Thesen zur Wissenschafts- als Gesellschaftspolitik 1999/2000 |
Herausgegeben von der
Liste LINKS an der Universität Hamburg im Januar 2000. Die
gedruckte Broschüre kann bei uns bestellt
werden. Die Thesen können gerne weiter verbreitet werden,
wir bitten jedoch um Mitteilung und ein Belegexemplar.
Inhaltsverzeichnis
"Herr
Keuner sagte: Auch ich habe einmal eine aristokratische
Haltung (ihr wißt: gerade, aufrecht und stolz, den Kopf
zurückgeworfen) eingenommen. Ich stand nämlich in einem
steigenden Wasser. Da es mir bis zum Kinn ging, nahm ich diese
Haltung ein."
Bert Brecht, "Geschichten
vom Herrn Keuner".
"Die
Gefährdung in hohen Ämtern besteht darin, daß
sich beim Amtsinhaber das Gefühl einstellt: Du bist nicht
ersetzbar."
Gerhard Schröder,
"SPIEGEL-Gespräch", Nr. 52/1999.
Der Verwertungsdruck steigt, der Krieg Aller gegen Alle wird ausgeweitet, parfümiert lächelnd wird die "Freiheit" des privaten gesellschaftlichen Eigentums sowie die scheinbare Natürlichkeit der Ausbeutung propagiert: 0 oder 1!
Krieg.
Die rot-grüne Bundesregierung
setzt die Armee für Zerstörungen im NATO-Bombardement
auf Jugoslawien ein, reduziert weiter den Sozialstaat und becirct,
während Kohl Helmut im Korruptionssumpf versinkt, das Kapital
durch anvisierte Steuergeschenke.
Da keine starke außerparlamentarische
Bewegung die Regierungskoalition, das Kapital, seine Funktionäre
und die debile Ideologieproduktion rüttelt, erfüllt
die politische Zentralverwaltung des made in Germany
auch unausgesprochene Kapitalwünsche.
Widerstand.
Verändern, Wissen, Handeln,
Fordern und Überzeugen sollten deshalb die Grundorientierung
gesellschaftlicher Kritik, organisierter Opposition sowie subjektiver
Entwicklung sein und bleiben.
Die wissenschaftliche und
künstlerische Aneignung historischer Erfahrungen der Klassenkämpfe
als der Vergesellschaftung in solidarischem Handeln sowie des
kulturellen Reichtums sind notwendig, um die sozialen Bedingungen
zu vermenschlichen, indem die Gesellschaft von Ausbeutung, Konkurrenz
und Entfremdung befreit wird.
Die Opposition gegen das Gang
und Gäbe kultureller Hegemonie zur spontanen Reproduktion
der destruktiven Profitsteigerung wird so zum wesentlichen Movens
allgemeiner Entfaltung durch die Verfügung über die
eigenen gesellschaftlichen Lebensbedingungen.
Opportunismus ist ersetzbar!
Die Thesen zur Wissenschafts-
als Gesellschaftspolitik sollen Aufforderung und Grundlage für
die handlungsorientierte Verständigung über die kooperativ
zu realisierenden Möglichkeiten gesellschaftlichen Fortschritts
sein.
Sozialistische Politik wider die kapitalistische Barbarei und für zivilisatorischen Fortschritt: Die monopolistisch konzentrierte private Aneignung gesellschaftlichen Reichtums bedingt die umfassende Entwicklung gesellschaftlicher Destruktivität und hemmt die humanistische Entfaltung Aller. Die Umwälzungsmöglichkeiten des Kapitalismus sind jedoch in seinen Widersprüchen selbst angelegt. Damit bedeutet die wesentliche Menschwerdung des Menschen die kooperative Verfügung über alle eigenen gesellschaftlichen Lebensbereiche. Sozialistische Politik ist deshalb gefordert, in kritischer Aufhebung des Sozialerbes alle fortschrittlichen Tradierungen der bürgerlichen Gesellschaft zur Beseitigung der Barbarei und Realisierung der Zivilisation kooperativ auf eine neue Stufe der Entwicklung zu bringen.
Die individuelle Lebensweise als fortschrittliche Gesellschaftsaneignung: Mit dem erhöhten sozialen Druck weitgehend ungehinderter Ausbeutung und den gestiegenen Anforderungen, gesellschaftliche Aufgaben individuell und isoliert zu bewältigen, steigt auch der kulturelle Druck, kompensatorisch mittels privater Bezugnahme diese Bedingungen zu bestätigen. Die einzige sinnvolle übergreifende Perspektive eigenen gesellschaftlichen Lebens besteht hingegen in der arbeitsteilig kooperativen kritischen Praxis zur Verfügungserweiterung aller.
Wissenschaftliche Qualifikation zur demokratischen Gesellschaftsaneignung: Die wissenschaftliche Vergesellschaftung aller Menschen wird zum Schlüssel der Demokratisierung gesellschaftlicher Verhältnisse. Die von Kapitalseite angestrebte direkte Marktunterwerfung der Hochschulen und die Zurückdrängung der Errungenschaften gesellschaftlicher Reformen (Massen- und Gruppenuniversität, kritische Wissenschaftsinhalte) würden jedoch zur allgemeinen Dequalifizierung und brutalen Tauschwertorientierung des wissenschaftlichen Prozesses führen. In diesen Widerspruch müssen die linken Kräfte an der Hochschule - insbesondere in der Verfaßten Studierendenschaft - eingreifen, damit die fortschrittlichen Potentiale der wissenschaftlichen Weltaneignung gesellschaftlich verwirklicht werden können.
Vorwärts und nicht vergessen! Zur Geschichte fortschrittlicher studentischer Politik: Aus der Verfaßten Studierendenschaft heraus konnten mit der 68er Bewegung und der gewerkschaftlich orientierten Interessenvertretung der 70er und 80er Jahre hochschul- und gesellschaftspolitische Reformen erkämpft werden. Die Weiterentwicklung der Tätigkeit, basierend auf dieser historischen Erfahrung, ist die Grundlage für die anstehende Rekonstruktion fortschrittlicher und kooperativer studentischer Interessenvertretung.
Gleichheit ist Freiheit - der Hegemoniekampf gegen rechts: Auf der historischen Tagesordnung steht eine zum Kapitalismus alternative, höhere Gesellschaftsformation in Überwindung der Barbarei und Dekadenz der herrschenden Verhältnisse. Im Kampf um die Deutungsmacht sozialer Widersprüche ist die Hauptfunktion der Rechten, das aufklärerische und auf gegenseitige Nützlichkeit Aller orientierte Wirken zu behindern. So wird der Kapitalismus von rechtsextremen Kräften als "natürlich" und alternativlos verteidigt und Ausbeutung durch sozialdarwinistische Ideologien gerechtfertigt. In dieser Kontrahenz kann und muß sich fortschrittliches Agieren radikalisieren, um sich gegen die Herrschaft des Kapitals und in Kritik an der Unterordnung zu entfalten.
Für Frieden und internationale Entwicklung: Rüstung und Krieg sind der schärfste Ausdruck kapitalistischer Destruktion und dienen der Durchsetzung des Kapitalverwertungsinteresses und der Aufrechterhaltung der historisch entstandenen weltweiten gesellschaftlichen Ungleichheit. Die materiellen Voraussetzungen für die soziale Gleichheit aller Menschen sind jedoch vorhanden, zur Herausbildung der subjektiven Voraussetzungen für einen Formationswechsel kommt der Wissenschaft eine wesentliche Bedeutung zu.
Für die Gleichheit aller Menschen: Die spezifische Benachteiligung von Frauen in den allgemeinen Ausbeutungsverhältnissen basiert auf der prinzipiellen Ungleichheit von Menschen in Klassengesellschaften. Diese Ungleichheit ist nur durch die Durchsetzung gleicher gesellschaftlicher Möglichkeiten für alle Menschen auf der Grundlage der Vergesellschaftung von Produktion und Reproduktion zu überwinden.
Für eine humanistische Vergesellschaftung der Naturaneignung: Der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen auf der Höhe der industriellen Produktion entspricht ein zerstörerisches Mensch-Natur-Austauschverhältnis. Die Entfremdung des Menschen von sich selbst und damit von seiner Naturaneignung ist zu überwinden, damit die grundlegenden sozialen Bedingungen des Stoffwechselprozesses zwischen Gesellschaft und Natur dahingehend umgewälzt werden, daß der Mensch "Herr" seiner eigenen Geschichte und damit der reproduktionsfähigen Entwicklung der Natur wird.
Sozialistische Politik
wider
die kapitalistische Barbarei
und
für zivilisatorischen Fortschritt
"Die
Krise besteht just darin, daß das Alte stirbt und das Neue
nicht zur Welt kommen kann."
(Antonio Gramsci,
"Kerkerhefte", 1930)
Die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen
Krieg, ein zerstörerisches
Mensch-Natur-Austauschverhältnis und die Unterentwicklung
der sogenannten Dritten Welt sind nach wie vor existenzbedrohende
Probleme menschlicher Entwicklung. Auf hohem Niveau wissenschaftlich-technischer
Gesellschaftsorganisation bringt die Profitdominanz über
die internationalen Verhältnisse Destruktivpotentiale in
historisch bisher unbekannter Dimension hervor. Die ungebrochene
Fortführung dieser Entwicklung würde für die Herrschenden
wie die Beherrschten das tatsächliche "Ende der Geschichte"
bedeuten.
Ausschaltende Konkurrenz,
institutionalisierte Verdummung, antiaufklärerische Politik
und zunehmde ökonomische Brutalisierung bestimmen auch den
Alltag in den hochindustriallisierten kapitalistischen Ländern:
Wenn die schein-fröhliche 630-Mark-Gemeinschaft in bunten
Talk-Shows über ihre Geschlechtsorgane plappert, Esoterik
und Astrologie als moderne Religion gefeiert werden, Kriege auf
dem Bildschirm als Unterhaltung genossen werden sollen und Profit
als die Höhe des Allgemeinwohls ausgegeben wird, erscheint
das gute alte Rom als ein Kindergeburtstag der Dekadenz.
Der Neoliberalismus als herrschendes
Programm wird aggressiv als scheinbar alternativlose Kapitalherrschaft
inszeniert.
So gilt die "ewige"
und "freie" Marktwirtschaft als eine "spontane
Ordnung, die keine konkreten Ziele hat" (so der Theoretiker
des Neoliberalismus und Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften
von Hayek). Diese habe sich im Laufe der Evolution quasi naturgesetzlich
herausgebildet, weil das Privateigentum seinen Eignern "Selektionsvorteile"
geboten habe. Geschichte ist nach Maßgabe der neoliberalen
Politik und Ideologie also nicht die Geschichte von Klassenkämpfen,
sondern quasi eine vormenschliche, "natürliche"
Entwicklung. Dies ist die theoretische Begründung für
einen gnadenlosen Sozialdarwinismus, in dem der Mensch des Menschen
Wolf ist und auf diese Weise sein individuelles gesellschaftliches
Leben realisieren soll. Grundlage dieser Ordnung und des Zusammenhalts
der Gesellschaft soll die "freie" Verfügung über
das Privateigentum sein. Um dieses zu gewährleisten, müsse
der private Gewinn von den "Fesseln der Politik" befreit
werden.
Die so propagierte Politik
zielt mit den ideologischen Schlagworten "Effizienz",
"Freiheit", "Markt" und "Wettbewerb"
darauf ab, sozialstaatliche Aufgaben kommerziell zu organisieren,
um die internationale Konkurrenzfähigkeit deutschen Kapitals
zu erhöhen sowie die Profitsteigerung durch Rationalisierung,
Arbeitsintensivierung und Lohnsenkungen zu erreichen bzw. zu sichern.
Der nationalen "Standortsicherung" hat sich also alles
unterzuordnen, die Folgen seien als schicksalshafte Gegebenheiten
hinzunehmen. Der Widerspruch zwischen gesamtgesellschaftlich erarbeitetem
Reichtum und seiner privaten Aneignung durch eine winzige (a-)soziale
Minderheit wird auf diese Weise mit hohem Aufwand verschleiert.
Die Produktivkräfte als
System gesellschaftlicher Naturaneignung durch den Menschen auf
der Höhe der standardisierten und computergesteuerten industriellen
Massenproduktion sind als Ergebnis aus Klassenkämpfen so
hoch entwickelt, daß die Ausbeutung des Menschen durch den
Menschen nicht mehr nötig ist. Damit ist der Privatbesitz
an Produktionsmitteln die letzte Schranke für die umfassende
individuelle als gesellschaftliche Entfaltung in Aneignung gesellschaftlich
erarbeiteten Reichtums.
Damit implizieren die Ausbeutungsverhältnisse
ihre eigene Aufhebung, die aber nicht vom Himmel kommt, sondern
allgemein politisch erwirkt werden muß.
Der Kapitalismus ist die erste
Klassengesellschaft, in der die Produktivkräfte ständig
revolutioniert werden (müssen). Jede allgemeine wissenschaftlich-technische
Weiterentwicklung erhöht die Möglichkeiten zur allgemeinen
sozialen Kontrolle der Subalternen über die Gesellschaft,
da sie die prinzipiellen Bedingungen schafft, daß der Mensch
im Verhältnis zur industriellen Produktion wesentlich steuernd,
planend und organisierend tätig sein kann. Hierfür ist
jedoch erforderlich, daß die Beteiligten den Gesamtprozeß
der Produktion durch wissenschaftliche Weltaneignung begreifen.
So entstehen qualitativ neue Anforderungen und Vergesellschaftungsmöglichkeiten
für Alle, da der Mensch selbst zur entscheidenden Produktivkraft
wird und sich - sozial vergegenständlicht - ständig
weiterentwickelt. Für das Kapital besteht der Widerspruch
in der Notwendigkeit der Revolutionierung der Produktivkräfte
einerseits und der eigenen Herrschaftssicherung andererseits,
d. h. der Verhinderung der Umwälzung kapitalistischer Verfügungsverhältnisse.
Die
produktive Widersprüchlichkeit der kapitalistischen Gesellschaft
"Das
Kapitalmonopol wird zur Fessel der Produktionsweise, die mit und
unter ihm aufgeblüht ist. Die Zentralisation der Produktionsmittel
und die Vergesellschaftung der Arbeit erreichen einen Punkt, wo
sie unverträglich werden mit ihrer kapitalistischen Hülle.
Sie wird gesprengt. Die Stunde des kapitalistischen Privateigentums
schlägt. Die Expropriateurs werden expropriiert."
(Karl Marx, "Das
Kapital", 1867)
Weil die notwendige Überwindung
des Kapitalismus als allgemeines Entwicklungserfordernis objektiv
stark herausgebildet ist, wird die politisch-kulturelle Herrschaft
des Kapitals institutionell gegen Kritik, Widerstand und Verfügungserweiterung
zur Reproduktion von Ausbeutung und Entfremdung stärker entwickelt.
Diese Konsensbildung wird
vor allem in den Institutionen der bürgerlichen Zivilgesellschaft
- wie Familie, Schule, Hochschule, Parteien, Medien und Kirchen
- hergestellt. Sie haben die Funktion - mittels kultureller Hegemonie
und politischer Deutungsmacht; gestützt auf stummen ökonomischen
Zwang, im Zweifel gesichert durch staatliche Gewalt - den Menschen
nahezulegen, das Bestehende, bei aller Kritik im einzelnen, prinzipiell
für alternativlos zu halten und somit durch praktische Bestätigung
zu reproduzieren. Vor 1989 konnte dieses Einverständnis auf
hohem Niveau realisiert werden, da aufgrund materieller Zugeständnisse
(Sozialstaat, Tarifvereinbarungen), die dem Kapital in gesellschaftlichen
Kämpfen abgerungen werden konnten, Ausbeutung und Entfremdung
letztlich "erträglich" schienen. Die vorhandenen
neoliberalen Positionen waren somit als gesellschaftliches Gesamtkonzept
noch nicht durchsetzungsfähig. Nach 1989 wurden nach Wegfall
des sozialistischen Korrektivs die von der Seite der Arbeit erkämpften
Errungenschaften vom Kapital aufgekündigt und das Einverständnis
mit dem sukzessiven Abbau des Sozialstaates über die Hegemonie
des "gemäßigten" Neoliberalismus realisiert.
Diese Mäßigung existierte, weil das Vorhandensein der
sozialen Errungenschaften sowie ihre allgemeine Akzeptanz ein
forciertes Kapitalisierungstempo gebremst haben. Der sich weiterentwickelnden
gesellschaftlichen Krise sollte von herrschender Seite mit "brutalem"
Neoliberalismus begegnet werden. Diese Krise besteht prinzipiell
in der strukturellen Investitionsschwäche des Kapitals, d.
h. der politisch unbegrenzte Wettbewerb bei höherer Produktivität
führt zu sinkenden Löhnen, Sozialabgaben und Gewinnsteuern
der Unternehmen und somit zu Massenarbeitslosigkeit und damit
sinkender Kaufkraft sowie der Reduktion des sozialen Sektors.
Die vollständige Durchkapitalisierung der Gesellschaft sollte
im Konsens mit der Gesellschaftsdoktrin des Sozialdarwinismus
durchgesetzt und abgesichert werden.
Die von herrschender Seite
angestrebte Entwicklung bestand also darin, daß das profitorientierte
Konkurrenzprinzip ungehindert in allen Lebensbereichen praktisch
gültig wird. So war beabsichtigt, daß alle bisher nach
dem Solidarprinzip organisierten Sozialversicherungen zum größten
Teil privatisiert werden. Abgesehen von einem Sockel der Vorsorge,
sollten alle gesellschaftlichen Risiken individuell und privat
über die Konkurrenz auf dem "freien" Markt geleistet
werden.
Zu dieser Profitoption gehört
ebenso, daß alle staatlichen Aufgaben nahezu vollends in
den "Markt" überführt werden sollen. Im Widerspruch
zu diesen Forderungen des Kapitals steht dessen Anspruch, der
Staat möge infrastrukturelle Megaprojekte (in Hamburg sind
das Hafenerweiterung, Transrapid, Straßenbau usw.), die
der Reproduktion des Kapitals dienen, realisieren. Der Arbeitslohn
soll noch weiter unter das notwendige Wiederherstellungsniveau
der Arbeitskraft gesenkt werden. Die Massenerwerbslosigkeit führt
zum Einbruch der Massenkaufkraft. Diese Politik untergräbt
selbst die einfache materielle Reproduktion der Ware Arbeitskraft
sowie ihre qualifikatorische Entwicklung und damit auch die wesentlichen
Grundlagen für die Kapitalverwertung.
Das Konsenspotential in bezug
auf die Kapitalhegemonie ist durch diese Widersprüche instabil
geworden, da eine neue Qualität gesamter Vergesellschaftung
auf der Tagesordnung steht. Das Kapital und seine Funktionäre
sind nicht in der Lage, den allgemeinen Entwicklungserfordernissen
zu genügen, wollen aber die privaten Gewinne erhöhen.
Der in dieser Regulierungs- und Hegemoniekrise entstandene sozialkritische
Unmut führte zu einem Regierungswechsel, der widerspiegelt,
daß anstelle der ständigen Umverteilung von unten nach
oben sozialer Ausgleich realisiert werden möge, damit sich
die Lebensbedingungen der Mehrheit der Menschen verbessern. Aber
das "entschiedene" Sowohl-als-auch von "Innovation
und Gerechtigkeit" ist - bei wenig Entfaltung von fortschrittlichen
Gegenkräften - die Voraussetzung für den Angriffskrieg
auf Jugoslawien, die rigide Kürzungspolitik, das Vergeigen
des Atomausstiegs u.v.m. gewesen und macht deutlich, daß
die Regierung mit dem Kapital nicht alleine gelassen werden darf.
Wer gesellschaftlichen Fortschritt - auch als kleine Reformen
- will, kann sich nicht auf die repräsentative Vertretung
der eigenen Interessen verlassen!
