An dieser Stelle wird das Flugblatt publiziert, das gerade an der Universität Hamburg auf den Mensatischen verteilt wird. Im Archiv finden sich alle vorhergehenden Flugblätter.
Zum vorigen Flugblatt: Die Verteidigung der Vernunft. Zur Wahl des Studierendenparlaments.
Zur Semesteranfangszeitung für das Wintersemester 2024/45.
Das aktuelle gemeinsame Flugblatt im Bündnis für Aufklärung und Emanzipation (BAE!):
Pessimismus, Optimismus? Ein Frage der sozialen Progression.
Semesteranfangszeitung Wintersemester 2025/26
Ermittelte Einschränkung
„Offensichtlich fühlen sich viele Bürger in ihrer Freiheit eingeschränkt. Doch was bedeutet Freiheit für sie überhaupt, und wie wichtig ist diese verglichen mit anderen gesellschaftlichen Werten und Zielen? (… ) Freiheit ist einer der Begriffe, die alle im Munde führen, aber vielfältige Bedeutungen haben können. Das »Deutsche Wörterbuch« der Brüder Grimm von 1878 listet zehn Definitionen auf. Tatsächlich gibt es noch mehr. Mindestens drei davon spielen in der aktuellen Diskussion eine Rolle: zuerst die Vorstellung, Freiheit sei vor allem die Freiheit von sozialer Not, von Armut, Arbeitslosigkeit und Obdachlosigkeit; zweitens kann man Freiheit im Sinne von Libertinage verstehen, also die Möglichkeit, sein Leben zu leben, wie man will, ohne die Rücksicht auf andere; und drittens die Freiheit, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen, selbstbestimmt zu handeln und auch die Verantwortung und Konsequenzen auf sich zu nehmen, die damit verbunden sind. Welche Vorstellung von Freiheit herrscht in der Bevölkerung vor? In der aktuellen Umfrage wurde den Befragten diese drei Bedeutungen des Begriffs Freiheit zur Auswahl vorgelegt. 45 Prozent antworteten auf die Frage, Freiheit bedeute für sie, »für sich selbst verantwortlich zu sein, sich frei für einen bestimmten Beruf zu entscheiden, für ein Land, eine Stadt, in der man leben möchte, und sich für ein Ziel einzusetzen, das man erreichen möchte«. Deutlich dahinter rangieren die Bedeutungen »Freiheit bedeutet, das tun zu könne, was einem gefällt, dass man reisen kann, wohin man will, dass man leben kann, wie man möchte« (28 Prozent) und »Freiheit bedeutet, frei zu sein von sozialer Not, frei von Armut, Obdachlosigkeit und Arbeitslosigkeit« (23 Prozent). An diesen Ergebnissen hat sich in Deutschland seit 1988, als die Frage erstmals gestellt wurde, nichts Wesentliches geändert.“
Thomas Petersen, Institut für Demoskopie Allensbach, „Was ist Freiheit?“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ („FAZ“), 17.10.2025, S. 10.
Im Zusammenhang
„In einer Zeit, in der wir in Deutschland nicht Geld genug haben, um tuberkulöse Arbeiterkinder zu versorgen, um Notwohnungen zu bauen – in einer Zeit, die selbst dem, der arbeitet und arbeiten will, gerade das knappe Auskommen gibt, ohne die leiseste Garantie, was denn nun im Alter mit ihm werden wird – in einer Zeit, in der alle kulturellen und sozialen Bedürfnisse der Nation aufs äußerste gefährdet und darniederliegen – in einer solchen Zeit scheint es mir ein verbrecherischer Wahnsinn, die Militärausgaben fortlaufend von Jahr zu Jahr zu steigern.“
Kurt Tucholsky, „Keinen Mann und keinen Groschen -!“, 1926.
Generell
„Das Verhältnis der Industrie, überhaupt der Welt des Reichtums, zu der politischen Welt ist ein Hauptproblem der modernen Zeit.“
Karl Marx, „Einleitung zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie“; 1844, Marx-Engels-Werke (MEW), Band 1, S. 382.
Der Freiheitsbegriff, wie ihn die „Zeitung für Deutschland“ („FAZ“) versteht, ist dürr, beschränkt und zugeschnitten auf Gewinnerzielung, Bravheit und Ordnung. Damit ist kein Vorankommen.
