Es soll jetzt die creatio dei [Schöpfung Gottes]
Mal andersrum sich drehn.
Jetzt soll sich mal die Herrin, he!
Um ihre Dienstmagd drehen.“

Bertolt Brecht, „Leben des Galilei“, 1939.

Rüstungsexporte –
Gesetze und Geschäfte

Die Lieferung von Kriegswaffen (...) wird nicht genehmigt in Länder, die in bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt sind oder wo eine solche droht, (...) oder bestehende Spannungen und Konflikte durch den Export ausgelöst, aufrechterhalten oder verschärft würden, (...)“

Politische Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern, 2000.

 

„Die Politik muss sich klar darüber sein, dass zu starke Vorschriften uns das Geschäft kaputt machen und Technologie aus Deutschland abwandert.“

Armin Papperger, Vorstandsvorsitzender von Rheinmetall, im Bundeswehrjournal Juli 2015.

Papperger gehört zusammen mit den Chefs von Heckler&Koch, Krauss-Maffei Wegmann, Airbus, Diehl, ThyssenKrupp und Daimler zu den „Sieben Goldenen Nasen des deutschen Rüstungsexports“, so der Titel eines Kunstprojekts der „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“. Die Initiative möchte das profitable Geschäft mit dem Tod verboten wissen und engagiert sich für eine entsprechende Neufassung des Artikels 26 Abs. 2 des Grundgesetzes: „Kriegswaffen und sonstige Rüstungsgüter werden grundsätzlich nicht exportiert.“ Sie befindet sich damit im Einklang mit 83 Prozent der deutschen Bevölkerung, die Waffenexporte ablehnen.

Der Export von Panzern, Flugzeugen, Bomben, Kleinwaffen und Munition aus der BRD (allein 2016 in Höhe von knapp 7 Mrd. Euro) geschieht ganz entgegen den restriktiven, noch gültigen Richtlinien aus dem Jahr 2000. Damals war, infolge des zweiten Golfkriegs 1991, die öffentliche Kritik an den laxen Rüstungsexportkontrollen so laut geworden, daß die damalige rot-grüne Bundesregierung die gesetzliche Kontrolle verstärken mußte. Dagegen laufen Lobbyisten der Rüstungskonzerne regelmäßig Sturm. In einem Geflecht aus Hinterzimmerpolitik, Korruption und Erpressung (s. oben) werden die Richtlinien dreist umgangen. Dies nicht, um – wie oft behauptet – die (vergleichsweise wenigen) Arbeitsplätze, sondern die Profite und die deutsche Vormachtstellung zu sichern.

Aktuell wird sehr deutlich, daß dies Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen und millionenfachem Mord ist. Der Krieg der türkischen Diktatur gegen die Kurden und der völkerrechtswidrige Einmarsch in Nord-Syrien werden u.a. mit deutschen Leopard-II-Panzern geführt (Teile davon werden in Hamburg hergestellt). Vor allem Konfliktregionen wie der Nahe Osten werden vom Westen aufgerüstet, z.B. Saudi-Arabien, das seit drei Jahren einen brutalen Krieg gegen den Jemen führt. Mindestens 10.000 Menschen wurden allein in diesem Krieg getötet, das Land versinkt in Hunger und Krankheiten. Statt Hilfsgüter zu schicken, genehmigt die Bundesregierung die Ausfuhr von Patrouillenbooten nach Saudi-Arabien, mit denen Häfen blockiert und die Lieferungen von Medizin und Nahrung verhindert werden. Zudem lassen sich die Boote leicht aufrüsten.

Dabei ist der Druck von Friedensbewegung und kritischer Öffentlichkeit so groß geworden, daß die SPD im Koalitionsvertrag durchsetzen konnte, daß „ab sofort keine Ausfuhren an Länder“ genehmigt werden, „so lange diese unmittelbar am Jemenkrieg beteiligt sind“. Das Wörtchen „unmittelbar“ war auf Betreiben des „Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie“ hinzugefügt worden und ist das Schlupfloch, um u.a. die Genehmigung der Patrouillenboote zu legitimieren.

Die Liste der Tricks der Rüstungsunternehmen reicht von Werbung („Sicherheit“ und „Verteidigung“) über Joint-Ventures in anderen Ländern bis hin zu „dual use“ und der Umdefinierung von Gütern als „zivil“.

Der militärisch-industrielle Komplex ist mächtig und menschenfeindlich. Die Bewegungen für eine Beendigung der Geschäfte mit dem Tod und eine Welt ohne Krieg wachsen an. Die Ostermärsche waren so groß wie lange nicht mehr, und auch Gewerkschaften positionieren sich wieder stärker für Abrüstung. In Hamburg engagiert sich eine umtriebige Initiative für den Stopp von Rüstungsexporten aus dem Hafen und in den Medien gibt es häufiger kritische Hintergrundberichte.

Ein sofortiges Ende der Rüstungsexporte ist ein Gebot der Vernunft und ein wirklich wirksames Rüstungsexportgesetz wäre auf jeden Fall ein Fortschritt.

Wir engagieren uns darüber hinaus für die Umstellung auf zivile, gesellschaftlich nützliche Produktion, für verbindliche Zivilklauseln in den Hochschulen und eine Wissenschaft, die dem Frieden und dem Allgemeinwohl – kurz: dem Menschen – dient.

Für weitere kritische Information empfehlen wir „Die Anstalt“ (ZDF) vom 27. März 2018 zum Thema „Waffenfabrik Deutschland“.

Bücher

„Wenn der Mensch
von den Umständen
gebildet wird, so muß
man die Umstände
menschlich bilden.“

Karl Marx/Friedrich Engels,
„Die heilige Familie“
1844/45, MEW 2, S.138.

„Freiheit“? Wessen Freiheit?

„Seit der Weltfinanzkrise kennt die deutsche Wirtschaft nur eine Richtung: nach oben. Der Boom wird den von der Regierung bestellten »Wirtschaftsweisen« inzwischen sogar unheimlich; sie warnen in ihrem jüngsten Gutachten vor einer Überhitzung – und vor einer weiteren Ausweitung der Sozialleistungen.“

Holger Steltzner, „Wirtschaftswunderland“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ („FAZ“), 15.11.’17.

 

„Umverteilungspolitik. Von unten nach oben
Etliche Male wurden doktringetreue Steuerausfälle eher dadurch ausgeglichen, dass panisch Investitionsgelder gekürzt wurden (oft noch mitten in Rezessionen, was alles nur noch schlimmer machte). Oder dadurch, dass stattdessen andere Steuern angehoben wurden – auf Leute, die halt nicht mal schnell ins Ausland fliehen oder ein Konto auf den Kaimaninseln eröffnen können (da fährt ja kein ÖPNV hin).“

Thomas Fricke, „Steueroasen/Dieses Paradies ist die Hölle auf Erden“, „SPIEGELONLINE“, 10.11.’17.

Die „Freiheit”, die in den „Panama-Papers“ oder den „Paradise-Papers“ belegt zum Ausdruck kommt, bedeutet: fehlende Einnahmen für die öffentliche Hand (Bildung, Kultur, Soziales, Gesundheit, Infrastruktur), keine bedarfsgerechten Einkommen (Würde, Kultur und Massenkaufkraft) und Spekulationsvolumina in mehrfacher Billionenhöhe.

Es besteht die Freiheit, dies zu ändern. Für ein (weltweit) menschenwürdiges Leben.

Der Mensch ist vielfältig und will sich – sozial, politisch und kulturell – verwirklichen.

Das gilt in Hochschule und Gesellschaft. Das sei gesagt und getan.

So kooperieren wir mit anderen fortschrittlichen Gruppierungen in den Gremien der studentischen Interessenvertretung, in der Akademischen Selbstverwaltung und in außerparlamentarischen Bewegungen: in Fachschaftsräten, in der Fachschaftsrätekonferenz, im Studierendenparlament, im Akademischen Senat, in Fakultätsräten, in der Friedensbewegung, in Bündnissen gegen Neofaschismus, in Aktivitäten gegen Sozialabbau. Wir sind bundesweit als Gründungsmitglied im Hochschulgruppenverband Die Linke.SDS organisiert.

Dieses Engagement ist uns alltägliche und sehr menschliche Angelegenheit. Allseitige Emanzipation als erstes Bedürfnis. Dem sollte sich auf Dauer niemand entziehen.

„Wer seine Lage erkannt hat, wie soll der aufzuhalten sein?“

Bertolt Brecht, „Lob der Dialektik“, 1934.

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Dem Wahnsinn ein Ende!
Frieden ist die Alternative

„Mit Militärischem wollen die Deutschen seit dem letzten Weltkrieg so wenig wie möglich zu tun haben. Der Griff zur Waffe gilt in der deutschen Politik als ein Zeichen des Versagens, manchmal gar der Verzweiflung. Ganz von der Hand zu weisen ist das auch in diesem Fall nicht. Die Attacke mag das syrische Chemiewaffenprogramm, das es gar nicht mehr geben dürfte, um Jahre zurückgeworfen haben, wie es in Washington heißt – einer Beendigung des Mehrfrontengemetzels brachte sie das Land keinen Tag näher.“

Berthold Kohler, „Botschaften an Putin“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ („FAZ“), Leitkommentar, S.1.

 

„Wenn wir es dahin bringen, daß die große Menge die Gegenwart versteht, so lassen die Völker sich nicht mehr von den Lohnschreibern der Aristokratie zu Haß und Krieg verhetzen, das große Völkerbündnis, die Heilige Allianz der Nationen, kommt zustande, wir brauchen aus wechselseitigem Mißtrauen keine stehenden Heere von vielen hunderttausend Mördern mehr zu füttern, wir benutzen zum Pflug ihre Schwerter und Rosse, und wir erlangen Friede und Wohlstand und Freiheit.“

Heinrich Heine, „Französische Zustände“, Vorrede, 1832.

