Thesen zur Wissenschafts- als Gesellschaftspolitik 1999/2000 Masereel-Holzschnitt

Herausgegeben von der Liste LINKS an der Universität Hamburg im Januar 2000. Die gedruckte Broschüre kann bei uns bestellt werden. Die Thesen können gerne weiter verbreitet werden, wir bitten jedoch um Mitteilung und ein Belegexemplar.
 
 

Inhaltsverzeichnis

Editorial
Sozialistische Politik wider die kapitalistische Barbarei
und für zivilisatorischen Fortschritt
Die individuelle Lebensweise als fortschrittliche Gesellschaftsaneignung
Wissenschaftliche Qualifikation zur demokratischen Gesellschaftsaneignung
Vorwärts und nicht vergessen!
Zur Geschichte fortschrittlicher studentischer Politik
Gleichheit ist Freiheit – der Hegemoniekampf gegen rechts
Für Frieden und internationale Entwicklung
Für die Gleichheit aller Menschen
Für eine humanistische Vergesellschaftung der Naturaneignung


Jakobinersperling




Editorial
 

"Herr Keuner sagte: ‘Auch ich habe einmal eine aristokratische Haltung (ihr wißt: gerade, aufrecht und stolz, den Kopf zurückgeworfen) eingenommen. Ich stand nämlich in einem steigenden Wasser. Da es mir bis zum Kinn ging, nahm ich diese Haltung ein."
Bert Brecht, "Geschichten vom Herrn Keuner".

"Die Gefährdung in hohen Ämtern besteht darin, daß sich beim Amtsinhaber das Gefühl einstellt: Du bist nicht ersetzbar."
Gerhard Schröder, "SPIEGEL-Gespräch", Nr. 52/1999.

Der Verwertungsdruck steigt, der Krieg Aller gegen Alle wird ausgeweitet, parfümiert lächelnd wird die "Freiheit" des privaten gesellschaftlichen Eigentums sowie die scheinbare Natürlichkeit der Ausbeutung propagiert: 0 oder 1!

Krieg.
Die rot-grüne Bundesregierung setzt die Armee für Zerstörungen im NATO-Bombardement auf Jugoslawien ein, reduziert weiter den Sozialstaat und becirct, während Kohl Helmut im Korruptionssumpf versinkt, das Kapital durch anvisierte Steuergeschenke.
Da keine starke außerparlamentarische Bewegung die Regierungskoalition, das Kapital, seine Funktionäre und die debile Ideologieproduktion rüttelt, erfüllt die politische Zentralverwaltung des ‘made in Germany’ auch unausgesprochene Kapitalwünsche.

Widerstand.
Verändern, Wissen, Handeln, Fordern und Überzeugen sollten deshalb die Grundorientierung gesellschaftlicher Kritik, organisierter Opposition sowie subjektiver Entwicklung sein und bleiben.
Die wissenschaftliche und künstlerische Aneignung historischer Erfahrungen der Klassenkämpfe als der Vergesellschaftung in solidarischem Handeln sowie des kulturellen Reichtums sind notwendig, um die sozialen Bedingungen zu vermenschlichen, indem die Gesellschaft von Ausbeutung, Konkurrenz und Entfremdung befreit wird.
Die Opposition gegen das Gang und Gäbe kultureller Hegemonie zur spontanen Reproduktion der destruktiven Profitsteigerung wird so zum wesentlichen Movens allgemeiner Entfaltung durch die Verfügung über die eigenen gesellschaftlichen Lebensbedingungen.

Opportunismus ist ersetzbar!
Die Thesen zur Wissenschafts- als Gesellschaftspolitik sollen Aufforderung und Grundlage für die handlungsorientierte Verständigung über die kooperativ zu realisierenden Möglichkeiten gesellschaftlichen Fortschritts sein.
 
 

Sozialistische Politik wider die kapitalistische Barbarei und für zivilisatorischen Fortschritt: Die monopolistisch konzentrierte private Aneignung gesellschaftlichen Reichtums bedingt die umfassende Entwicklung gesellschaftlicher Destruktivität und hemmt die humanistische Entfaltung Aller. Die Umwälzungsmöglichkeiten des Kapitalismus sind jedoch in seinen Widersprüchen selbst angelegt. Damit bedeutet die wesentliche Menschwerdung des Menschen die kooperative Verfügung über alle eigenen gesellschaftlichen Lebensbereiche. Sozialistische Politik ist deshalb gefordert, in kritischer Aufhebung des Sozialerbes alle fortschrittlichen Tradierungen der bürgerlichen Gesellschaft zur Beseitigung der Barbarei und Realisierung der Zivilisation kooperativ auf eine neue Stufe der Entwicklung zu bringen.

Die individuelle Lebensweise als fortschrittliche Gesellschaftsaneignung: Mit dem erhöhten sozialen Druck weitgehend ungehinderter Ausbeutung und den gestiegenen Anforderungen, gesellschaftliche Aufgaben individuell und isoliert zu bewältigen, steigt auch der kulturelle Druck, kompensatorisch mittels privater Bezugnahme diese Bedingungen zu bestätigen. Die einzige sinnvolle übergreifende Perspektive eigenen gesellschaftlichen Lebens besteht hingegen in der arbeitsteilig kooperativen kritischen Praxis zur Verfügungserweiterung aller.

Wissenschaftliche Qualifikation zur demokratischen Gesellschaftsaneignung: Die wissenschaftliche Vergesellschaftung aller Menschen wird zum Schlüssel der Demokratisierung gesellschaftlicher Verhältnisse. Die von Kapitalseite angestrebte direkte Marktunterwerfung der Hochschulen und die Zurückdrängung der Errungenschaften gesellschaftlicher Reformen (Massen- und Gruppenuniversität, kritische Wissenschaftsinhalte) würden jedoch zur allgemeinen Dequalifizierung und brutalen Tauschwertorientierung des wissenschaftlichen Prozesses führen. In diesen Widerspruch müssen die linken Kräfte an der Hochschule - insbesondere in der Verfaßten Studierendenschaft - eingreifen, damit die fortschrittlichen Potentiale der wissenschaftlichen Weltaneignung gesellschaftlich verwirklicht werden können.

Vorwärts und nicht vergessen! Zur Geschichte fortschrittlicher studentischer Politik: Aus der Verfaßten Studierendenschaft heraus konnten mit der 68er Bewegung und der gewerkschaftlich orientierten Interessenvertretung der 70er und 80er Jahre hochschul- und gesellschaftspolitische Reformen erkämpft werden. Die Weiterentwicklung der Tätigkeit, basierend auf dieser historischen Erfahrung, ist die Grundlage für die anstehende Rekonstruktion fortschrittlicher und kooperativer studentischer Interessenvertretung.

