Semesteranfangszeitung Sommersemester 2021
„Die Corona-Pandemie hat zu einer deutlichen Verschlechterung der Menschenrechtslage für Millionen Menschen weltweit geführt. Dies schreibt die Menschenrechtsorganisation Amnesty International in ihrem Jahresbericht. In vielen Regionen habe die Pandemie Ungleichheit, Diskriminierung und Unterdrückung verstärkt, teilte Amnesty mit. Die Krise sei von zahlreichen Staaten missbraucht worden, um Rechtsstaatlichkeit und Meinungsfreiheit weiter einzuschränken. Dabei seien es in der Regel keine neuen Phänomene, die erst durch Corona entstanden seien. Vielmehr handele es sich um strukturelle Missstände, die im vergangenen Jahr dann überdeutlich hervortraten, sagte Generalsekretärin Agnès Callamard. »Corona kann vielleicht nicht definieren, wer wir sind, aber die Pandemie zeigt deutlich, wie wir nicht sein sollten.«“
„ZEIT ONLINE“, 7.4.2021.
„Nein, die Demokratie ist nicht verwirklicht, die soziale, in der die Völker zu leben wünschen, während ihre Regierungen es im Namen des Vaterlandes hintertreiben. Ein anderer Völkerbund wäre nötig als der Genfer [1920-1945, ab 1946 die UNO]: ein Bund der Völker gegen ihre Regierungen, die ihren Friedenswillen nicht ausführen; und der bürgerlich geborene geistige Mensch muß sich heute sagen, daß, wenn in den Hauptstaaten Europas heute Arbeiterregierungen an der Spitze stünden statt bürgerlicher oder feudaler, der Erdteil ein gutes Stück weiter, als es leider der Fall ist, auf dem Wege der Ordnung, Vernunft und Gesundheit vorangeschritten wäre.“
Thomas Mann, Rede vor Arbeitern in Wien, 1932.
So mag es triftig sein: Recht haben heißt, Rechte zu haben und sie zu verwirklichen.
Mit dieser sozialen Rechtswirklichkeit sieht es aktuell nicht besonders gut aus: ai konstatiert in ihrem Bericht ferner, daß das Gesundheitspersonal häufig nur unzureichend vor Infektionen geschützt wird, die Situation von Flüchtlingen und MigrantInnen sich verschlechtert hat, die häusliche Gewalt zugenommen hat und auch die Polizeigewalt angestiegen ist. Ebenso seien die internationalen Menschenrechtsstandards in der Bundesrepublik Deutschland (besonders Rechtsstaatlichkeit) nicht eingehalten worden. Die humanen Defizite werden konzentriert.
Gleichwohl wird seitens der Generalsekretärin von ai positiv hervorgehoben, wie „entschlossen Menschen für ihre Rechte und für faire und gerechte Chancen nach der Pandemie“ eingetreten seien. Auch diese Aktivitäten nehmen zu.
Hier liegt der Schlüssel für die Öffnung einer neuen (weltweiten) Entwicklung respektive für die Überwindung der multiplen Krisensituation: Das eigene, gemeinsame und übergreifende Engagement für gewaltfreie, aufgeklärte, zivile, demokratische, soziale und kooperative gesellschaftliche Verhältnisse bzw. für eine friedliche Entwicklung, die diese menschenwürdigen Kriterien zum Inhalt hat und eine grundlegende Verbesserung der Lebensbedingungen umfassend realisiert.
Das alles beinhaltet und setzt voraus die kritische Meinungsbildung, das assoziierte Handeln, zwei Unzen Konfliktbereitschaft, das Verlassen der (verordneten) Trägheit sowie, nicht zuletzt, das erweiterte Verantwortungsbewußtsein der Wissenschaften. Nehmen wir den Schlüssel in die Hand!