Die US-amerikanische Regierung hat, wesentlich auf Weisung des Präsidenten Donald Trump, mithilfe französischer und britischer Militärs, hundert Marschflugkörper auf ein vermeintliches syrisches Chemielabor abschießen lassen. Silly Trump drohte mit folgenden Militäraktionen und will weiterhin Öl ins Feuer schütten.

Die Bundesregierung hat, namentlich ihrer Kanzlerin Angela Merkel sowie der „Verteidigungsministerin“ Ursula von der Leyen dieses kriegerische Vorgehen als „erforderlich und angemessen“ bezeichnet. Eine direkte militärische Beteiligung seitens der Bundesregierung gab es nicht. Im Nachgang des Militärischen warnte Bundespräsident Walter Steinmeier vor „einer galoppierenden Entfremdung“ zwischen Rußland und den westlichen Ländern. Bundesaußenminister Heiko Maas kündigte an, die Regierung wolle mit Frankreich ein internationales Verhandlungsformat schaffen, das den politischen Prozeß zur Zukunft Syriens befördern könne. Angestrebt seien ein Waffenstillstand, humanitäre Hilfe sowie eine Übergangsregierung, eine Verfassungsreform und Wahlen.

Einmal abgesehen von der erforderlichen Beteiligung syrischer Akteure und der UNO sowie der notwendigen kritischen Haltung zur Politik der USA: Warum nicht gleich so?

Kriegerische Eskalation schafft keinen Frieden, keine Schulen und Krankenhäuser, nicht Elektrizität und Wasserversorgung, keine Demokratie, soziale Sicherheit und kulturelle Entwicklung.

Erst die Beendigung der Kriegseinsätze, der Stopp von Rüstungsexporten, der Beginn von Diplomatie, Verhandlungen und einer politischen Lösung des Konfliktes, schaffen die Voraussetzung für eine zivile, demokratische, soziale und kulturelle Entwicklung des – eigentlich: eines jeden – Landes.

Da liegt die Mehrheit in der hiesigen Bevölkerung schon richtig. Die Bundesregierung sollte sich schnellstens und vollständig danach richten. Diese Haltung sollte deshalb in den Parlamenten und außerparlamentarisch noch stärker zum Ausdruck kommen. Der Frieden geht von den Bevölkerungen aus.

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Untertan?
Gegen das Ewiggestrige

„Seehofer: Ich habe immer gesagt: Die Integrationsfähigkeit unseres Landes darf nicht überfordert werden. Bei abgelehnten Asylbewerbern sieht es anders aus, da bin ich für mehr Härte. Ihnen sollten nur noch Sachleistungen gewährt werden, wenn sie nicht freiwillig in ihre Heimat zurückkehren.“

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), Minister für „Heimat“ und Abschiebung, im „SPIEGEL-Gespräch“, „SPIEGEL“ Nr. 17/2018, S. 34-36, hier S. 36.

 

„Die einzige soziale Schicht, die früher auf Hunde verzichten musste, war die Arbeiterklasse. Ihre Lebensbedingungen waren zu elend, die Quartiere zu eng und das Essen zu knapp. Beamte und Soldaten aber hielten ihre Hunde mit großer Selbstverständlichkeit. Die Tiere verpflichteten sich ebenso der Obrigkeit wie ihre Herren. Uniform, Dienstgrad oder Gebell zeigten, wer man war. An den Hund konnte der Herr die täglichen Demütigungen in Amtsstuben und auf Exerzierplätzen weitergeben. Wie sein Hund kennt der Kleinbürger nur oben und unten, buckelt und beißt gleichzeitig, ein geborener Untertan. Bis heute verspricht das Tier sozialen Halt.“

Antje Schmelcher, „Der Untertan/Warum die Deutschen den Hund zum Menschsein brauchen“, „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ („FAS“), 22.4.‚18, S. 9.

 

„Die Frage, wie eine Gesellschaft mit Schwachen, Armen, Kranken, Geflüchteten umgeht, ist zentral dafür, wie menschlich, human, zivilisiert, fortschrittlich und letztlich demokratisch diese Gesellschaft ist.“

Georg Diez, „AfD, CSU, Bayern/Demokratie ohne demokratische Werte“, „ SPIEGELONLINE“, 22.4.‘18.

Im Oktober dieses Jahres sind in Bayern Landtagswahlen. Wegen des Antritts der AfD fürchtet die seit eh und je schon stramm konservative Regionalpartei CSU um ihre sichere Regierungsmehrheit. Deshalb bedient sie zunehmend und bereitwillig den rechten politischen Rand.

Das fällt ihr nicht schwer, denn zu ihren tradierten Auffassungen gehören: Nationalismus, Rassismus, eine klare hierarchische Gliederung der Gesellschaft und der Menschen, starke Autoritäten, ein entsprechend reduziertes Menschenbild, ein starkes Militär, eine durchgreifende Polizei und die katholische Kirche als moralische Ordnungsmacht sowie die Familie als „Keimzelle der Gesellschaft“. Das wird dann „Heimat“ genannt und raunt dunkel durch Berge, Wälder und über die Seen. Die „Heimat“ der Ausländer ist dann da, wo sie hingehören.

Mit Frieden, Abrüstung, ziviler Konfliktregulierung; mit internationaler Kooperation und fairem Welthandel und Entwicklung; mit dem Lernen aus der (deutschen) Geschichte und dem (wieder hergestellten) Asylrecht; mit einem aufgeklärten Kulturverständnis; mit den positiven Akzenten des Staates für Bildung, Kultur, Soziales und Gesundheit für Alle und dem Allgemeinwohlgebot der Wirtschaft hat diese Partei herzlich wenig am Gamsbarthut.

Das rechte Aufwallen dieses ewiggestrigen Lagers ist eine Reaktion auf das offenkundige Scheitern des Neoliberalismus bzw. wachsende Ansprüche in der Bevölkerung für Frieden, soziale Gerechtigkeit, Fairneß, gesellschaftliche Sinnhaftigkeit und ein menschenwürdiges Leben.

Es ist also richtig und lohnend, sich von dieser falschen Seite nicht einschüchtern zu lassen, die eigenen Ansprüche stärker zu bejahen, um sie gemeinsam mit anderen wirkungsvoll gesellschaftlich und alltäglich zur Geltung zu bringen. Der Kritik ist zu trauen und mehr Gewicht zu geben.

„Man soll nichts tun, was einem nicht gemäß ist.“

Kurt Tucholsky, „Schnipsel“, 1932.

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Die Bedeutung der Kritik
Zum Erbe von Karl Marx

„Über 800 Millionen Menschen hungern. Zwei Milliarden Menschen leben kaufkraftbereinigt von weniger als 3,20 Dollar am Tag. Die Meere sind überfischt und vermüllt. Die Luft ist verdreckt. Die industriebedingte Erderwärmung sorgt für Dürren, Überflutungen, extreme Wetterlagen. Der Reichtum der Superreichen steigt in geradezu obszöner Weise. Und die Digitalisierung scheint diese Entwicklung noch zu befördern. (...) Der Ausgleich zwischen Oben und Unten scheint nicht mehr zu funktionieren, jedenfalls nicht genug, um Aufruhr im System zu vermeiden. Das ist zum Beispiel ein Problem für eine Partei wie die SPD, die für Umverteilung steht. (...) Was also kommt nach dem Kapitalismus? Eine neue Epoche des Glücks, ein neuer Aufruhr zu mehr Gerechtigkeit, Gleichheit, Brüderlichkeit?“

Markus Brauck, „Schöne neue Welten“, „SPIEGEL“ Nr. 19/2018,S. 10-19, hier die Seiten 13, 15 und 18.

 

„Die bürgerlichen Verhältnisse sind zu eng geworden, um den von ihnen erzeugten Reichtum zu fassen.“ (...)
„Das Proletariat macht verschiedene Entwicklungsstufen durch. Sein Kampf gegen die Bourgeoisie beginnt mit seiner Existenz.“ (...)
„Alle bisherigen Bewegungen waren Bewegungen von Minoritäten oder im Interesse von Minoritäten. Die proletarische Bewegung ist die selbständige Bewegung der ungeheuren Mehrzahl im Interesse der ungeheuren Mehrzahl.“ (...)
An die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen tritt eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist.“

Karl Marx und Friedrich Engels, „Manifest der Kommunistischen Partei“, 1848, zit. nach: Das kommunistische Manifest: eine moderne Edition/Karl Marx und Friedrich Engels. Mit einer Einl. Von Eric Hobsbawm. – Hamburg: Argument, 1999, S. 51, 53, 57 u. 71.

Der ungeheure Reichtum, die Dynamik der Entwicklung, die ungezügelte Zerstörung, Krieg, Elend und Verzweiflung sowie der tiefere Sinn des Handelns sind den verantwortlichen Akteuren über den Kopf gewachsen bzw. aus der Hand geglitten.

Zwingende Profitlogik, ungehemmte Konkurrenz, quälende Entfremdung, Oberflächlichkeit, Mißtrauen und Streß dominieren – noch – die globalen Beziehungen und den persönlichen Alltag.

Der Kapitalismus ist inzwischen weit von der Realisierung der allseitigen Menschenwürde respektive der Schaffung des Allgemeinwohls entfernt. Dies sei die kritische Inventur der letzten 28 Jahre, seit denen das „Ende der Geschichte“ oder die „Neue Weltordnung“ ausgerufen worden ist. Eine solche kritische Bilanz der Zivilisationsentwicklung (Verwicklung?) ist ein wesentlicher geistiger, politischer, auch kultureller und persönlicher Bestandteil eines neuen Engagements für Frieden, soziale Gerechtigkeit, demokratische Partizipation und kulturelle Emanzipation. Die Menschheit überwindet ihre internationale Krise, die vor dem Persönlichen nicht halt macht, am ehesten durch die Rekonstruktion des menschlichen Prinzips der Solidarität. Sie beginnt nicht zuletzt mit der Infragestellung schlechter Gewohnheiten wie der Gleichgültigkeit bzw. der Behauptung, daß einen das Alles nichts anginge. Dafür sind historische Erfahrungen und Beispiele immer wieder hilfreich.