Gleichheit ist Freiheit - der Hegemoniekampf gegen rechts: Auf der historischen Tagesordnung steht eine zum Kapitalismus alternative, höhere Gesellschaftsformation in Überwindung der Barbarei und Dekadenz der herrschenden Verhältnisse. Im Kampf um die Deutungsmacht sozialer Widersprüche ist die Hauptfunktion der Rechten, das aufklärerische und auf gegenseitige Nützlichkeit Aller orientierte Wirken zu behindern. So wird der Kapitalismus von rechtsextremen Kräften als "natürlich" und alternativlos verteidigt und Ausbeutung durch sozialdarwinistische Ideologien gerechtfertigt. In dieser Kontrahenz kann und muß sich fortschrittliches Agieren radikalisieren, um sich gegen die Herrschaft des Kapitals und in Kritik an der Unterordnung zu entfalten.

Für Frieden und internationale Entwicklung: Rüstung und Krieg sind der schärfste Ausdruck kapitalistischer Destruktion und dienen der Durchsetzung des Kapitalverwertungsinteresses und der Aufrechterhaltung der historisch entstandenen weltweiten gesellschaftlichen Ungleichheit. Die materiellen Voraussetzungen für die soziale Gleichheit aller Menschen sind jedoch vorhanden, zur Herausbildung der subjektiven Voraussetzungen für einen Formationswechsel kommt der Wissenschaft eine wesentliche Bedeutung zu.

Für die Gleichheit aller Menschen: Die spezifische Benachteiligung von Frauen in den allgemeinen Ausbeutungsverhältnissen basiert auf der prinzipiellen Ungleichheit von Menschen in Klassengesellschaften. Diese Ungleichheit ist nur durch die Durchsetzung gleicher gesellschaftlicher Möglichkeiten für alle Menschen auf der Grundlage der Vergesellschaftung von Produktion und Reproduktion zu überwinden.

Für eine humanistische Vergesellschaftung der Naturaneignung: Der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen auf der Höhe der industriellen Produktion entspricht ein zerstörerisches Mensch-Natur-Austauschverhältnis. Die Entfremdung des Menschen von sich selbst und damit von seiner Naturaneignung ist zu überwinden, damit die grundlegenden sozialen Bedingungen des Stoffwechselprozesses zwischen Gesellschaft und Natur dahingehend umgewälzt werden, daß der Mensch "Herr" seiner eigenen Geschichte und damit der reproduktionsfähigen Entwicklung der Natur wird.



Sozialistische Politik
wider die kapitalistische Barbarei
und für zivilisatorischen Fortschritt
 
 

"Die Krise besteht just darin, daß das Alte stirbt und das Neue nicht zur Welt kommen kann."
(Antonio Gramsci, "Kerkerhefte", 1930)

Die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen

Krieg, ein zerstörerisches Mensch-Natur-Austauschverhältnis und die Unterentwicklung der sogenannten Dritten Welt sind nach wie vor existenzbedrohende Probleme menschlicher Entwicklung. Auf hohem Niveau wissenschaftlich-technischer Gesellschaftsorganisation bringt die Profitdominanz über die internationalen Verhältnisse Destruktivpotentiale in historisch bisher unbekannter Dimension hervor. Die ungebrochene Fortführung dieser Entwicklung würde für die Herrschenden wie die Beherrschten das tatsächliche "Ende der Geschichte" bedeuten.
Ausschaltende Konkurrenz, institutionalisierte Verdummung, antiaufklärerische Politik und zunehmde ökonomische Brutalisierung bestimmen auch den Alltag in den hochindustriallisierten kapitalistischen Ländern: Wenn die schein-fröhliche 630-Mark-Gemeinschaft in bunten Talk-Shows über ihre Geschlechtsorgane plappert, Esoterik und Astrologie als moderne Religion gefeiert werden, Kriege auf dem Bildschirm als Unterhaltung genossen werden sollen und Profit als die Höhe des Allgemeinwohls ausgegeben wird, erscheint das gute alte Rom als ein Kindergeburtstag der Dekadenz.
Der Neoliberalismus als herrschendes Programm wird aggressiv als scheinbar alternativlose Kapitalherrschaft inszeniert.
So gilt die "ewige" und "freie" Marktwirtschaft als eine "spontane Ordnung, die keine konkreten Ziele hat" (so der Theoretiker des Neoliberalismus und Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften von Hayek). Diese habe sich im Laufe der Evolution quasi naturgesetzlich herausgebildet, weil das Privateigentum seinen Eignern "Selektionsvorteile" geboten habe. Geschichte ist nach Maßgabe der neoliberalen Politik und Ideologie also nicht die Geschichte von Klassenkämpfen, sondern quasi eine vormenschliche, "natürliche" Entwicklung. Dies ist die theoretische Begründung für einen gnadenlosen Sozialdarwinismus, in dem der Mensch des Menschen Wolf ist und auf diese Weise sein individuelles gesellschaftliches Leben realisieren soll. Grundlage dieser Ordnung und des Zusammenhalts der Gesellschaft soll die "freie" Verfügung über das Privateigentum sein. Um dieses zu gewährleisten, müsse der private Gewinn von den "Fesseln der Politik" befreit werden.
Die so propagierte Politik zielt mit den ideologischen Schlagworten "Effizienz", "Freiheit", "Markt" und "Wettbewerb" darauf ab, sozialstaatliche Aufgaben kommerziell zu organisieren, um die internationale Konkurrenzfähigkeit deutschen Kapitals zu erhöhen sowie die Profitsteigerung durch Rationalisierung, Arbeitsintensivierung und Lohnsenkungen zu erreichen bzw. zu sichern. Der nationalen "Standortsicherung" hat sich also alles unterzuordnen, die Folgen seien als schicksalshafte Gegebenheiten hinzunehmen. Der Widerspruch zwischen gesamtgesellschaftlich erarbeitetem Reichtum und seiner privaten Aneignung durch eine winzige (a-)soziale Minderheit wird auf diese Weise mit hohem Aufwand verschleiert.
Die Produktivkräfte als System gesellschaftlicher Naturaneignung durch den Menschen auf der Höhe der standardisierten und computergesteuerten industriellen Massenproduktion sind als Ergebnis aus Klassenkämpfen so hoch entwickelt, daß die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen nicht mehr nötig ist. Damit ist der Privatbesitz an Produktionsmitteln die letzte Schranke für die umfassende individuelle als gesellschaftliche Entfaltung in Aneignung gesellschaftlich erarbeiteten Reichtums.
Damit implizieren die Ausbeutungsverhältnisse ihre eigene Aufhebung, die aber nicht vom Himmel kommt, sondern allgemein politisch erwirkt werden muß.
Der Kapitalismus ist die erste Klassengesellschaft, in der die Produktivkräfte ständig revolutioniert werden (müssen). Jede allgemeine wissenschaftlich-technische Weiterentwicklung erhöht die Möglichkeiten zur allgemeinen sozialen Kontrolle der Subalternen über die Gesellschaft, da sie die prinzipiellen Bedingungen schafft, daß der Mensch im Verhältnis zur industriellen Produktion wesentlich steuernd, planend und organisierend tätig sein kann. Hierfür ist jedoch erforderlich, daß die Beteiligten den Gesamtprozeß der Produktion durch wissenschaftliche Weltaneignung begreifen. So entstehen qualitativ neue Anforderungen und Vergesellschaftungsmöglichkeiten für Alle, da der Mensch selbst zur entscheidenden Produktivkraft wird und sich - sozial vergegenständlicht - ständig weiterentwickelt. Für das Kapital besteht der Widerspruch in der Notwendigkeit der Revolutionierung der Produktivkräfte einerseits und der eigenen Herrschaftssicherung andererseits, d. h. der Verhinderung der Umwälzung kapitalistischer Verfügungsverhältnisse.
 

