Sommersemester 2023

Flugblätter

Semesteranfangszeitung Sommersemester 2023

Die Liste LINKS trifft sich freitags, 16 Uhr,
im „Syntagma” ­ studentischer Raum
neben dem HASPA-Café (WiWi-Gebäude)

Wie begrüßt man einen König?
(Mit demokratischer Ironie.)

„Charles schätzt die vermeintlich deutschen Tugenden, die er allerdings von seiner Mutter übernommen hat: Pünktlichkeit, Fleiß, Hingabe. Die Deutschen sind wiederum ein Volk, das Klatsch und Tratsch liebt. Tatsächlich gibt nahezu die Hälfte von ihnen an, sich für die britische Monarchie mit all ihren Höhen und Tiefen zu interessieren. Das bezieht sich bei Weitem nicht nur auf die oft höchst banalen, familiär bedingten Zwistigkeiten der Mountbatton-Windsors. (...) Charles hat Gewicht als Mensch und Monarch. Insofern ist er auch unser König.“

Peter-Philipp Schmitt, „Ein König auch für Deutschland“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ („FAZ“), 31.3.2023, S. 1 (Leitkommentar).

 

„Der Royalismus eines Volkes besteht dem Wesen nach darin, daß es Autoritäten achtet, daß es an die Personen glaubt, die jene Autoritäten repräsentieren, daß es in dieser Zuversicht auch der Person selbst anhängt. Der Republikanismus eines Volkes besteht dem Wesen nach darin: daß der Republikaner an keine Autorität glaubt, daß er nur die Gesetze hochachtet, daß er von den Vertretern derselben beständig Rechenschaft verlangt, sie mit Mißtrauen beobachtet, sie kontrolliert, daß er also nie den Personen anhängt und diese vielmehr, je höher sie aus dem Volke herausragen, desto emsiger mit Widerspruch, Argwohn, Spott und Verfolgung niederzuhalten versucht.“

Heinrich Heine, „Französische Zustände“ (Artikel IX), 1832.

Frans Masereel, Bilder gegen den Krieg (Holzschnitt)

Wie begrüßt man einen König? (Er verläßt bisweilen den roten Teppich für das „Bad in der Menge.“) Wartet man, bis er einen anspricht und die Hand reicht? Macht Mann/Frau einen Diener oder Knicks? Bleibt es beim Smalltalk? Sind Fragen oder politische Themen – Kritik gar – erlaubt?

In dieser Etikette steckt ein untergegangenes Großreich (British Empire), das, als konstitutionelle Monarchie, nach dem nationalistischen Brexit, von einer altbacken konservativen Regierung verwaltet wird, die nichts unversucht läßt, den Leuten auf der Insel das Leben so schwer wie möglich zu machen. Dagegen richten sich, wie wir wissen, energische Aktivitäten zur Verbesserung der sozialen Lage der Mehrheit der Bevölkerung. Das ist in Frankreich ebenso, weshalb der Monarch Charles III. seinen Besuch dort tunlichst vermieden hat.

Aber auch hierzulande zeigt sich vermehrt soziales Engagement zur dringenden Verbesserung von Löhnen, Arbeitsbedingungen und der politischen Anerkennung der Arbeit im öffentlichen Bereich. Gleichfalls ist die Zustimmung zu Kriegen und Rüstungsexporten nicht besonders ausgeprägt. Auch die Unzufriedenheit mit den Maßnahmen der Bundesregierung zur Bewältigung der Klimakrise ist anhaltend deutlich. (Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) ist ungehemmter Porsche-Fan und gegen die Kindergrundsicherung.)

Die Bundesrepublik ist, laut Verfassung, ein sozialer und demokratischer Rechtsstaat. Hier beißt sich das grundgesetzliche Ideal mit der gesellschaftlichen Realität.

Die kritische Realisierung von Frieden, ziviler Entwicklung und internationaler Solidarität ist nur allzu ungut den gierigen Händen von Rheinmetall oder dem bellizistischen Eifer einer Frau Marie-Agnes Strack-Zimmermann zu überlassen. Frieden ist zuerst konsequente Abrüstung.