Die Voraussetzungen für
die allgemeine Verfügung über die Mittel der gesellschaftlichen
Bedürfnisbefriedigung haben sich zwar verbessert, aber ohne
starke außerparlamentarische Bewegungen und klar orientierte
fortschrittliche politische Organisationen lassen sich keine grundlegenden
Reformen für Arbeit, soziale Absicherung, Demokratisierung
und Qualifikation und damit bessere Bedingungen für die individuelle
Entfaltung durchsetzen.
Das Subjekt der Veränderung
als bewußt langfristig handelndes und organisiertes ist
jedoch sehr schwach entwickelt. In diesem Zusammenhang sind die
fortschrittlichen Kräfte besonders gefordert, die historischen
Errungenschaften sozialistischer Gesellschaften sowie die Gründe
ihres Scheiterns kritisch auszuwerten, um der herrschenden Interpretation,
der Sozialismus widerspreche der menschlichen Natur, wirkungsvoll
entgegentreten zu können.
In der DDR konnte nach der
Zäsur des Zweiten Weltkrieges und der Befreiung vom Faschismus
durch die Verstaatlichung der Produktionsmittel - und somit die
tendenzielle Überwindung sozialer Konkurrenz - ein neues
zivilisatorisches Niveau erreicht werden. Arbeit für alle,
soziale Absicherung, Gesundheitsversorgung und eine hohe Dichte
kultureller Einrichtungen waren auch teilweise beispielgebend
für den Systemnachbar BRD. Die eher technische Verstaatlichung
des Privateigentums, das Mitschleppen beengter kleinbürgerlicher
Kultur aus dem Kapitalismus, die rigide Sozialfürsorge des
"Gouvernantenstaates" (Stefan Heym) und die mangelhaften
demokratischen Verfügungsmöglichkeiten der Mehrheit
der Bevölkerung haben aber zu Stagnation der gesellschaftlichen
Entwicklung und nachfolgend zum vollständigen Verfall der
sozialistischen Gesellschaft geführt. Statt dessen wäre
eine hohe Beteiligung an einer offenen und produktiven Auseinandersetzung
über Inhalt, Ziele und Methoden der gesellschaftlichen Entwicklung
in allen Bereichen erforderlich gewesen, um ein höheres Maß
an je einzelner allgemeiner Verfügung zu realisieren, um
so die Produktivkräfte der Gesellschaft dynamisch zu entwickeln
und die humanistische Qualität der sozialistischen Alternative
zur kapitalistischen Ausbeutung zu realisieren.
Radikaler Humanismus als Aneignung der Erfahrungen aus der Geschichte und Verfügung über den gesellschaftlichen Reichtum
"An die
Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen
und Klassengegensätzen tritt eine Assoziation, worin die
freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie
Entwicklung aller ist."
(Karl Marx/Friedrich
Engels, "Manifest der kommunistischen Partei", 1848)
Der Mensch als gesellschaftliches
Wesen existiert mittels der Arbeit als gemeinschaftlicher Naturaneignung.
Durch die Arbeit wird die soziale Bedürfnisbefriedigung,
-vorsorge und -entwicklung realisiert. Je höher die Entwicklung
der gesellschaftlichen Naturaneignung vorangebracht werden konnte,
desto mehr treten die Einzelnen und die Gemeinschaft aus der Natur
heraus und können sich um so mehr kulturell entfalten. Aus
der menschlichen Arbeit entsteht aller gesellschaftlicher Reichtum.
Unter kapitalistischen Bedingungen ist sie für diejenigen,
die ihre Ware Arbeitskraft verkaufen müssen, jedoch etwas
Äußerliches, da der so erzeugte Reichtum privat angeeignet
wird. Die produktiven Bedürfnisse des Menschen nach integrierter
Teilhabe an gesellschaftlicher Bedürfnissicherung und -entwicklung
sowie Realitätskontrolle können unter diesen Bedingungen
nur in deformierter Weise befriedigt werden: Zwar haben die Menschen
in der lohnabhängigen Arbeit teil an der gesellschaftlichen
Produktion, doch sie haben keine Verfügung. Es gilt also,
die Arbeit, als menschliches Grundbedürfnis nach Weltaneignung,
von Ausbeutung und Entfremdung zu befreien.
Der gesellschaftliche Reichtum
steht nicht allen zur Verfügung, da er in hochkonzentrierter
Form privat angeeignet wird. Diese private Herrschaft schränkt
die Entwicklung Aller ein. Diese prinzipielle Einschränkung
kann nur durch die Mehrheit der Eingeschränkten kämpferisch
überwunden werden. Hierzu bedarf es der historisch-kritischen
Auswertung grundlegender sozialer Auseinandersetzungen sowie der
Aneignung des kulturellen Reichtums aus dem Fundus der Menschheitsgeschichte.
Das hohe Niveau wissenschaftlich-technischer
Entwicklung sowie der hohe Grad organisierter Vergesellschaftung
beinhalten die soziale Möglichkeit egalitärer und voller
Verfügung Aller über den gesellschaftlichen Reichtum
und somit über ihre gesellschaftliche Subjektivität.
Die
Notwendigkeit der Überwindung der Ausbeutung
"Indem
die kapitalistische Produktionsweise mehr und mehr die große
Mehrzahl der Bevölkerung in Proletarier verwandelt, schafft
sie die Macht, die diese Umwälzung, bei Strafe des Untergangs,
zu vollziehn genötigt ist."
(Friedrich Engels,
"Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft",
1880)
Die Vergesellschaftung der
Produktionsmittel ist die Voraussetzung für die Befreiung
der Arbeit für eine gebrauchswertorientierte industrielle
Naturaneignung und die umfassende gesellschaftliche Entwicklung.
Die Vergesellschaftung der Reproduktion ist erforderlich für
die qualifizierte Einflußnahme auf die allgemeinen Lebensbedingungen
durch die Individuen. So ist es möglich, daß alle Menschen
durch die volle gesellschaftliche Realitätskontrolle in den
kooperativen und arbeitsteiligen gesellschaftlichen Prozeß
integriert sind.
Da die gesellschaftlichen
Verhältnisse als von Menschen gemachte prinzipiell erkennend
veränderbar sind, ist dafür in den zivilgesellschaftlichen
Institutionen der Kampf um die Deutungsmacht im Hinblick auf die
Richtung und den sozialen Inhalt des gesellschaftlichen Prozesses
zu führen. Die kapitalkonforme Deutungsmacht hinsichtlich
zu lösender Probleme ist sukzessive zu brechen und umzuwandeln
in die praktische Erkenntnis der Verfügung über die
allgemeinen gesellschaftlichen Belange. Auf diese Weise wäre
zu organisieren, Staat und Produktionsmittel für das Allgemeininteresse
zu vergesellschaften. Der Staat kann dann auf die Funktion der
Gesamtorganisation gesellschaftlicher Aufgaben zurückgeführt
werden. Die zivilgesellschaftlichen Institutionen sind dann wesentlich
die sozialen Orte gesellschaftlicher Planung, Lenkung und Entwicklung.
Die regulierte Gesellschaft
entsteht. Gemeinsame Planung und Organisation in demokratischer
Verfügung mittels direkter Bestimmung aller gesellschaftlichen
Bereiche von Produktion und Reproduktion auf der Grundlage wissenschaftlicher
sowie künstlerischer Qualifikation und kooperativer Entwicklung
der Subjekte sind Bedingung, Maßstab und Ziel gegenseitig
nützlicher Vergesellschaftung aller Einzelnen.
Sozialistische
Politik
"Wenn
wir nämlich als Realpolitik eine Politik erkennen, die sich
nur erreichbare Ziele steckt und sie mit wirksamsten Mitteln auf
dem kürzesten Wege zu verfolgen weiß, so unterscheidet
sich die proletarische Massenpolitik im Marxschen Geiste darin
von der bürgerlichen Politik, daß die bürgerliche
Politik vom Standpunkte der materiellen Tageserfolge real, während
es die sozialistische Politik vom Standpunkte der geschichtlichen
Entwicklungstendenz ist."
(Rosa Luxemburg,
"Gesammelte Werke", Bd. 1/2, Berlin 1974, S. 373).
Der Maßstab für
die Bewertung durchzusetzender gesellschaftlicher Veränderungen
ist, ob sie dazu beitragen, daß die Subalternen mehr Verfügung
über ihre eigenen verallgemeinerbaren Angelegenheiten erlangen
und ob die Lebensbedingungen der Mehrheit der Menschen in Richtung
auf die volle Verfügung über die Produktivkraftentwicklung
verbessert werden. In diesem Prozeß verfügen die gesellschaftlichen
Subjekte damit auch mehr über sich selbst.
Vom "Standpunkte der
geschichtlichen Entwicklungstendenz" ist eindeutig festzustellen,
daß die subalterne Klasse - bei allen kapitalismusbedingten
Deformationen - tendenziell immer höher qualifiziert ist.
Die Produktivkraftentwicklung erfordert, daß die lohnabhängig
Tätigen immer mehr planend, organisierend und lenkend neben
den unmittelbaren Produktionsprozeß treten und der kulturelle
Reproduktionsbedarf für diese gesellschaftliche Arbeit wächst.
Die Verwissenschaftlichung von Produktion und Reproduktion gerät
zunehmend in Widerspruch zu privatkapitalistischen Verfügung
über das gesellschaftliche Gesamt.
Fortschrittliche gesellschaftspolitische
Gegenkräfte haben die Aufgabe und die Möglichkeit, diesen
Widerspruch in ihrer Praxis auf den Begriff zu bringen, um so
über Ursachen und Wirkungszusammenhänge gesellschaftlicher
Probleme aufzuklären, Widerstand zu initiieren und Veränderungen
durchzusetzen, die in die Richtung der Überwindung der Barbarei
zielen und wirken. Die umfassende humanistische Vergesellschaftung
des gesellschaftlichen Reichtums und damit die Überwindung
der profitbedingten Fesselung internationaler Entwicklung bedarf
der prinzipiellen langfristigen Kooperation im historischen Bewußtsein
der je eigenen politischen Tradierung.
Aufklärung, umfassende
soziale Egalität, reformpolitische Durchbrüche zur Verbesserung
der allgemeinen Lebensbedingungen innerhalb der Ausbeutungsverhältnisse
sowie die vollständige Überwindung kapitalistischer
Beschränkungen menschlicher Entwicklung sind entscheidende
Momente fortschrittlicher Tradierungen, die sich in der bürgerlichen
Gesellschaft herausgebildet haben und die notwendigerweise kooperativ
entwickelt werden müssen für die soziale Befreiung und
die Verwirklichung des Allgemeininteresses.
"Nun
geht es weiter; nächste Episode! Fragt sich nur, in welche
Richtung es weitergeht. Das hängt von uns ab; an jedem Wendepunkt
hat man die Wahl."
(Klaus Mann, "Der
Wendepunkt", 1949)
Die individuelle Lebensweise als fortschrittliche
Gesellschaftsaneignung
"Solange
die bewußte gemeinsame Planung menschlicher Lebensverhältnisse
unter Beteiligung aller, darin die vielseitige Entfaltung menschlicher
Lebensmöglichkeiten, nicht gesellschaftliche Wirklichkeit
geworden ist, ist der bewußte solidarische Kampf um die
Schaffung einer solchen gesellschaftlichen Wirklichkeit die einzige
sinnvolle übergreifende Lebensperspektive. Die gemeinsame
Sache, über welche die Menschen verbunden sind, ist hier
die sozialistische Perspektive kritischer gesellschaftlicher Praxis;
diese Perspektive mündet mit dem Grad ihrer Verwirklichung
in die gemeinsame Sache bewußter gesellschaftlicher Lebensgestaltung
unter Beteiligung aller ein."
(Klaus Holzkamp,
"Sinnliche Erkenntnis", S. 263)
Die
"Zivilgesellschaft"
"Was
ist eigentlich eine Depression?
(...) Insgesamt
kann man sagen, ein Niedergestimmtsein der Gefühle und der
Interessen."
(Dr. H.-J. Funke,
Chefarzt der Psychiatrie im Ev. Krankenhaus Alsterdorf, in einem
Interview des "Hamburger Abendblattes" vom 25.11.'98,
anläßlich des 7. Hamburger Gesundheitsforums zum Thema
"Depressionen - Wege aus dem seelischen Tief")
Da zunehmende soziale Konkurrenz
die Individuen auf die vereinzelte Bewältigung allgemeiner
entfremdeter Handlungsanforderungen und die private Verarbeitung
im sozialen Nahraum wirft, sind "Depressionen" und "Angststörungen"
die häufigsten psychischen Erkrankungen.
Auf diese Weise führt
die Intensivierung gesellschaftlicher Entfremdung und ihre kollektive
Verdrängung zu individueller Isolation und teilweise deformierenden
Störungen der Realitätswahrnehmung und Handlungsfähigkeit.
Im Vordergrund der gesellschaftlichen Praxis steht die spontane,
unreflektierte Handlungsweise und drängt die erkenntnisgeleitete
kooperative Planung und Organisation der allgemeinen sowie individuellen
Lebensangelegenheiten in den Hintergrund der gemeinschaftlichen
Lebensaneignung. Mittels dieser Praxis wird der spontane Konsens
mit den sozialen Grundverhältnissen realisiert. Die private
Aneignung gesellschaftlichen Reichtums, die Ausbeutung des Menschen
als Ware Arbeitskraft durch den Menschen als Käufer dieser
Ware, die Entfremdung vom je eigenen gesellschaftlichen Lebensprozeß
und die kulturelle Praxis schwachen Sinns werden so allgemein
(re-) produziert. Die umfassende Profitmaximierung wird dadurch
als quasi unumgängliche Natürlichkeit bestätigt
und findet beispielsweise in der Ratlosigkeit gegenüber der
allumfassenden "Sparpolitik" ihren alltäglichen
Ausdruck.
Mangels besseren Wissens und
Wirkens (!) stellt diese menschliche Lebensweise im Kern die Fremdbestimmung
der sozialen Lebensbedingungen nicht in Frage und materialisiert
so die eigene Unterordnung unter die Herrschaft einer profitierenden
Minderheit.
Der Konsens mit diesen Bedingungen
wird in der Hauptsache über die kulturellen Institutionen
(Familie, Schulen, Hochschulen, Kirchen, Gewerkschaften, Parteien,
Parlamente, Massenmedien, Werbung) der gesellschaftlichen Reproduktion
- also der bürgerlichen Zivilgesellschaft - hergestellt und
manifestiert sich mehrheitlich im praktizierten Alltagsverstand
als die kulturelle Hegemonie des Kapitals.
Diese Übereinstimmung
ist aber stets widersprüchlich, da in den genannten Institutionen
die Auseinandersetzung zwischen den sozialen Grundinteressen -
allgemein: zwischen Profitorientierung und humanistischer Gesellschaftsentwicklung
- um die Deutungsmacht über die sozialen Bedingungen stattfindet.
Analyse sowie Interpretationen gesellschaftlicher Probleme und
Entwicklungserfordernisse sind daher immer bestreitbar bzw. umstritten
und unterliegen der prinzipiellen Aneignungskontroverse.
Um die Verfügung Aller
über die allgemeinen und damit je individuellen Lebensbedingungen
erreichen zu können, muß über Inhalt, Ziel und
Methode von Arbeit, Bildung und Kultur gegen die Kapitalhegemonie
gestritten und auf diese Weise die eigene Verfügungserweiterung
politisch praktiziert werden. Durch den Kampf um die allgemeine
Verfügung lassen sich dann schon im Kapitalismus wesentliche
Elemente "direkter" Demokratie verwirklichen, womit
das eigene kooperative Handeln und Erkennen mit sinnvoller Perspektive
möglich ist.
Eskapismus oder unaufhörliche Verfügungserweiterung?
Die Zumutungen
dieser Zeit
Die bürgerlichen Freiheiten,
durch die Aufklärung formuliert und Ideal der bürgerlichen
Revolution, bleiben unter den herrschenden Verhältnissen
wesentlich formalisiert, da mit der Weiterentwicklung der kapitalistischen
Gesellschaft der Widerspruch zwischen dem gestellten Anspruch
und der Verwirklichung sozialer Rechte und sozialer Gleichheit
immer größer wird. Infolge der verstärkten Entfremdung
von Einfluß und Verfügung in der materiellen Produktion
sowie der zunehmenden Isolierung von den relevanten Entscheidungen
zur Planung und Steuerung gesamtgesellschaftlicher Prozesse setzt
sich massenhaft-hinterrücks die Praxis eines Freiheitsbegriffes
durch, die sich in der "Wahl" von Möglichkeiten
- im Warenhauskatalog oder auf Singlepartys - innerhalb des Rahmens
gegebener Bedingungen manifestiert, sich auf diese beschränkt
und sie reproduziert, da die so realisierten "Freiheiten"
wesentlich dem Zwecke der Entfremdungskompensation dienen. Statt
gesellschaftliche Bedürfnisse und ihre Befriedigung als Subjekte
solidarisch und kooperativ zu realisieren, werden diese individualisiert
und an das politische Repräsentativsystem und die Warengesellschaft
delegiert. Das heißt: Die Zerstörung zivilisatorischer
Errungenschaften im Kapitalismus (Mitbestimmung im Arbeitsleben
und sozialstaatliche Vorsorge) führt zur Individualisierung
gesellschaftlicher Aufgaben. Dabei entsteht der Eindruck, als
hätte die Menschheit kollektiv ihr Gedächtnis verloren,
als wären demzufolge die Individuen ganz auf ihre Stimmungen,
Empfindungen sowie ihre gegenwärtige körperliche Verfaßtheit
geworfen. Je stärker sich der Widerspruch zwischen privater
Verfügung über die Mittel der gesellschaftlichen Bedürfnisbefriedigung
und den allgemeinen Entwicklungserfordernissen ausprägt,
desto raffinierter werden die institutionalisierten Methoden (Waren,
Werbung, Wahlvereine, Love Parades, Internetfieber, "Bürger
für saubere Straßen") der herrschenden Konsensstiftung.
Worin besteht nun die Entfremdung?
"Erstens,
da die Arbeit dem Arbeiter äußerlich ist, d.h. nicht
zu seinem Wesen gehört, da er sich daher in seiner Arbeit
nicht bejaht, sondern verneint, nicht wohl, sondern unglücklich
fühlt, keine freie physische und geistige Energie entwickelt,
sondern seine Physis abkasteit und seinen Geist ruiniert. Der
Arbeiter fühlt sich daher erst außer der Arbeit bei
sich und in der Arbeit außer sich. Zu Hause ist er, wenn
er nicht arbeitet, und wenn er arbeitet, ist er nicht zu Haus.
Seine Arbeit ist daher nicht freiwillig, sondern gezwungen, Zwangsarbeit.
Sie ist daher nicht Befriedigung eines Bedürfnisses, sondern
ist nur ein Mittel, um Bedürfnisse außer ihr zu befriedigen.
Ihre Fremdheit tritt darin rein hervor, da, sobald kein physischer
oder sonstiger Zwang existiert, die Arbeit als eine Pest geflohen
wird. [...] Es kommt daher zu dem Resultat, daß der Mensch
(der Arbeiter) nurmehr in seinen tierischen Funktionen, Essen,
Trinken und Zeugen, höchstens noch Wohnung, Schmuck etc.,
sich als freitätig fühlt und in seinen menschlichen
Funktionen als Tier."
(Karl Marx, Ökonomisch-philosophische
Manuskripte aus dem Jahre 1844, MEW, Erg.-Bd. 1, S. 514
f.)
Durch die wissenschaftlich-technische
Entwicklung entsteht in weiten Arbeitsbereichen der kapitalistischen
Industriegesellschaften ein hoher Grad von allgemeiner Wirkung
und Verantwortung in den jeweiligen Tätigkeiten, so daß
mittels des ökonomischen Zwangs der gesellschaftliche Grundwiderspruch
in die Subjekte der Arbeit hineinverlagert wird. Klügeren
Vertretern des Kapitals ist der genannte Zusammenhang bewußt:
"Letztlich wird die historische Differenz von Kapital und
Arbeit mit allen Vorteilen und Qualen in den Arbeitnehmer hineinverlagert.