Die produktive Widersprüchlichkeit der kapitalistischen Gesellschaft
 

"Das Kapitalmonopol wird zur Fessel der Produktionsweise, die mit und unter ihm aufgeblüht ist. Die Zentralisation der Produktionsmittel und die Vergesellschaftung der Arbeit erreichen einen Punkt, wo sie unverträglich werden mit ihrer kapitalistischen Hülle. Sie wird gesprengt. Die Stunde des kapitalistischen Privateigentums schlägt. Die Expropriateurs werden expropriiert."
(Karl Marx, "Das Kapital", 1867)

Weil die notwendige Überwindung des Kapitalismus als allgemeines Entwicklungserfordernis objektiv stark herausgebildet ist, wird die politisch-kulturelle Herrschaft des Kapitals institutionell gegen Kritik, Widerstand und Verfügungserweiterung zur Reproduktion von Ausbeutung und Entfremdung stärker entwickelt.
Diese Konsensbildung wird vor allem in den Institutionen der bürgerlichen Zivilgesellschaft - wie Familie, Schule, Hochschule, Parteien, Medien und Kirchen - hergestellt. Sie haben die Funktion - mittels kultureller Hegemonie und politischer Deutungsmacht; gestützt auf stummen ökonomischen Zwang, im Zweifel gesichert durch staatliche Gewalt - den Menschen nahezulegen, das Bestehende, bei aller Kritik im einzelnen, prinzipiell für alternativlos zu halten und somit durch praktische Bestätigung zu reproduzieren. Vor 1989 konnte dieses Einverständnis auf hohem Niveau realisiert werden, da aufgrund materieller Zugeständnisse (Sozialstaat, Tarifvereinbarungen), die dem Kapital in gesellschaftlichen Kämpfen abgerungen werden konnten, Ausbeutung und Entfremdung letztlich "erträglich" schienen. Die vorhandenen neoliberalen Positionen waren somit als gesellschaftliches Gesamtkonzept noch nicht durchsetzungsfähig. Nach 1989 wurden nach Wegfall des sozialistischen Korrektivs die von der Seite der Arbeit erkämpften Errungenschaften vom Kapital aufgekündigt und das Einverständnis mit dem sukzessiven Abbau des Sozialstaates über die Hegemonie des "gemäßigten" Neoliberalismus realisiert. Diese Mäßigung existierte, weil das Vorhandensein der sozialen Errungenschaften sowie ihre allgemeine Akzeptanz ein forciertes Kapitalisierungstempo gebremst haben. Der sich weiterentwickelnden gesellschaftlichen Krise sollte von herrschender Seite mit "brutalem" Neoliberalismus begegnet werden. Diese Krise besteht prinzipiell in der strukturellen Investitionsschwäche des Kapitals, d. h. der politisch unbegrenzte Wettbewerb bei höherer Produktivität führt zu sinkenden Löhnen, Sozialabgaben und Gewinnsteuern der Unternehmen und somit zu Massenarbeitslosigkeit und damit sinkender Kaufkraft sowie der Reduktion des sozialen Sektors. Die vollständige Durchkapitalisierung der Gesellschaft sollte im Konsens mit der Gesellschaftsdoktrin des Sozialdarwinismus durchgesetzt und abgesichert werden.
Die von herrschender Seite angestrebte Entwicklung bestand also darin, daß das profitorientierte Konkurrenzprinzip ungehindert in allen Lebensbereichen praktisch gültig wird. So war beabsichtigt, daß alle bisher nach dem Solidarprinzip organisierten Sozialversicherungen zum größten Teil privatisiert werden. Abgesehen von einem Sockel der Vorsorge, sollten alle gesellschaftlichen Risiken individuell und privat über die Konkurrenz auf dem "freien" Markt geleistet werden.
Zu dieser Profitoption gehört ebenso, daß alle staatlichen Aufgaben nahezu vollends in den "Markt" überführt werden sollen. Im Widerspruch zu diesen Forderungen des Kapitals steht dessen Anspruch, der Staat möge infrastrukturelle Megaprojekte (in Hamburg sind das Hafenerweiterung, Transrapid, Straßenbau usw.), die der Reproduktion des Kapitals dienen, realisieren. Der Arbeitslohn soll noch weiter unter das notwendige Wiederherstellungsniveau der Arbeitskraft gesenkt werden. Die Massenerwerbslosigkeit führt zum Einbruch der Massenkaufkraft. Diese Politik untergräbt selbst die einfache materielle Reproduktion der Ware Arbeitskraft sowie ihre qualifikatorische Entwicklung und damit auch die wesentlichen Grundlagen für die Kapitalverwertung.
Das Konsenspotential in bezug auf die Kapitalhegemonie ist durch diese Widersprüche instabil geworden, da eine neue Qualität gesamter Vergesellschaftung auf der Tagesordnung steht. Das Kapital und seine Funktionäre sind nicht in der Lage, den allgemeinen Entwicklungserfordernissen zu genügen, wollen aber die privaten Gewinne erhöhen. Der in dieser Regulierungs- und Hegemoniekrise entstandene sozialkritische Unmut führte zu einem Regierungswechsel, der widerspiegelt, daß anstelle der ständigen Umverteilung von unten nach oben sozialer Ausgleich realisiert werden möge, damit sich die Lebensbedingungen der Mehrheit der Menschen verbessern. Aber das "entschiedene" Sowohl-als-auch von "Innovation und Gerechtigkeit" ist - bei wenig Entfaltung von fortschrittlichen Gegenkräften - die Voraussetzung für den Angriffskrieg auf Jugoslawien, die rigide Kürzungspolitik, das Vergeigen des Atomausstiegs u.v.m. gewesen und macht deutlich, daß die Regierung mit dem Kapital nicht alleine gelassen werden darf. Wer gesellschaftlichen Fortschritt - auch als kleine Reformen - will, kann sich nicht auf die repräsentative Vertretung der eigenen Interessen verlassen!
Die Voraussetzungen für die allgemeine Verfügung über die Mittel der gesellschaftlichen Bedürfnisbefriedigung haben sich zwar verbessert, aber ohne starke außerparlamentarische Bewegungen und klar orientierte fortschrittliche politische Organisationen lassen sich keine grundlegenden Reformen für Arbeit, soziale Absicherung, Demokratisierung und Qualifikation und damit bessere Bedingungen für die individuelle Entfaltung durchsetzen.
Das Subjekt der Veränderung als bewußt langfristig handelndes und organisiertes ist jedoch sehr schwach entwickelt. In diesem Zusammenhang sind die fortschrittlichen Kräfte besonders gefordert, die historischen Errungenschaften sozialistischer Gesellschaften sowie die Gründe ihres Scheiterns kritisch auszuwerten, um der herrschenden Interpretation, der Sozialismus widerspreche der menschlichen Natur, wirkungsvoll entgegentreten zu können.
In der DDR konnte nach der Zäsur des Zweiten Weltkrieges und der Befreiung vom Faschismus durch die Verstaatlichung der Produktionsmittel - und somit die tendenzielle Überwindung sozialer Konkurrenz - ein neues zivilisatorisches Niveau erreicht werden. Arbeit für alle, soziale Absicherung, Gesundheitsversorgung und eine hohe Dichte kultureller Einrichtungen waren auch teilweise beispielgebend für den Systemnachbar BRD. Die eher technische Verstaatlichung des Privateigentums, das Mitschleppen beengter kleinbürgerlicher Kultur aus dem Kapitalismus, die rigide Sozialfürsorge des "Gouvernantenstaates" (Stefan Heym) und die mangelhaften demokratischen Verfügungsmöglichkeiten der Mehrheit der Bevölkerung haben aber zu Stagnation der gesellschaftlichen Entwicklung und nachfolgend zum vollständigen Verfall der sozialistischen Gesellschaft geführt. Statt dessen wäre eine hohe Beteiligung an einer offenen und produktiven Auseinandersetzung über Inhalt, Ziele und Methoden der gesellschaftlichen Entwicklung in allen Bereichen erforderlich gewesen, um ein höheres Maß an je einzelner allgemeiner Verfügung zu realisieren, um so die Produktivkräfte der Gesellschaft dynamisch zu entwickeln und die humanistische Qualität der sozialistischen Alternative zur kapitalistischen Ausbeutung zu realisieren.
 