„Hermeneutik [Brockhaus: zu griech. hermēneúein »erklären«, »kundgeben«, »auslegen«] nimmt die Umwegigkeit des ständigen Abgleichs ihrer Einsichten mit anwesenden anderen in Kauf, um sich ein Mehr an Verständnis zu sichern. Tiefes Lesen muss kein einsames Lesen sein. Im Gespräch mit anderen gelingt es oft besser. Präsenz ist sperrig, gewiss. Aber nur wer die Sperrigkeit aushält, kann sicher sein, auch dem Widerstand seiner Gegenstände gewachsen zu sein. Wo es um bloße Informationsvermittlung geht, ist die digitale Lehre eine probate Form des Unterrichts. Hermeneutik aber vermittelt nicht nur das, was in den Texten drin-, sondern auch das, was ihrem Verständnis entgegensteht. In der vielstimmigen Auseinandersetzung, wie sie für gute Präsenzlehre charakteristisch ist, eröffnet sie Denkwege, die nicht auf den ersten Blick ersichtlich sind. Sie zeigt uns, dass alles auch ganz anders sein könnte.“
Jürgen Paul Schwindt (Klassische Philologie Universität Heidelberg) und Michael Sommer (Alte Geschichte Universität Oldenburg), „Tiefer Lesen“, in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ („FAZ“), 1.10.2020.
„Der Witz der bürgerlichen Gesellschaft besteht ja eben darin, daß a priori keine bewußte gesellschaftliche Reglung der Produktion stattfindet. Das Vernünftige und Naturnotwendige setzt sich nur als blind wirkender Durchschnitt durch. Und dann glaubt der Vulgäre eine große Entdeckung zu machen, wenn er der Enthüllung des inneren Zusammenhangs gegenüber drauf pocht, daß die Sachen in der Erscheinung anders aussehn. In der Tat, er pocht drauf, daß er an dem Schein festhält und ihn als Letztes nimmt. Wozu dann überhaupt eine Wissenschaft? Aber die Sache hat hier noch einen andren Hintergrund. Mit der Einsicht in den Zusammenhang stürzt, vor dem praktischen Zusammensturz, aller theoretische Glauben in die permanente Notwendigkeit der bestehenden Zustände.“
Brief von Karl Marx an Ludwig Kugelmann, London, 11. Juli 1868, MEW Bd. 32, S. 553f.
Laut dem antiken Historiker Diogenes Laertios gewann Sokrates (469-399 v.u.Z.) einen seiner ersten Schüler, als er dem Vorbeigehenden mit seinem Stock den Weg versperrte und fragte: „Weißt du, wo man Fisch verkauft?“ „Gewiß, auf dem Markt“. „Und weißt du, wo die Männer tugendhaft werden?“ „Nein.“ „So folge mir denn und laß dich belehren.“ Bekanntermaßen bestand besagte Belehrung im steten Dialog, im Frage-und-Antwort-Spiel, im Zweifel an der Erscheinung und der Erfassung des Wesens. Der ganze Mensch in Bewegung durch den öffentlichen Raum und im gemeinschaftlichen Austausch miteinander war hier ebenso Bedingung für produktive Erkenntnis wie in dem wenig später von Platon (428-348 v.u.Z.) gegründeten philosophischen Institut am Rande eines Waldes, der dem heiligen „Akademos“ gewidmet war.
Wozu überhaupt Wissenschaft? Weil die Welt, so wie sie ist, nicht zufriedenstellt und weil – damit sie sozialer, friedlicher, demokratischer, kulturvoller und gesünder gestaltet werden kann – Neues erkannt, Bekanntes revidiert, Altes wiederentdeckt und Bisheriges neu verstanden werden muss. Das fordert den ganzen Menschen und nicht nur sein zweidimensionales Abbild. Das verlangt nach „vielstimmiger Auseinandersetzung“ statt Mikrophon-An/Aus-Schalten. In der ohnehin schon strukturell angelegten Hierarchie zwischen Lehrenden – die zugleich auch Prüfende sind – und Studierenden wird die Kritik an herrschender Lehrmeinung schwer, wenn das Gegenüber nur noch asynchron in Erscheinung tritt. Modern Times?
Auch erfordert eine demokratische Wissenschaft in gesellschaftlicher Verantwortung, dass sie nachvollziehbar im öffentlichen Raum stattfindet und die in der Wissenschaft Tätigen sich im realen sozialen Leben bewegen. Die Universität hat einst (2009) gegen Verlegungspläne in den Hafen um ihren Verbleib in Eimsbüttel gekämpft, nicht zuletzt, weil im ehemaligen jüdischen Grindelviertel Geschichte und antifaschistische Schlussfolgerung allgegenwärtig sind. Es macht einen Unterschied, ob der Ort einer Vorlesung ein nach der sozialistischen Nazigegnerin Anna Siemsen (Erziehungswissenschaft) oder ein nach dem humanistischen jüdischen Philosophen Ernst Cassirer (Philturm) benannter Hörsaal ist, oder „Zoom“ und „Microsoft Teams“ heißt.