Jeder muß sich als sein eigener Kapitalist und sein eigener
Arbeiter verstehen. Das äußere Feindbild verschwindet
aus dem sozialen Raum in das Innere des Individuums. (Andreas
Zielcke: Der neue Doppelgänger, FAZ, 20.07.96).
Die Schizophrenie von Dr. Jekyll und Mr. Hyde ist das neue Hegemoniekonzept
für die Forcierung ausschaltender Konkurrenz, soll von allen
kritiklos übernommen werden und somit gesellschaftlich gültig
sein. Obwohl im Kapitalismus aufgrund der Produktivkraftentwicklung
die bewußte Vergesellschaftung aller Menschen als allgemeine
Möglichkeit angelegt ist, bringt das Diktat der privaten
ökonomischen Verwertung die massenhafte Isolierung sozialer
Aneignung und erhöhte Alltagsanforderungen (Reproduktion,
Qualifizierung) hervor. Hieraus resultiert - zumal nach zehnjährigem
"Überwintern" (Wundenlecken in der guten Stube
und eher zaghafte Abwehrkämpfe gegen den erstarkenden Neoliberalismus)
fortschrittlich orientierter Gegenkräfte, deren unentwickelter
kritischer Analyse der Kapitalhegemonie und demzufolge schwacher
Organisiertheit widerständigen Handelns -, daß die
zwischenmenschliche Bezugnahme "außer der Arbeit"
in neuer Dimension und Hartnäckigkeit dem Druck hin zur Entfremdungskompensation
ausgesetzt ist. Die alltäglichen Zumutungen bestehen also
darin, den "privaten Ausgleich" für ausbeutungsbedingte
Deformationen und die Arbeit der gesellschaftlichen Reproduktion
individuell leisten zu sollen. Gegen die Praxis, mit anderen gemeinsam
für die radikale Veränderung der gesellschaftlichen
Grundverhältnisse zu kooperieren, wird ein hoher institutionalisierter
kultureller Druck entfaltet, mittels privater Bezugnahme diese
Bedingungen zu bestätigen.
Die "sozialdemokratische"
Verarbeitungsweise dieses Drucks besteht prinzipiell in einem
entschiedenen "Sowohl-als-auch", d.h. zu kooperieren
und zu kompensieren - politische Praxis und "Gemütlichkeit"!
Die Krönung affirmativer
Verarbeitungsweisen gesellschaftlicher Entwicklungswidersprüche
ist die sogenannte Selbstbestimmung des kleinbürgerlichen
grünen Individuums: Über ökologische Unternehmensberatung,
Leben nach Warenweltgefühl und harmonische Gestaltung des
sozialen Nahraums (Kerzenlicht und Kuschelsofa) im Rahmen der
bestehenden Herrschaftsbedingungen sowie über die Forderungen
nach der Ausweitung lediglich formaler Rechte wird die Politik
komfortabel für die Gewinnerwartung und in ihrer Wirkungsweise
privatisiert. Deshalb wird jede Orientierung auf kooperatives
Wirken zur Überwindung der herrschenden Verhältnisse
als Angriff auf das "Individuum" und eigentliche Ursache
für die Beschränkung der eigenen Handlungsfähigkeit
interpretiert und als Kritik der Ausbeutung bekämpft. Zweck
dieses Agierens ist die Diskreditierung sozialistischer Handlungsperspektive.
Die Arbeit
der Aufhebung
Der Grundwiderspruch zwischen
fortschrittlicher (weitgehend bewußt und kooperativ) und
affirmativer (weitgehend unbewußt und vereinzelt) Aneignungsweise
der je selbst praktizierten Vergesellschaftung durch die Individuen
besteht letztlich in allen Tätigkeiten darin, entweder auf
die Umwälzung oder die Bestätigung der gesellschaftlichen
Bedingungen orientiert zu sein und entsprechend die Lebensverhältnisse
zu bewerten und in ihnen zu agieren.
Da in den Zentren des hochentwickelten
Kapitalismus die Reproduktion der Ausbeutungsbedingungen über
die institutionalisierte mehrheitliche spontane Zustimmung zu
den Produktionsverhältnissen erwirkt wird, reproduzieren
die Subalternen (keine Verfügung über die Produktionsmittel
und gesellschaftliche Entwicklung) mangels praktischer Erkenntnis
ihres gesellschaftlichen Seins ihre eigene Verfügungslosigkeit.
Dem entgegen basiert die Realisierung
fortschrittlicher Veränderung dieses Zusammenhanges darauf,
daß es den entwickeltsten humanistischen Kräften in
der Gesellschaft gelingt, analytisch fundiert gesellschaftliche
Optionen zur Durchsetzung des Allgemeininteresses an der Aufhebung
der Ausbeutung und Unterdrückung des Menschen durch den Menschen
herauszuarbeiten, um sie im Bündnis mit anderen auf sozialen
Fortschritt orientierten Assoziationen durchzusetzen.
In diesem Kontext ist der
folgende Widerspruch zu berücksichtigen: Auf der einen Seite
ist der politische Möglichkeitsraum zur Grundveränderung
dadurch vergrößert, daß in den entwickelten kapitalistischen
Ländern der Zwang (Staat, Justiz, Polizei, Militär),
den sozialen Bedingungen zuzustimmen, zugunsten der kulturellen
Hegemonie des Profitprinzips weitgehend gewichen ist.
Auf der anderen Seite sind
die Lernwiderstände, das allgemeine als das eigene Interesse
geistig und alltagspraktisch zu realisieren, zäher und "ausgefeilter"
geworden, da die Reproduktion des Kapitalverhältnisses auf
hohem materiellen und kulturellen Niveau praktiziert wird und
eine fortschrittliche Wendung der Lebensweise aufgrund der globalen
"Zivilisationskrise" (internationale Dimension der Entwicklungswidersprüche)
sehr hohe Anforderungen an die Individuen stellt.
Jedoch lassen sich isolierte
Selbstbeschränkung, entfremdeter Sozialbezug, die Schizophrenie
der in Kapital und Arbeit gespaltenen Subjekte, der ständige
Alltagsstreß durch umfassende Konkurrenzverhältnisse
nur durch das Selbstbewußtsein des eigenen gesellschaftlichen
Interesses, die kooperative und arbeitsteilige Verfügungserweiterung
als Überwindung der Kapitalhegemonie und damit organisiert
historisch bewußtes Wirken überschreiten.
Dieses Wirken ist allerdings
nur möglich, wenn sich fortschrittliche Organisationen in
Orientierung auf die Entfaltung aller Menschen gegen die Institutionen
der bürgerlichen Zivilgesellschaft stellen und eine Alternative
zur herrschenden individuellen Vergesellschaftung repräsentieren,
um tendenziell die Mehrheit für die "die einzige sinnvolle
übergreifende Lebensperspektive" zu überzeugen.
"Über
den Zweifel
Me-tis Schüler
Do verfocht den Standpunkt, man müsse an allem zweifeln,
was man nicht mit eigenen Augen sähe. Er wurde wegen dieses
negativen Standpunkts beschimpft und verließ das Haus unzufrieden.
Nach einer kurzen Zeit kehrte er zurück und sagte auf der
Schwelle: Ich muß mich berichtigen. Man muß auch bezweifeln,
was man mit eigenen Augen sieht.
Gefragt, was
denn den Zweifeln eine Grenze setze, sagte Do:
Der Wunsch zu
handeln."
(Bert Brecht, "Me-ti,
Buch der Wendungen")
Wissenschaftliche Qualifikation
zur demokratischen Gesellschaftsaneignung
"Galilei:
[...] Ich halte dafür, daß das einzige Ziel der Wissenschaft
darin besteht, die Mühseligkeit der menschlichen Existenz
zu erleichtern. Wenn Wissenschaftler, eingeschüchtert durch
selbstsüchtige Machthaber, sich damit begnügen, Wissen
um des Wissens willen aufzuhäufen, kann die Wissenschaft
zum Krüppel gemacht werden, und eure neuen Maschinen mögen
nur neue Drangsale bedeuten. Ihr mögt mit der Zeit alles
entdecken, was es zu entdecken gibt, und euer Fortschritt wird
doch nur ein Fortschreiten von der Menschheit weg sein."
(Bertolt Brecht:
Leben des Galilei)
Wissenschaft
als Produktivkraft für eine humanistische Gesellschaftsentwicklung
oder zur Realisierung und Sicherung von Profiten?
Der wissenschaftliche Prozeß
wird durch die neoliberale Gesellschaftspolitik deformiert, und
"ein Fortschreiten von der Menschheit weg" wird forciert:
Kapital und Unternehmerverbände versuchen direkten Einfluß
auf die Institutionen von Bildung und Wissenschaft zu erlangen,
damit die Ergebnisse wissenschaftlicher Tätigkeit immer schneller
zum Zweck der unmittelbaren Profitrealisierung auf den Markt gelangen.
Diese brutale Tauschwertorientierung macht die Wissenschaften
"zum Krüppel", da Wissen und Erkenntnis auf die
Erfordernisse des Marktes zugerichtet und so als starre Ansammlung
von Faktenwissen festgeschrieben, gesellschaftliche Verhältnisse
mit hohem Aufwand verschleiert sowie Dummheit und allerlei Brimborium
für den schönen Schein der Warenwelt produziert werden.
Im Widerspruch dazu wird im
Zuge der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung die Wissenschaft
zur entscheidenden Produktivkraft, so daß durch die Qualifikation
der Menschen die Ergebnisse der wissenschaftlichen Tätigkeit
unmittelbar nützlich werden in der gesellschaftlichen Produktion.
Aufgrund der Kapitalhegemonie können die prinzipiellen Möglichkeiten
dieser Entwicklung für die Verwissenschaftlichung der individuellen
Vergesellschaftung nicht realisiert werden. Damit demgegenüber
durchgesetzt werden kann, daß die Produktivkräfte für
eine humanistische Gesellschaftsentwicklung wirksam werden, ist
notwendig, daß die wissenschaftlichen Subjekte den gesellschaftlichen
Gebrauchswert ihrer Tätigkeit bestimmen und demokratische
Verfügung über ihre Lebensbelange realisieren. Die Grundkontroverse
zwischen forcierter Marktunterwerfung und demokratischer Verfügung
aller Menschen findet in Hochschule und Gesellschaft statt.
In den 70er Jahren konnten
an den Hochschulen in Folge der '68er Studentenbewegung weitreichende
Reformen durchgesetzt werden. Mit der Forderung "Bildung
für Alle" wurde die Öffnung der Hochschulen (Massenuniversitäten),
ihre materielle Ausstattung und die soziale Absicherung der Studierenden
(BAföG) weitgehend realisiert. Die Demokratisierung der Universität
wurde mit der Einführung der Gruppenuniversität und
institutionalisierter Mitwirkungsmöglichkeiten aller ihrer
Mitglieder durchgesetzt. Durch die antikapitalistische Orientierung
der studentischen Bewegung konnten gesellschaftskritische Wissenschaftsinhalte
und wissenschaftlicher Praxisbezug in den Hochschulen erwirkt
werden. Diese Reformen konnten über den starken außerparlamentarischen
Druck auf die sozial-liberale Regierung dem Kapital abgetrotzt
werden. Die weitreichende gesellschaftliche Qualifizierung und
die damit verbundene zunehmende Einsicht in die sozialen Verhältnisse
sowie in das eigene verallgemeinerbare Interesse stärkte
die Seite der Arbeit gegenüber dem Profitinteresse des Kapitals.
Mit der Bonner Wende 1982,
entscheidend verstärkt durch den Niedergang des realisierten
Sozialismus 1989, richtete sich eine Phalanx aus Industrie, Regierungen
und Medien gegen diese gesellschaftlichen Errungenschaften. Die
Organisation des wissenschaftlichen Prozesses und damit auch die
Inhalte sollten vollständig auf Markterfordernisse ausgerichtet
werden. In Hochschule und Gesellschaft bleibt die Orientierung
des Wissenschaftsprozesses jedoch weiter umstritten. Damit die
Grundkontroverse in den Wissenschaften für eine humanistische
Gesellschaftsentwicklung zur demokratischen Qualifizierung aller
Menschen entschieden werden kann, bedarf es des aktiven Eingreifens
der Mehrheit der Menschen. Es gilt, die fortschrittlichen Positionen
und die auf dieser Grundlage in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen
erwirkten Reformen der 70er Jahre positiv aufzugreifen und im
solidarischen Kampf für die umfassende Gleichheit aller Menschen
weiterzuentwickeln. Für die Realisierung von umfassenden
Reformen zur Verbesserung der allgemeinen Lebensbedingungen müssen
deshalb die Subjekte in den Wissenschaften die gesellschaftliche
Entwicklungskontroverse in den wissenschaftlichen Institutionen
selbst aufgreifen und für gesellschaftsverändernden
Praxisbezug wirken. So kann die politische Einheit von Studium,
Lehre, Forschung und Interessenvertretung erreicht werden.
Der Hegemoniekampf in den wissenschaftlichen Institutionen
Den zivilgesellschaftlichen Institutionen
der Bildung und Wissenschaft kommt direkte Bedeutung für
die gesellschaftliche Entwicklung insgesamt zu, da in ihnen die
allgemeine Tendenz der wissenschaftlichen Vergesellschaftung realisiert
wird. Der hochqualifizierte Mensch selbst wird zur entscheidenden
Produktivkraft, Wissenschaft und Gesellschaft rücken immer
näher zusammen. Über die Höherqualifizierung kommt
somit den zivilgesellschaftlichen Institutionen tendenziell eine
höhere Bedeutung im Verhältnis zum Staat zu. Als fortschrittliche
Notwendigkeit beinhaltet diese Entwicklung die Möglichkeit
der allgemeinen Bestimmung und Verfügung Aller über
die menschlichen Belange im gesellschaftlichen Prozeß. Kapitalistisch
deformiert führt die Entwicklung zur "Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft"
zur Aufrechterhaltung und Zuspitzung von Ausbeutung und Entfremdung.
Die gesellschaftliche Widersprüchlichkeit
ist somit in den Wissenschaften repräsentiert und wird dort
entwickelt und reproduziert. Im Streit um die Ausrichtung von
Bildung und Wissenschaft treten die gesellschaftlichen Widersprüche
deutlich zu Tage, da sich antagonistische Entwicklungsoptionen
gegenüberstehen.
Der Grundwiderspruch - die
Individuen sollen unter kapitalistischen Verhältnissen höhere
Qualifikation und Einsicht unter Absehung ihres eigenen als verallgemeinerbaren
Interesses realisieren, statt über Art, Inhalt und Methode
gesellschaftlicher Produktion und Reproduktion qualifiziert und
kooperativ bestimmen zu können - verschärft sich im
Zuge der wissenschaftlich-technischen Entwicklung, da wissenschaftliche
Erkenntnisse immer unmittelbarer gesellschaftliche Anwendung finden
und das Kapital die Ergebnisse direkt zur Sicherung und Maximierung
eigener Profite abfordert. Inhalt, Methode und Ergebnis menschlicher
Qualifikation sollen dementsprechend durch das Profitinteresse
bestimmt sein. Die Widersprüchlichkeit spitzt sich also in
der Grundfrage nach Tausch- oder Gebrauchswertorientierung menschlicher
Qualifikation - d.h. nach Privatisierung oder Demokratisierung
der Bildungsinstitutionen - zu. Von neoliberaler Seite wird diese
widersprüchliche allgemeine Entwicklung im Interesse des
Kapitals beantwortet, Kapitalpositionen werden zur Konzeption
der allgemein herrschenden Politik: Der Staat soll über zunehmende
"Deregulierung" lediglich die Rahmenbedingungen der
Profitmaximierung sichern. Zur Profitrealisierung sollen die Individuen
in den Institutionen der Bildung und Wissenschaft eigenständig
beitragen, indem sie sich den "Markterfordernissen"
anpassen. Die Inhalte der Wissenschaft werden den Kriterien der
Verwertungslogik unterworfen, so daß neue Erkenntnisse und
Erfindungen unter Absehung des sozialen Nutzens "nur neue
Drangsale bedeuten".
Um die Möglichkeiten
der wissenschaftlich-technischen Entwicklung im Interesse Aller
zu nutzen, ist über massenhafte Qualifizierung die Einsicht
in die je eigenen Lebensbedingungen und die Erkenntnis des verallgemeinerbaren
Interesses zu ermöglichen. Nur darüber wird die kooperative
Eigentätigkeit der Subjekte gestärkt, so daß diese
im Bewußtsein der Gegenkräfte organisiert tätig
werden können, um die unmittelbare Verfügung über
den gesellschaftlichen Prozeß durchzusetzen und eine fortschrittliche
Gesellschaftsentwicklung zu erwirken.
Hierfür ist es nötig,
daß über die Kritik an der neoliberalen Privatisierungs-
und Sparpolitik hinaus die Grundkontroverse gesellschaftlicher
Auseinandersetzungen an den Hochschulen - Wissenschaften zur "Standortsicherung"
oder für humanistische Nützlichkeit - erkannt wird.
Dies ist Voraussetzung dafür, daß die Subjekte in den
Wissenschaften sich für Verfügungserweiterung entscheiden
können. Diese Entscheidung bedeutet für den Einzelnen,
sich im Hegemoniekampf gegen die Marktausrichtung als Teil der
auf Verfügung orientierten Subalternen und als handelndes
Subjekt zu begreifen.
Hieraus ergibt sich, daß
zur Erleichterung der "Mühseligkeit der menschlichen
Existenz" in den Wissenschaften für humanistische Inhalte
und gesellschaftskritischen Praxisbezug gestritten werden muß.
Das heißt, daß die Menschen in Bildung und Wissenschaft
befähigt werden, die gesellschaftlichen Verhältnisse
in ihrer historischen Entwicklung zu erkennen, um sie selbsttätig
im eigenen Interesse verändern zu können. In diesem
Sinne müssen wissenschaftliche Inhalte darauf gerichtet sein,
die globalen und sozialen Probleme (Krieg, Unterentwicklung...)
und ihre Ursachen zu analysieren und zu deren Überwindung
beizutragen.
Um diese Position durchsetzungsfähig
zu machen, d.h. um die Wissenschaften als Produktivkraft für
eine humanistische Gesellschaftsentwicklung wirksam werden zu
lassen, ist es zentrale Aufgabe, die Demokratisierung der wissenschaftlichen
Institutionen zu erstreiten. Das bedeutet, die neoliberale Hegemonie
in diesen Institutionen zu kritisieren und den Konsens mit ihr
zu brechen sowie in den Institutionen den demokratischen Prozeß
zur humanistischen Zielbestimmung der Wissenschaft zu organisieren,
so daß die aktuelle Dominanz der Marktideologie überwunden
und das Bildungssystem zur sozialen Befreiung im gesellschaftlichen
Prozeß wirksam werden kann.
Neoliberale Hochschulpolitik
Das Kapital verlangt mittlerweile
den direkten Zugang zu den Bildungsinstitutionen, um eigenen Einfluß
zu gewinnen und neu durchzusetzen. Hierfür muß es in
der Hochschule Zustimmung erheischen und die an der Hochschule
Tätigen darauf trimmen, damit es volle Entscheidungsgewalt
im Interesse der Profitrealisierung erlangen kann. Historisch
konkret wird die kapitalgerechte Zurichtung der Institutionen
der Wissenschaft z. B. anhand eines Papiers der Hamburger Handelskammer
"Hamburger Hochschulen reformieren - Mehr Freiheit für
unternehmerisches Handeln", mit dem die Interessenvertretung
der Hamburger Wirtschaft der Hamburger Politik ein Programm zur
vollständigen Durchkommerzialisierung und betriebswirtschaftlichen
Orientierung der Hochschulen vorgelegt hat. Es soll der "modernen"
Leitvorstellung gefolgt werden: "Hochschulen sind am Markt
agierende Anbieter von Lehr- und Forschungsleistungen, Studierende
fragen diese Leistungen nach, der Staat ist gefordert, geeignete
Rahmenbedingungen zu schaffen. Der unternehmerische Handlungsspielraum
für die Hamburger Hochschulen muß deutlich gestärkt
werden." Mit diesem Gesamtkonzept wird die umfassende Unterordnung
der Hochschulen unter die Partikularinteressen einer gesellschaftlichen
Minderheit verlangt. Die Hochschulen sollen als gesellschaftliche
Institutionen direkt für die Kapitalverwertung verfügbar
sein. Die Mehrheit - und damit auch die an den Hochschulen Tätigen
- soll, von ihren eigenen als verallgemeinerbaren Interessen absehend,
dem Kapital dienstbar sein. Hierfür wird die propagandistische
Eliminierung historisch erkämpfter sozialer und zivilisatorischer
Errungenschaften organisiert und gesellschaftliche Widersprüche
werden geleugnet.