Radikaler Humanismus als Aneignung der Erfahrungen aus der Geschichte und Verfügung über den gesellschaftlichen Reichtum 


"An die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen tritt eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist."
(Karl Marx/Friedrich Engels, "Manifest der kommunistischen Partei", 1848)


Der Mensch als gesellschaftliches Wesen existiert mittels der Arbeit als gemeinschaftlicher Naturaneignung. Durch die Arbeit wird die soziale Bedürfnisbefriedigung, -vorsorge und -entwicklung realisiert. Je höher die Entwicklung der gesellschaftlichen Naturaneignung vorangebracht werden konnte, desto mehr treten die Einzelnen und die Gemeinschaft aus der Natur heraus und können sich um so mehr kulturell entfalten. Aus der menschlichen Arbeit entsteht aller gesellschaftlicher Reichtum. Unter kapitalistischen Bedingungen ist sie für diejenigen, die ihre Ware Arbeitskraft verkaufen müssen, jedoch etwas Äußerliches, da der so erzeugte Reichtum privat angeeignet wird. Die produktiven Bedürfnisse des Menschen nach integrierter Teilhabe an gesellschaftlicher Bedürfnissicherung und -entwicklung sowie Realitätskontrolle können unter diesen Bedingungen nur in deformierter Weise befriedigt werden: Zwar haben die Menschen in der lohnabhängigen Arbeit teil an der gesellschaftlichen Produktion, doch sie haben keine Verfügung. Es gilt also, die Arbeit, als menschliches Grundbedürfnis nach Weltaneignung, von Ausbeutung und Entfremdung zu befreien.
Der gesellschaftliche Reichtum steht nicht allen zur Verfügung, da er in hochkonzentrierter Form privat angeeignet wird. Diese private Herrschaft schränkt die Entwicklung Aller ein. Diese prinzipielle Einschränkung kann nur durch die Mehrheit der Eingeschränkten kämpferisch überwunden werden. Hierzu bedarf es der historisch-kritischen Auswertung grundlegender sozialer Auseinandersetzungen sowie der Aneignung des kulturellen Reichtums aus dem Fundus der Menschheitsgeschichte.
Das hohe Niveau wissenschaftlich-technischer Entwicklung sowie der hohe Grad organisierter Vergesellschaftung beinhalten die soziale Möglichkeit egalitärer und voller Verfügung Aller über den gesellschaftlichen Reichtum und somit über ihre gesellschaftliche Subjektivität.
 

Die Notwendigkeit der Überwindung der Ausbeutung
 

"Indem die kapitalistische Produktionsweise mehr und mehr die große Mehrzahl der Bevölkerung in Proletarier verwandelt, schafft sie die Macht, die diese Umwälzung, bei Strafe des Untergangs, zu vollziehn genötigt ist."
(Friedrich Engels, "Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft", 1880)


Die Vergesellschaftung der Produktionsmittel ist die Voraussetzung für die Befreiung der Arbeit für eine gebrauchswertorientierte industrielle Naturaneignung und die umfassende gesellschaftliche Entwicklung. Die Vergesellschaftung der Reproduktion ist erforderlich für die qualifizierte Einflußnahme auf die allgemeinen Lebensbedingungen durch die Individuen. So ist es möglich, daß alle Menschen durch die volle gesellschaftliche Realitätskontrolle in den kooperativen und arbeitsteiligen gesellschaftlichen Prozeß integriert sind.
Da die gesellschaftlichen Verhältnisse als von Menschen gemachte prinzipiell erkennend veränderbar sind, ist dafür in den zivilgesellschaftlichen Institutionen der Kampf um die Deutungsmacht im Hinblick auf die Richtung und den sozialen Inhalt des gesellschaftlichen Prozesses zu führen. Die kapitalkonforme Deutungsmacht hinsichtlich zu lösender Probleme ist sukzessive zu brechen und umzuwandeln in die praktische Erkenntnis der Verfügung über die allgemeinen gesellschaftlichen Belange. Auf diese Weise wäre zu organisieren, Staat und Produktionsmittel für das Allgemeininteresse zu vergesellschaften. Der Staat kann dann auf die Funktion der Gesamtorganisation gesellschaftlicher Aufgaben zurückgeführt werden. Die zivilgesellschaftlichen Institutionen sind dann wesentlich die sozialen Orte gesellschaftlicher Planung, Lenkung und Entwicklung.
Die regulierte Gesellschaft entsteht. Gemeinsame Planung und Organisation in demokratischer Verfügung mittels direkter Bestimmung aller gesellschaftlichen Bereiche von Produktion und Reproduktion auf der Grundlage wissenschaftlicher sowie künstlerischer Qualifikation und kooperativer Entwicklung der Subjekte sind Bedingung, Maßstab und Ziel gegenseitig nützlicher Vergesellschaftung aller Einzelnen.
 