– Auch 200 Jahre nach der Geburt von Karl Marx.

Kritische Kooperation

Marx und Engels waren zu zweit
Stets kämpferisch und sehr gescheit;
Konnten auch nicht unterlassen,
Not und Elend sehr zu hassen.

Als entflammte Demokraten
Zog es sie zu größer’n Taten.
Sozialismus und Wissenschaft:
In Einheit eine große Kraft.

Arbeiter contra Bourgeoisie
Seien nicht ewig, niemals, nie.
Ohne Herrschaft der Mensch gedeiht,
Wenn sich vom Elend er befreit.

Auch in diesen jünger’n Tagen
Steh’n wir vor denselben Fragen.
Kämpferisch, hoffentlich gescheit:
Lernen aus der Vergangenheit.

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Progression und Reaktion:
Aufklärung hilft der Bewegung

„Es gibt in Deutschland das Berufsfeld des Achtundsechzigerfressers. Meistens weiße Männer zwischen 50 und 60, alt genug, um das Geltungsbewusstsein der Nichtdabeigewesenen in sich zu spüren und jung genug, aus dem Nichtdabeigewesensein eine Karriere zu machen. Man findet sie in den verschiedensten Branchen und in den unterschiedlichsten Ausprägungen, diese Achtundsechzigerfresser. Sie haben Ups und Downs, und gerade haben sie — jubiläumsbedingt und weil der Zeitgeist auf rechts dreht — ein Up, das heißt, dass sie sich besonders wohl fühlen in ihren Vorurteilen. (... )
Sie, die ihren Marsch durch die Institutionen in den achtziger Jahren begannen und in den neunziger Jahren ihre volle Wirkung entfalteten, haben die Blasiertheit dieser windstillen Zeit mit in eine Gegenwart genommen, die ganz anders funktioniert, in der sich ganz andere Fragen stellen.
Denn einerseits machen die Attacken gegen die Demokratie von rechts und aus der Mitte heraus eine andere Reaktion als nur Schulterzucken erforderlich. Und andererseits lässt die Krise des Kapitalismus manche Ideen wieder aktuell werden, die schon 1968 aktuell waren: gemeinschaftliches Wohnen, gemeinschaftliches Eigentum, andere Formen der politischen Repräsentation und Partizipation.“

Georg Diez, „Achtundsechzigerfresser / Sie sind wieder da“, „SPIEGELONLINE“, 13.5.2018.

 

„Wozu ist das Stroh gut?“ (417)

Georg Christoph Lichtenberg, „ Sudelbücher“, Heft K, 1793-1796.

Der 200jährige Geburtstag von Karl Marx und der 50. Jahrestag von 1968 zeigen, daß der Kapitalismus von Anfang an seine Mucken und Macken hat, die sich kritisch analysieren lassen bzw. daß entsprechende gesellschaftliche Aktivitäten immer wieder zu positiven Ergebnissen führen können — beispielhaft seien genannt: die Grundrechte, die Gewaltenteilung, der Sozialstaat, das Tarifrecht, die Mitbestimmung, die soziale Öffnung der Hochschulen, die Entspannungspolitik, die Erweiterung demokratischer Partizipation, der Abbau von Vorurteilen und kulturellen Beengungen, Fortschritte der Erkenntnisse in den Wissenschaften, Aufbrüche in der Kunst und im sozialen Alltag.

Diese positiven Aufbrüche zeichnen sich vielerorts neu ab: Für Frieden, die Wiederherstellung des Sozialen, für ein aufgeklärtes und solidarisches Menschenbild, internationale Gerechtigkeit, gesellschaftlich verantwortliche Wissenschaften und faires Verhalten im Alltag.

Dagegen richten sich die etablierten Miesmacher (s.o.) aus ihren Stuben aller Art. Sie übernehmen mit – meist alten – Legenden, Lügen und Vorurteilen die konservative Aufgabe, zu bremsen, zu irritieren und zu verunglimpfen, was sich da mehr und mehr in eine positive Richtung regt. So ist zu verstehen, daß auf eine positive Aktion mit der unweigerlichen Tendenz, das Allgemeinwohl zu realisieren, die Reaktion sich aufzurichten versucht, um den Status Quo zu sichern. Auch wenn diese Seite unangenehm und häßlich ist, zeigt sie jedoch, daß die positive Bewegung richtig ist. Also: Nicht bange machen lassen! Die Geschichte ist nicht zu Ende. Es gibt immer eine Alternative.

Wozu ist das Stroh gut? Manche meinen, es müsse noch einmal gedroschen werden. (Das Korn ist aber schon separiert.)

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Freiheit – für was und für wen?
Eine Orts- und Zielbestimmung

„SPIEGEL: Gibt die liberale Demokratie der Freiheit des Einzelnen zu viel Gewicht gegenüber der Sicherheit, dem Zusammenhalt und dem Gemeinwohl des Ganzen?
Sandel: Es gibt zwei Begriffe von Freiheit: Dem einen zufolge kann das Individuum nach seinen Wünschen und Interessen handeln, nach Glück und Selbstverwirklichung streben. Ich halte das für die Auffassung des Konsumismus. Der andere kommt aus der republikanischen Tradition: Ich bin frei, wenn ich ein bedeutendes Mitspracherecht bei der Gestaltung des Gemeinwesens und dessen Zusammenleben ausübe und nicht bloß ein Privatier bin. Die westlichen Gesellschaften rutschen seit Jahrzehnten die schiefe Ebene von einem starken bürgerlich-republikanischen Freiheitsverständnisses zu einem dünnen konsumistischen hinunter. Die bürgerlichen Tugenden höhlen sich zugunsten einer individualistischen Freiheit der Selbstoptimierung aus, die den Staatsbürger am Ende entmächtigt.“

Michael J. Sandel, Prof. für politische Philosophie in Harvard, im „SPIEGEL-Gespräch“, Nr. 12/2018, S. 118-121, hier S. 119.

 

„Kaufen, was einem die Kartelle vorwerfen; lesen, was einem die Zeitungen erlauben; glauben, was einem Kirche und Parteien gebieten. Beinkleider werden zur Zeit mittelweit getragen. Freiheit gar nicht.“

Kurt Tucholsky, „ Schnipsel“, 1932.

Die bombastische Verehelichung von anachronistisch privilegierten Windsors lassen wir einmal beiseite...

Wenn selbst bei anhaltendem Wirtschaftswachstum die soziale Ungleichheit – weltweit sowieso, aber auch in den prosperierenden Industrieländern – zunimmt, gibt es ein gesellschaftliches Problem, das in vielerlei richtigem Unmut, aber auch in der Konstruktion von Sündenböcken seinen Ausdruck findet. Die politische Begünstigung des Kapitals bzw. die gleichzeitige Entwertung und die Reduktion der Arbeit und des Sozialstaates, auch mit seinen öffentlichen Bildungs-, Kultur- und Gesundheitsaufgaben; die konkurrenzhaft, ebenso militärisch, betriebene Außenpolitik mitsamt ihren steigenden Rüstungsexporten sowie die systematische Verunglimpfung von Kriegs- und Elendsflüchtlingen haben die Gesellschaften der menschlichen Weltgemeinschaft und nicht zuletzt die kapitalistischen Industrieländer in eine grundlegende Krise gebracht, die am ehesten durch eine zivile, demokratische, soziale und kultivierte Kurswende bewältigt werden kann.

Nur die dynamische Wiederherstellung von sozialer Freiheit, Gleichheit und Solidarität ist angemessen, die menschliche Würde – weltweit und individuell – geistig, politisch, gemeinschaftlich und persönlich zu bilden, zu realisieren. Der lohnabhängige Privatier (s.o.), so er denn Arbeit hat und genug verdient, kann im Supermarkt, auf dem Sofa oder auf den Malediven wenig für das Gute und gegen die Übel ausrichten. Dadurch ist auch seine menschliche Würde begrenzt und reduziert.

Es kommt also darauf an, aus den gesellschaftlichen Unterschieden, Problemen, Fragen, Möglichkeiten, Alternativen, auch dem eigenen Unbehagen und den positiven Beispielen sozialen und kulturellen Wirkens, Schlußfolgerungen für das eigene respektive gemeinsame Handeln und Wirken für die Verbesserung der Lebensbedingungen zu ziehen. Die Souveränität wächst. Die wundersame Vermehrung der Freude ist dabei gewiß. Ikea kann derweil warten.

„Seit aber, durch die Fortschritte der Industrie und Ökonomie, es möglich geworden, die Menschen aus ihrem materiellen Elende herauszuziehen und auf Erden zu beseligen, seitdem – Sie verstehen mich. Und die Leute werde uns schon verstehen, wenn wir ihnen sagen, daß sie in der Folge alle Tage Rindfleisch statt Kartoffeln essen sollen und weniger arbeiten und mehr tanzen werden. – Verlassen Sie sich darauf, die Menschen sind keine Esel. –“

Heinrich Heine an Heinrich Laube, 10. Juli 1833.