Die politische Einflußnahme
auf die Wissenschaften wird zunehmend ersetzt durch die Schaffung
und Nutzung ökonomischer Abhängigkeiten in der Wissenschaft.
Über die Finanzierung (Drittmittel, Sponsoring, Mäzenatentum)
wird in den Hochschulen das Prinzip "Wes' Brot ich eß,
des' Lied ich sing" eingeführt und die Wissenschaft
zur Mätresse des Profits. Ideologisch wird dies durch die
Propagierung von "Freiheit" realisiert. So forderte
bereits der ehemalige Bundespräsident Herzog in seiner Bildungs-"Ruckrede"
die Befreiung der Hochschulen von "staatlicher Gängelung".
Diese postulierte "Freiheit" bedeutet, daß alle
auf sich geworfen zur Unterordnung unter das Interesse des Kapitals
gezwungen werden: Die Individuen sollen sich "frei"
fühlen, indem sie die gesellschaftlichen Tatsachen als Sachzwänge
anerkennen und ihre persönlichen Interessen in gegebenem
Rahmen formulieren und in Konkurrenz zu anderen verfolgen. Der
Mensch soll seinen eigenen Warencharakter unmittelbar und selbstgewollt
reproduzieren: Unterordnung ist gleich Freiheit...
Praktisch wird dies durch
die Übertragung öffentlicher Aufgaben auf das private
Kapital realisiert. Abgesichert wird der private Einfluß
über neoliberale Politik, d. h. die staatliche Akzeptanz
und Förderung privater Aktivitäten, die Mitinitiierung
durch staatliche Hoheitsträger und enge institutionelle Verflechtungen
von Kapital und staatlichen Instanzen. So hat z. B. die Stiftung
des weltweit größten Medienkonzerns Bertelsmann das
"Centrum für Hochschulentwicklung" (CHE) gegründet,
das Unsummen für Aktivitäten und "Projekte"
ausgibt, die an den Universitäten Akzeptanz für die
neoliberale Umstrukturierung schaffen sollen (Einführung
globalisierter Haushalte, Managementstrukturen statt demokratischer
Gremien, Marketingorientierung des "Wissenschaftsunternehmens"
u. a.). Die konzerneigenen Medien werden dabei fleißig genutzt.
Der Grundwiderspruch von Kapital
und Arbeit wird so negiert und das Interesse des Kapitals zum
Allgemeininteresse erklärt. Um die brutale Tauschwertorientierung
im Wissenschaftsprozeß zu realisieren und damit die neoliberale
Marktorientierung in den Wissenschaften funktionieren kann, muß
Politik als potentiell kritische Reflexion dieses Prozesses aus
den Hochschulen verschwinden. Die Möglichkeit zur Entscheidung
für die Alternative muß eliminiert werden. Öffentliche
Kontrolle und demokratische Einflußnahme sollen deshalb
zurückgedrängt werden. Über Dienstleistungs- und
Kundenorientierung sollen sich die Hochschulen den Gesetzen des
Marktes unterwerfen und sich kapitalistischen Betrieben strukturell
angleichen (Landesbetrieb, Stiftung, GmbH?). Hierbei ist das Kapital
der Hauptkunde, Studierende sollen als "Investoren"
in ihr "Humanvermögen" am besten dafür zahlen
(Studiengebühren), daß sie so werden, wie das Kapital
will. Managementstrukturen sollen demokratische Entscheidungsmöglichkeiten
ersetzen (Aufsichtsräte statt Universitätsparlamente).
Und um das System von Kaufen und Verkaufen, Dienen und Leisten
auch in Forschung und Lehre durchzusetzen, werden "Ziel-
und Leistungsvereinbarungen" unter ungleichen Partnern geschlossen,
die befördern, daß alle wollen, was sie wollen sollen,
"Leistungsanreize" im Dienstrecht eingeführt, damit
auch Professoren kuschen, und ein schnelles, "effizientes"
und "leistungsorientiertes" Studium restriktiv erzwungen
(Zwangsberatung und -exmatrikulation, Kurzzeitstudiengänge,
Leistungspunktsysteme...).
In der studentischen Interessenvertretung
und in den Gremien der akademischen Selbstverwaltung muß
Klarheit über die Grundkontroverse zwischen Privatisierung
und Demokratisierung gewonnen und der Streit geführt werden:
Soll das Bildungssystem der Kommerzialisierung und der privatwirtschaftlichen
Verwertung unterworfen werden, oder soll die Qualifizierung aller
Menschen zur Demokratisierung sozialer Bedingungen durch gesellschaftliche
Problemlösungskompetenz beitragen?
Qualifiziert organisiert, oppositionell
Um diesen Streit zu führen,
haben sich die linken Gruppierungen der Verfaßten Studierendenschaft
(VS) der Uni Hamburg zu einem Bündnis zusammengeschlossen,
in dem Humanisten, linke Sozialdemokraten, Sozialisten und Kommunisten
eine gemeinsame Position und Praxis zur Hochschul- und Wissenschaftspolitik
als Gesellschaftspolitik erarbeiten. In der studentischen und
akademischen Selbstverwaltung werden die Ursachen der gesellschaftlichen
Krise benannt und praxisorientierte Alternativen erarbeitet, die
es durch gesellschaftlich oppositionelles Agieren zu verwirklichen
gilt. Die humanistische Zielbestimmung der Wissenschaften gegen
marktorientierte Regulierung ist wesentliche Aufgabe der studentischen
und universitären Interessenvertretung.
Gegen dieses gesellschaftlich
oppositionelle Wirken der Linken in der Wissenschaftspolitik bildete
sich in der VS eine Negativ-Allianz der Rechten und der Grün-Liberalen
heraus, deren gemeinsames Anliegen - in Affirmation des Bestehenden
- die Verhinderung einer VS ist, die sich als Teil der auf Verfügungserweiterung
orientierten Kräfte versteht. Die immer noch vorherrschende
neoliberale Hegemonie ermöglichte dieser Allianz die Verhinderung
der Durchsetzung und Institutionalisierung fortschrittlicher linker
Politik auf AStA-Ebene.
Zur Überwindung dieses
Entwicklungshemmnisses in der VS und um gegen die neoliberale
Hegemonie reformpolitische Durchbrüche (soziale Absicherung,
"Bildung für alle" als gesellschaftliche Aufgabe,
umfassende Demokratisierung) durchzusetzen, ist es erforderlich,
mit sozialistischer Gesellschaftsperspektive die Kooperation linker
Kräfte in der VS auszubauen und zu verstetigen. Die fortschrittlichen
Organisationen verschiedener Tradierungen müssen im Bewußtsein
ihrer eigenen Geschichte für humanistische Wissenschaftsinhalte
und eine egalitäre Gesellschaftsentwicklung in direkter Kontrahenz
zum gesellschaftlichen Antagonisten streiten. Durchzusetzen ist
in dieser Auseinandersetzung, daß der kritische Gesellschaftsbezug
der Wissenschaften und ihre Orientierung auf die Überwindung
sozialer und globaler Probleme wirksamer Bestandteil gesellschaftlicher
Entwicklung wird. Insbesondere die Gremien der VS (AStA, Studierendenparlament,
Fachschaftsräte) können gegen die Verwertungsinteressen
neoliberaler Barbarisierungspolitik zu selbstorganisierten Assoziationen
kritischer Debatte werden, in denen sich die Studierenden zur
Gewinnung von Handlungsperspektive und zur Vertretung ihrer Interessen
organisieren. Dafür bedarf es der hochschulinternen Demokratisierung,
des politischen Mandats für die VS und der Repolitisierung
der akademischen Gremien (Akademischer Senat, Konzil, Fachbereichs-
und Institutsräte) über die organisierte, statusgruppenübergreifende
linke Kooperation. Das Bündnis mit fortschrittlichen gesellschaftlichen
Gruppierungen (Gewerkschaften, Parteien, Initiativen) ist Voraussetzung,
um als Teil gesamtgesellschaftlicher Opposition grundlegende Reformen
zu erreichen. Der Widerspruch zwischen der neoliberal lediglich
propagierten "Freiheit" der Wissenschaften respektive
der Subjekte der wissenschaftlichen Institutionen einerseits und
der tatsächlich zu verwirklichenden Verfügung der Menschen
über den politischen und wissenschaftlichen Prozeß
andererseits muß qualifiziert tätig überwunden
werden. Mit der solidarischen Aufhebung des Widerspruchs zwischen
Freiheit und Gleichheit ist auch in der VS die gesellschaftliche
Entwicklungskontroverse positiv zu entscheiden. Durch die kritisch-praktische
Einheit von Wissenschaft, Kultur und Politik ist die volle Entfaltung
der Individuen und somit die allgemeine Vermenschlichung der Gesellschaft
zu erwirken.
Vorwärts und nicht vergessen!
Zur
Geschichte fortschrittlicher studentischer Politik
"Nicht
um das Vergangene ist es zu tun,
sondern um die
uneingelöste Hoffnung im Vergangenen."
(Ernst Bloch)
Das
Alte und das Neue oder
Der
Kampf um die demokratische Verfaßtheit und die Inhalte der
Wissenschaften
An der Universität Hamburg
wird die Auseinandersetzung zwischen der Herausbildung von "Elite"
einerseits und demokratischer Qualifizierung andererseits in neuer
Schärfe geführt: Soll das Bildungssystem mittels Kürzungspolitik,
"Globalhaushalt", privatem Sponsoring, betriebswirtschaftlicher
Organisation, schneller Verwertbarkeit von Forschung und Lehre
und Zweiteilung des Studiums in "Masse und Elite" vollends
zugerichtet werden auf die taumelnde Gewinnmaximierung für
die Unternehmen des nationalen Standortes, oder sind ausreichende
öffentliche Finanzierung der gesellschaftlichen Institutionen,
soziale Absicherung der Ausbildung, demokratische Entscheidungsprozesse
und -strukturen, kritischer Praxisbezug von forschendem Lernen
und lernendem Forschen wesentliche Momente einer problemlösungsorientierten
wissenschaftlichen Qualifikation der Menschen?
An den Hochschulen soll die
Abwicklung der Errungenschaften von '68ff über die allgemein
praktizierte Geschichtsvergessenheit durchsetzungsfähig gemacht
werden, damit sie zu Institutionen für die "Produktion"
ausbeutungskonformen "Humankapitals" zugerichtet werden
können. Seit von herrschender Seite 1989 das Ende der Geschichte
postuliert wurde, sollen die in der Vergangenheit geführten
sozialen Kämpfe und der dadurch erzielte historische Fortschritt
vergessen gemacht werden - für die Zukunft wird die Möglichkeit
fortschrittlicher Entwicklung negiert. Die scheinbare "Selbstverwirklichung"
der Individuen als Verherrlichung der Fremdanforderungen des "Marktes"
führt heute zu massenhafter Desorganisierung der individuellen
Lebensweise in allen gesellschaftlichen Bereichen (Gewerkschaften,
Bildung, Kultur). Der maßgebliche Protagonist dieser Orientierung
in der Verfaßten Studierendenschaft (VS) ist in Hamburg
die Grüne Hochschulgruppe (GHG), die 1992/93 mit dem Slogan
"Der AStA redet Müll, wir schaffen ihn weg" antrat,
um linke Politik, wie sie seit '68 in der studentischen Interessenvertretung
hegemonial war, abzuwickeln. Studentische Interessen wurden von
der GHG eher verwaltet als vertreten, Probleme bestenfalls gelindert
statt überwunden. Auf diese Weise mit "dem System Frieden
geschlossen", waren die Grünen nach der Maßgabe
"links Blinken, rechts Fahren" bestens geeignet, Akzeptanz
für die seit '89 forcierte Marktorientierung zu schaffen.
Inzwischen ist auch das "links Blinken" weitgehend aufgegeben
worden: Soziale Interessen werden geleugnet, der Sozialstaat wird
zum größten Unterdrücker des "Individuums"
erklärt, Konkurrenz wird zum Motor für individuelle
Entfaltung deklariert, potentielle Mitbestimmung in den Selbstverwaltungsgremien
wird durch Infantilisierung und Selbstentmündigung zur aggressiven
Affirmation des (Vor-) Gegebenen, und der Einsatz von Bodentruppen
im Kosovo wird als höchstes Gebot des Humanismus gefordert.
So ordnet sich die GHG inzwischen nicht nur dem CDU-RCDS, sondern
auch seinen Burschenschafter-Freunden unter.
Im Unterschied zu diesem dekadenten
"Kriechzug" konnte die '68er- Studierendenbewegung mit
der Perspektive, die kapitalistischen Verhältnisse überwinden
zu wollen, weitreichende Hochschulreformen im Kapitalismus durchsetzen.
Der wissenschaftlich-technische Fortschritt war Ende der 60er
Jahre so weit entwickelt, daß die autoritär verfaßte
und einer Elite vorbehaltene Wissenschaft mit antiquierten Methoden
und Inhalten den Anforderungen einer massenhaften, realistischen
Qualifikation entgegenstand. Mit der Forderung nach "Bildung
für Alle" wurden Hochschule und Wissenschaft in Inhalten
und Struktur weitreichend demokratisiert, und viele Menschen wurden
für die Vertretung ihrer Interessen tätig und organisierten
sich in linken Parteien und Verbänden sowie in der Verfaßten
Studierendenschaft.
Im Zuge des wissenschaftlich-technischen
Fortschritts ist die Höherqualifikation aller Menschen für
die gesellschaftliche Weiterentwicklung notwendig. Dadurch gewinnen
die je einzelnen einen hohen Grad allgemeiner Wirkung und subjektiver
Entfaltung, so daß die Subjekte zunehmend planend und organisierend
neben die unmittelbare Produktion treten könnten. Das macht
erforderlich, daß die unmittelbaren Produzenten wissenschaftlich
und künstlerisch qualifiziert und gemeinsam den Arbeitsprozeß
bestimmen, womit die Arbeiterklasse tendenziell zur Intelligenz
wird. Zur Aufrechterhaltung der kapitalistischen Herrschaftsverhältnisse
sollen die Menschen jedoch von ihren eigenen verallgemeinerbaren
Interessen absehen und den spontanen Konsens mit Ausbeutung und
Entfremdung auf hohem Niveau realisieren. Daher wird von neoliberaler
Seite versucht, '68 zu revidieren: Betriebswirtschaftslehre als
Leitwissenschaft soll die Sozialwissenschaften als Orientierungswissenschaften
ablösen, und das Kapital drängt an die Hochschulen.
So fordert die Hamburger Handelskammer "mehr Freiheit für
unternehmerisches Handeln" an den Hochschulen und schlägt
vor, diese in Stiftungen oder - besser - in GmbHs umzuwandeln.
Eine Forderung, die der Präsident der Universität Hamburg
mit vertritt.
Gegen diese herrschende Wirklichkeit
(auch) an den Hochschulen, in der Unterordnung, Isolierung, Fatalismus
und Verfügungslosigkeit allgemein inhumane Praxis sind, ist
umfassender Widerstand zu realisieren. Die Entwicklung der Verfaßten
Studierendenschaft (VS) zu einer Assoziierung studentischer Interessenvertretung,
in der tendenziell alle Studierenden - organisiert und je individuell
- in Kritik an neoliberaler "Deregulierung" die individuelle
Qualifikation für höhere politische Handlungsfähigkeit
humanistisch entwickeln hin auf gesellschaftliche Veränderungen,
und dafür auch zielgerichtet die materielle und soziale Absicherung
der Hochschulen und ihrer Mitglieder durchsetzen und dafür
Massenprotest initiieren, ist notwendig möglich. So ist eine
Abkehr von neoliberaler Hochschulpolitik mit dem Regierungswechsel
in Bonn zwar möglich geworden, doch stellt die Verwirklichung
eines tatsächlichen Politikwechsels die Anforderung an studentische
Interessenvertretung, in Bestimmung der verallgemeinerbaren studentischen
Interessen (Qualifizierung, soziale Absicherung, Verfügungserweiterung)
in die sozialen Auseinandersetzungen einzugreifen.
Eine solche Politisierung
der studentischen Interessenvertretung zu erwirken, sind die fortschrittlichen
Gruppierungen in der VS gefordert. An der Universität Hamburg
hat sich ein Bündnis fortschrittlicher Kräfte der unterschiedlichen
Tradierungen herausgebildet, das nicht nur gemeinsame Kritik an
der neoliberalen Zurichtung erarbeitet, sondern daraus eine politische
Praxis entwickelt, die darauf orientiert ist, kooperativ zu agieren:
in den Gremien der VS und der Akademischen Selbstverwaltung, aber
auch in der außerparlamentarischen Opposition.
Es ist der Beginn einer Neufundierung
studentischer Politik, die in Aufhebung ihrer Geschichte - antiautoritäre
Studentenbewegung Ende der 60er Jahre und gewerkschaftlich orientierte
Politik der 70er und 80er Jahre - Hochschulpolitik als Gesellschaftspolitik
entwickelt und praktiziert. Die Möglichkeitsbedingungen für
die Weiterentwicklung dieser Politik sind historisch aktuell zu
bestimmen.
Die gesellschaftlichen Verhältnisse
sind als von Menschen gemachte veränderbar!
Der
Kampf gegen die Elitenbildung und für die Massenuniversität
Die
Studierendenbewegung der 60er Jahre
Nach der Befreiung vom Faschismus
45 trug der in weiten Teilen der Bevölkerung herrschende
Antifaschismus starke antikapitalistische Momente. Die alten Eliten
sollten entmachtet, die Banken und Großkonzerne sozialisiert
und demokratische Beteiligung sowie Arbeit, Bildung und soziale
Sicherheit durchgesetzt werden. Die Politik der fortschrittlichen
Kräfte war von der Lehre aus dem Faschismus bestimmt, daß
dieser nur überwunden werden kann, wenn der Kapitalismus
überwunden wird. Dies war der politische Inhalt der Forderung
"Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!".
Das Kapital und die westlichen
Alliierten konnten jedoch die kurz nach dem Krieg noch schlecht
organisierten fortschrittlichen Kräfte erfolgreich einschränken
und so, statt der anstehenden Überwindung des Kapitalismus,
seine Restauration durchsetzen. Auf diese Weise war der Widerspruch
zwischen Antifaschismus und Kapitalismus in der BRD zwar aufgeschoben,
aber nicht aufgehoben. In den 60ern entwickelte sich - aufgerufen
durch die Wiedereinsetzung ehemaliger Eliten, die Notstandsgesetze
und den Vietnamkrieg - verstärkt gesellschaftliche Bewegung
gegen den autoritären Mief der biederen Adenauer-Zeit und
den Antikommunismus als Staatsdoktrin. Auch aus Sicht des Kapitals
war die 'Modernisierung' der BRD zur Ausweitung und Sicherung
der Profite notwendig geworden, was in der ersten Nachkriegswirtschaftskrise
zum Ausdruck kam. Aufgrund der Produktivkraftentwicklung war eine
größere Anzahl qualifizierter Menschen erforderlich
geworden, was jedoch von den Subalternen selbst durchgesetzt werden
mußte und im Kampf darum deren gesellschaftliche Bedingungen
verbesserte.