Ausreichende Bezahlung, sinnvolle Arbeitsbedingungen und inhaltliche Mitbestimmung sind neu zu schaffen. Bildung, Kunst, Kultur, Gesundheit und Wissenschaften sind nicht am finanziellen Gewinn, sondern am humanen Allgemeinwohl zu orientieren. Der Mensch sei keine Ware, sondern ein kulturell wertvolles gemeinschaftliches Wesen. Das können sich auch die Hochschulen hinter die Ohren schreiben.

Aufklärung und konsequente Erkenntnisgewinnung kommen ohne Diener und Knicks aus.

Freude
In guter Haltung,
gleichgewillt mit anderen,
entsteht Heiterkeit.

Befreiendes Lernen
Einmal kräftig Durchlüften bitte für einen lebendigen Campus

„I learned the way a monkey learns – by watching its parents.“

King Charles III., aka Prince Charles, zitiert nach: Karen Dolby, „The Wicked Wit of The Royal Family“, 2019.

 

„Die meisten Studenten waren bislang achtlos an der halb verwitterten Bronzestatue von Hermann von Wissmann vorübergegangen. Der 1905 verstorbene Kolonialoffizier hatte etliche blutige Strafexpeditionen in Deutsch-Ostafrika angeführt und war eine Zeit lang Gouverneur der Kolonie gewesen. (...) Eigentlich wollten wir das Schandmal gar nicht umstürzen. Auf dem Flugblatt war nur von einer "symbolischen Aktion" die Rede. Aber als wir Wissmann eine Schlinge um den Hals legten und ein Mitstreiter theatralisch am Seil zu zerren begann, geschah etwas Unerwartetes: Die Bronzestatue geriet in eine gefährliche Schieflage! In letzter Minute griff die Polizei ein und verhinderte den endgültigen Umsturz. Der wurde 1968 in einer Nacht-und-Nebel-Aktion nachgeholt.“

Peter Schütt, „Weg mit Wissmann“, in „Die Zeit“, 27.07.2020.

 

„Ich möchte Student sein, um mir einmal an Hand einer Wissenschaft langsam klarzumachen, wie das so ist im menschlichen Leben.“

Kurt Tucholsky („Peter Panther“), „Ich möchte Student sein“, „Vossische Zeitung“, 27.01.1929.

„Ich muss noch lernen“. Seit wann ist der Erkenntnisprozess eigentlich zu einer Last geworden?

Das gegenwärtige Bachelor/Masterstudium ist jedenfalls recht freudlos. Meist wird routiniertes Fertigwissen in modulgerechte Häppchen verpackt und geistig wenig nahrhaft dargereicht, bis es für den endlosen Reigen der Prüfungen wieder ausgespuckt und desinteressiert begutachtet wird (das Ausnahme-Regel-Verhältnis gilt auch hier). Dazu gehört das einsame Pauken in den Lernwaben der Bibliotheken und das fluchtartige Verlassen des Unigeländes bei erster Gelegenheit – wenn man sich überhaupt an den Campus begibt. Die Eindämmung hat hier nicht geholfen.

Das Studierendenleben kann und darf deshalb wieder ganz anders werden: Sinnvoll, solidarisch, sozial, solide.

Sinnvoll – weil es um echte Erkenntnisse geht, um erweiterte Einsichten durch sorgfältige Vertiefung am Gegenstand für eine reale Veränderung der Welt. Das kann z.B. bedeuten: die sozialwissenschaftliche Gegnerschaft gegen Rechts für radikale Demokratisierung; kulturwissenschaftlicher Internationalismus für die Stärkung von Diplomatie gegen die Militarisierung; naturwissenschaftliches Konfliktbewusstsein für die Durchsetzung einer klimabewussten Praxis gegen Konzerninteressen; medizinischer Humanismus für umfassende heilsame Entwicklung. So haben alle Bedeutung für die Entwicklung einer menschenfreundlichen Zukunft, statt überholte Traditionen zu reproduzieren. Prüfungen, Noten, Modulfristen, Regelstudienzeit, Ba/Ma-Hürde, etc. stehen dem im Weg und müssen beseitigt werden.