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Regierungskrise
Krakeel von rechts

„Inhaltlich dreht sich der Konflikt um ein Thema: Die CSU will Asylsuchende, die bereits in einem anderen EU-Land registriert sind, an der deutschen Grenze wegschicken. Merkel lehnt einen solchen deutschen Alleingang ab. Seehofer drohte damit, die Zurückweisungen an der Grenze Anfang Juli per Ministerentscheid durchzusetzen, sollte es Merkel nicht gelingen, ein »wirkungsgleiches« Verhandlungsergebnis aus Brüssel mitzubringen. Merkel signalisierte, dass sie Seehofers eigenmächtiges Vorgehen nicht akzeptieren würde. Sie sprach es nicht aus, und doch scheint es klar: Sie würde ihn entlassen.
Diese Ausgangslage führt dazu, dass sich im Streit zwischen der CSU und Merkel möglicherweise nicht nur ein Detail in der deutschen Asylpolitik entscheidet, sondern der Fortbestand der Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU, die Stabilität der deutschen Regierung und auch die europäische Flüchtlingspolitik. Denn sollte Seehofer die besagten Grenzkontrollen einführen, würde dies automatisch zu einer europäischen Kettenreaktion führen.“

Benedict Neff, „Die CSU geht auf Konfrontationskurs“, „Neue Zürcher Zeitung“ („NZZ“), 2.7.’18.

 

„Man braucht keine Macht, um die Wahrheit sagen zu können. Aber um sagen zu können: Heydrich [Reinhard Tristan Eugen Heydrich (1904-1942), SS-Obergruppenführer, einer der Hauptorganisatoren des Holocaust] war ein Edelmensch, dazu braucht man Macht,— die absolute Macht, zu bestimmen, was Wahrheit und was Blödsinn ist.“

Thomas Mann, „Deutsche Hörer!“, Radioansprachen (1940-1945) aus dem Exil, Juni 1942.

 

„Wer Macht besitzt, will sich auch sein Klassenbewusstsein erhalten, das aller anderen aber möglichst unterdrücken.“

Noam Chomsky, Prof. em. für Linguistik am Massachusetts Institute of Technology in Cambridge, USA (MA), „Requiem für den amerikanischen Traum“, München 2017, S. 134.

Es ist ein Kreuz: Die Konservativen allgemein und besonders die Strammen ihrer Sorte streiten sich – ausgeprägt in gesellschaftlichen Krisenzeiten – stets darum, wie strikt (Krieg, Waffenexporte, soziale Ungleichheit, Grenzkontrollen, staatliche Repression und Wahrheitsverdrehung) man sein darf, um tendenziell für die Regierungsmehrheit gewählt zu werden bzw. zivile, aufgeklärte, demokratische, soziale sowie Friedens- und echte Entwicklungspolitik zu verhindern oder einzuschränken.

In diesem Sinne hat der Streit zwischen CSU und CDU Tradition. Schon die Scharmützel zwischen Franz Josef Strauß und Helmut Kohl während der 1970er Jahre sahen ähnlich aus.

Gegenwärtig (und voll daneben) hat Horst Seehofer den rüdesten rassistischen Wirtshauston in die Bundesregierung und in die mediale Öffentlichkeit gebracht. Er hat damit nicht nur den Bogen überspannt, sondern auch der AfD unsäglich geholfen. Damit ist er als Bundesminister und Parteivorsitzender der CSU nicht mehr haltbar. Zudem sollten SPD, Grüne und Gewerkschaften dieses Theater nicht nur nicht mitspielen, sondern neu deutlich machen, wie sie sich von diesem Blödsinn unterscheiden (wollen). Es ist an der Zeit.

Wesentlicher aber ist, daß die Bevölkerung diesem Blödsinn nicht im geringsten vertraut und selber für die Verwirklichung von Vernunft, Frieden und sozialer Demokratie, für internationale und alltägliche Solidarität aktiv wird – sei es in direkten Gesprächen, im Wahlverhalten, in gesellschaftlichen Bewegungen (Frieden, Soziales, Bildung, Gesundheit, Kultur), in Gewerkschaften, Parteien und Initiativen. Wir werden falsch und peinigend regiert. Das ist zu ändern. Die Wahrheit ist eine politische Kraft. Sie gibt uns Bedeutung. Freude ist in ihr.

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Wahnwitzige Worte
Wider den Zynismus in Wort und Tat

„Politik ist Sprache, und wenn die Sprache sich verändert, verändert sich auch das Wesen der Politik – die Verrohung durch Taten beginnt mit der Verrohung von Worten, die Abstumpfung, das Ressentiment, die Ausgrenzung, der Rassismus, die Kälte, die Kriminalisierung, schließlich der Tod, hingenommen oder geplant, all das, was mit Menschen gemacht wird, bereitet sich vor durch Worte. Wir erleben das gerade in einem Maßstab wie zuletzt vor 80 Jahren. Damals trafen sich Vertreter von 32 Staaten im französischen Kurort Évian, vom 6. bis 15. Juli 1938, um darüber zu verhandeln, wie 540.000 Juden aus Deutschland und Österreich verteilt werden könnten. Die Konferenz scheiterte. Ein paar Monate später wurden in den Novemberpogromen Juden ermordet, Geschäfte geplündert, Synagogen angezündet. Die Gemeinschaft der Völker hatte versagt.
Und nun, 70 Jahre danach, 80 Jahre danach, wir haben wohl wenig gelernt: Wieder gibt es Kälte, Härte, Politik gegen Menschen, Worte werden verbogen, Werte verleugnet, Rassismus breitet sich aus im Inneren wie im Äußeren, mit brutalen Folgen: Der vergangene Juni war der tödlichste seit fünf Jahren, obwohl deutlich weniger Geflüchtete unterwegs sind, 629 Tote, so meldet die Hilfsorganisation Sea Watch.“

Georg Diez, „Monsterworte/Sprache der Flüchtlingspolitik“, „SPIEGELONLINE“, 8. Juli 2018.

 

„MEPHISTOPHELES: Ich wünsche nicht, Euch irre zu führen,
Was diese Wissenschaft [Theologie] betrifft,
Es ist so schwer, den falschen Weg zu meiden,
Es liegt in ihr so viel verborgnes Gift,
Und von der Arznei ist’s kaum zu unterscheiden.
Am besten ist ́s auch hier, wenn Ihr nur den E i n e n hört,
Und auf des Meisters Worte schwört.
Im ganzen – haltet Euch an Worte!
Dann geht ihr durch die sichre Pforte
Zum Tempel der Gewißheit ein.
SCHÜLER: Doch ein Begriff muß bei dem Worte sein.“

Johann Wolfgang v. Goethe, „Faust I“, „Schülerszene“, 1808.

Georg Diez (s.o.) nennt in seiner Kolumne die „Monsterworte“ „Masterplan“, „Ausschiffungsplattform“, „Ankerzentren“ von falscher bundesdeutscher Regierungszunge, aber auch die zynische Semantik des italienischen Innenministers Matteo Salvini, der die Geflüchteten als „Menschenfleisch“ abgrundtief abwertet sowie die AfD, welche die Hilfsorganisationen als „kriminelle Vereinigungen“ pur verunglimpft.

Dieser Geist ist schier unmenschlich und direkter Ausdruck unmenschlicher und menschenrechtswidriger Politik.

Nicht die tatsächliche Entwicklungshilfe wird erhöht; die Kriege werden nicht beendet; die Rüstungsexporte laufen unbeirrt weiter; Umweltkatastrophen werden nicht gebändigt; Flüchtlinge werden nicht gerettet oder menschenwürdig aufgenommen; faire Handelsbeziehungen werden nicht konstituiert; der Sozialstaat (Bildung, Gesundheit, Kultur) wird nicht bedarfsgerecht wieder hergestellt; sinnvolle Arbeit mit ausreichender Bezahlung nicht geschaffen; die Wahrheit wird nicht gesprochen; wahrheitsgemäß wird kaum gehandelt.

Da darf nicht wundern, wenn in den neuesten Sonntagsfragen CDU/CSU und die SPD deutlich an Zustimmung verlieren, die sogenannte GroKo ihre Mehrheit verliert und die AfD der SPD prozentual gefährlich auf die Pelle rückt. (Die FDP verliert auch, die Grünen gewinnen dazu und die LINKE bleibt stabil.)

Damit ist die Bevölkerung selbst, der citoyen, „der große Lümmel“ (Heinrich Heine) gefragt und gefordert: Den Lügen nicht zu glauben, dem Zynismus zu widersprechen, für bessere, solidarische Lebensbedingungen zu wirken. An jedem Ort, zu jeder Zeit. Wirksam ist, wer nicht vergißt, was falsch und was richtig ist.

„MEPHISTOPHELES ernsthaft:
Nun haben wir ́s an einem andern Zipfel,
Was ehmals Grund war ist nun Gipfel.
Sie gründen auch hierauf die rechten Lehren,
Das Unterste ins Oberste zu kehren.
Denn wir entrannen knechtisch-heißer Gruft
Ins Übermaß der Herrschaft freier Luft.
Ein offenbar Geheimnis, wohl verwahrt,
Und wird nur spät den Völkern offenbart.“

Johann Wolfgang v. Goethe, „Faust II“, Vierter Akt, „Hochgebirg“, 1832.