Dabei waren die Herrschenden
in der BRD durch die Systemkonkurrenz mit der sozialistischen
DDR "vor der Haustür" herausgefordert, in den sozialen
Auseinandersetzungen Zugeständnisse zu machen. Fortschrittliche
Parteien und Bewegungen - z. T. mit sozialistischer Perspektive
- konnten Reformen durchsetzen: der Sozialstaat im Kapitalismus
mit relativer Vollbeschäftigung, höherem Lohnniveau,
Demokratisierung und höherer Bildungsqualifikation konnte
dem Kapital abgetrotzt werden. Zum ersten und bis jetzt einzigen
Mal in der BRD wurde ein gestiegener Anteil am gesellschaftlichen
Mehrprodukt für die Seite der Arbeit erkämpft.
Die Studierendenbewegung hat
eine wesentliche Rolle in der außerparlamentarischen Opposition
gespielt. Die Universitäten waren nicht mehr nur elitäre
Wissenschaftseinrichtungen, sondern entwickelten sich immer mehr
zur massenhaften Ausbildungsstätte für den gesellschaftlichen
Bedarf an qualifizierter Arbeit und gewannen dadurch an Bedeutung.
Die somit der Arbeiterbewegung näher gerückte Studierendenbewegung
hat im Bündnis mit den Gewerkschaften und anderen fortschrittlichen
Organisationen - darunter auch Kommunisten und Sozialisten - Perspektive
für gesellschaftliche Opposition mit entwickelt. Die Absetzung
rechter, antikommunistischer ASten, die Fackelmärsche an
die "Mauer" organisierten, sowie die Durchsetzung fortschrittlicher
Inhalte und kritischen Gesellschaftsbezugs in der wissenschaftlichen
Tätigkeit ("Unter den Talaren Muff von 1000 Jahren")
und Ausbau und Öffnung der Hochschule (Massenuniversität),
ihre Demokratisierung (Gruppenuniversität) und die soziale
Absicherung (BAföG) waren die Ergebnisse dieses Engagements.
Die entscheidende Kraft, die
diese Auseinandersetzungen seitens der Studierenden führte,
war der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS). Nach Ende
des Zweiten Weltkrieges wurde er als sozialdemokratische Hochschulorganisation
gegründet und entwickelte vor allem in den 60er Jahren weitreichende
marxistische Positionen. Über die Auseinandersetzungen Ende
der 60er hatten sich im SDS weitere Tradierungen zusammengefunden,
von Kommunisten bis zu radikalisierten bürgerlichen Demokraten.
Nachdem wesentliche Reformen erkämpft worden waren, fehlte
eine gemeinsame weitergehende Sozialismusperspektive, so daß
sich der SDS Anfang der 70er Jahre auflöste. Die antikapitalistische
Studierendenbewegung differenzierte sich in die drei fortschrittlichen
Tradierungen der bürgerlichen Gesellschaft aus:
Trotz der Unterschiede zwischen
den sozialdemokratischen Organisationen und dem MSB gelang es
in den 70ern und 80ern im Rahmen des Konzeptes der gewerkschaftlichen
Orientierung, eine kooperative Praxis in der studentischen Interessenvertretung
zu realisieren. Die Zusammenarbeit zwischen den Gruppen der gewerkschaftlichen
Orientierung einerseits und den Basisgruppen andererseits gelang
nur punktuell, weil die Bezugnahme des autonomen Spektrums zu
den sozialen Interessen relativ schwach ausgeprägt war. Hinkünftig
wäre das Zusammenwirken der drei fortschrittlichen Tradierungen
anhand einer emanzipatorischen Gesamtperspektive für Hochschule
und Gesellschaft praktisch weiterzuentwickeln. Es gilt, gemeinsame
Handlungsfähigkeit zur Durchsetzung von Reformen streitbar-kooperativ
zu erarbeiten - im Hinblick auf die Aufhebung der revolutionären
Forderungen des bürgerlichen Humanismus: die Realisierung
von Freiheit, Gleichheit und Solidarität.
Die
Politik der gewerkschaftlichen Orientierung
Die
70er und 80er Jahre
Konnten bis zu Beginn der 70er
Jahre soziale Reformen durchgesetzt werden, so spitzten sich die
gesellschaftlichen Auseinandersetzungen in den 70er und 80er Jahren
wieder zu. Die Krise der 70er wurde von der sozial-liberalen Regierung
auf Druck von Kapital und anderen konservativen Kräften mit
der Abkehr von Sozialstaat und Keynesianismus beantwortet. Die
zuerst realisierten sozialen Reformen wurden nur noch verwaltet
und dann (teilweise) wieder zurückgenommen. Die herrschende
Politik gegenüber gesellschaftlich oppositionellen Kräften,
wie der Friedens- und der Anti-AKW-Bewegung sowie Gewerkschaften,
die um kürzere Arbeitszeiten kämpften, wurde restriktiver,
um den Machterhalt zu sichern und die Umverteilung des Reichtums
für die Seite der Arbeit umzukehren. Das zunehmend restriktive
Agieren der Regierung gegenüber fortschrittlichen gesellschaftlichen
Kräften fand in den Hochschulen besondere Ausprägung.
So wurde in Baden-Württemberg und Bayern die Verfaßte
Studierendenschaft (VS) abgeschafft: "Der terroristische
Sumpf an den Hochschulen muß trockengelegt werden",
so Filbinger (Nazi-Richter und baden-württembergischer CDU-Ministerpräsident).
Wo es die VS noch gab, wurde ihr das Politische Mandat entzogen.
In der studentischen Interessenvertretung
war von 1971 bis 1989 das Konzept der gewerkschaftlichen Orientierung
(GO) hegemonial. Im Rahmen der Reformpolitik der 70er Jahre und
gegen den restriktiven Druck von Kapitalseite wurde es in kooperativer
Praxis wesentlich entwickelt von Kommunisten und linken Sozialdemokraten,
also dem MSB, SHB und - mit Einschränkungen - auch den Juso-Hochschulgruppen.
Im Vordergrund des GO-Konzeptes stand die organisierte Vertretung
der materiellen und sozialen Interessen der Studierenden. Sie
sollten - aufgrund wesentlicher Interessenübereinstimmung
- im Bündnis mit der Arbeiterklasse (als Subjekt gesellschaftlicher
Veränderung) durchgesetzt werden. Die GO-Politik war - mit
der teilweisen Durchsetzung demokratischer Mitbestimmung, materieller
Absicherung des Studiums und der aktiven Teilnahme an der Friedensbewegung
- im Rahmen der gesellschaftlichen Bewegung von Anfang der 70er
bis Anfang der 80er Jahre erfolgreich. Dazu gehörte die weitgehende
Überwindung antidemokratischer Forschungsansätze aus
Kolonialzeit und Faschismus und die Etablierung fortschrittlicher
Inhalte (Antifaschismus, Frieden, Internationalismus, demokratische
Traditionen) in den Wissenschaften, die zusammen mit linken Kräften
aus dem Wissenschaftsbereich sowie anderen Organisationen wie
Gewerkschaften und Parteien durchgesetzt werden konnten. Mit der
Beschränkung der sozial-liberalen Regierungspolitik auf die
Verwaltung der Reformen und dem schrittweisen Abrücken von
den Prinzipien des Sozialstaats ab Ende der 70er Jahre wurde die
konservativ-liberale Regierungsübernahme von 1982 vorbereitet.
Die sich in diesen Jahren herausbildende neoliberale Politik bedeutete
für die Hochschulen eine zunehmende Ausrichtung an dem unmittelbaren
Kapitalverwertungsinteresse. Während dieser Zeit beschränkte
sich die GO-Politik im wesentlichen auf gut organisierte und zum
Teil auch erfolgreiche Abwehrkämpfe.
Die Entwicklung des gesellschaftlichen
Gesamtprozesses in der Widersprüchlichkeit von steigendem
Reichtum und gestiegenen Qualifikationsanforderungen einerseits
und privater Aneignung sowie Marktzurichtung der Individuen andererseits
wurden unzureichend reflektiert. Der zu überwindende Mangel
in Theorie und Praxis der GO-Politik lag in der Trennung zwischen
Hochschulpolitik (Vertretung der sozialen und materiellen Interessen
der Studierenden) einerseits und politisch weitgehend folgenloser
Wissenschaftskritik andererseits. Dadurch wurde kein Ansatz fortschrittlichen
Wirkens entwickelt, der die Inhalte und Methoden von Wissenschaft,
ihre gesellschaftliche Praxisrelevanz sowie entsprechend begründeter
Forderungen nach materieller Ausstattung und sozialer Absicherung
der in diesem Bereich Tätigen umfaßt. Statt einer eigenen
wissenschaftlich begründeten Sozialismusperspektive für
das hochschulpolitische Wirken blieben der idealistische Bezug
auf die Wirkungsmöglichkeiten der Wissenschaft "an sich"
sowie das Vertrauen in den real existierenden Sozialismus. Dies
führte zu einer Schwächung der fortschrittlichen Organisationen
und mit 1989 zu einem weitgehenden Einbruch linker studentischer
Organisiertheit. Damit konnten Marktorientierung und kleinbürgerliche
Politik der Beliebigkeit in der Hochschule durchgesetzt werden.
In der VS trugen dazu maßgeblich die Realo-Grünen bei,
die in Marktdevotion lediglich Linderung der Probleme versprachen,
aber nicht einmal diese realisieren konnten (teuerstes Semesterticket
der Republik). Inzwischen verwalten sie nur noch ihre Kleinstprojekte
("Kinderkiste", "Campusrad", "Sommernachtstraum"
und "Semesterticket"), verwirklicht über die Umverteilung
innerhalb der Studierendenschaft. Ihre letzte Energie bringen
die Grünen noch für den Versuch auf, die VS zu entdemokratisieren
und die letzten Überbleibsel aus fortschrittlicher studentischer
Politik zu entsorgen. Diese Destruktion in der VS ist zu überwinden.
Rekonstruktion
sozialistischer studentischer Politik
und
mögliche Renaissance der oppositionellen Studierendenbewegung
Fortschrittliche studentische
Interessenvertretung ist mit den Erfahrungen aus der Arbeiterbewegung
und dem antifaschistischen Widerstand in neuer Qualität zu
erarbeiten. Dabei ist vor allem das Verhältnis der Studierendenbewegung
zu den wesentlichen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen zu
bestimmen: Die Verfügung Aller über das gesellschaftliche
Gesamt, über Produktion und Reproduktion, ist notwendig und
möglich. Die 68er Forderung nach "Bildung für Alle"
ist in neuer Qualität zu stellen: auf Grundlage des hohen
Stands der Produktivkraftentwicklung und zur Lösung der gesellschaftlichen
Probleme ist durchzusetzen, über den sozialen Inhalt von
Arbeit bestimmen zu können, Einsicht in die gesellschaftlichen
Verhältnisse und ihre Geschichte zu erlangen und somit die
Verfügungserweiterung über die eigenen Angelegenheiten
realisieren zu können. So ist "Arbeit für Alle"
durchzusetzen, denn nur mittels der Verfügung über den
gesellschaftlichen Produktionsprozeß ist die demokratische
Integration in den sozialen Gesamtprozeß zu realisieren.
Wissenschaftspolitik - als Einheit von Hochschulpolitik und Wissenschaftskritik
- ist somit als Gesellschaftspolitik zu entwickeln.
Daran zu arbeiten, haben wir
uns als Liste LINKS im Herbst 1993 aus der Linken Liste, der Offenen
AusländerInnenliste und Fachschaftsaktiven konstituiert.
Wir stehen in kritisch aneignender Weise in der Tradition der
GO-Politik, insbesondere der des MSB Spartakus, und agieren in
der VS und in der akademischen Selbstverwaltung: Im Studierendenparlament
als dem zentralen Ort für öffentliche Diskussion über
die Bestimmung studentischer Interessen und ihrer Durchsetzung;
in Fachschaftsrätekonferenz und Fachschaftsräten zur
Koordination und Rekonstruktion fortschrittlichen Agierens an
Instituten und Fachbereichen; im AStA-AusländerInnenreferat
zur Neufundierung internationaler Solidarität, radikaler
Egalität und Vertretung der Interessen ausländischer
KommilitonInnen; in Konzil und Akademischen Senat befördern
wir die politische Kontroverse gegen Privatisierung, Kommerzialisierung
und Marktausrichtung der Uni und streiten für humanistische
Wissenschaftsinhalte in Bezug auf gesellschaftliche Veränderung.
So ist die Liste LINKS ebenfalls in der außerparlamentarischen
Opposition wirksam tätig - z. B. im Hamburger Forum für
Völkerverständigung und weltweite Abrüstung (Hamburger
Friedensbewegung) oder im Hamburger Bündnis gegen Rassismus
und Faschismus.
Es geht - auf allen Arbeitsgebieten
- in neuer Qualität um Qualifikation, Demokratisierung, humanistische
Inhalte und kritischen Gesellschaftsbezug, als Bedingungen für
die Rekonstruktion sozialistischer Perspektive und Praxis, die
darauf zielt, die gesellschaftlichen Verhältnisse umzuwälzen,
um die freie Entwicklung aller Menschen zu ermöglichen. Dafür
ist die arbeitsteilige Kooperation aller fortschrittlichen Kräfte
im Wissenschaftsbereich notwendig: Es besteht die Aufgabe, die
gesellschaftliche Möglichkeit und Notwendigkeit umfassender
Verwissenschaftlichung der individuellen Vergesellschaftung als
Voraussetzung dafür aufzuzeigen, daß "die Köchin
den Staat lenken kann". In diesem Sinne ist für die
Verbesserung der materiellen Bedingungen von Hochschulen und der
sozialen und kulturellen Bedingungen ihrer Mitglieder sowie für
demokratischen Gesellschaftsbezug wissenschaftlicher Tätigkeit
zu streiten. In Kritik an den gesellschaftlichen Grundverhältnissen
sind die wissenschaftlichen Anforderungen zur Lösung globaler
Probleme zu erarbeiten, und es ist für gleiche Rechte sowie
demokratische Teilhabe Aller zu kämpfen. Daran müssen
sowohl Radikaldemokraten als auch Kommunisten und Sozialdemokraten,
in Tradition der GO-Politik stehend, ihre Weiterentwicklung und
ihr kooperatives Wirken orientieren. Methode fortschrittlicher
Politik ist demnach, sich die bestehenden Verhältnisse wissenschaftlich
anzueignen und historisch zu erklären, Schlußfolgerungen
zur Durchsetzung gesellschaftlichen Fortschritts zu ziehen und
so - kollektiv und je individuell - fortschrittliche Forderungen
in den wissenschaftlichen Institutionen der Zivilgesellschaft
durchzusetzen.
Vorwärts und nicht vergessen!
"So
liegen also in der menschlichen Natur drei hauptsächliche
Konfliktursachen: Erstens Konkurrenz, zweitens Mißtrauen,
drittens Ruhmsucht."
(Thomas Hobbes:
Leviathan)
Nach 1945 engagierten sich
die Antifaschisten, die gegen den Faschismus für die demokratische
Republik gekämpft hatten, für eine grundlegend friedliche
und humanistische Gesellschaftsentwicklung. In der Folge legten
die Siegermächte nach der militärischen Befreiung im
Potsdamer Abkommen fest, daß Deutschland vollständig
entmilitarisiert, die Nazi-Organisationen zerschlagen und die
ökonomische Macht der Großbanken und -konzerne wesentlich
eingeschränkt werden sollten. Weithin akzeptiertes Ziel war
kurz nach '45, die Großkonzerne, die von Faschismus und
Krieg profitiert hatten, aufzulösen, um Gleichheit, Bildung
und Demokratie als umfassende Prinzipien gesellschaftlicher Entwicklung
gegen Militarismus, Unterordnung und Verdummung durchzusetzen.
Aus dieser historischen Erfahrung
heraus waren kapitalistische Konkurrenz, Ausbeutung und Entfremdung
von 1945 bis 1989 durch die sozialistischen Staaten sowie die
gesellschaftliche Opposition im Kapitalismus relativ gebändigt.
"Konkurrenz", "Mißtrauen" und "Ruhmsucht"
haben aber, seit das Kapital mit dem Wegfall der sozialistischen
Staaten weitgehend ungehindert um den Erdball jagen kann, gesellschaftlich
neue Bedeutung gewonnen und gelten gewissermaßen als menschliche
Natur. So konnten mit der Schwächung fortschrittlicher Kräfte
nach 1989 die extremen Rechten an die Zeit von Diktatur und Krieg
anknüpfen, um das ungebändigte Wirken des Kapitals aggressiver
gegen das kritische Wirken von links zu legitimieren. "Marktwirtschaft,
Privateigentum, Unternehmerinitiative und Konkurrenzprinzip sind
die Grundbausteine jeder funktionierenden Wirtschaftsordnung"
(Die Republikaner, Schwerpunkte aus dem Wahlprogramm zur Landtagswahl
in NRW 1990). Die kapitalistische Verwertungslogik soll nicht
mehr nur in der ökonomischen Ausbeutung dominieren, sondern
ihre Prinzipien sollen auf alle anderen gesellschaftlichen Bereiche
übertragen werden. Wettbewerb, Privatisierung gesellschaftlicher
Aufgaben und die umfassende Konkurrenz aller gegen alle werden
als prinzipielle Voraussetzungen einer funktionierenden Gesellschaftsordnung
propagiert, sie werden mit Macht als gesellschaftliche Normalität
nahegelegt.
Die hoch entwickelten gesellschaftlichen
Möglichkeiten können aber nur dann in Krieg, Armut und
kulturelle Verdummung pervertiert werden, wenn die Ausbeutung
des Menschen durch den Menschen als herrschendes Interesse tagtäglich
umgesetzt und die Unterordnung als einzige und ewige Freiheit
untertänigst bejubelt wird. Die Funktion der Rechten ist
dabei, zur Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung der Ausbeutungsverhältnisse
den Antagonismus von Herrschenden und Beherrschten aufrechtzuerhalten
und soziale Widersprüche als unüberwindbar in Gesinnung
oder Gen der Menschen zu begründen. Die Konkurrenz wird den
Subalternen kulturell als eigene Wolfsnatur suggeriert, damit
sie sich über das eigene als verallgemeinerbares Interesse
täuschen und sich - dem Druck von rechts beugend - gefügig
der Ausbeutung anheimstellen. Um die herrschenden Verhältnisse
zu konservieren, wird deren historische Genese verschleiert und
somit deren prinzipielle Unveränderbarkeit behauptet. Wenn
Martin Walser zur Verleihung des Friedenspreises des deutschen
Buchhandels 1998 für ein "Wegschauen" von Auschwitz
plädiert und der kritischen Auseinandersetzung mit dem Faschismus
und seinen Ursachen die Funktion der "Drohroutine" und
der "Instrumentalisierung zu gegenwärtigen Zwecken"
zuschreibt, erhält der Anti-Antifaschismus höhere Weihen.
So wurde die neue Qualität imperialistischer Weltherrschaft
nach '89 zur Normalität erklärt: Die ungehemmte Anwendung
militärischer Gewalt zur unbeschränkten Kapitalherrschaft,
wie im Nato-Angriffskrieg gegen Jugoslawien, wird legitimiert,
indem geschichtsklitternd die Erfahrungen und Schlußfolgerungen
aus Krieg und Nazidiktatur vergessen gemacht werden sollen.
Zur Hauptfunktion der Rechten
gehört also, im Kampf um die Deutungsmacht sozialer Widersprüche
das aufklärerische und auf gegenseitige Nützlichkeit
Aller orientierte Wirken zu behindern. Jegliches fortschrittliche
Agieren kann daher nur gegen die Herrschaft des Kapitals und in
Kritik an der Unterordnung durchgesetzt werden.