Sozialistische Politik
 

"Wenn wir nämlich als Realpolitik eine Politik erkennen, die sich nur erreichbare Ziele steckt und sie mit wirksamsten Mitteln auf dem kürzesten Wege zu verfolgen weiß, so unterscheidet sich die proletarische Massenpolitik im Marxschen Geiste darin von der bürgerlichen Politik, daß die bürgerliche Politik vom Standpunkte der materiellen Tageserfolge real, während es die sozialistische Politik vom Standpunkte der geschichtlichen Entwicklungstendenz ist."
(Rosa Luxemburg, "Gesammelte Werke", Bd. 1/2, Berlin 1974, S. 373).


Der Maßstab für die Bewertung durchzusetzender gesellschaftlicher Veränderungen ist, ob sie dazu beitragen, daß die Subalternen mehr Verfügung über ihre eigenen verallgemeinerbaren Angelegenheiten erlangen und ob die Lebensbedingungen der Mehrheit der Menschen in Richtung auf die volle Verfügung über die Produktivkraftentwicklung verbessert werden. In diesem Prozeß verfügen die gesellschaftlichen Subjekte damit auch mehr über sich selbst.
Vom "Standpunkte der geschichtlichen Entwicklungstendenz" ist eindeutig festzustellen, daß die subalterne Klasse - bei allen kapitalismusbedingten Deformationen - tendenziell immer höher qualifiziert ist. Die Produktivkraftentwicklung erfordert, daß die lohnabhängig Tätigen immer mehr planend, organisierend und lenkend neben den unmittelbaren Produktionsprozeß treten und der kulturelle Reproduktionsbedarf für diese gesellschaftliche Arbeit wächst. Die Verwissenschaftlichung von Produktion und Reproduktion gerät zunehmend in Widerspruch zu privatkapitalistischen Verfügung über das gesellschaftliche Gesamt.
Fortschrittliche gesellschaftspolitische Gegenkräfte haben die Aufgabe und die Möglichkeit, diesen Widerspruch in ihrer Praxis auf den Begriff zu bringen, um so über Ursachen und Wirkungszusammenhänge gesellschaftlicher Probleme aufzuklären, Widerstand zu initiieren und Veränderungen durchzusetzen, die in die Richtung der Überwindung der Barbarei zielen und wirken. Die umfassende humanistische Vergesellschaftung des gesellschaftlichen Reichtums und damit die Überwindung der profitbedingten Fesselung internationaler Entwicklung bedarf der prinzipiellen langfristigen Kooperation im historischen Bewußtsein der je eigenen politischen Tradierung.
Aufklärung, umfassende soziale Egalität, reformpolitische Durchbrüche zur Verbesserung der allgemeinen Lebensbedingungen innerhalb der Ausbeutungsverhältnisse sowie die vollständige Überwindung kapitalistischer Beschränkungen menschlicher Entwicklung sind entscheidende Momente fortschrittlicher Tradierungen, die sich in der bürgerlichen Gesellschaft herausgebildet haben und die notwendigerweise kooperativ entwickelt werden müssen für die soziale Befreiung und die Verwirklichung des Allgemeininteresses.
 

"Nun geht es weiter; nächste Episode! Fragt sich nur, in welche Richtung es weitergeht. Das hängt von uns ab; an jedem Wendepunkt hat man die Wahl."
(Klaus Mann, "Der Wendepunkt", 1949)



Die individuelle Lebensweise als fortschrittliche Gesellschaftsaneignung
 
 

"Solange die bewußte gemeinsame Planung menschlicher Lebensverhältnisse unter Beteiligung aller, darin die vielseitige Entfaltung menschlicher Lebensmöglichkeiten, nicht gesellschaftliche Wirklichkeit geworden ist, ist der bewußte solidarische Kampf um die Schaffung einer solchen gesellschaftlichen Wirklichkeit die einzige sinnvolle übergreifende Lebensperspektive. Die gemeinsame Sache, über welche die Menschen verbunden sind, ist hier die sozialistische Perspektive kritischer gesellschaftlicher Praxis; diese Perspektive mündet mit dem Grad ihrer Verwirklichung in die gemeinsame Sache bewußter gesellschaftlicher Lebensgestaltung unter Beteiligung aller ein."
(Klaus Holzkamp, "Sinnliche Erkenntnis", S. 263)


Die "Zivilgesellschaft"
 

"Was ist eigentlich eine Depression?
(...) Insgesamt kann man sagen, ein Niedergestimmtsein der Gefühle und der Interessen."
(Dr. H.-J. Funke, Chefarzt der Psychiatrie im Ev. Krankenhaus Alsterdorf, in einem Interview des "Hamburger Abendblattes" vom 25.11.'98, anläßlich des 7. Hamburger Gesundheitsforums zum Thema "Depressionen - Wege aus dem seelischen Tief")