„Revolution des Viaductes“, Paul Klee 1937.

Solidarisch – weil es um den gemeinsamen Zweck der Mehrung des Wohlergehens Aller geht. Das verlangt lebendigen Austausch, empathische Begegnung, gelebte Kultur der gegenseitigen Förderlichkeit und Entwicklungsoffenheit. Sinnvolle Erkenntnisse gewinnt man gemeinsam und im Bewusstsein des historischen Erbes.

„Allgemeine Arbeit ist alle wissenschaftliche Arbeit, alle Entdeckung, alle Erfindung. Sie ist bedingt teils durch Kooperation mit Lebenden, teils durch Benutzung der Arbeiten Früherer.“

(K. Marx, Kapital III, MEW 25, S. 114.)

Sozial und solide – weil damit und dafür die sozialen Grundlagen (u.a. weitreichende BAföG-Reform, kostenfreie Mobilität, studierendenfreundliches vollsubventioniertes Studierendenwerk) und eine erheblich verbesserte staatliche finanzielle Ausstattung der Universität erkämpft werden müssen.

Die heiter-kämpferische Gestaltung des Unilebens schließt alles ein – Seminare und Vorlesungen, Kongresse und Flurgespräche, Mensa- und Cafe-Besuch, Kultur- und Diskussionsveranstaltungen, Partys und Protestaktionen. Dafür dürfen alle frecher werden.

Warum nicht mal wieder eine große Feier im Hauptgebäude mit allen Unimitgliedern?

Warum nicht eine ambitionierte fächerübergreifende internationale Tagung für Frieden und Völkerverständigung?

Warum nicht eine gemeinsame Demonstration aller Hamburger Hochschulen für das Ende der finanziellen Knappheit?

“Und dann konnten wir endlich lachen. Bis uns die Tränen in den sauberen Sonntagskragen liefen.”

Wolfgang Borchert (1921-47), "Der Stiftzahn oder Warum mein Vetter keine Rahmbonbon mehr ißt.“, aus dem Nachlaß.

Schnee von gestern?
Die Ostermärsche damals und heute

„Wir können aus der Geschichte lernen. (...) Der derzeitige harte Rückschlag [„Zeitenwende“] wird nach unserer Erfahrung durch eine neue Dialogstufe abgelöst werden. Und die Mehrheit der Menschen in Europa wird sich wieder kraftvoll der allseitigen Zusammenarbeit zuwenden. Es gibt nach unserem Verständnis eine Energie, die unterhalb des gegenwärtigen Mainstreams weiterwirkt und unsere aller Hoffnung auf eine konstruktiv gestaltbare Zukunft ohne Waffengläubigkeit bestärkt. Ihr und wir haben Phantasie und Kraft genug, unbeirrt mit dem Ziel weiterzugehen, die Rüstungsspirale zurückzudrehen und militärgestütztes Handeln und Denken zu überwinden. Also, nicht lockerlassen!“

Konrad Tempel (90), Begründer der Ostermärsche, Rede für die Demo „ zivile Zeitenwende“ in Berlin, 2.7.2022

Die Ostermärsche der Friedensbewegung waren vom Anfang an pazifistisch und radikal. Und international. Ostern 1958 zogen in London tausende Kernwaffengegner mit dem Ruf „Ban the bomb“ zum britischen Atomforschungszentrum Aldermaston und forderten atomare Abrüstung. Die Initiative traf den Nerv der Nachkriegszeit und fand breite Unterstützung von Kommunisten bis Christen, von Parlamentariern bis Philosophen und wurde zur Massenbewegung.