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Worum geht es eigentlich?
Zur schönsten Hauptsache der Welt

„Ganz Deutschland diskutiert. Die alte Boulevard-Schlagzeile, hier stimmt sie mal. Wie steht es um den Rassismus im Land? Und wer sind seine Opfer? Im Netz sammeln Migranten und ihre Kinder unter dem Zeichen von #MeTwo Erzählungen von Demütigung, Erniedrigung, Enttäuschung. (...) Und es geht nicht um irgendwelche Migranten. Es geht um die Muslime. #MeTwo ist vor allem ein Aufschrei der deutschen Muslime. Die da jetzt im Netz über Diskriminierung berichten, heißen Nadir, Tayfun, Bahar. Es sind Migranten und deren Nachkommen aus muslimisch geprägten Ländern. Wenn man italienischer Herkunft ist und – sagen wir – Giovanni di Lorenzo heißt, wird man in Deutschland heute seltener Opfer von Diskriminierung. Im Gegenteil: Dem Kartoffeldeutschen zaubert so ein Name ein beseeltes Lächeln ins Gesicht, und in der Pizzeria spendiert die Tochter vom Wirt noch einen Espresso. (...) Nun sind Muslime keine »Rasse«, und der Islam auch nicht. Dennoch trifft der Begriff Rassismus. Denn auch der Rassismus geht mit der Zeit. Biologistische Argumente sind ein alter Hut aus vergangenen Jahrhunderten. Heute geht es um Kultur. Religionszugehörigkeit wird ethnisiert. Und Ressentiment tarnt sich als Religionskritik.“

Jakob Augstein, „ Mimimi Muslime? / Özil-Debatte und #Me Two“, „SPIEGELONLINE“, 30.7.2018.

 

„»AfD wirkt« schrieb die AfD-Vorsitzende Alice Weidel zwinkernd auf Facebook, als Özil beim Schweden-Spiel auf der Bank saß. Nach seinem Rücktritt ist das leider kein Witz mehr.“

Annelie Kaufmann, „Für oder gegen uns?“, „der Freitag“, 26.7.2018, S. 1.

 

„»Solidarität« ist ein Begriff für die reziprok [wechsel-, gegenseitig] vertrauensvolle Beziehung zwischen Akteuren, die sich aus freien Stücken an ein gemeinsames politisches Handeln binden.“

Jürgen Habermas, „Unsere große Selbsttäuschung / Ein Plädoyer gegen den Rückzug hinter nationale Grenzen“, „Blätter für deutsche und internationale Politik“, 8/18, S. 91-96, hier S. 94.

Bekanntlich ist Fußball eine runde Sache, das Spiel ist proletarischen Ursprungs, beide Teams haben elf Leute, das Spiel dauert – ohne Verlängerung und Elfmeterschießen – 90 Minuten, gewonnen hat, wer die meisten Tore in dieser sportlichen Begegnung hat schießen können. Das ist die rein sachliche, binsenweisheitliche Seite der Angelegenheit. So weit, so gut.

In der heutigen Welt ist das ein großes internationales Geschäft, das, national aufgeladen, zur großen Unterhaltung und, nicht zuletzt, der emotionalen Rundumablenkung dient.

Das bundesdeutsche Team hat bei der WM verloren. Diese propagandistische Rechnung ist also nicht aufgegangen. Die soziale Krise (Krieg, soziale Ungleichheit, prekäre Beschäftigungsverhältnisse usw.) besteht ohnehin fort.

Damit der „große Lümmel“ (die Bevölkerung) nicht auf zu dumme Gedanken (Ansprüche) kommt, Frieden, soziale Gerechtigkeit, internationale Solidarität, Bildung, Kultur, Gesundheit, sinnvolle Arbeit für Alle fordert – was zunehmend geschieht –, wird besonders von der AfD, der CSU, manchen politischen Verwandten und in manchen Medien der Rassismus wieder aufgebrüht.

Auch gegen diesen barbarischen Unsinn gibt es vielerlei Aktivitäten (s.o.). Ein neues Bewußtsein für Fairneß, Menschlichkeit, Kooperation, die Kraft gemeinsamen aufgeklärten Handelns wächst.

Frieden heißt gemeinsame Entwicklung; die Geschichte zeigt, was sein soll und was nicht; Aufklärung setzt den Maßstab gleicher Voraussetzungen für Alle; die Rekonstruktion des Sozial- und Kulturstaates drängt auf die gesellschaftliche Tagesordnung; globale Verantwortung ist ein überindividueller Antrieb für die Persönlichkeitsentwicklung; Solidarität ist die praktizierte Freude einer kultivierten Lebensweise. Das Leben hat einen Menschensinn. Überall und jederzeit.

„Verlaßt euch nicht auf große Männer, so entgeht ihr den Katastrophen. Verehrt niemand, verachtet niemand. Kennet den Menschen und pflegt ihn, dann habt ihr in einem Zivilisation und Kultur.“

Heinrich Mann, „ Das junge Geschlecht“, 1917.

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Freie Fahrt für freie Bürger
Die „Schuldenbremse“ muß gelöst werden

„Seit einem knappen Jahrzehnt gilt in Deutschland eine sogenannte Schuldenbremse, in der Verfassung verankert durch eine große Koalition. Heute hindert sie den deutschen Staat daran, die Nullzinsen auf den Kapitalmärkten dafür zu nutzen, um eine verfallende Infrastruktur zu sanieren und die zahllosen finanziell überforderten Kommunen durch Entschuldung wieder handlungsfähig zu machen. Wenn man schon glaubt, die Steuern für Unternehmen und Spitzenverdiener nicht erhöhen zu können – und wenn gleichzeitig ein immer weiter wachsender Anteil des Steueraufkommens zur Subventionierung der beitragsfinanzierten sozialen Sicherungssysteme aufgewendet werden muss oder soll –, müsste ein durch Kredit finanzierter nationaler Infrastrukturfonds zumindest dafür sorgen, dass es in Schulen nicht mehr durch das Dach regnet und Brücken und Straßen nicht zerbröseln. (...)
Eine Abkehr von der deutsch-nationalen Schuldenbremse könnte im Übrigen das Ende einer Europapolitik einleiten, die spätestens seit 2008 von Krise zu Krise strauchelt. Dem Fiskalpakt, der dem financial waterboarding Griechenlands durch Merkels Europa die Grundlage geliefert hat, würde der Boden entzogen.“

Wolfgang Streeck (Direktor emeritus am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln), „Hört auf, Europa als einen Wechselbalg zu behandeln!“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ („FAZ“), 4.8.2018, S. 9.

 

„Die Gesellschaftsform ist die beste, die den meisten Menschen den größten Erfolg gewährleistet.“

Bertolt Brecht, „Über Erfolg“, „Me-ti Buch der Wendungen“, entstanden im Exil der 1930er Jahre.

Die privaten Gewinne wachsen, die allgemeinen staatlichen Schulden wachsen; die privaten Gewinne wachsen stärker und schneller als die öffentlichen Schulden – die soziale Ungleichheit nimmt zu, die Qualität der sozialen Daseinsvorsorge nimmt ab.

Was liegt da näher, als – in einer großen gesellschaftspolitischen Wende, aus Gründen sozialer, politischer, ökonomischer und kultureller Vernunft und Ethik – die Steuern auf Gewinne und Spitzeneinkommen zu erhöhen, die öffentlichen Einrichtungen (Soziales, Bildung, Kultur und Gesundheit) qualitativ und quantitativ zu stärken, die allgemeine Infrastruktur zu sanieren, die Zahlung tariflicher Löhne (bei Senkung der Arbeitszeit und Ausweitung der Mitbestimmung) zu erwirken sowie die Initiative für staatliche Investitionslenkung (z.B. Autoindustrie und Energieerzeugung) und ebenso die Bankenregulierung zu übernehmen?

Dagegen steht die neoliberale Doktrin der politischen Kapitalbegünstigung (Steuern senken, Deregulierung, Privatisierung) und gleichfalls die „schwarze Null“.

Alles unter der dogmatischen Behauptung vom „Ende der Geschichte“, der Alternativlosigkeit sowie der „Eigenverantwortung“.

Gleichzeitig werden die Rüstungsausgaben erhöht, weiterhin Kriege geführt und lukrativ Waffen – in Krisengebiete! – exportiert. Dabei soll suggeriert werden, wir lebten in der schönsten und freiesten aller Welten.

Dieser offenkundige Widerspruch läßt die AfD wachsen. Aber auch progressiver Unmut, fordernde Kritik und entsprechende Aktivitäten nehmen zu. Es läßt sich begründet sagen: Je mehr die vernünftigen Auffassungen und entsprechendes Engagement wachsen, desto geringer wird die Bedeutung der Ewiggestrigen. Je größer die Solidarität gerät, desto kleiner geraten Rassismus und Unvernunft. Wer seine Lage erkannt hat, ist wenig zu irritieren. Aufklärung und Emanzipation sind geschichtliche Größen. Wahrheit ist eine Waffe gegen den Krieg.

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„Allgemeine Dienstpflicht“?
Propaganda als Kitt

„Warum nicht einen Anreiz zum Dienen setzen? (...) Womöglich können sich so Eigeninteressen mit Marktinteressen und einer Identifikation mit diesem Land verbinden lassen. (...) Ein gemeinsames Dienen könnte auch der Integration von Minderheiten förderlich sein und der Entstehung von Parallelgesellschaften entgegenwirken. Dass hier jeder etwas für die Gemeinschaft leisten sollte, wäre zugleich ein starkes Signal nach außen.“

Reinhard Müller, „Eine Debatte über das Dienen“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ („FAZ“), 8.8.’18, Leitkommentar S. 1.

 

„Eine der schauerlichsten Folgen der Arbeitslosigkeit ist wohl die, daß Arbeit als Gnade vergeben wird. Es ist wie im Kriege; wer die Butter hat, wird frech.“

Kurt Tucholsky, „...zu dürfen“, 1930.

Es läßt sich auch sagen: Wer die Butter (Frieden, Arbeit, Brot und Musik) haben will, ist bereits frech. In der Bevölkerung ist aus gutem Grunde die erfahrungsreiche Auffassung weit verbreitet, daß in dieser Gesellschaft viel zu wenig für das Allgemeinwohl unternommen wird.