Da zunehmende soziale Konkurrenz die Individuen auf die vereinzelte Bewältigung allgemeiner entfremdeter Handlungsanforderungen und die private Verarbeitung im sozialen Nahraum wirft, sind "Depressionen" und "Angststörungen" die häufigsten psychischen Erkrankungen.
Auf diese Weise führt die Intensivierung gesellschaftlicher Entfremdung und ihre kollektive Verdrängung zu individueller Isolation und teilweise deformierenden Störungen der Realitätswahrnehmung und Handlungsfähigkeit. Im Vordergrund der gesellschaftlichen Praxis steht die spontane, unreflektierte Handlungsweise und drängt die erkenntnisgeleitete kooperative Planung und Organisation der allgemeinen sowie individuellen Lebensangelegenheiten in den Hintergrund der gemeinschaftlichen Lebensaneignung. Mittels dieser Praxis wird der spontane Konsens mit den sozialen Grundverhältnissen realisiert. Die private Aneignung gesellschaftlichen Reichtums, die Ausbeutung des Menschen als Ware Arbeitskraft durch den Menschen als Käufer dieser Ware, die Entfremdung vom je eigenen gesellschaftlichen Lebensprozeß und die kulturelle Praxis schwachen Sinns werden so allgemein (re-) produziert. Die umfassende Profitmaximierung wird dadurch als quasi unumgängliche Natürlichkeit bestätigt und findet beispielsweise in der Ratlosigkeit gegenüber der allumfassenden "Sparpolitik" ihren alltäglichen Ausdruck.
Mangels besseren Wissens und Wirkens (!) stellt diese menschliche Lebensweise im Kern die Fremdbestimmung der sozialen Lebensbedingungen nicht in Frage und materialisiert so die eigene Unterordnung unter die Herrschaft einer profitierenden Minderheit.
Der Konsens mit diesen Bedingungen wird in der Hauptsache über die kulturellen Institutionen (Familie, Schulen, Hochschulen, Kirchen, Gewerkschaften, Parteien, Parlamente, Massenmedien, Werbung) der gesellschaftlichen Reproduktion - also der bürgerlichen Zivilgesellschaft - hergestellt und manifestiert sich mehrheitlich im praktizierten Alltagsverstand als die kulturelle Hegemonie des Kapitals.
Diese Übereinstimmung ist aber stets widersprüchlich, da in den genannten Institutionen die Auseinandersetzung zwischen den sozialen Grundinteressen - allgemein: zwischen Profitorientierung und humanistischer Gesellschaftsentwicklung - um die Deutungsmacht über die sozialen Bedingungen stattfindet. Analyse sowie Interpretationen gesellschaftlicher Probleme und Entwicklungserfordernisse sind daher immer bestreitbar bzw. umstritten und unterliegen der prinzipiellen Aneignungskontroverse.
Um die Verfügung Aller über die allgemeinen und damit je individuellen Lebensbedingungen erreichen zu können, muß über Inhalt, Ziel und Methode von Arbeit, Bildung und Kultur gegen die Kapitalhegemonie gestritten und auf diese Weise die eigene Verfügungserweiterung politisch praktiziert werden. Durch den Kampf um die allgemeine Verfügung lassen sich dann schon im Kapitalismus wesentliche Elemente "direkter" Demokratie verwirklichen, womit das eigene kooperative Handeln und Erkennen mit sinnvoller Perspektive möglich ist.
 

Eskapismus oder unaufhörliche Verfügungserweiterung?

Die Zumutungen dieser Zeit
Die bürgerlichen Freiheiten, durch die Aufklärung formuliert und Ideal der bürgerlichen Revolution, bleiben unter den herrschenden Verhältnissen wesentlich formalisiert, da mit der Weiterentwicklung der kapitalistischen Gesellschaft der Widerspruch zwischen dem gestellten Anspruch und der Verwirklichung sozialer Rechte und sozialer Gleichheit immer größer wird. Infolge der verstärkten Entfremdung von Einfluß und Verfügung in der materiellen Produktion sowie der zunehmenden Isolierung von den relevanten Entscheidungen zur Planung und Steuerung gesamtgesellschaftlicher Prozesse setzt sich massenhaft-hinterrücks die Praxis eines Freiheitsbegriffes durch, die sich in der "Wahl" von Möglichkeiten - im Warenhauskatalog oder auf Singlepartys - innerhalb des Rahmens gegebener Bedingungen manifestiert, sich auf diese beschränkt und sie reproduziert, da die so realisierten "Freiheiten" wesentlich dem Zwecke der Entfremdungskompensation dienen. Statt gesellschaftliche Bedürfnisse und ihre Befriedigung als Subjekte solidarisch und kooperativ zu realisieren, werden diese individualisiert und an das politische Repräsentativsystem und die Warengesellschaft delegiert. Das heißt: Die Zerstörung zivilisatorischer Errungenschaften im Kapitalismus (Mitbestimmung im Arbeitsleben und sozialstaatliche Vorsorge) führt zur Individualisierung gesellschaftlicher Aufgaben. Dabei entsteht der Eindruck, als hätte die Menschheit kollektiv ihr Gedächtnis verloren, als wären demzufolge die Individuen ganz auf ihre Stimmungen, Empfindungen sowie ihre gegenwärtige körperliche Verfaßtheit geworfen. Je stärker sich der Widerspruch zwischen privater Verfügung über die Mittel der gesellschaftlichen Bedürfnisbefriedigung und den allgemeinen Entwicklungserfordernissen ausprägt, desto raffinierter werden die institutionalisierten Methoden (Waren, Werbung, Wahlvereine, Love Parades, Internetfieber, "Bürger für saubere Straßen") der herrschenden Konsensstiftung.

Worin besteht nun die Entfremdung? 


"Erstens, da die Arbeit dem Arbeiter äußerlich ist, d.h. nicht zu seinem Wesen gehört, da er sich daher in seiner Arbeit nicht bejaht, sondern verneint, nicht wohl, sondern unglücklich fühlt, keine freie physische und geistige Energie entwickelt, sondern seine Physis abkasteit und seinen Geist ruiniert. Der Arbeiter fühlt sich daher erst außer der Arbeit bei sich und in der Arbeit außer sich. Zu Hause ist er, wenn er nicht arbeitet, und wenn er arbeitet, ist er nicht zu Haus. Seine Arbeit ist daher nicht freiwillig, sondern gezwungen, Zwangsarbeit. Sie ist daher nicht Befriedigung eines Bedürfnisses, sondern ist nur ein Mittel, um Bedürfnisse außer ihr zu befriedigen. Ihre Fremdheit tritt darin rein hervor, da, sobald kein physischer oder sonstiger Zwang existiert, die Arbeit als eine Pest geflohen wird. [...] Es kommt daher zu dem Resultat, daß der Mensch (der Arbeiter) nurmehr in seinen tierischen Funktionen, Essen, Trinken und Zeugen, höchstens noch Wohnung, Schmuck etc., sich als freitätig fühlt und in seinen menschlichen Funktionen als Tier."
(Karl Marx, „Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844,“ MEW, Erg.-Bd. 1, S. 514 f.)