Davon inspiriert und gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik startete 1960 hier der erste Ostermarsch von Hamburg nach Bergen-Hohne in der Lüneburger Heide (bis heute der größte Truppenübungsplatz der Bundeswehr), wo gerade die ersten Atomraketen stationiert wurden. Gegen die CDU-geführte Adenauer-Regierung hatten zuvor bereits Gewerkschaften, Kirchen, Sozialdemokraten und Kommunisten die Bewegung „Kampf dem Atomtod“ ins Leben gerufen, die 1958 einen Höhepunkt mit 120 000 Demonstranten am Hamburger Rathausmarkt erreichte. Einige Entschiedene wie Konrad Tempel und Helga Stolle sahen ein, daß es mit großen Kundgebungen nicht getan war und blieben vier Tage und Nächte auf dem Rathausmarkt sitzen und erfanden so die „Mahnwache“. Daraus entstand eine organisierte Bewegung, die bis heute nicht locker läßt. Kämpferische Gewaltfreiheit, Verantwortung eines Jeden und Konsens-Prinzip waren ihre überzeugenden Prinzipien.

Die Ostermarsch-Bewegung entwickelte sich und ihre Ziele rasch weiter. Der Kampf für Abrüstung wurde zunehmend mit den Konsequenzen für die soziale Lage und die Demokratie verbunden: „Statt Atomwaffen – Brot für die Welt“, „Unser Nein zur Bombe ist ein Ja zur Demokratie“ hieß es u.a.. Die Aktivitäten wurden auf den Hiroshima-Tag im August und den 1. September als Antikriegstag (in der DDR Weltfriedenstag) ausgeweitet.

Der Vietnamkrieg politisierte zunehmend und aus der Friedensbewegung und der Studierendenbewegung ging eine Außerparlamentarische Opposition (APO) mit einem progressiven Gestaltungsanspruch hervor, die schließlich zu einer sozialliberalen Regierung in Überwindung des Konservatismus und gesellschaftlichen Reformen führte. Typisch für diese Zeit war die lebendige Protestkultur, Debatten in Parteien, Betrieben, Schulen, in der Öffentlichkeit, auf dem Campus und in den Kneipen. Politische Differenzen können und müssen überwunden werden, um das Gattungsinteresse am Gedeihen der Menschheit gegen das Atomzeitalter zu verwirklichen.

Ende der 60er führten unter dem Eindruck der repressiven „Notstandsgesetze“ und „Berufsverbote“, aber auch der Militärintervention des Warschauer Vertrags in der Tschechoslowakei zunehmend Konflikte zwischen pazifistischen, marxistischen und anti-autoritären Kräften (um nur einige zu nennen) zur Spaltung der Bewegung und – vorläufigen – Einstellung der Ostermärsche.

Ihren zweiten Aufschwung erfuhr die Friedensbewegung nach dem NATO-Doppelbeschluß 1979 zur Stationierung von Kurz- und Mittelstrecken-Atomraketen in der Bundesrepublik. Dagegen wurde eine Massenbewegung entwickelt, die zwar nicht unmittelbar die Stationierung verhindern, aber durch hartnäckiges Engagement 1987 den INF-Vertrag zwischen den USA und der Sowjetunion als erstes wirklich wirksames Abrüstungsabkommen und die vollständige Verschrottung der Raketen durchsetzen konnte. Dafür schritten und stritten wieder die „alten“ Ostermarschierer verschiedener Couleur mit den „neuen“ Friedensbewegten Seit‘ an Seit‘. Eine wichtige Lehre daraus: Gestalter der Geschichte ist, wer sich nicht einreden läßt, das sei unmöglich.

Heute marschieren wir erneut für eine zivile Welt, die von Waffen nichts mehr hält. Die vom Krieg profitieren, werden ihn nicht beenden – ob in der Ukraine, Syrien oder Jemen. Uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun.

Waffenstillstand und Friedensverhandlungen sofort! Atomwaffenverbotsvertrag jetzt! Rüstungsexporte stopp! Waffen nieder – Löhne rauf! Abrüsten und 100 Milliarden und mehr in das Allgemeinwohl investieren! Das Völkerrecht verwirklichen! Das sind Forderungen der Ostermärsche in mindestens 120 Orten der Republik, die neu gerüttelt werden muß, um ihren historischen Friedensauftrag wahrzunehmen. Bewegung für eine zivile Entwicklung!

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Jakobinersperling