Da die Bundeswehr nach Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht Rekrutierungsschwierigkeiten hat; aber noch mehr, weil bei wachsender sozialer Ungleichheit und steigender struktureller Ruppigkeit der soziale Kitt hör- und sichtbar zu bröckeln beginnt, wird von konservativer Seite die „Allgemeine Dienstpflicht“ in die sommerliche Diskussion befördert, um damit den allgemeinen Unmut bzw. das Bedürfnis nach Solidarität in konforme Bahnen zu lenken.

Das Dumme dabei: Zwangsarbeit ist aus guten Gründen (wegen der braunen Jahre 1933-1945) nach dem Grundgesetz (Artikel 12, „Berufsfreiheit“) verboten bzw. stark eingeschränkt. (Auch völkerrechtlich gilt das Verbot von Zwangsdiensten.)

Da aber in den Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge (Soziales, Gesundheit, Bildung, Kultur) ein politisch zu verantwortender materieller und personeller Mangel herrscht, wäre ein „soziales Pflichtjahr“ oder Ähnliches die willkommene Rekrutierung mehr oder weniger williger und auf jeden Fall billiger Arbeitskräfte.

Dagegen sind die Möglichkeiten, tatsächlich für das Allgemeinwohl zu wirken, gut vorhanden: In der kritischen Meinungsbildung, im Alltagsverhalten, in den Wahlentscheidungen; im neuen praktischen Engagement in (einigen) Parteien, in den Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und in der Interessenvertretung. Für Frieden, internationale Solidarität, für soziale Gerechtigkeit, eine dynamische Demokratie, sinnvolle Arbeit, ausreichende Bezahlung, betriebliche und institutionelle Mitbestimmung sowie für Aufklärung, kulturelle Fairneß und ein Hinaustreten aus der relativen Bedeutungslosigkeit des privatisierten Soziallebens. „Dienen“ war noch nie eine Perspektive. Die Beseitigung des Elends respektive die Schaffung menschenwürdiger Verhältnisse gibt Sinn, Aussicht und direktes Gelingen.

„Ich möchte was darum geben, genau zu wissen, für wen eigentlich die Taten getan worden sind, von denen man öffentlich sagt, sie wären für das Vaterland getan worden.“ (292)

Georg Christoph Lichtenberg, „Sudelbücher“, Heft K (1793-1796).

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„Unglück“ ist kein Schicksal
Kritik hat eine eigene Kraft

„Was in der Eurozone gerade passiert, trägt historisch dramatische Züge. Eine so lange Phase, in der öffentliche Einrichtungen verfallen, hat es in keinem großen Industrieland in den vergangenen Jahrzehnten gegeben. Ein atemberaubendes Experiment, für das Deutschland auf fatale Art als Vorlage dient: Hierzulande wird praktisch seit Beginn der Nullerjahre kaum mehr dafür gesorgt, die öffentlichen Einrichtungen ordentlich instand zu halten. (...)
Dann bräuchte es eher heute als morgen einen ebenso historischen Investitionsschub in der Eurozone. Um die Schäden zu reparieren. Und es bräuchte eine Neudefinition des Stabilitätspakts, wonach von den Kürzungsvorgaben ab sofort alles ausgenommen würde, was zur Wiederherstellung öffentlicher Einrichtungen und Ausrüstungen nötig ist. Einige Experten fordern das schon seit Jahren. Von den Stabilitätspäpsten wurden sie immer wieder mit der Mutmaßung abgewimmelt, die Schluderländer wollten damit ja nur eine Ausrede, um nicht zu sparen.
Da hilft auch die Wiederholung des Mantras nicht, wonach für alles kein Geld da ist. Es gibt endlos viel Geld. Man muss es nur richtig aufteilen und nutzen. Damit Menschen keine Angst haben müssen, über Brücken zu fahren.“

Thomas Fricke, „Brückeneinsturz in Genua/Kaputtgespart“, „SPIEGELONLINE“, 17.8.2018.

 

„Die neuen Superstarfirmen kaufen Konkurrenten vom Markt, sie kaufen sich Politiker als Berater, sie kaufen sich Anwaltskanzleien, die Prozesse gegen Regierungen führen können, sie fügen Investitionsgerichte in internationale Handelsverträge ein, vor denen sie nur noch gewinnen können, und betreiben systematisch Steuervermeidung; sie kaufen sich Universitäten und Wissenschaftler. (...) Es gibt genug Dinge, die man sofort regeln könnte, etwa die prekären Arbeitsverhältnisse der Digitalkonzerne. Man kann gegen Steuervermeidung vorgehen. (...) Wir brauchen engagierte Bürger und einen starken Staat.“

Thilo Bode (ehemals Geschäftsführer von Greenpeace und Gründer von Foodwatch) im „SPIEGEL-Gespräch“, „SPIEGEL“ Nr. 34/2018, S. 58-60.

Ja, die Möglichkeiten sind vorhanden: Brücken müssen nicht einstürzen, Brände können gelöscht werden (falls sie überhaupt entstehen müssen), Häuser können erdbebensicher sein, Krankheiten sind vermeidbar oder erfolgreich zu behandeln; Erwerbslosigkeit ist keine Zwangsläufigkeit, soziale Ungleichheit ist keine ethnische Frage, Krieg sei nicht die einzige Fortsetzung der Politik (mit anderen Mitteln); weder prinzipieller Verzicht noch purer Konsum bilden den Sinn des Lebens; rechte Demagogie ist nachhaltig zu schwächen.

Wenn Thilo Bode (s.o.) von einem „starken Staat“ spricht, ist darunter ein Sozial-, Bildungs- und Kulturstaat zu verstehen. Entgegen Krieg, Militär und Rüstungsexporten. Wenn von „engagierte(n) Bürger(n)“ die klare Rede ist, sind so gut wie Alle gemeint. Das Engagement von der überwiegenden Mehrzahl für die überwiegende Mehrzahl für bessere soziale, politische und kulturelle Lebensbedingungen – persönlich, vor Ort und weltweit – ist die tatsächliche Alternative zur mächtigen Kumpanei von großem Kapital, erfüllungsbereiten Regierungen und zahmen Medien. – Entgegen den Einreden vom „Ende der Geschichte“ und der Alternativlosigkeit.

Die Wende hin zu einer menschenwürdigen Zivilisationsentwicklung bzw. persönlichen Emanzipation und positiven Veränderung der Gesellschaft beginnt mit der kritischen Meinungsbildung, die sich aktiv im Widerspruch zu ständig wiederholten Vorurteilen und politisch geschaffenem Elend befindet und eine sofortige Schaffung von Wohlbefinden bedeutet. Andere Menschen finden sich ein, die Gelegenheiten, sich zu engagieren, sind vorhanden. Der Unmut findet eine gute Bahn.

Untrüglich
Das Trübe weicht dem Hellen,
Unweigerlich und mit Gestalt;
Wir ziehen durch die Wellen,
Aus niemals wird auf einmal: bald.

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Zivile Entwicklung!
Für Abrüstung und Sozialaufbau

„Vom Irak über Libyen haben alle Interventionen »für unsere Werte« das Elend in den betreffenden Ländern erhöht, die Entstehung des IS und das Anwachsen seines Einflusses ermöglicht, den islamischen Terrorismus beflügelt und eine Flüchtlingsbewegung säkularen Ausmaßes provoziert. (...) Die EU als neuer politischer Welt-Aufpasser und -Einmischer wird unsere Sicherheit im Inneren Europas nur weiter extrem gefährden.“

Peter Gauweiler (CSU), Rechtsanwalt in München: „Alternative zum Weltuntergang“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung („FAZ“), 25.8.2018, S. 9.

 

„Gerade in diesem Jahr haben wir besonderen Anlass, den Antikriegstag als Tag des Mahnens vor den zerstörerischen Folgen des besinnungslosen Nationalismus und Faschismus zu begehen. Denn 2018 jährt sich das Ende des Ersten Weltkriegs zum hundertsten Mal. Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus! Das ist die unumstößliche Lehre, die wir Gewerkschaften aus den Weltkriegsschrecken des 20. Jahrhunderts gezogen haben. Dazu bekennen wir uns. Dafür steht die Gewerkschaftsbewegung in Deutschland, Europa und weltweit. (...) Zwei Prozent des BIP [Bruttoinlandsprodukt] für den Rüstungsetat – das wären allein für Deutschland weitere 30 Milliarden Euro, die im zivilen Bereich fehlen würden: für Investitionen in Bildung, Hochschulen, Schulen und Kitas, für den sozialen Wohnungsbau für kommunale und digitale Infrastruktur, für eine gerechte und ökologische Gestaltung der Verkehrs- und Energiewende, für eine bessere Alterssicherung und mehr soziale Sicherheit.“

„Abrüsten statt Aufrüsten!“, DGB-Aufruf zum Antikriegstag.

 

„Es geht darum, den Kapitalismus zur Rechenschaft zu ziehen, das ist ein extrem wichtiger Teil des demokratischen Prozesses.“

John Micklethwait, Chefredakteur des US-Medienkonzerns Bloomberg, im „SPIEGEL-Gespräch“, „SPIEGEL“ Nr. 35/2018, S. 70-72, hier S. 70.

Peter Gauweiler, ein konservativer Politiker, wendet sich vehement in der „Zeitung für Deutschland“ (s.o.) gegen Joschka Fischer (Grüne), der in der „Süddeutschen Zeitung“ dafür eintritt, daß die Europäische Union zur globalen militärischen Macht werden müsse. – Ein erstaunlicher Vorgang! (Gauweiler spricht sich für eine zivilisierende Welt-Rolle Europas aus.)

Der DGB ruft gemeinsam mit der Friedensbewegung zum Antikriegstag auf und plädiert für „eine gemeinsame Strategie der friedenssichernden Konflikt- und Krisenprävention“ der Europäischen Union, er fordert die Bundesregierung auf, sich dem von über 120 Staaten beschlossenen UN-Vertrag über ein Atomwaffenverbot anzuschließen und verlangt eine bessere Kontrolle von Rüstungsexporten. – Eine stimmige gesellschaftspolitische Intervention!