Die gesellschaftlichen Gegenstände bzw. Zusammenhänge, denen die Wissenschaft aktuell gewachsen sein muss, sind herausfordernd. Dazu gehören die nachhaltige bewußte Entwicklung des globalen Klimas, die Beendigung von Kriegen und Militarismus, die Überwindung der während der Pandemie weltweit erheblich verschärften sozialen Ungleichheit, die Gestaltung einer menschenwürdigen Gesundheitsversorgung, die aktive und kooperative Rückgewinnung von Demokratie und Grundrechten.
Daher sind über die Rückkehr zur Präsenz weitergehende Schlußfolgerungen für eine dialogische und streitbare Wissenschaft zu ziehen: Abschaffung der Übergangshürde zwischen Ba und Ma, erhebliche Reduzierung von Prüfungen und Noten, der Ausbau der Studienplätze, soziale sichere und unbefristete Beschäftigungsverhältnisse in allen Bildungseinrichtungen und für all das eine bedarfsdeckende und Kreativität ermöglichende öffentliche Finanzierung.
„Über den Hafen werden pro Jahr 1.000 Container mit Munition verschifft. Das sind drei Container pro Tag – dazu kommen noch Waffen, Panzerwagen, Panzer, Raketenwerfer und Kriegsschiffe. Transportiert wird zum Beispiel nach Mexiko, Brasilien oder Kolumbien – in Länder, in denen die Menschenrechte mit Füßen getreten werden, [...] Wir sagen Ja zum Leben! Frieden bedeutet nicht nur die Abwesenheit von Krieg. Frieden bedeutet das respektvolle Zusammenleben, bedeutet Vertrauen, Kreativität und Solidarität jenseits von Feindbildern und auf Grundlage des Völkerrechts. [...] Gemeinsam senden wir aus Hamburg das Signal: Stoppt den Transport und Umschlag von Rüstungsgütern!“
Aus der Begründung der Volksinitiative gegen den Transport und Umschlag von Rüstungsgütern über den Hamburger Hafen, 2021.
„Denn wir sind Neinsager. Aber wir sagen nicht nein aus Verzweiflung. Unser Nein ist Protest. [...] Denn wir müssen in das Nichts hinein wieder ein Ja bauen, Häuser müssen wir bauen in die freie Luft unseres Neins, über den Schlünden, den Trichtern und Erdlöchern und den offenen Mündern der Toten: Häuser bauen in die reingefegte Luft der Nihilisten, Häuser aus Holz und Gehirn und aus Stein und Gedanken.“
Wolfgang Borchert, „Das ist unser Manifest“, 1947.
Vor hundert Jahren, im Mai 1921, wurde Wolfgang Borchert – Kabarettist, Dichter, Gefangener, Frontsoldat, Hamburger und trotz alledem hoffnungsloser Optimist – geboren. In seinem intensiven, kurzen Leben (er starb an Krieg und Knast mit 26 Jahren) verdichtete er die Erfahrungen einer Kriegsgeneration und gab uns mit auf den Weg – Nein zum Krieg und Ja zum Leben!
Darauf bauen wir bis heute in unserem Engagement für Frieden auf, im Einklang mit der Hamburger Verfassung von 1952: „Die Freie und Hansestadt Hamburg (...) will im Geiste des Friedens eine Mittlerin zwischen allen Erdteilen und Völkern der Welt sein.“
Diesem hohen Anspruch Geltung zu verschaffen hat sich die Volksinitiative gegen Rüstungsexporte gegründet. Denn Waffenhandel wird entgegen der restriktiven Gesetzgebung der Bundesrepublik in großem Umfang genehmigt und der Hamburger Senat läßt den Transport über den Hafen zu. In der Weltmeisterschaft der Rüstungsexporte belegt die Bundesrepublik im Corona-Krisenjahr den vierten Platz (nach den USA, Russland und Frankreich), knapp hundert Unternehmen in und rund um Hamburg verdienen an dem zynischen Geschäft mit dem Tod.