Der entscheidende Unterschied
zwischen der 'alten' und der 'modernen' Rechten besteht nun darin,
daß die alte wesentlich die staatlich-autoritäre Diktatur
anstrebt, während als modern gilt, die unmittelbar ökonomische
Marktdiktatur als Ausleseprinzip auf Höhe der Zeit zu akzeptieren
und die kulturell vermittelte Unterordnung des Individuums zur
profitablen Verwertung grinsend zu bejahen: friß oder stirb!
Den Untertanen als modernen Marktsubjekten wird in Leugnung sozialer
Widersprüche und ihrer fortschrittlichen Entwicklungsmöglichkeit
machtvoll nahegelegt, sich dem allgegenwärtig und direkt
wirkenden stummen ökonomischen Zwang 'freiwillig' zu unterwerfen
und diese Zumutungen brachial gegen andere für den scheinbar
eigenen Vorteil zu wenden. Im Wilhelminismus beteten sie "Gott,
Kaiser und Vaterland" an - höhere Instanzen, durch die
das Wirken der Menschen auf das allgemein durchgesetzte Klasseninteresse
der Bourgeoisie beschränkt werden sollte. Neoliberalismus
bedeutet hingegen die unmittelbare Herrschaft des Kapitalverhältnisses
als ökonomischen Verwertungszwang auf dem Markt und - vermittelt
über die neoliberale Hegemonie - Sozialdarwinismus als ausschließliches
Entwicklungsprinzip. Dadurch gewinnen die Hegemoniekämpfe
in den Institutionen der Zivilgesellschaft um Menschenbild, Deutung
sozialer Widersprüche, Zielrichtung gesellschaftlicher Entwicklung
und Verfügung über die Quellen des gesellschaftlichen
Reichtums an Bedeutung, ohne daß staatliche Zwangsmaßnahmen
zur Aufrechterhaltung von "Ruhe und Ordnung" ihre prinzipielle
Funktion verlören.
Der
Hegemoniekampf in der Hamburger Verfaßten Studierendenschaft
"Denn
Diederich war so beschaffen, daß [...] die Macht, die kalte
Macht, an der er selbst, wenn auch nur leidend, teilhatte, sein
Stolz war. Am Geburtstag des Ordinarius bekränzte man Katheder
und Tafel. Diederich umwand sogar den Rohrstock."
"Jeder einzelne
ein Nichts, steigen wir in gegliederten Massen als Neuteutonen,
als Militär, Beamtentum, Kirche und Wissenschaft, als Wirtschaftsorganisation
und Machtverbände kegelförmig hinan, bis dort oben,
wo sie selbst steht, steinern und blitzend! Leben in ihr, haben
teil an ihr, unerbittlich gegen die, die ihr ferner sind, und
triumphierend, noch wenn sie uns zerschmettert: denn so rechtfertigt
sie unsere Liebe!"
(Heinrich Mann:
Der Untertan)
Unter der Hegemonie neoliberaler
Politik besteht die Funktion rechter Gruppen in der studentischen
Interessenvertretung, Akzeptanz zu schaffen für die Durchsetzung
institutioneller Elitenbildung, subjektiver Verwertungsorientierung
(Karriere) und Privatisierung sowie in der Behinderung einer gesellschaftlich
oppositionellen studentischen Interessenvertretung durch Serviceorientierung
und Marktmanagement.
In der studentischen Interessenvertretung
der Universität Hamburg war seit Ende der 60er bis 1994 der
rechte Rand durch den RCDS (Ring christlich-demokratischer Studenten,
CDU) bestimmt, dessen Agieren durch die Hegemonie linker Organisationen
marginalisiert war. 1994 konnte mit "Uni Aktiv" zum
ersten Mal eine Liste ins Studierendenparlament gelangen, in der
sich Bundeswehrreservisten und Mitglieder der rechtsextremen Hamburger
Burschenschaft "Germania" organisierten. Ihre Nachfolgelisten
sind "Pro Universitate" und "Veritas - Karriere
geht vor", denen sich ein reaktionär orientierter RCDS
angenähert hat. Sie wollen die Hochschule als Dienstleistungsunternehmen
für die Privatwirtschaft und die Verfaßte Studierendenschaft
als Karrierezentrum für die künftige Elite, wobei sie
durch die von Rechts-Grünen im AStA praktizierte Entpolitisierung
und neoliberale Akzeptanzpolitik befördert werden. Die Rechten
propagieren brutal und bierselig dumm die Devotion vor der "Macht"
ungehinderter Kapitalverwertung. Dabei trommelt "Pro Universitate"
traditionell rechts für "persönliche Leistungs-
und Opferbereitschaft" und "Orrrdnung". Dort wird
gegen fortschrittliche Interessenvertretung gegeifert: Sie solidarisiere
sich mit "Terroristen, ruft dazu auf, sich an Arbeiterdemonstrationen
zu beteiligen und verunglimpft Kommilitonen, die ihren Wehrdienst
abgeleistet haben!" Der RCDS geht bäuerlich-konservativ
gegen Verstand und Kritik vor ("Null Bock auf Links")
und ist gleichzeitig 'modern' für jegliche neoliberale Umstrukturierungsmaßnahme
("Im Gegensatz zu den Linken wünschen wir uns noch mehr
Unterstützung von privater Seite für unsere Hochschule").
"Veritas" vertritt den Kapitalstandpunkt nicht weniger
aggressiv, aber mehr auf Höhe der Zeit, indem die Verteidigung
grün-liberaler AStA-Entdemokratisierungspolitik gegen die
Kritik von links verbunden wird mit Forderungen nach kultureller
Marktdevotion durch Eliten- und Karriereförderung ("offensives
Hochschul-Marketing", "Recruitingmessen", "öffentliche
Abschlußverleihungen"). Zwar können die Rechten
aufgrund der Zusammenarbeit der linken Gruppierungen keine Mehrheiten
realisieren, jedoch haben sie Einfluß gewonnen, weil die
grün-liberale AStA-Koalition ihnen nachgibt und teils mit
ihnen - gegen links - zusammenarbeitet.
Für fortschrittlich orientierte
Gegenkräfte besteht die Entscheidung, sich der Kontroverse
gegen rechts prinzipiell und in allen Bereichen zu stellen: im
Bewußtsein und in Kenntnis der historischen Dimension des
Widerstreitens zwischen links und rechts zu agieren und sich dem
Druck des gesellschaftlichen Hegemons zu stellen, indem man sich
in qualifizierender Kooperation mit anderen Antifaschisten für
gesellschaftliche Veränderung entfaltet. "Linke",
die nicht gegen rechts vorgehen, beugen sich der rechten Hegemonie
durch Ausbeutungswillfährigkeit - und verfallen.
Die Pervertierung der Aufklärung
Rechte Wissenschaftspolitik zielt
einzig auf die Zurichtung wissenschaftlicher Tätigkeit auf
die unmittelbaren Renditezwecke sowie die Aufrechterhaltung der
bestehenden Herrschaftsverhältnisse. Der Mensch wird als
machtloses Geschöpf gedeutet, das sich den 'natürlichen'
Marktkräften und heroischen Führern zu beugen habe.
Mit der verstärkten Marktdominanz werden zunehmend rechte
Ideologeme zur 'Erklärung' sozialer Probleme auch in den
Wissenschaften herangezogen. Die Aufklärung wird pervertiert,
indem verstandesgemäße Analyse, Kritik und Erkenntnis
zur gesellschaftsverändernden Entfaltung durch geschichtsklitternde
Mythenbildung nivelliert werden, wie bei der Auseinandersetzung
um die 1995 eröffnete Wanderausstellung "Vernichtungskrieg.
Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944".
Absicht war, die Legende von
der "sauberen Wehrmacht" zu zerstören. Deren Krieg
im Osten zwischen 1941 und '44 wurde mit eindrucksvollen Dokumenten
als ein geplanter und organisierter Vernichtungskrieg dargestellt,
als ein Eroberungsfeldzug, bei dem die Zivilbevölkerung,
vor allem die jüdische sowie sowjetische Kriegsgefangene,
systematisch ermordet wurden und bei dem alle Ränge innerhalb
der Wehrmacht funktional beteiligt waren. Die Brisanz der Ausstellung
bestand darin, daß durch ihre Rezeption unweigerlich Parallelen
in der deutschen Geschichte entstanden, da beim NATO-Angriffskrieg
auf Jugoslawien, an dem die BRD beteiligt war, dieselben Orte
bombardiert wurden, die schon im Zweiten Weltkrieg Kriegsschauplatz
waren und von der Wehrmacht erobert wurden. Außerdem wurde
in Verbindung von Bild- und Textdokumenten die Frage nach der
subjektiven Verantwortung für Zerstörung oder Humanität
aufgeworfen, so daß die weltanschaulichen Grundauffassungen
und handlungsleitenden Motivationen für das organisierte
Verbrechen deutlich wurden.
Gegen die Ausstellung marschierten
Nazis ("Der Soldaten Ehre ist auch unsere Ehre! Verteidigen
wir sie!"), um die Verbrechen des Faschismus zu relativieren
und den Militarismus zu forcieren. Dem folgten teilweise auch
konservative und liberale "Historiker" und attackierten
die Ausstellung. Ihr Hauptargument war, daß in der Ausstellung
unzulässigerweise alle Wehrmachtssoldaten als Verbrecher
hingestellt würden, so daß ein "einseitiges bis
falsches Bild Deutschlands" im Ausland (Möller) vermittelt
werde. Gerade das verharmlost aber die barbarische Planung und
Gesamtfunktion der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg und verschleiert
historische Zusammenhänge, gesellschaftliche Ursachen und
weltanschaulich-subjektive Handlungsgründe.
Die Ausstellungsmacher reflektierten
nicht die politischen Folgen ihrer aufklärerischen Absicht,
sondern gaben im Oktober 1999 den heftigen Attacken von rechts
nach, obwohl antifaschistische Kräfte sich mit außerparlamentarischen
Aktionen gegen diese Verharmlosung von Faschismus und Krieg wandten.
Sie versuchten, sich "wissenschaftlich neutral" zu verhalten
und zogen die Ausstellung - "zur Überarbeitung"
- zurück, statt den kritischen Aktualitätsbezug gegen
die Mystifizierungen von rechter Seite herzustellen und politische
Schlußfolgerungen aus der Beschäftigung mit der Geschichte
zu ziehen, um Frieden und Abrüstung, soziale Gleichheit und
Demokratie umfassend zu realisieren.
Zivilisation
statt Barbarei!
"Verstand
ich den Vorgang recht, so unterlag dieser Herr der Negativität
seiner Kampfposition. Wahrscheinlich kann man vom Nichtwollen
seelisch nicht leben; eine Sache nicht tun wollen, das ist auf
die Dauer kein Lebensinhalt."
(Thomas Mann: Mario
und der Zauberer, 1930)
Je barbarischer und dekadenter
die herrschenden Verhältnisse werden, je mehr also eine zum
Kapitalismus alternative, höhere Gesellschaftsformation auf
der historischen Tagesordnung steht, desto biestiger wird das
Gang und Gäbe von Rechten verteidigt.
Um durchzusetzen, daß
Krieg, Armut und kulturelle Verdummung prinzipiell überwunden
werden, ist unhintergehbar, daß die Subjekte fortschrittlicher
politischer Tradierungen in der bürgerlichen Gesellschaft
- Reformkräfte, fortschrittliche Humanisten und Revolutionäre
- im Bewußtsein der historischen Dimension der Kontrahenz
zwischen links und rechts enger kooperieren. Dazu ist die je eigenständige
Entwicklung einer kapitalismusüberschreitenden Gesellschaftsperspektive
und die wissenschaftliche Qualifizierung hin auf gemeinsames kämpferisch-aufklärerisches
Wirken zwingend. Nur so kann reale Veränderung gegen anti-aufklärerische,
anti-egalitäre und anti-humanistische Deutungen und Kräfte
erreicht und die volle und umfassende Entfaltung und Verfügung
Aller erkämpft werden. Wenn Ausbeutung brutalisiert und Verdummung
vulgarisiert werden, müssen sich die Linken durch Qualifikation
und Kooperation radikalisieren, um im Hegemoniekampf gegen rechts
umfassend Gleichheit, Frieden, internationale Solidarität
und Bildung durchzusetzen.
Für Frieden und internationale
Entwicklung
"Der
Krieg wird nicht unnötig
Wenn er nicht
geführt wird
Sondern nur,
wenn er unnötig ist
Braucht er nicht
geführt zu werden."
(Bertolt Brecht:
Richtigstellung)
Mit der ersten kollektiven
"Krisenintervention" der NATO in Jugoslawien unter deutscher
Beteiligung wurde ein neuer Maßstab für internationale
Verhältnisse geschaffen, die herrschaftsgefährdende
Entwicklung von Konflikten soll militärisch unterbunden werden.
Wer gegnerisches Ziel von Kriegsführung ist, haben die USA
in ihrer 1998 verabschiedeten Doktrin "Neue Strategie für
ein neues Jahrhundert" festgelegt: "Schurkenstaaten",
nämlich diejenigen, die sich nicht öffnen für repräsentative
Demokratie und Marktwirtschaft im westlichen Sinne - auch die
ehemaligen sozialistischen Staaten sollen sich für Markt
und Kapital verfügbar machen. Mit dem Ende der Systemauseinandersetzung
wurde die internationale "Regulierung" von Konflikten
durch entfesselte Unterwerfungspolitik ersetzt. Der erste Angriffskrieg
der NATO ist ein historisch neuer Schritt zur weiteren Durchsetzung
und Sicherung der "neuen Weltordnung" und zur Brutalisierung
der internationalen Unterwerfung unter die Konkurrenzbedingungen
globaler Verwertungsverhältnisse.
Nach diesem Krieg resümiert
die NATO, "effizientere" Mittel zu brauchen, auch ohne
demokratischen "Ballast" zügig eingreifen zu können,
um die "Schurken" zu bekämpfen. Und eingreifen
will sie auf jeden Fall, " [...] ich weiß nur noch
nicht, wann und wo." (Naumann). Und eingreifen wird sie,
da Entwicklungsunterschiede - eine der wesentlichen Konfliktursachen
- nach wie vor notwendiger Bestandteil des internationalen Kapitalismus
sind. Soziale Ungleichheit ist nicht "gottgewollt" oder
"natürlich", sondern Ergebnis von brachialer Konkurrenz
um Marktanteile und Profit. Rüstung und Krieg sind der brutalste
Ausdruck von Konkurrenz und das entscheidende Hindernis für
eine fortschrittliche und humanistische Entwicklung.
Um gegen dieses Hindernis
zu wirken, ist die Auseinandersetzung mit der Geschichte und den
sozialen Kämpfen um gesellschaftliche Entwicklung notwendig.
Die brutale Niederschlagung von Widerstand soll die Überwindung
der Verhältnisse verhindern und dient der Aufrechterhaltung
sozialer Ungleichheit. Nur in Auseinandersetzung mit den Ursachen
von gesellschaftlichen Widersprüchen und der Wirkung von
geführten Klassenauseinandersetzungen wird Geschichte nicht
zum Zufallsprodukt erklärt, sondern deutlich, daß sie
immer ein Ergebnis von Klassenkämpfen ist, aus deren Erfolgen
und Niederlagen für fortschrittliche Kräfte historische
Erfahrungen abgeleitet wurden, die immer wieder handlungsrelevant
sind.
Historische Entwicklung internationaler Arbeitsteilung und Ausbeutung
Die aktuelle internationale soziale
Ungleichheit ist Resultat menschlicher Geschichte als Entwicklung
sozialer Grundwidersprüche. Entscheidende Schritte gesellschaftlicher
Entwicklung wurden mit Kolonialisierung, Industrialisierung sowie
der Bildung von Monopolen und den daraus resultierenden Auseinandersetzungen
zwischen Herrschenden und Ausgebeuteten erreicht. Besonders im
Kapitalismus sind die Herrschenden gezwungen, zur Steigerung ihrer
Profite mehr Ausbeutung durch die Revolutionierung der Produktionsmittel
zu realisieren und Krieg zur Sicherung des "freien Zugangs
zu Rohstoffen und Märkten" zu führen: "Die
Kapitalisten reden vom Frieden, um den Krieg führen zu können.
[...] Die Kapitalisten wünschen nur zum Teil den Krieg, aber
alle die kriegerische Wirtschaft, und sie wollen Krieg führen
gegen die unkriegerische Wirtschaft" (Bertolt Brecht: Die
fünf Hauptlügen).
Der so entstandene Widerspruch
zwischen rasanter wissenschaftlich-technischer Entwicklung und
Produktivität einerseits und der dynamisierten Ausbeutung
andererseits ist die materielle und objektive Grundlage für
subjektiven Widerstand gegen privaten Besitz an Produktionsmitteln
sowie die private Aneignung von Profiten und somit für die
Schaffung einer klassenlosen Gesellschaft. Um gesellschaftliche
Ungleichheit zu legitimieren und aufrecht zu erhalten sowie wissenschaftlich-technische
Entwicklung voranzutreiben, waren wissenschaftliche Erkenntnisse
und die Auseinandersetzung um ihre Deutung - zur Legitimation
und Verschleierung herrschender Verhältnisse oder zur Aufklärung
für eine humanistische Gesellschaftsentwicklung - notwendig.
Für den ersten Schritt zur internationalen Arbeitsteilung
mußte die Ständegesellschaft überwunden und die
bürgerliche Gesellschaft herausgebildet werden. Das Handelsbürgertum
eignete sich fremdes Mehrprodukt räuberisch für den
internationalen Handel an. Durch die Kolonialisierung wurde eine
internationale "Arbeitsteilung" manifestiert, da für
die Schaffung von zusätzlichem Mehrprodukt für das Handelsbürgertum
einerseits billige Rohstoffe und Sklaven, andererseits Absatzmärkte
notwendig waren. Diese Akkumulation von gesellschaftlichem Reichtum
war die notwendige Voraussetzung für die Schaffung der materiellen
Grundlagen der Industrialisierung.
Die Bourgeoisie bildete sich
als Vertreter des gesellschaftlichen Allgemeininteresses an der
Ablösung des Feudaladels als herrschender Klasse heraus.
Es hat gemeinsam mit den anderen subalternen Ständen und
der Orientierung "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit"
für die Abschaffung feudaler Privilegien und formale Gleichheit
aller gewirkt: "Mit einem Wort: wir wollen den Willen der
Natur erfüllen, das Schicksal der Menschheit vollenden, das
Versprechen der Philosophie halten und die Vorsehung von der langen
Herrschaft des Verbrechens und der Tyrannei lossprechen ... und
während wir unser Werk mit unserem Blut besiegeln, können
wir zumindest die Morgenröte des universellen Glücks
erstrahlen sehen" (Robespierre: Über die Grundsätze
der politischen Moral, die den Konvent leiten sollen).
Für die "Erschließung"
neuer Märkte und Handelswege war die rationale Überwindung
der religiösen Weltaneignung notwendig. Aus der "Entdeckung"
und Eroberung anderer Weltteile und Völker entstanden notwendigerweise
Wissenschaften zur Erklärung anderer Kulturen, wie Ethnologie,
Anthropologie und Sprachwissenschaften.
Aus der kapitalistischen Produktion
der Fabriken wuchs der Bedarf nach neuen Rohstoffen, Absatzmärkten
und Arbeitskräften sowie die Notwendigkeit der weiteren ständigen
Revolutionierung von Produktionsmitteln, um in der kapitalistischen
Konkurrenz bestehen zu können: "Das Bedürfnis nach
einem stets ausgedehnteren Absatz für ihr Produkte jagt die
Bourgeoisie über die ganze Erdkugel. Überall muß
sie sich einnisten, überall anbauen, überall Verbindungen
herstellen." (K. Marx / F. Engels: "Manifest der Kommunistischen
Partei", MEW 4, S. 465).
Durch die Herausbildung der
industriellen Produktion konstituierte sich die Fabrikarbeiterschaft
zur Klasse, da mit der Industrialisierung die Bauern - von feudaler
Abhängigkeit befreit - zu doppelt freien Lohnarbeitern, die
lediglich ihre Ware Arbeitskraft verkaufen können, wurden.