Dabei bieten das Grundgesetz und die gesellschaftliche Realität mehr Anhaltspunkte für einen umfassenderen, vitaleren Freiheitsbegriff. (Auch die 23 Prozent für „frei von Not“ etc. sind nicht von Pappe): Das Friedensgebot (Präambel), die Menschenwürde (Artikel 1), die freie Entfaltung der Persönlichkeit (Artikel 2), die Gleichheit vor dem Gesetz (Artikel 3), die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit (Artikel 8 und 9), die Sozialisierungsmöglichkeit (Artikel 15) sowie das Sozialstaatsgebot (Artikel 20) sind aktive Rechte und beinhalten soziale Gerechtigkeit bzw. solidarisches Handeln zur Verwirklichung der allgemeinen Rechtsgrundsätze. Also eine positiv bestimmte Freiheit in der Einheit mit tendenziell sozialer Gleichheit, realisiert durch solidarisches Handeln. Verwirklichung des Allgemeinwohls durch das assoziierte Engagement verantwortlich gesinnter Persönlichkeiten. Eine Gesellschaft in Bewegung.
Dieser grundsätzliche und praktische Zusammenhang ist ein konzeptionelles Kontra zum völkischen Programm der AfD. Desgleichen ist die zivile Kultivierung der Gesellschaft sowie der internationalen Beziehungen und die kooperative Lösung der globalen Probleme (Krieg, Umweltzerstörung, Armut und Elend, autoritäre Grundstrukturen) mit der gegenwärtigen Militarisierung und Aufrüstung nicht nur nicht zu erreichen, sondern stark eingeschränkt und behindert.
Diese Kontroverse betrifft gleichermaßen den Bildungsbereich, die Hochschulen, die Wissenschaften, ihre Ausrichtung, ihre Akteure.
Werden Krieg, Gewalt, Unvernunft, soziales Gefälle, Raubbau an der Natur geduldet, hingenommen, gar unterstützt oder Wissensfindung, Aufklärung und gesellschaftliche Intervention in der Grundabsicht entwickelt und vorgenommen, „die Mühsal menschlicher Existenz zu erleichtern“ (Bertolt Brecht, „Das Leben des Galileo Galilei“) und fortlaufend die tatsächliche Menschenwürde zu verwirklichen?
Hier ist eine klare Positionierung angemessen. Die Tendenz entscheidet. So ist Wissen schaffen ein positiver gesellschaftlicher Faktor. Jeder Versuch macht klug.
„Gehorsam, Befolgen von Geboten oder Verboten durch entsprechende Handlungen oder Unterlassungen; die Unterordnung des eigenen Willens unter fremde Anordnungen, die durch Zwang herbeigeführt, aber auch freiwillig (Einführung in eine religiöse oder gesellschaftl., Ordnung) sein kann.“
Brockhaus, Taschenlexikon in 24 Bänden, Band 8, S. 2536f.
„G
Gehorsam ist ein großes Wort. / Meistens heißt es noch: sofort.
Gern haben’s die Herrn. / Der Knecht hat’s nicht so gern.“Bertolt Brecht, „ Alfabet“, 1934.
„Ziel universitärer Lehre ist es, Bildung durch Wissenschaft zu ermöglichen. Das schließt die Aufgabe ein, alle Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Studierenden hohe wissenschaftliche Kompetenz erwerben, ihre Fähigkeiten selbsttätig entfalten und sich als mündige Mitglieder der Gesellschaft weiterentwickeln können, die bereit und in der Lage sind, an deren sozial und ökologisch nachhaltiger, demokratischer und friedlicher Gestaltung maßgeblich mitzuwirken und für ihre Zukunftsfähigkeit Verantwortung zu übernehmen.“
Leitbild universitärer Lehre der Universität Hamburg 2014, beschlossen durch den Akademischen Senat auf seiner 719. Sitzung am 10.07.2014.
Undenkbar: „Melde gehorsamst: bediene mich des eigenen Verstandes!“
Philip Immanuel Kant beantwortete nicht nur die Frage „Was ist Aufklärung?“ mit der Aufforderung an die Menschheit, den Mut zur Emanzipation aufzubringen, sondern plädierte zugleich „Für den ewigen Frieden“ und die Abschaffung aller stehenden Heere.