Um dem ein Ende zu setzen, hat sich ein vielfältiges Bündnis aus verschiedenen Friedensorganisationen, gewerkschaftlich und hochschulpolitisch Aktiven, Gruppen aus sozialer – und Umweltbewegung, MigrantInnenorganisationen, Menschen aus religiösen Zusammenhängen sowie KünstlerInnen zusammengefunden, die das humane Bewußtsein eint, daß Menschenrechte unteilbar überall auf der Welt gelten. Damit ist nicht nur verbunden, unmittelbar die Zerstörungen des Krieges und damit die größte Fluchtursache zu verhindern, sondern auch ein besseres soziales Leben in der Stadt zu schaffen. Internationale Solidarität statt Konkurrenz und Ausgrenzung, Mitbestimmung in den Betrieben und die Umstellung auf zivile, ökologisch und gesellschaftlich sinnvolle Produktion, Wissenschaft für Frieden statt Militärforschung. Die Kunst des Friedens: Überwindung der Ausbeutung, Demokratie und Diplomatie, soziale Entwicklung ohne Grenzen.
Bis September sollen nun über 10.000 Unterschriften gesammelt werden. Unterschreiben kann jedeR, die/der in Hamburg gemeldet ist, die deutsche Staatsangehörigkeit hat und über 16 Jahre alt ist. Unterschriften sammeln können alle. Infos und Fotos unter
„Seit die Maßnahmen zur Bekämpfung von Covid-19 kein lästiges Provisorium zum Zweck des Gesundheitsschutzes mehr sind, sondern eine irrationale Eigendynamik entwickelt haben, sehen sich die Individuen durch den stummen Zwang der Verhältnisse aufgefordert, sich weniger als Staatsbürger denn als Bewohner ihrer jeweiligen Region zu verstehen. (…) Wegen der Wandelbarkeit der statistischen Daten sind die mit diesen Daten begründeten Maßnahmen ebenso vorläufig wie unberechenbar. Dass die Maßnahmen eher von Panik und Herrschsucht bestimmter Trial-and-Error-Politik als nachvollziehbaren Begründungen folgen, zeigt sich am Instrument der Ausgangsbeschränkung, das mittlerweile in fast allen westlichen Staaten zur Anwendung gekommen ist.“
Magnus Klaue, „Ausgangssperre / Wohin willst du noch so spät?“, „ZEIT ONLINE“, 7.4.2021.
In der Nacht sind alle Gestalten verdächtig. Außerdem hat die (lachende) Jugend noch nie etwas getaugt. Und: Vergnügungen aller Art sind prinzipiell verdächtig. Wie wäre es stattdessen mit einer neuen Anstrengung solidarischer Rationalität?
Mit der deutlichen Verbesserung der Arbeitsbedingungen des Personals im Gesundheitswesen, insbesondere in den Krankenhäusern, Gesundheitsämtern und Seniorenheimen? Mit der bedrafsgerechten Anhebung der Gehälter in der Pflege? Mit der Einführung einer sozial gerechten BürgerInnenversicherung? Mit Krankenhäusern (wieder) in öffentlicher Hand?
„Wenn der Mensch
von den Umständen
gebildet wird, so muß
man die Umstände
menschlich bilden.“
Karl Marx/Friedrich Engels,
„Die heilige Familie“
1844/45, MEW 2, S.138.
Mit der Befreiung öffentlicher Einrichtungen von kommerziellen Interessen und Maßstäben?
Zu diesen begründeten Anliegen für das Allgemeinwohlgibt es mittlerweile eine Vielzahl von Aktivitäten.
Diese lohnenswerten Aufgaben fordern Alle und geraten zunehmend in das öffentliche Bewußtsein. Die kritische Vernunft erreicht den Alltag.
So kooperieren wir mit anderen fortschrittlichen Gruppierungen in den Gremien der studentischen Interessenvertretung, in der Akademischen Selbstverwaltung und in außerparlamentarischen Bewegungen: in Fachschaftsräten, in der Fachschaftsrätekonferenz, im Studierendenparlament, im Akademischen Senat, in Fakultätsräten, in der Friedensbewegung, in Bündnissen gegen Neofaschismus, in Aktivitäten gegen Sozialabbau.
Wir sind bundesweit als Gründungsmitglied im Hochschulgruppenverband Die Linke.SDS organisiert. Dieses Engagement ist uns alltägliche und stets menschliche Angelegenheit.
Allseitige Emanzipation als erstes Bedürfnis. Dem sollte sich auf Dauer niemand entziehen.
„Wer seine Lage erkannt hat, wie soll der aufzuhalten sein?“
Bertolt Brecht, „ Lob der Dialektik“, 1934.