Die industrielle Massenproduktion
und immer komplexere Arbeitsprozesse machten eine höhere
Qualifizierung der Arbeitenden notwendig, was zur Erkämpfung
der Schulpflicht und des allgemeinen Hochschulwesens führte.
Nur so konnte das Ersetzen menschlicher Muskelkraft durch Dampfkraft
sowie Mechanisierung der Produktion erreicht werden.
Mit dem Abschluß der grundlegenden
Industrialisierung hat die Bourgeoisie ihre "historische
Mission" erfüll,.weil sie die materielle Grundlage für
eine klassenlose Gesellschaft geschaffen und damit die Arbeiterklasse
als historisches Subjekt der gesellschaftlichen Entwicklung herausgebildet
wurde. Wegen der Aufrechterhaltung herrschender Verhältnisse
wurden Finanzkapital und Finanzexport herausgebildet, da Profite
nicht mehr voll reinvestiert, sondern für Spekulationen dienten:
"1. Konzentration der Produktion und des Kapitals, die eine
so hohe Entwicklungsstufe erreicht hat, daß sie Monopole
schafft, die im Wirtschaftsleben die entscheidende Rolle spielen;
2. Verschmelzung des Bankkapitals mit dem Industriekapital und
Entstehung einer Finanzoligarchie auf der Basis dieses "Finanzkapitals";
3. der Kapitalexport, zum Unterschied vom Warenexport, gewinnt
besonders wichtige Bedeutung; 4. es bilden sich internationale
monopolistische Kapitalistenverbände, die die Welt unter
sich teilen, und 5. die territoriale Aufteilung der Erde unter
die kapitalistischen Großmächte [...]." (W.I.
Lenin: Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus1916).
Zur Sicherung von Kapitalinteressen mußte internationale
Unterwerfung in neuer Qualität erzwungen werden. Dafür
sollte mit dem 1. Weltkrieg als erstem internationalen Krieg mit
Massenvernichtungswaffen die Welt unter den imperialistischen
Zentren neu aufgeteilt werden.
In der internationalen Monopolbildung
ist ein so hoher Grad an Vergesellschaftung angelegt, daß
prinzipiell internationale Regulierung von Produktion sowie demokratische
Verfügung über den Produktionsprozeß möglich
wurden. Das Verhältnis von Wissenschaft und Industrie wurde
institutionalisiert. So wurde hin auf die Erfordernisse der Produktion
geforscht und Forschungsergebnisse konnten direkt umgesetzt werden.
Jedoch eignete sich das Bürgertum nach wie vor die Produkte
der freien Lohnarbeit privat an, womit soziale Ungleichheit als
Ausdruck des Klassenantagonismus von Kapital und Arbeit zugespitzt
wurde. Aus der Erkenntnis dieses Widerspruchs heraus wurde in
Rußland Widerstand gegen kapitalistische Verhältnisse,
für Frieden, soziale Gleichheit und demokratische Verfügung
über die Produktionsmittel entwickelt. Durch die Oktoberrevolution
wurde die erste sozialistische Gesellschaft erkämpft.
Anders als in Rußland
konnte die internationale Solidarisierung der Arbeiterschaft zur
Überwindung kapitalistischer Verhältnisse in den hochindustrialisierten
Ländern nicht durchgesetzt werden. Die brachialste Form zur
Verhinderung des Sozialismus wurde die Verflechtung von Kapital
und Diktatur in Deutschland mit der Durchsetzung des Faschismus
als nach innen terroristische und nach außen militaristische
Kapitalherrschaft. Mit der Zerschlagung der gesellschaftlichen
Opposition und der umfassenden Militarisierung der Gesellschaft
wurde der Zweite Weltkrieg, der faschistische Raubzug zur Durchsetzung
der weltweiten Vorherrschaft des deutschen Kapitals, vorbereitet.
Mit der Mystik von der "Blutsgemeinschaft" und dem "Herrenmenschentum"
wurde die Unterordnung unter den "totalen Krieg" erzwungen.
Die Bildung einer internationalen
antifaschistischen Allianz war die Voraussetzung für den
Sieg über den Faschismus und die Beendigung des Zweiten.
Weltkrieges. Nach dieser historischen Zäsur konnten sozialistische
Staaten erkämpft werden und sich zu einem Staatenbund assoziieren,
der als staatlich organisierte Gegenbewegung zum Kapitalismus
die fortschrittliche Option darstellte. Dadurch fanden auch Widerstandsbewegungen
gegen die kapitalistische Ausbeutung und koloniale Unterdrückung
in anderen Ländern solidarische Unterstützung. Auch
in den kapitalistischen Hauptländern konnten dadurch dem
Kapital zur Verbesserung der allgemeinen Lebensbedingungen Zugeständnisse
abgerungen werden.
Internationale Entwicklung und Solidarität!
Die materiellen Voraussetzungen
für die soziale Gleichheit aller Menschen sind vorhanden,
der Stand der Produktivkraftentwicklung und des immensen gesellschaftlichen
Reichtums ermöglichen die fortschrittliche Aufhebung der
"heroischen Illusion" von 1789. Dies wird allerdings
durch die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse behindert,
und die Produktivkräfte schlagen auf Grund des herrschenden
Profitprinzips in Destruktivkräfte um. Die Anforderung an
fortschrittliche Politik besteht darin, industrielle Produktion
auf höchstem wissenschaftlich-technischem und sozialem Niveau
sowie demokratische Verfügung aller über die Produktion
weltweit für gleiche Entwicklungsmöglichkeiten durchzusetzen.
Erst wenn das soziale Konkurrenzprinzip überwunden ist, wird
Kriegführung unnötig.
Als Lehre aus zwei Weltkriegen
und Faschismus wurde 1948 die UN-Menschenrechtsdeklaration verabschiedet,
die als Reaktion auf die Barbarisierung die Rechte und Grundfreiheiten
"aller Mitglieder der menschlichen Familie" festschreiben
sollte. Doch nach mehr als fünfzig Jahren Menschenrechtsdeklaration
sind Eroberungskriege und Ausbeutung nach wie vor herrschende
Politik, weshalb die Mehrheit der Menschen weit davon entfernt
ist, Verfügung über ihr eigenes gesellschaftliches Leben
zu haben. Propagiert wird von herrschender Seite hingegen, daß
ein höheres Maß an Freiheit die Verfügung über
Privatbesitz sei, der mit allen Mitteln verteidigt werden müsse,
was der Legitimation dafür dient, daß soziale Krisengebiete
zu Kriegsgebieten erklärt werden, wo nur militärisch
"Ordnung" geschaffen werden könne.
Erst mit der Einstellung jeglicher
Militärforschung und der wissenschaftlichen Auseinandersetzung
mit den Gründen weltweiter Entwicklungsunterschiede werden
die sozialen Bedingungen der Mehrheit der Menschen als veränderbare
erkennbar und die gesellschaftliche Entwicklung hin zur Zivilisation
möglich. Die fortschrittlichen Kräfte in der Bundesrepublik
müssen sich für die Abschaffung der Bundeswehr und den
Stop von Auslandseinsätzen, Rüstungsproduktion und Waffenhandel
einsetzen und dafür wirken, alle in Rüstung eingebundenen
Kräfte gesellschaftlich nützlich (Bildung, Gesundheit
und Kultur) umzuwandeln. Weiter ist die Vergesellschaftung der
multinationalen Rüstungskonzerne wesentlich für eine
humanistische Entwicklung. Um die Ursachen von Migration und nicht
ihre Erscheinung zu bekämpfen, ist weltweit der Zugang aller
zu Arbeit, Bildung, Gesundheitsvorsorge und Kultur durchzusetzen.
Dem entgegen formuliert die Kapitalseite ihre gemeinsamen Interessen
und versucht sich an deren Durchsetzung: Nach dem Scheitern der
Verhandlungen über das MAI (Multilateral Agreement on Investment)
soll nun in der "Milleniums-Runde", deren Auftakt unter
bürgerkriegsähnlichen Bedingungen in Seattle stattfand,
festgeschrieben werden, daß das Kapital weltweit ungehindert
der Profitmaximierung bis hin zur Patentierung und Vermarktung
von genetischen Informationen frönen kann, ohne daß
ein Minimum der Realisierung an Allgemeinwohl erkennbar ist. Prinzipiell
gilt, daß sich die armen Länder solchen Runden sowie
IWF und Weltbank unterzuordnen haben. Dem entgegen ist Arbeit,
Bildung und demokratische Verfügung über die eigenen
Lebensbedingungen weltweit durchzusetzen. Um die allgemeine Entwicklung
hin zur gesellschaftlichen Gleichheit aller Menschen realisieren
zu können, ist internationale Organisiertheit und Solidarität
aller fortschrittlichen Kräfte notwendig. Gemeinsame Interessen
sind zu formulieren und Möglichkeiten für ihre Durchsetzung
zu entwickeln. Das sind die Voraussetzungen für die solidarische
Zusammenarbeit zur Überwindung der weltweiten Barbarei.
"Was
am Ausgange dieses Krieges stehen muß und wird, ist klar.
Es ist der Beginn einer Weltvereinigung; die Schaffung eines neuen
Gleichgewichts von Freiheit und Gleichheit; die Wahrung der individuellen
Werte im Rahmen der Forderungen des kollektiven Lebens; der Abbau
der nationalen Staatssouveränität und die Errichtung
einer Gesellschaft freier, aber der Gesamtheit verantwortlicher
Völker mit gleichen Rechten und gleichen Pflichten."
(Thomas Mann: Deutsche
Hörer! November 1940)
Diese Welt muß unser
sein!
Für die Gleichheit aller Menschen
"...
alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes,
ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen
ist."
(Karl Marx, Zur
Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, MEW 1, S. 385)
In dem Zusammenhang, durch
den zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit in größerem
Umfang ein gesellschaftliches Mehrprodukt durch Ackerbau und Viehzucht
geschaffen wurde, gewann, mittels besonderer Aneignung des Mehrproduktes,
die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung an sozialer Bedeutung.
Der Mann realisierte über die Verfügung an der gesellschaftlichen
Produktion eine einflußreichere soziale Position als die
Frau. Der biologisch-kulturelle Unterschied zwischen Mann und
Frau wurde zu einem umfassend sozialen, der mit dem Ursprung der
Klassengesellschaft zusammenfällt: "Der erste Klassengegensatz,
der in der Geschichte auftritt, fällt zusammen mit der Entwicklung
des Antagonismus von Mann und Weib in der Einzelehe, und die erste
Klassenunterdrückung mit der des weiblichen Geschlechts durch
das männliche." (Friedrich Engels, Der Ursprung der
Familie, des Privateigentums und des Staats, MEW 21). Die soziale
Entwicklung des Menschen "aus der Natur heraus" und
das Überwinden der unmittelbaren Existenzsicherung hin zur
Arbeitsteilung, brachte gleichzeitig die spezifische Benachteiligung
von Frauen in den allgemeinen Ausbeutungsverhältnissen hervor.
Unter diesen historisch herausgebildeten
Voraussetzungen ist die gesellschaftliche Benachteiligung von
Frauen im gegenwärtigen Kapitalismus zu betrachten. Die spezifische
Einschränkung von Frauen in Klassengesellschaften wird -
wie alle aus überwundenen sozialen Formationen tradierten
antiegalitären Momente gesellschaftlicher Praxis im Kapitalismus
mitgeschleppt.
Letztendlich beruhen alle
Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse auf dem
Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater
Aneignung des Mehrprodukts. Eine Minderheit verfügt privat
über die Hervorbringungen und Ergebnisse der gesellschaftlichen
Arbeit und somit auch über die Quellen menschlichen Reichtums
sowie über die allgemeine Bedürfnisbefriedigung und
beherrscht damit wesentlich den inhaltlichen Verlauf gesellschaftlicher
Prozesse. Die relative Einflußlosigkeit der Mehrheit der
Menschen läßt sich von daher nur durch die vollständige
Überwindung der Ungleichheit und also die Überwindung
der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen beseitigen, was
durch kämpferische Weltaneignung zur Verfügungserweiterung
aller Subjekte, gleich welchen Geschlechts, zu erreichen ist.
Die bürgerliche Kleinfamilie
Mit der Durchsetzung des Kapitalismus
wurde die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und Vergesellschaftung,
die gesellschaftlich funktionale Trennung zwischen Produktion
und Reproduktion (Erwerbsarbeit und Hausarbeit), d. h. die Trennung
von Öffentlichkeit und Privatheit, in neuer Qualität
hervorgebracht. Vermittelt über die bourgeoise Ehe und Familie,
in der die Frau dem Haushalt vorstand und der Mann seinen Handels-
und Industriegeschäften nachging, wurde diese Trennung mit
Erhöhung des gesellschaftlichen Entwicklungsstandes auch
für das Kleinbürgertum und Proletariat relevant und
in der bürgerlichen Kleinfamilie gesellschaftlich verallgemeinert.
Die Funktionalität der
so vergesellschafteten Trennung zwischen Produktion und Reproduktion
besteht für das Kapital darin, daß der größte
Teil des Wiederherstellungsaufwandes für die Ware Arbeitskraft
privat und individualisiert geleistet wird. Immer weniger Reproduktionserfordernisse
werden zudem im Zuge der Durchkapitalisierung aller sozialer Bereiche
staatlich organisiert und finanziert und immer mehr gesellschaftlich
relevante Aufgaben müssen als private Dienstleistungen erbracht
oder gekauft werden.
Die Spaltung rechnet sich,
solange gesellschaftliche Reproduktionsaufgaben (Socken waschen,
Graupensuppe kochen, Puschen hinstellen, Kinder dressieren, Alte
krank- und Kranke totpflegen und dabei "harmonisierend"
und "ausgleichend" wirken) privat geleistet werden.
Desweiteren ist die bürgerliche
Privatheit entscheidend für die Entfremdungskompensation,
über welche das Einverständnis mit den Grundverhältnissen
immer wieder hergestellt wird. Im Privatbereich sollen alle Sorgen
des Alltags vergessen werden können und ein Stück "irdischen
Glücks" herbeigesäuselt werden, fern von Anforderungen
und Konflikten des "harten Tages". Hier liegt die Zuständigkeit
für das "Ausgleichende" und "Zwischenmenschliche"
- egal, von wem auch wie übernommen -, wobei damit lediglich
im "Privatbereich" die Folgen von Entfremdung und ausschaltender
Konkurrenz ausgeglichen und besänftigt werden sollen, auf
daß die verfügungsarm entfremdeten Menschen morgens
frisch und gut gelaunt zum Verkauf ihrer Ware Arbeitskraft kommen.
Die Privatheit erscheint so als das eigentliche "Reich der
Freiheit", in welchem vollständige individuelle Entfaltung
durch privatistische Bedürfnisbefriedigung im bloßen
sozialen Nahraum auch innerhalb der kapitalistischen Beschränkungen
erlangt werden könne, ohne sich mit den herrschenden Bedingungen
kritisch auseinandersetzen zu müssen. Somit fungieren Ehe
und Familie - ob "klassisch" oder "modern"
- als entscheidender Ort zur notwendigen Reproduktion der Ware
Arbeitskraft. Hinzu kommt, daß (potentielle) Lohnabhängige,
die als Hausfrauen oder -männer aus dem Produktionsprozeß
ausgeschlossen bzw. in prekären Arbeitsverhältnissen
beschäftigt sind, eine "Reservearmee" für
den Arbeitsmarkt bilden. Die Subalternen können durch die
so beförderte Konkurrenz bestens gegeneinander ausgespielt
werden.
Diese Art und Weise der Vergesellschaftung
widerspricht der bewußten Realisierung eigener sozialer
Interessen, wird aber den Menschen in den Institutionen Ehe und
Familie nahegelegt und als quasi "natürlich" vermittelt.
Dies dient dem Zweck, Einsicht in die Notwendigkeit von Verfügungserweiterung
zu verhindern.
Der Anachronismus herrschender Verhältnisse
In den hochentwickelten kapitalistischen
Ländern wird im Zuge der wissenschaftlich-technischen Entwicklung
diese kulturelle Trennung von Produktion und Reproduktion zunehmend
anachronistisch. Obwohl die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung
aufgrund der Produktivkraftyentwicklung zunehmend dysfunktional
wird, hält das Kapital sie aufrecht. Die Herrschenden selbst
geraten in den Widerspruch, daß die Anpassung sämtlicher
Bereiche menschlichen Lebens an die Verwertungsbedingungen auf
hohem Niveau (Qualifikation, "Flexibilität", "deregulierte"
Arbeitsbedingungen, "Mobilität") den tradierten
Familien- und Beziehungsstrukturen entgegenstehen. Obwohl die
üblichen Familienverhältnisse so zunehmend auch im Kapitalismus
in Frage gestellt sind, soll das Grundprinzip der privaten Reproduktion
in zwar modifizierter und modernisierter Form ("Singletum",
"living apart together", "Homoehe"...), aber
dennoch als privatistische und individuelle Bezugnahme, aufrechterhalten
werden, um die gesellschaftlichen Grundverhältnisse durch
den kompensatorischen Inhalt der sozialen Bezugnahme abzusichern.
...und die notwendig kritische Überschreitung feministischer Politik
Zu Beginn des Jahrhunderts erkämpften
bürgerliche und proletarische Frauenbewegung auf der Grundlage
weitgehend gemeinsamer Anliegen bei unterschiedlichen Grundpositionen
wesentliche Verbesserungen für die Situation von Frauen wie
den Hochschulzugang (1899), das Wahlrecht (1918) oder die Liberalisierung
des § 218 in der Weimarer Republik. Dieser gemeinsame Kampf
setzte sich nach der Befreiung vom Faschismus in der Frauenfriedensbewegung
und den Auseinandersetzungen der siebziger Jahre um gleichen Lohn
für gleiche Arbeit, die Reform des Familienrechts und die
Abschaffung des § 218 fort. Auf heutigem gesellschaftlichen
Entwicklungsniveau ist die formale Gleichberechtigung von Männern
und Frauen realisiert und die Durchsetzung umfassender gesellschaftlicher
Gleichheit aller Menschen steht auf der Tagesordnung.
Auffallend ist, daß
sich beim Problem der geschlechtsspezifischen Benachteiligung
die Positionen aller politischen "Lager" nur in Nuancen
unterscheiden, die feministischen bzw. frauenpolitischen Ansätze
den anstehenden Aufgaben nicht gerecht werden, sondern teilweise
spontan und unbewußt, teilweise aber auch bedacht politisch
gewollt die bestehenden Verhältnisse reproduzieren. Frauenunterdrückung
wird zum globalen Problem deklariert (ähnlich wie beim Thema
Ökologie), welches von allen MenschInnen "guten Willens"
gemeinsam gelöst werden müsse, wobei die sozialen Widersprüche
im Kapitalismus unberücksichtigt bleiben oder vernebelt werden.
Die neueste Stufe affirmativer
Integration feministischer "Politik" in die bürgerliche
Gesellschaft ist durch den Karrierefeminismus erreicht:
"Fast unbemerkt hat sich
so in Deutschland eine neue Frauenbewegung in Gang gesetzt. Sie
demonstriert nicht lautstark auf den Straßen, sondern steigt
in die Führungsetagen der Unternehmen auf. Sie ist nicht
mit feministischen Politikfibeln munitioniert, sondern mit Karriereratgebern."
("Fordert, was ihr kriegen könnt"", "SPIEGEL"
47/1999).
Wenn diese Aussage die gesellschaftliche
Realität auch schönt, so wird doch deutlich: Die Emanzipationsbewegung
gegen die spezifischen Einschränkungen von Frauen mündet
im kapitalistischen Erwerbsleben - möglichst als dynamische
Jungunternehmerin.
In den 70er und auch noch
den 80er Jahren waren Frauenpolitik und feministische Politik
verbunden mit Friedenspolitik, Ökologiepolitik sowie Arbeitskämpfen.