John Micklethwait (s.o.), nicht bekannt als Sozialist oder Pazifist, argumentiert für einen kritischen Qualitätsjournalismus und widerspricht dem „Ende der Geschichte“ (Francis Fukuyama). – Ein Ausweis kritischen Realismus.

Alles in allem wird deutlich: Aufrüstung, Kriegseinsätze, Rüstungsexporte, Militärpropaganda und die Steigerung der ökonomischen Konkurrenz stehen der positiven Sozialentwicklung, der demokratischen Entfaltung, einem rationalen Mensch-Natur-Verhältnis, kooperativen internationalen Beziehungen und einem aufgeklärten Menschenbild diametral entgegen.

Ebenso liegt unabweisbar auf der Hand, daß die Vernunft nur durch die gemeinsame Aktivität der Vernünftigen zum Durchbruch gelangen kann: in Bildung, Politik, Medien, Kultur; in Gewerkschaften, Parteien, Initiativen und Bewegungen. Ein besseres Leben ist möglich. Dafür lohnt es sich auch, auf die Straße zu gehen – persönlich überzeugt und vielfältig assoziiert.

Frieden ist die Überwindung der strukturellen Gewalt.

Antikriegstag – 1. September 2018

12 Uhr – Kultur am Deserteursdenkmal
(U-Bahn Stephansplatz)
veranstaltet von Vereinen und Aktiven aus dem
„Bündnis Hamburger Deserteursdenkmal“

14 Uhr – Demonstration
Abrüsten statt Aufrüsten! – Stopp aller Rüstungsexporte!
Atomwaffen verschrotten!

Auftakt am Deserteursdenkmal (U-Stephansplatz)
16:30: Abschluss am Besenbinderhof

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Menschenwürde
Eine „nationale Frage“?

„Entscheidend ist nun, ob Chemnitz das Ende einer geistig-unmoralischen Wende markiert, die mit Thilo Sarrazins erstem Buch begann. Oder ob es den Auftakt zu einer antiliberalen gar neofaschistischen Ära bildet. Ob Chemnitz zum Weckruf für Politik und Bürger wird, dem Rechtsruck bei gleichzeitiger Diskreditierung der Demokratie entgegenzutreten. Oder ob jene, die Gegenwehr leisten könnten, weiter in staatsbürgerlicher Apathie verweilen.“

Markus Feldenkirchen, „Nach Chemnitz“ (Leitartikel), „SPIEGEL“ Nr. 36/2018, S. 6.

 

„Ein ganzes System muss auf den Prüfstand, das immer mehr Ungleichheit im eigenen Land wie auch weltweit produziert.“

Sabine Kebir, „Deutsche Standards“, „Freitag“ Nr. 35, 30. August 2018, S. 2.

 

„Das Eigentliche wird durch noch einmal entfachten nationalistischen Rausch aus dem Bewußtsein verdrängt: das Problem des Kapitals und der Arbeit, der Güterumverteilung, das vom Nationalen her nicht zu lösen ist.“

Thomas Mann, Tagebuch, 2.5.1933.

Rassismus, Nationalismus, Militarismus, Chauvinismus – es gibt sie, immer noch, die ideologischen Kopfverdreher, die sich, hoch emotionalisiert bis hin zu gewalttätig oder dazu aufreizend, auf der Straße und im Netz reaktionär austoben.

Diese mentalen Ein- und Auspeitscher basieren jeweils und zusammen auf sozialer Ungleichheit sowie kultureller Verzweiflung, arbeiten mit häßlich tradierten Vorurteilen und richten sich nicht nur gegen die sozial strukturell Benachteiligten, sondern auch gegen fortschrittliche Anschauungen und Kräfte aller Art bzw. progressive Forderungen und ihre Verwirklichung.

Dabei werden in der Regel auch soziale, zivile und demokratische Regeln, Standards und Errungenschaften in Frage gestellt, verhöhnt (Rechts- und Sozialstaat) bzw. zu unterminieren versucht.

Dagegen richtet sich allerorten positiv orientierter Widerstand: Für Frieden und kooperative internationale Entwicklung, für ein aufgeklärtes Menschenbild und die Selbstverständlichkeit der Humanität (z.B. Seenotrettung); für eine soziale Überwindung der weltweiten und Ungleichheit im Lande, für die tatsächliche Gleichheit vor dem Gesetz und eine Gesellschaft ohne Gewalt respektive Achtsamkeit vor der Menschenwürde.

Diese Bewegung hat zwar historische Beispiele und Erfahrung, ist aber in ihrem wachsenden Ausmaß sowie der steigenden Entschiedenheit neu, so daß sich sagen läßt: die „staatsbürgerliche Apathie“, das „Ende der Geschichte“ oder das Prinzip Tina („There is no alternative“) werden Schritt für Schritt überwunden. Das fatalistische Erbe der 1990er Jahre („Neue Weltordnung“) wird zunehmend kulturell in Frage gestellt. Das ändert in positivem Maße die Kultur, den Alltag, die gesellschaftliche Entwicklung, die politische Großwetterlage und die Persönlichkeiten. Das ist der richtige Weg. Er führt hin zu einer menschenwürdigen Gesellschaft. Die Freude beginnt zu erwachen. Sie ist ausgeschlafen.

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Links zu sein ist besser
Ein freundlicher Hinweis

„Der Burn‐out ist zur symptomatischen Krankheit der Epoche geworden, weil die strukturellen Versäumnisse und die soziale Ungleichheit individuell eben nicht aufgefangen werden können. Ewige Optimierung ist die Losung der Zeit, privat wie beruflich gibt es keine Ruhe – das Bedürfnis der einzelnen nach Sicherheit, nach einem gewissen Rückhalt durch ein friedliches Wohnumfeld, funktionierende öffentliche Dienstleistungen und einer inspirierenden, zugänglichen Kultur hatte zu lange eine zu geringe Bedeutung. (...) Die Sehnsucht nach einer permanenten Gegenwart wirft uns zurück. Abschiebungen, Mauern und Frontex sorgen nicht für Sicherheit und schon gar nicht für eine glänzende Zukunft. Wir sollten mehr politische Fantasie wagen. Wer sich politisch engagieren kann, wer das möchte, sollte es jetzt tun. Es ist, sagen wir mal, nicht zu früh.“

Nils Minkmar, „Politische Analyse/Ein Land steht still“, „SPIEGELONLINE“, 9.9.’18.

 

„Wenn man die Liste der ganz großen Wirtschaftsprobleme unserer Zeit durchgeht – von Wohnungsnot bis Reichtumsgefälle –, fällt auf, dass so gut wie keins davon mit den leicht brachialen konservativ wirtschaftsliberalen Rezepten der vergangenen Jahrzehnte zu lösen sein wird. Also von rechts. Die haben uns womöglich einen Großteil der Probleme ja erst gebracht. Das als Lösung zu preisen, wäre nicht streng logisch nach dem Crash dieses Dogmas vor ziemlich genau zehn Jahren, als die Pleite der Investmentbank Lehman Brothers die Weltwirtschaft für Wochen in eine Depression zu ziehen schien. Die besseren Antworten könnten – logisch – dann eher auf der Seite liegen, die nach gängigem Verständnis der vergangenen Jahrzehnte links davon zu verorten wäre. Die Frage ist dann nur, ob das im historischen Maßstab links ist – oder einfach: zeitgemäß.“

Thomas Fricke, „Künftige Wirtschaftspolitik/Die Zukunft liegt links“, „SPIEGELONLINE“, 7.9.’18.

Wer über lange Zeit – verstärkt seit den 1990er Jahren – das „Ende der Geschichte“, die „Alternativlosigkeit“, die „ Eigenverantwortung“ und den Egoismus predigt und praktiziert; wer durch Steuersenkungen, Privatisierungen öffentlichen Eigentums, Deregulierung von Banken und Arbeitsverhältnissen, massenhafte prekäre Erwerbsverhältnisse schafft sowie die Armen bekämpft statt der Armut; wer Flüchtlinge, MigrantInnen und Asylsuchende zum Problem erklärt, welches durch Krieg, soziales Elend und vermeidbare Umweltkatastrophen gemacht ist; wer „freier“ Konkurrenz und quasi natürlicher Ungleichheit das Wort spricht und so handelt – der hat politisch, sozial und kulturell wesentlich Mitverantwortung für das Anwachsen reaktionärer Kräfte mit ihrer destruktiven Wut und ihrer Gewalttätigkeit.

Dagegen wachsen aber Kritik, Unmut, Widerstand und Aktivitäten für Frieden, Abrüstung und zivile Entwicklung, für die Rekonstruktion öffentlichen Eigentums und der Aufgaben des Sozial-, Gesundheits- und Kulturstaates, für Aufklärung, Kooperation, internationale Solidarität, Fairneß im Alltag, den universalen Wert der Menschenwürde, eine vitale Demokratie und auch die Errungenschaften des Rechtsstaates (Gewaltenteilung, Gesetzlichkeit, Sozialstaat, Gleichheit vor dem Gesetz).

Dem Neoliberalismus („anything goes“) ist die Luft ausgegangen. Ihm soll mit dem Rechtsextremismus neuer stinkender Atem eingeblasen werden. Das Ewig-Gestrige ist eine reaktionäre Antwort auf die gescheiterte Doktrin und politische Praxis der unbeschränkten Freiheit der Gewinnsteigerung. Die eigentliche Freiheit (Befreiung im Allgemeininteresse) besteht in der geistigen und praktischen Einheit von Freiheit, Gleichheit und Solidarität.