Untrennbar: die derzeit regierungsamtlich betriebene Remilitarisierung der bundesdeutschen Gesellschaft („mentale Zeitenwende“ (Scholz), „Kriegstüchtigkeit“ (Pistorius), „Wir sind nicht im Krieg, aber wir sind auch nicht mehr im Frieden“ (Merz) verlangt nicht zuletzt nach der Wiederbelebung von Befehl und Gehorsam – dem blinden Vertrauen auf die Obrigkeiten.
Unversöhnlich: Forschung, Lehre, Bildung als die stete Herausbildung kritischer Persönlichkeit ist das Gegenteil des streng hierarchischen militärischen Prinzips.
Gesellschaftlich verantwortungsvolle Wissenschaft gehorcht nicht, sondern stellt in Frage: die wachsende soziale Ungleichheit bei unendlichem gesellschaftlichen Reichtum, die Ausbeutung von Mensch und Natur zu niederen Zwecken der Gewinnmaximierung, die Profiteure von Aufrüstung und Krieg. Heiteres Lernen beruht nicht auf morbidem Heroismus, sondern auf lebendigem argumentativen Austausch, auf These, Widerspruch und Aufhebung in gemeinsamer neuer Erkenntnis. Das gelingt am besten im gleichberechtigten Lehr-Lern-Miteinander aller Beteiligten: Studierende, Lehrende und (Selbst-)Verwaltung.
Eine zivil engagierte Universität muss sich daher auch frei machen von „modernen“ Elementen der Hierarchiebildung und Erziehung zur Bravheit. Unentwegte Prüferei, Notenvergabe und -empfang, die selektive Bachelor/Master-Hürde, Anwesenheitspflichten und -kontrollen stehen einer freudvollen emanzipatorischen Bildung entgegen und dürfen getrost abgebaut werden. Auch eine solide soziale Basis für das Studium („BAföG für Alle!“) und eine gute finanzielle Ausstattung der Hochschule („Schluss mit Austerität“) befördern die Souveränität der Wissenschaft und ihrer Subjekte. So gelingt das „maßgebliche Mitwirken“ an der Gestaltung einer sozial und ökologisch nachhaltigen, demokratischen und friedlichen Gesellschaft (s.o.: Leitbild Lehre).
„E
Eventuell bekommst du Eis
Heißt, dass man es noch nicht weiß.
Eventuell ist überall
Besser als auf keinen Fall.“Bertolt Brecht, a.a.O.
„Sicherheit in unserem alltäglichen Leben ist wesentlich für unser Wohlbefinden. Zweck der NATO ist es, mit politischen und militärischen Mitteln die Freiheit und Sicherheit ihrer Mitglieder zu garantieren.“
Was ist die NATO? Selbstdarstellung unter www.nato.int/nato-welcome/index_de.html
„Der einzige Zweck [der NATO] war die Sowjets außen vor lassen, die Amerikaner drinnen halten und die Deutschen unten (to keep the Soviet Union out, the Americans in, and the Germans down).“
Der erste Generalsekretär der NATO, Lord Hastings Ismay.
Als die NATO Ende September in Hamburg die Bundeswehr-Übung „Red Storm Bravo“ mit 500 Soldaten unter Einbindung u.a. von Hafenbehörde, Arbeitsagentur, Polizei und Krankenhäusern abhielt, wurde sie herzlich willkommen geheißen von Protestierenden, die engagiert deutlich machten, dass es um eine zivile Entwicklung des Lebens geht, statt um „Kriegsertüchtigung“. Nicht „der Russe“ bedroht uns, sondern die monströse Aufrüstung und ideologische Mobilmachung der NATO-Staaten. Für eine humane Entwicklung der Gesellschaft sind dagegen Bildung und Gesundheit für alle, zivile und produktive Arbeit, eine solidarische Alltagskultur sowie Völkerverständigung und Diplomatie zu verwirklichen. Das ist wesentlich für unser Wohlbefinden, international.