Durch die wissenschaftlich-technische Entwicklung entsteht in weiten Arbeitsbereichen der kapitalistischen Industriegesellschaften ein hoher Grad von allgemeiner Wirkung und Verantwortung in den jeweiligen Tätigkeiten, so daß mittels des ökonomischen Zwangs der gesellschaftliche Grundwiderspruch in die Subjekte der Arbeit hineinverlagert wird. Klügeren Vertretern des Kapitals ist der genannte Zusammenhang bewußt: "Letztlich wird die historische Differenz von Kapital und Arbeit mit allen Vorteilen und Qualen in den Arbeitnehmer hineinverlagert. Jeder muß sich als sein eigener Kapitalist und sein eigener Arbeiter verstehen. Das äußere Feindbild verschwindet aus dem sozialen Raum in das Innere des Individuums. (Andreas Zielcke: „Der neue Doppelgänger,“ FAZ, 20.07.96). Die Schizophrenie von Dr. Jekyll und Mr. Hyde ist das neue Hegemoniekonzept für die Forcierung ausschaltender Konkurrenz, soll von allen kritiklos übernommen werden und somit gesellschaftlich gültig sein. Obwohl im Kapitalismus aufgrund der Produktivkraftentwicklung die bewußte Vergesellschaftung aller Menschen als allgemeine Möglichkeit angelegt ist, bringt das Diktat der privaten ökonomischen Verwertung die massenhafte Isolierung sozialer Aneignung und erhöhte Alltagsanforderungen (Reproduktion, Qualifizierung) hervor. Hieraus resultiert - zumal nach zehnjährigem "Überwintern" (Wundenlecken in der guten Stube und eher zaghafte Abwehrkämpfe gegen den erstarkenden Neoliberalismus) fortschrittlich orientierter Gegenkräfte, deren unentwickelter kritischer Analyse der Kapitalhegemonie und demzufolge schwacher Organisiertheit widerständigen Handelns -, daß die zwischenmenschliche Bezugnahme "außer der Arbeit" in neuer Dimension und Hartnäckigkeit dem Druck hin zur Entfremdungskompensation ausgesetzt ist. Die alltäglichen Zumutungen bestehen also darin, den "privaten Ausgleich" für ausbeutungsbedingte Deformationen und die Arbeit der gesellschaftlichen Reproduktion individuell leisten zu sollen. Gegen die Praxis, mit anderen gemeinsam für die radikale Veränderung der gesellschaftlichen Grundverhältnisse zu kooperieren, wird ein hoher institutionalisierter kultureller Druck entfaltet, mittels privater Bezugnahme diese Bedingungen zu bestätigen.
Die "sozialdemokratische" Verarbeitungsweise dieses Drucks besteht prinzipiell in einem entschiedenen "Sowohl-als-auch", d.h. zu kooperieren und zu kompensieren - politische Praxis und "Gemütlichkeit"!
Die Krönung affirmativer Verarbeitungsweisen gesellschaftlicher Entwicklungswidersprüche ist die sogenannte Selbstbestimmung des kleinbürgerlichen grünen Individuums: Über ökologische Unternehmensberatung, Leben nach Warenweltgefühl und harmonische Gestaltung des sozialen Nahraums (Kerzenlicht und Kuschelsofa) im Rahmen der bestehenden Herrschaftsbedingungen sowie über die Forderungen nach der Ausweitung lediglich formaler Rechte wird die Politik komfortabel für die Gewinnerwartung und in ihrer Wirkungsweise privatisiert. Deshalb wird jede Orientierung auf kooperatives Wirken zur Überwindung der herrschenden Verhältnisse als Angriff auf das "Individuum" und eigentliche Ursache für die Beschränkung der eigenen Handlungsfähigkeit interpretiert und als Kritik der Ausbeutung bekämpft. Zweck dieses Agierens ist die Diskreditierung sozialistischer Handlungsperspektive.

Die Arbeit der Aufhebung
Der Grundwiderspruch zwischen fortschrittlicher (weitgehend bewußt und kooperativ) und affirmativer (weitgehend unbewußt und vereinzelt) Aneignungsweise der je selbst praktizierten Vergesellschaftung durch die Individuen besteht letztlich in allen Tätigkeiten darin, entweder auf die Umwälzung oder die Bestätigung der gesellschaftlichen Bedingungen orientiert zu sein und entsprechend die Lebensverhältnisse zu bewerten und in ihnen zu agieren.
Da in den Zentren des hochentwickelten Kapitalismus die Reproduktion der Ausbeutungsbedingungen über die institutionalisierte mehrheitliche spontane Zustimmung zu den Produktionsverhältnissen erwirkt wird, reproduzieren die Subalternen (keine Verfügung über die Produktionsmittel und gesellschaftliche Entwicklung) mangels praktischer Erkenntnis ihres gesellschaftlichen Seins ihre eigene Verfügungslosigkeit.
Dem entgegen basiert die Realisierung fortschrittlicher Veränderung dieses Zusammenhanges darauf, daß es den entwickeltsten humanistischen Kräften in der Gesellschaft gelingt, analytisch fundiert gesellschaftliche Optionen zur Durchsetzung des Allgemeininteresses an der Aufhebung der Ausbeutung und Unterdrückung des Menschen durch den Menschen herauszuarbeiten, um sie im Bündnis mit anderen auf sozialen Fortschritt orientierten Assoziationen durchzusetzen.
In diesem Kontext ist der folgende Widerspruch zu berücksichtigen: Auf der einen Seite ist der politische Möglichkeitsraum zur Grundveränderung dadurch vergrößert, daß in den entwickelten kapitalistischen Ländern der Zwang (Staat, Justiz, Polizei, Militär), den sozialen Bedingungen zuzustimmen, zugunsten der kulturellen Hegemonie des Profitprinzips weitgehend gewichen ist.
Auf der anderen Seite sind die Lernwiderstände, das allgemeine als das eigene Interesse geistig und alltagspraktisch zu realisieren, zäher und "ausgefeilter" geworden, da die Reproduktion des Kapitalverhältnisses auf hohem materiellen und kulturellen Niveau praktiziert wird und eine fortschrittliche Wendung der Lebensweise aufgrund der globalen "Zivilisationskrise" (internationale Dimension der Entwicklungswidersprüche) sehr hohe Anforderungen an die Individuen stellt.
Jedoch lassen sich isolierte Selbstbeschränkung, entfremdeter Sozialbezug, die Schizophrenie der in Kapital und Arbeit gespaltenen Subjekte, der ständige Alltagsstreß durch umfassende Konkurrenzverhältnisse nur durch das Selbstbewußtsein des eigenen gesellschaftlichen Interesses, die kooperative und arbeitsteilige Verfügungserweiterung als Überwindung der Kapitalhegemonie und damit organisiert historisch bewußtes Wirken überschreiten.
Dieses Wirken ist allerdings nur möglich, wenn sich fortschrittliche Organisationen in Orientierung auf die Entfaltung aller Menschen gegen die Institutionen der bürgerlichen Zivilgesellschaft stellen und eine Alternative zur herrschenden individuellen Vergesellschaftung repräsentieren, um tendenziell die Mehrheit für die "die einzige sinnvolle übergreifende Lebensperspektive" zu überzeugen.
 