Dafür gibt es Erfahrungen, Beispiele, Konzepte, Forderungen und Aktivitäten. Darin sollten wir uns nicht beirren lassen. Menschlichkeit ist keine Schwäche. Sie ist ein Bedürfnis, das sich Bahn bricht.

„Was überwiegt nach langen Zeiten der sozialen Ungerechtigkeiten, ist der entschlossene Überdruß an ihnen insgesamt. Ihre Gesamtheit – ist die Ungleichheit. Oft von Natur bestimmt, noch öfter an den Zufall der Macht gebunden, die Ungleichheit ist nicht mehr erträglich, die Gesellschaft will sie begrenzen.“

Heinrich Mann, „ Ein Zeitalter wird besichtigt“, 1944/1988, S. 44.

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Krise ohne Ende?
Ein Ausblick

„Ist die größte Finanz- und Weltwirtschaftskrise seit hundert Jahren ausgestanden? Nein. Denn auch diese Finanzkrise ist eine Vertrauenskrise. Die Sorgen um den Wert des Geldes zusammen mit den gigantischen Rettungskosten, für die der Steuerzahler aufkommen musste, erschütterte das Grundvertrauen in Staat, Politiker und Institutionen. Politisch lässt sich eine Linie von der Finanzkrise bis zum Brexit und der Wahl von Donald Trump in Amerika ziehen. Für die meisten steht heute fest: Marktversagen, Deregulierung und Neoliberale sind schuld an allem. Dabei stand am Anfang der Wunsch von Präsident Clinton, alle zu Hausbesitzern zu machen. Deshalb finanzierten halbstaatliche Hypothekenbanken den Hauskauf für alle, Kredit bekam auch, wer ohne Einkommen war. Die Kredite wurden gebündelt und an Banken verkauft. Als die Zinsen stiegen, platzte die Immobilienblase, an den Börsen stürzten die Kurse, niemand wusste, wer die plötzlich wertlosen Kreditpakete in der Bilanz hatte, keine Bank traute einer anderen. (...) Die Autorität der Eliten ist untergraben, weil der Finanz- und Eurokrise schmerzhafte Sparmaßnahmen folgten.“

Holger Steltzner, „Lehman und die Krise des Westens“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ („FAZ“), 15.9.’18, S. 1 (Leitkommentar).

 

„Die Abfolge scheint kein Zufall zu sein: nach Auswertung von Dutzenden Bankenkrisen aus den vergangenen 150 Jahren kamen Ökonomen um den Bonner Wirtschaftshistoriker Moritz Schularick vor einiger Zeit schon zu dem Ergebnis, dass fast immer ein paar Jahre nach solchen Krisen rechte Parteien enormen Zulauf bekommen. Was sich derzeit fast monatlich zu bewahrheiten scheint. Nur dass die Rechten heute nicht auf die Banken schimpfen, sondern typisch auf irgendwelche Sündenböcke. Und da hat jeder so seinen eigenen: der wütende Ami die Mexikaner, der wütende Italiener die Deutschen und die wütenden Deutschen den Griechen. Und natürlich alle den Islam. Obwohl der mit dem Finanzdesaster nun wirklich nichts zu tun hat.“

Thomas Fricke, „Künftige Wirtschaftspolitik/Die Zukunft liegt links“, „SPIEGELONLINE“, 7. 9.’18.

 

„Wenn ein Kommunist arm ist, dann sagen die Leute, er sei neidisch. Gehört er dem mittleren Bürgertum an, dann sagen die Leute, er sei ein Idiot, denn er handele gegen seine eigenen Interessen. Ist er aber reich, dann sagen sie, seine Lebensführung stehe nicht mit seinen Prinzipien im Einklang. Worauf denn zu fragen wäre: Wann darf man eigentlich Kommunist sein –?“

Kurt Tucholsky, „Schnipsel“, 1931.

Ja, für die meisten steht heute fest: Der Neoliberalismus in Wort und Tat, d.h. die umfängliche politische Kapitalbegünstigung, ist ursächlich, wesentlich oder verantwortlich für die anhaltende soziale Krise, das Mißtrauen in die „Eliten“ sowie das Erstarken rechter Kräfte.

Wenn Menschen ohne Einkommen oder geringem Einkommen (bei mehreren Jobs) Häuserkredite bekommen, diese Kredite zu Spekulationszwecken weiterverkauft werden, die Zinsen steigen, niemand die Kredite zurückzahlen kann; die Blase platzt, die Mehrheit der nicht reichen Steuerzahler dafür – vermittelt über den Bankenretterstaat – aufkommen muß, die soziale Daseinsfürsorge (Gesundheit, Bildung, soziale Absicherung, Infrastruktur) gekürzt, vernachlässigt und kommerzialisiert wird, dann ist nicht nur der Neoliberalismus moralisch, politisch und am Maßstab der gesamtökonomischen Vernunft am Ende, sondern auch der Nährboden für reaktionäre rechte Kräfte fruchtbar bestellt. „Sündenböcke“ (Linke, Nonkonforme und Ausländer) sollen als emotionalisierte Ablenkung für die eigentlichen Ursachen bzw. Verursacher der Misere herhalten, die nur sozial progressiv, solidarisch, zivil und demokratisch überwunden werden kann.

Im Allgemeininteresse, in sozialer und ökonomischer wie ökologischer Rationalität sind – menschenwürdig – nach wie vor Frieden, Abrüstung, gewaltfreie Entwicklung, internationale Solidarität, die bedarfsgerechte Rekonstruktion des Sozialstaates, ein aufgeklärtes Menschenbild, die kooperative Anwendung historischer Erfahrungen bzw. die kultivierte Entwicklung mündiger Persönlichkeiten. In diesem Zusammenhang ist auch die „Schuldenbremse“ zu lösen, eine offensive Steuerpolitik erforderlich und die Rückgewinnung öffentlichen Eigentums (z.B. im Gesundheitsbereich) eindeutig sinnvoll. In diese Richtung gibt es mittlerweile viele Aktivitäten. Jede Beteiligung ist sinnvoll. Jeder Beginn ein kultureller Gewinn. So gelingt das gesellschaftliche Leben am besten.

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Was ist menschlich?
Eine Bestimmung

„Hans-Georg Maaßen wird in der »Bild«-Zeitung von einem ungenannten »Insider« als einer der »besten, kreativsten und durchsetzungsstärksten Fachleute für Migration überhaupt« beschrieben. So kann man das sehen – wenn man es toll findet, dass einer schon 1997 in seiner Doktorarbeit von »Asyltourismus« schwadronierte und in einer Rede vorschlug, Bürger, die Flüchtlinge im Kirchenasyl betreuten, wegen »Bildung einer kriminellen Vereinigung« zu belangen.“

Jakob Augstein, „Unschlagbar im Verlieren“, „SPIEGEL“ Nr. 39, S. 10.

 

„Wer nicht eingreift, versucht auch nicht, andere zum Eingreifen zu bewegen. (...) Das gesellschaftliche Klima wird kälter, der Ton aggressiver. Der Populismus blüht. Antisemitismus, Fremden- und Islamfeindlichkeit erstarken. Die Hemmschwelle sinkt.“

Melanie Mühl, „Empathie/Eine entscheidende Fähigkeit verliert dramatisch an Wert: Mitgefühl. Aber warum?“, „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ („FAS“), 23.9.’18, S. 48.

 

„Um des erzielten Resultats nicht verlustig zu gehen, um die Früchte der Zivilisation nicht zu verlieren, sind die Menschen gezwungen, sobald die Art und Weise ihres Verkehrs (commerce) den erworbenen Produktivkräften nicht mehr entspricht, alle ihre überkommenen Gesellschaftsformen zu ändern.“

Karl Marx in einem Brief an P.W. Annenkow, 28. Dez. 1846, Marx-Engels-Werke (MEW), Band 4, S. 549.

Bücher

„Wenn der Mensch
von den Umständen
gebildet wird, so muß
man die Umstände
menschlich bilden.“

Karl Marx/Friedrich Engels,
„Die heilige Familie“
1844/45, MEW 2, S.138.

Egoismus, Gier, Habsucht, soziales Unverständnis, so auch Mitleidlosigkeit, sind Haltungen, Eigenschaften und Handlungsweisen, ohne die sich – unabhängig von Qualität und Nutzen – die (großen) Geschäfte nicht ohne Skrupel machen ließen. Diese (Un-)Kultur wird von Menschen bzw. Amtsträgern befördert, die ihre Auffassung und Aufgabe in der Fortsetzung der wachsenden sozialen Ungleichheit sehen und betreiben. Die Krise besteht somit in einem nicht haltbaren Zustand.

Dagegen richten sich aber menschen würdigere oder der Zivilisation angemessenere Haltungen und Aktivitäten von gemeinsam engagierten Menschen: In Bewegungen, (einigen) Parteien, Gewerkschaften, Initiativen, in der Interessenvertretung; in Schulen, Hochschulen, sozialen und kulturellen Einrichtungen, im Alltag – für Frieden, die Freiheit von Gewalt, ein humanes Menschenbild, internationale Solidarität, ökologische Rationalität, den Wert der Mitbestimmung und der kollegialen Kooperation sowie für die Rückgewinnung des Sozialen und eine Verbesserung der gesellschaftlichen Lebensbedingungen. Die Hauptrichtung der weiteren Entwicklung ist umkämpft. Die Kontroverse zeigt ein klares Bild.

Das konkret Humane besteht nicht in der Fortsetzung des Falschen. Die Mittel und Erfahrungen für die Beseitigung von Mühsal und Elend sind vorhanden. Eine weite Perspektive ist zu gewinnen. Ein neues Bewußtsein bricht sich in der Tat Bahn. Darauf ist zu achten. Das ist menschlich. Gewißheit wirkt.

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Jakobinersperling