Als Bestandteil fortschrittlicher
Politik und eigenständige außerparlamentarische Bewegung
sind die Kritik an sozialen Machtstrukturen, die Forderungen nach
Abschaffung des § 218, nach gleichem Lohn für gleiche
Arbeit, Protest gegen die Atomkraftwerke, das Engagement für
Abrüstung, die Entwicklung von kritischen Wissenschaftsinhalten
wesentliche Momente der auf freie Entfaltung, über die gegebenen
sozialen Verhältnisse hinaus, gerichteten emanzipatorischen
Politik gewesen.
"Moderner" Feminismus
hingegen ist voll im Kapitalismus angekommen. "Von den Männern
lernen, heißt siegen lernen" ist die neue Devise, welche
auch von Alice Schwarzer vertreten wird. Frauenbünde, Karriereratgeber(innen)
und die affirmative Integration in Konkurrenz-, Entfremdungs-
und Ausbeutungsverhältnisse sind die Folge, ungeachtet des
möglichen historischen Bewußtseins der Erfolge und
Grenzen kritischen Engagements außerparlamentarischer Bewegungen
und fortschrittlich organisierten Handelns. Um diese politischen
und kulturellen Erfahrungen perspektivisch aufzuheben, ist die
Neufundierung egalitären Engagements zur umfasssenden Realisierung
allgemeiner gleicher Lebensbedingungen erforderlich.
Zur Entwicklung fortschrittlicher
Politik ist deshalb anzustreben, daß ein höherer Grad
gesamtgesellschaftlicher Demokratisierung die Reduzierung spezifischer
Benachteiligung in einzelnen gesellschaftlichen Bereichen beinhaltet
und so gleiche Möglichkeitsbedingungen für alle Menschen
durchgesetzt werden können.
Für die Gleichheit aller Menschen
Ausgehend von der Kritik an den
durch private Verfügung über den allgemeinen Reichtum
gefesselten Möglichkeiten gesellschaftlicher Entwicklung
ist die Ausbeutung in jeder spezifischen Form zu bekämpfen
und das Allgemeininteresse an der Aufhebung der Einschränkung
des Menschen durch den Menschen durchzusetzen sowie die zivilisatorische
Gleichheit aller Menschen zu realisieren. Alle gesellschaftlichen,
historisch gewordenen sozialen Unterschiede zwischen Menschen
sind zu überwinden. Mit der Aufhebung des Kapitalismus als
der letzten antagonistischen Klassengesellschaft ist somit auch
die Überwindung des scheinbaren "Antagonismus von Mann
und Frau" möglich.
Die aus der Produktivkraftentwicklung
resultierenden Möglichkeiten zur fortschrittlichen Vergesellschaftung
müssen daher genutzt und gleiche Voraussetzungen zur Verfügung
über gesellschaftliche Entwicklung und integrative Teilhabe
an den je eigen allgemeinen Entwicklungsmöglichkeiten realisiert
werden. Um die Lebensverhältnisse auf dieses Ziel hin verändern
zu können, bedarf es der Erkenntnis, daß innerhalb
kapitalistischer Verhältnisse, die auf Unterdrückung
und Konkurrenz Aller gegen Alle zur Realisierung von größtmöglichen
Profiten beruhen, keine tatsächliche Aufhebung der geschlechtsspezifischen
Einschränkungen möglich ist.
Um die kapitalistisch vergesellschaftete
Trennung von Produktion und Reproduktion und somit die geschlechtsspezifisch
entwickelte Arbeitsteilung überwinden zu können, bedarf
es nicht nur der gesellschaftlichen Planung und Organisation der
Reproduktion, sondern ebenfalls verbesserter Arbeits- (höhere
Löhne, Arbeitszeitverkürzung, qualifizierte Bestimmung
des Inhalts) und Lebensbedingungen (Bildung, Kultur, Demokratie),
um auch die kulturelle Emanzipation der Menschen von jahrtausendelang
bestehenden Ausbeutungsverhältnissen zu realisieren.
So sind die bürgerlich-zivilgesellschaftlichen
Institutionen Ehe und Familie als Vermittler eines ausbeutungskonformen
bzw. individualistischen Menschen- und Gesellschaftsbezuges zu
überwinden und vor allem die Institutionen der Kultur und
Wissenschaft - in denen die Auseinandersetzung um das Verhältnis
von Individuum und Gesellschaft verallgemeinert geführt wird
- progressiv zu verändern, so daß in diesen Bereichen
für eine öffentlich organisierte und gleichberechtigte
Beteiligung Aller gestritten werden kann. Ziel ist die demokratische
Teilhabe aller am gesellschaftlichen Prozeß über die
Durchsetzung gleicher politischer Rechte und sozialer Möglichkeiten
zur Vertretung gemeinsamer Interessen.
Wenn es eine Zukunft jenseits der Barbarei geben soll, so kann dies nur eine menschliche sein: Humanismus kennt kein Geschlecht.
Für eine
humanistische Vergesellschaftung der Naturaneignung
"Gegenüber
der Natur wie der Gesellschaft kommt bei der heutigen Produktionsweise
vorwiegend nur der erste, handgreiflichste Erfolg in Betracht;
und dann wundert man sich noch, daß die entfernteren Nachwirkungen
der hierauf gerichteten Handlungen ganz andre, meist entgegengesetzte
sind [...]"
(Friedrich Engels,
Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen, MEW 20, S. 455)
Die kapitalistisch bestimmte,
auf die Herstellung von immer mehr Produkten mit bloßem
Tauschwert gestützte, und damit zerstörerisch wirkende
industrielle Produktion gefährdet die eigenen Grundlagen
der natürlichen Stoffwechselprozesse. Da sie die Quellen
der menschlichen Bedürfnisbefriedigung zunehmend ohne Wiederherstellung
zur weiteren Profitsteigerung nutzt, wird das Überleben der
Menschheit selbst in Frage gestellt. Dieser Zerstörungsprozeß
hat wegen der weltweiten Dominanz des Profitinteresses - und einer
demzufolge deformierten Produktivkraftentwicklung - eine neue
Qualität erreicht. Der gesellschaftliche Austausch des Menschen
mit der Natur wird hauptsächlich durch die Erhöhung
der Profite bestimmt.
Statt den wissenschaftlich-technischen
Fortschritt dafür zu nutzen, einen höheren Gebrauchswert
der Produkte zu entwickeln und damit ein reproduktionsfähiges
Mensch-Natur-Austauschverhältnis zu verwirklichen, wird der
Gebrauchswert zurückgedrängt und mittels bloßem
Gebrauchswertversprechen immenser Aufwand betrieben, um den Tauschwert
realisieren zu können. So stellte das amerikanische Marktforschungsinstitut
AC Nielsen in einer Untersuchung fest, daß von den rund
25000 in Europa 1997 mit aufwendigen Werbekampagnen neu eingeführten
Produkten der Nahrungs- und Genußmittelindustrie, "wirklich
neu" lediglich 2,2 Prozent der Produkte waren, der überwiegende
Teil (75 Prozent) entfiel auf "Me-too-Produkte" (Kopien).
Im privaten Konkurrenzkampf des Höher, Schneller, Weiter
ist irrelevant, welche langfristigen Folgen bei kurzzeitigen Eingriffen
in den natürlichen Stoffwechselprozeß entstehen. Dadurch
wird der Zusammenhang ganzer ökologischer Systeme als Grundlage
menschlichen Lebens zerstört. Anhand des angestrebten "Energiekonsenses"
der "rot-grünen" Bundesregierung beim sogenannten
Ausstieg aus der Kernenergie wird deutlich, wer, wenn öffentliche
Gegenwehr ausbleibt, das Sagen hat: Trotz undichter Castor-Behälter
und Gau in Japan wird der Ausstieg auf mehrere Jahrzehnte gestreckt
- dem Zeitraum, welcher ohnehin der von der Rendite diktierten
Betriebszeit entspricht. So werden die Auswirkungen des Verwertungsprinzips
- das nicht nach gesellschaftlichem Nutzen geht, sondern nach
der Erhöhung der Gewinne - für die Menschen immer massiver.
Individuelle Verarbeitungsweisen der ökologischen Krise
Daß die ökologische
Krise überwunden werden muß, ist gesellschaftlicher
Konsens, was allerdings unter neoliberaler Hegemonie dazu führt,
diesen Aufwand je individuell zu leisten. Zur individuellen Verarbeitung
dieser Krise haben sich im wesentlichen zwei Positionen herausgebildet.
1. Von pragmatisch orientierten
Ideologen grüner Couleur wird vertreten, daß durch
vermeintlich ökologisches Agieren im unmittelbaren sozialen
Nahraum ein eigener Beitrag zur Lösung der Probleme geleistet
werden könne. Es wird die Parole ausgegeben, den hauseigenen
Müll zu trennen und auf den Kauf bestimmter Produkte zu verzichten.
Mit z. B. dem individuellen Verzicht auf Edelhölzer oder
dem Gebrauch von chlorfrei gebleichtem "Umweltpapier"
soll die Vernichtung der tropischen Regenwälder gestoppt
werden, daß allerdings 97% aller Druckerzeugnisse für
Werbezwecke hergestellt werden, spielt keine Rolle. Auch die "Ökosteuer"
entspricht diesem Verzichts-Prinzip. Die Verbrauchssteuern für
die Kleinkonsumenten auf Energie wird erhöht und gerade die
"energieintensiven" Industrien sind davon ausgenommen.
Entscheidend ist dabei nicht, die gesellschaftlichen Ursachen
des Problems zu erkennen und zu ihrer politischen Beseitigung
beizutragen, sondern das gute Gefühl, im Rahmen des individuell
Machbaren, seinen Beitrag geleistet zu haben und sich so der persönliche
Persilschein ausgestellt werden kann. Das trägt zur "Entpolitisierung"
des Problems bei und zudem wird das Verhältnis von kapitalistischer
Produktion und Konsumtion auf den Kopf gestellt: Im Bereich des
Warenkonsums sollen die Veränderungen erreicht werden, die
nur durch radikale Veränderungen der Produktionsverhältnisse
und damit auch der Produktion verwirklicht werden können,
wozu man sich allerdings mit den Besitzern der Produktionsmittel
anlegen müßte!
2. Reaktionär und antihuman
wird es, wenn vertreten wird, daß die eigentliche Ursache
der Naturzerstörung der Mensch selbst sei, denn: "der
Mensch schmutzt" und greift in seinem kurzsichtigen Größenwahn
in das "göttliche" Gleichgewicht von "Mutti
Natur" ein und bringt es aus dem Lot. Der Mensch solle nicht
in die Natur eingreifen, sondern sich dieser unterordnen und möglichst
bescheiden und unauffällig leben ("Zurück auf die
Bäume"). Damit wird selbst hinter die mit der Kantschen
Theorie von der Entstehung der jetzigen Weltkörper aus rotierenden
Nebelmassen formulierte Erkenntnisse der bürgerlichen Gesellschaft
zurückgefallen, daß die Natur sich in einem stetigen
Entwicklungsprozeß befindet. Grundlegende Forderungen dieser
reaktionären gesellschaftspolitischen Position sind, daß
die technische und industrielle Entwicklung zurückgeschraubt
und die "Überbevölkerung", mit der man es
in den in Unterentwicklung gehaltenen Ländern zu tun habe,
reduziert werden solle. Nicht die miserablen sozialen Bedingungen,
unter denen die Menschen leben müssen - und die erst dazu
führen, Regenwälder abholzen zu müssen - sollen
bekämpft werden, sondern die Menschen selbst. Die herrschenden
Verhältnisse werden somit als von Gott gegeben und als natürlich
festgeschrieben und unveränderbar ideologisiert.
Die Auffassung, daß
die ökologische Krise durch individuelles Eingreifen überwunden
werden könne, führt zwangsläufig dazu, "Ökoschweinen",
die sich dem nicht unterordnen, die "moralische Schuld"
an der Krise zu zuweisen, anstatt die Produktionsverhältnisse
als Basis der Produktionsweise zu verändern.
Politische Lösungskonzepte
In den parteipolitischen Auseinandersetzungen
besteht über alle Parteigrenzen und Positionsunterschiede
hinweg Einigkeit darüber, daß Ökologie ein entscheidendes
Thema sei, wenn es um die "Zukunftsfähigkeit der deutschen
Industrienation" geht. So soll die ach so soziale Marktwirtschaft
um eine ökologische Komponente erweitert werden. Der auf
dem Prinzip der Konkurrenz basierenden kapitalistischen Warenproduktion
soll also ein grüner Anstrich verpaßt werden. Von konservativer
Seite wird die Entwicklung sogenannter moderner Umwelttechnologien
favorisiert. Mit modernstem High-Tech sollen die Abfälle
und Schäden, die in anderen Bereichen industrieller Produktion
entstehen, verhindert, eventuell sogar beseitigt, in jedem Fall
aber minimiert werden. Hierbei handelt es sich um einen profit-
und zukunftsträchtigen Wachstumsmarkt: Weltweit werden beim
Mülleimer bis zur Computersteuerung von Produktionsanlagen
enorme Gewinne erwirtschaftet. Hier wird die Naturzerstörung
selbst zum Gegenstand von Profitrealisation, und damit die Schweinerei
zum Prinzip erhoben. Ein Spezifikum dieses Ansatzes ist die sogenannte
Effizienzrevolution. Es soll mit Hilfe von sogenannten modernen
Technologien der "Ressourcenverbrauch" halbiert und
das wirtschaftliche Wachstum verdoppelt werden.
Zum gemeinsamen Bezugspunkt
zwischen unterschiedlichen Positionen und Ansätzen - national
wie international - ist "nachhaltige Entwicklung" (sustainable
development) geworden:
Von fortschrittlicher Seite
wird sich dabei auf die "Agenda 21" berufen, in der
soziale Verbesserungen sowie verstärkte Anstrengungen in
den Bereichen Bildung und Wissenschaft gerade für die Länder
der sogenannten "3. Welt" gefordert werden, um die ökologische
Krise zu überwinden. So berechtigt einzelne Forderungen,
die in diesem Konzept enthalten sind, auch sein mögen, das
grundlegende Problem solcher Vorstellungen bleibt, daß menschliche
Entwicklung weltweit auf die Lösung der ökologischen
Krise verkürzt wird und ihr untergeordnet werden soll.
Die Gemeinsamkeit aller vorgenannten
Vorstellungen und politischen Konzepte besteht darin, daß
sie erst dort ansetzen, wo die "entfernteren Nachwirkungen"
der kapitalistischen industriellen Produktionsweise als menschheitsbedrohende
Gefährdung der natürlichen Lebensgrundlagen auftreten.
Da die Bestimmung und Verfügung über die Produktivkraftentwicklung
und den Produktionsprozeß kritiklos dem Kapital zugestanden
werden, das Profitinteresse einiger Weniger damit unangetastet
bleibt, können radikale Veränderungen der Bedingungen
und Inhalte der Produktion, hin auf ein reproduktionsfähiges
Mensch-Natur-Austauschverhältnis und ihre humanistische Nützlichkeit,
nicht realisiert werden. Das Kapital eignet sich die Quellen gesellschaftlichen
Reichtums, Arbeit und Natur, zerstörerisch an. Dabei sollen
die lohnabhängig Tätigen diese zerstörerische Kapitallogik
reproduzieren, die Unterordnung der Natur im Dienste des Kapitals
realisieren und die Konsequenzen der Zerstörung auch hauptsächlich
tragen.
Naturaneignung durch den Menschen
Um die irrationale Ebene des Moralisierens
und Schuldzuweisens zu verlassen, ist es notwendig, das Verhältnis
zwischen Mensch und Natur als ein prinzipielles zu begreifen und
nicht von einer strikten Trennung auszugehen. Denn der Mensch
ist Teil der Natur und tritt gleichzeitig durch die Arbeit aus
ihr heraus, er hat durch die Gesellschaftlichkeit des menschlichen
Wesens eine "zweite" soziale Natur. Die "erste"
Natur ist jedoch weiterhin "der unorganische Leib des Menschen,
nämlich die Natur, soweit sie nicht selbst menschlicher Körper
ist." (Karl Marx, "Ökonomisch-philosophische Manuskripte
aus dem Jahre 1844", MEW EB 1, S. 516). Die Frage der Erhaltung
der natürlichen Lebensgrundlagen ist also weniger eine der
technischen Machbarkeit oder der möglichst umfassenden Unterordnung
unter die "unsichtbare Hand der Natur", sondern eine
der Bestimmung der Produktionsverhältnisse und der in ihnen
realisierbaren Produktivkraftentwicklung, wodurch gesellschaftliche
Naturaneignung und -veränderung stattfindet. Der entscheidende
Bereich des vergesellschafteten Stoffaustauschprozesses mit der
Natur ist die materielle Produktion. Durch menschliche Arbeit
wird die Natur ständig verändert. Dies hat zur Folge,
daß es keine Natur im Sinne eines von menschlicher Tätigkeit
unbeeinflußten Zustandes mehr gibt. So kann die Erhaltung
der natürlichen Lebensgrundlagen nur durch bewußte
gesellschaftliche Tätigkeit der Menschen auf Grundlage der
sozialen Bedingungen ermöglicht werden. Diese Bedingungen
sind so zu bestimmen, daß es möglich wird, die Schäden
bisheriger Naturzerstörung zu beseitigen, diese hinkünftig
zu verhindern und durch den Menschen bewußt betriebene Naturentwicklung
zu realisieren, wobei ohne wissenschaftliche Aneignung als demokratische
Kontrolle diese bewußte Praxis unmöglich ist.
Die Unterordnung unter die
Kapitalverwertungsinteressen wird allerdings auch in den Wissenschaften
praktiziert. Mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen sollen
die sozialen Verhältnisse reproduziert werden, indem z.B.
Gentechnologie zur weiteren Realisierung von Profiten genutzt
wird. Die Veränderbarkeit der gesellschaftlichen Verhältnisse
wird ebenfalls unter Vorspiegelung von "Natürlichkeit"
in den Gesellschaftswissenschaften negiert; in den Naturwissenschaften
werden die sozialen Bedingungen für die wissenschaftlich-technische
Entwicklung ausgeklammert. Der Naturzerstörung und den destruktiven
Tendenzen in der Wissenschaft ist nur entgegenzutreten, wenn zum
Ausgangspunkt wird, daß der gesellschaftliche Mensch selbst
entscheidender Teil des gesellschaftlichen Stoffaustauschprozesses
mit der Natur ist, und daß der Kampf um Bedingungen, die
für alle Menschen das Höchstmaß an Entwicklung
bieten, der wirkungsvollste Beitrag gegen die Zerstörung
natürlicher Lebensgrundlagen ist. Notwendig ist es, naturwissenschaftlichen
Erkenntnisgewinn für humanistische Zwecke zu erarbeiten und
in diesem Sinne eine gesellschaftlich sinnvolle Produktivkraftentwicklung
voranzutreiben.
Hier sind die radikal-fortschrittlichen
Kräfte herausgefordert, die grundlegenden sozialen Bedingungen
des Stoffaustauschprozesses zwischen Gesellschaft und Natur zu
analysieren und dergestalt umzuwälzen, daß grundlegend
andere soziale Beziehungen zwischen den Menschen und eine dementsprechende
gesellschaftliche Produktion und Reproduktion als Grundlage dieser
Beziehungen durchgesetzt werden. Dazu ist es notwendig, die Entfremdung
des Menschen von sich selbst und damit auch von seiner Naturaneignung
zu überwinden. Der Inhalt der gesellschaftlichen Produktion,
seine soziale Nützlichkeit, ist im demokratischen Prozeß
der internationalen Arbeitsteilung neu zu bestimmen und radikal
umzuwandeln, der Kriegsmüll bedarf der Konversion, menschliche
Bedürfnisbefriedigung, der rationalen Organisation bzw. Verwendung
natürlicher Ressourcen. Der Mensch kann "Herr"
seiner eigenen Geschichte und einer reproduktionsfähigen
Entwicklung der Natur werden, indem er in bewußter gesellschaftlicher
Handhabung der grundlegenden Wirkungszusammenhänge der Natur
sich die Natur aneignet.
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