Ein Blick zurück: Gegen die UNO, die nach Weltkrieg und Faschismus gegründet wurde, um eine neue Ära der internationalen Kooperation und gewaltfreien Konfliktlösung sowie „den sozialen Fortschritt und einen besseren Lebensstandard in größerer Freiheit“ zu fördern (UN-Charta), wurde die NATO 1949 gegründet. Von Anfang an war sie ein antikommunistisches Instrument zur Bekämpfung der „gefährlichen“ Ambition der Gleichheit aller Völker und richtete sich sowohl gegen den sozialistischen „Ostblock“, die antikolonialen Befreiungsbewegungen als auch subversive Kräfte in den westlichen Staaten selber. Damit die USA als größte Kriegsgewinnler die Kontrolle erhalten und behalten, mussten die westeuropäischen Staaten an die USA gebunden werden und auf Biegen und Brechen verhindert werden, dass ein neutrales Deutschland als Brücke zwischen Ost und West, zwischen den Systemen, entsteht und Verständigung Priorität hat.
Im US-Außenministerium wurde schon 1947 darüber sinniert, wie die damals schon ungeheure soziale Ungleichheit in der Welt aufrechterhalten werden kann: „Diese Ungleichheit ist besonders groß zwischen uns und den Völkern Asiens. In dieser Situation sind wir unweigerlich das Ziel von Neid und Missgunst. Unsere eigentliche Aufgabe in der kommenden Zeit besteht darin, ein Beziehungsgeflecht zu entwickeln, das es uns ermöglicht, diese ungleiche Position ohne Beeinträchtigung unserer nationalen Sicherheit zu halten.“ Im weiteren Verlauf wurden über 800 Militärstützpunkte in aller Welt für die globale Militärpräsenz der USA etabliert. Es folgt eine lange Reihe von blutigen Kriegen, offenen und verdeckten Interventionen bis hin zu Putschen, Geheimdienstoperationen, Erpressungen, Sanktionen, Aufrüstung, ... Wenn hier etwas verteidigt wird, sind es ausschließlich kapitalistische Werte. Die Menschen im Globalen Süden bezahlen mit ihrem Leben und wir hierzulande mit Sozialkürzungen; die gemeinsamen Menschheitsprobleme bleiben ungelöst.
Besonders perfide ist die Verquickung der NATO mit dem Völkerrecht. Unter Berufung auf Artikel 51 der UN-Charta behauptet der Nordatlantikvertrag, es handele sich um das Recht auf kollektive Selbstverteidigung. Im Unterschied zur UNO, die eine weltumspannende Organisation ist, in der alle gemeinsam Verantwortung für den Weltfrieden tragen, wurde die NATO stets gegen irgendwelche „Feinde“ auf- und ausgebaut, das Recht des Stärkeren soll gegen die Stärke des Rechts gelten. Nach der „Wende“ 1989 und der Auflösung des Warschauer Vertrags begann die NATO – entgegen gegenteiliger Versprechen – Richtung Osten rasant zu expandieren, mit fatalen Folgen bis heute. Nicht nur rückt die NATO mit immer neuen Mitgliedsstaaten Russland auf die Pelle. Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg auf Jugoslawien 1999 war auch eine perfekte Blaupause für den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine.
Frieden und Demokratie sieht anders aus. Es ist höchste Zeit für eine echte Wende. Der aktuelle UN-Report zu den globalen Militärausgaben und ihren Auswirkungen auf die Nachhaltigkeitsziele belegt, dass die 2,7 Billionen US-Dollar, die weltweit jährlich für Militär ausgeben werden – 750 Mal mehr als das gesamte UN-Budget! Alleine 300 Milliarden reichen aus, um die extreme Armut in der Welt zu überwinden. Abrüsten ist heute mehr denn je Voraussetzung für eine Umverteilung der Ressourcen in zivile, sinnvolle Entwicklung aller Lebensbereiche. Umgekehrt gilt, dass alles, was wir für eine bedarfsgerechte Ausstattung der Wissenschaft, für Kunst und Kultur, für würdiges Wohnen, ein heilsames Gesundheitswesen und eine intakte Umwelt erringen, die gesamten Lebensbedingungen verbessert.
Die NATO ist ein Hemmschuh gegen die Entfaltung des Lebens und kann – mit Sicherheit – aufgelöst werden. Auch die Rüstungsindustrie können wir uns sparen. Studentisches Engagement für Zivilklauseln in den Hochschulen und darüber hinaus hat somit hohe Bedeutung und tiefen Sinn.