"Über den Zweifel
Me-tis Schüler Do verfocht den Standpunkt, man müsse an allem zweifeln, was man nicht mit eigenen Augen sähe. Er wurde wegen dieses negativen Standpunkts beschimpft und verließ das Haus unzufrieden. Nach einer kurzen Zeit kehrte er zurück und sagte auf der Schwelle: Ich muß mich berichtigen. Man muß auch bezweifeln, was man mit eigenen Augen sieht.
Gefragt, was denn den Zweifeln eine Grenze setze, sagte Do:
Der Wunsch zu handeln."
(Bert Brecht, "Me-ti, Buch der Wendungen")



Wissenschaftliche Qualifikation zur demokratischen Gesellschaftsaneignung
  


"Galilei: [...] Ich halte dafür, daß das einzige Ziel der Wissenschaft darin besteht, die Mühseligkeit der menschlichen Existenz zu erleichtern. Wenn Wissenschaftler, eingeschüchtert durch selbstsüchtige Machthaber, sich damit begnügen, Wissen um des Wissens willen aufzuhäufen, kann die Wissenschaft zum Krüppel gemacht werden, und eure neuen Maschinen mögen nur neue Drangsale bedeuten. Ihr mögt mit der Zeit alles entdecken, was es zu entdecken gibt, und euer Fortschritt wird doch nur ein Fortschreiten von der Menschheit weg sein."
(Bertolt Brecht: Leben des Galilei)


Wissenschaft als Produktivkraft für eine humanistische Gesellschaftsentwicklung oder zur Realisierung und Sicherung von Profiten?

Der wissenschaftliche Prozeß wird durch die neoliberale Gesellschaftspolitik deformiert, und "ein Fortschreiten von der Menschheit weg" wird forciert: Kapital und Unternehmerverbände versuchen direkten Einfluß auf die Institutionen von Bildung und Wissenschaft zu erlangen, damit die Ergebnisse wissenschaftlicher Tätigkeit immer schneller zum Zweck der unmittelbaren Profitrealisierung auf den Markt gelangen. Diese brutale Tauschwertorientierung macht die Wissenschaften "zum Krüppel", da Wissen und Erkenntnis auf die Erfordernisse des Marktes zugerichtet und so als starre Ansammlung von Faktenwissen festgeschrieben, gesellschaftliche Verhältnisse mit hohem Aufwand verschleiert sowie Dummheit und allerlei Brimborium für den schönen Schein der Warenwelt produziert werden.
Im Widerspruch dazu wird im Zuge der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung die Wissenschaft zur entscheidenden Produktivkraft, so daß durch die Qualifikation der Menschen die Ergebnisse der wissenschaftlichen Tätigkeit unmittelbar nützlich werden in der gesellschaftlichen Produktion. Aufgrund der Kapitalhegemonie können die prinzipiellen Möglichkeiten dieser Entwicklung für die Verwissenschaftlichung der individuellen Vergesellschaftung nicht realisiert werden. Damit demgegenüber durchgesetzt werden kann, daß die Produktivkräfte für eine humanistische Gesellschaftsentwicklung wirksam werden, ist notwendig, daß die wissenschaftlichen Subjekte den gesellschaftlichen Gebrauchswert ihrer Tätigkeit bestimmen und demokratische Verfügung über ihre Lebensbelange realisieren. Die Grundkontroverse zwischen forcierter Marktunterwerfung und demokratischer Verfügung aller Menschen findet in Hochschule und Gesellschaft statt.
In den 70er Jahren konnten an den Hochschulen in Folge der '68er Studentenbewegung weitreichende Reformen durchgesetzt werden. Mit der Forderung "Bildung für Alle" wurde die Öffnung der Hochschulen (Massenuniversitäten), ihre materielle Ausstattung und die soziale Absicherung der Studierenden (BAföG) weitgehend realisiert. Die Demokratisierung der Universität wurde mit der Einführung der Gruppenuniversität und institutionalisierter Mitwirkungsmöglichkeiten aller ihrer Mitglieder durchgesetzt. Durch die antikapitalistische Orientierung der studentischen Bewegung konnten gesellschaftskritische Wissenschaftsinhalte und wissenschaftlicher Praxisbezug in den Hochschulen erwirkt werden. Diese Reformen konnten über den starken außerparlamentarischen Druck auf die sozial-liberale Regierung dem Kapital abgetrotzt werden. Die weitreichende gesellschaftliche Qualifizierung und die damit verbundene zunehmende Einsicht in die sozialen Verhältnisse sowie in das eigene verallgemeinerbare Interesse stärkte die Seite der Arbeit gegenüber dem Profitinteresse des Kapitals.
Mit der Bonner Wende 1982, entscheidend verstärkt durch den Niedergang des realisierten Sozialismus 1989, richtete sich eine Phalanx aus Industrie, Regierungen und Medien gegen diese gesellschaftlichen Errungenschaften. Die Organisation des wissenschaftlichen Prozesses und damit auch die Inhalte sollten vollständig auf Markterfordernisse ausgerichtet werden. In Hochschule und Gesellschaft bleibt die Orientierung des Wissenschaftsprozesses jedoch weiter umstritten. Damit die Grundkontroverse in den Wissenschaften für eine humanistische Gesellschaftsentwicklung zur demokratischen Qualifizierung aller Menschen entschieden werden kann, bedarf es des aktiven Eingreifens der Mehrheit der Menschen. Es gilt, die fortschrittlichen Positionen und die auf dieser Grundlage in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen erwirkten Reformen der 70er Jahre positiv aufzugreifen und im solidarischen Kampf für die umfassende Gleichheit aller Menschen weiterzuentwickeln. Für die Realisierung von umfassenden Reformen zur Verbesserung der allgemeinen Lebensbedingungen müssen deshalb die Subjekte in den Wissenschaften die gesellschaftliche Entwicklungskontroverse in den wissenschaftlichen Institutionen selbst aufgreifen und für gesellschaftsverändernden Praxisbezug wirken. So kann die politische Einheit von Studium, Lehre, Forschung und Interessenvertretung erreicht werden.
 

Der Hegemoniekampf in den wissenschaftlichen Institutionen

Den zivilgesellschaftlichen Institutionen der Bildung und Wissenschaft kommt direkte Bedeutung für die gesellschaftliche Entwicklung insgesamt zu, da in ihnen die allgemeine Tendenz der wissenschaftlichen Vergesellschaftung realisiert wird. Der hochqualifizierte Mensch selbst wird zur entscheidenden Produktivkraft, Wissenschaft und Gesellschaft rücken immer näher zusammen. Über die Höherqualifizierung kommt somit den zivilgesellschaftlichen Institutionen tendenziell eine höhere Bedeutung im Verhältnis zum Staat zu. Als fortschrittliche Notwendigkeit beinhaltet diese Entwicklung die Möglichkeit der allgemeinen Bestimmung und Verfügung Aller über die menschlichen Belange im gesellschaftlichen Prozeß. Kapitalistisch deformiert führt die Entwicklung zur "Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft" zur Aufrechterhaltung und Zuspitzung von Ausbeutung und Entfremdung.
Die gesellschaftliche Widersprüchlichkeit ist somit in den Wissenschaften repräsentiert und wird dort entwickelt und reproduziert. Im Streit um die Ausrichtung von Bildung und Wissenschaft treten die gesellschaftlichen Widersprüche deutlich zu Tage, da sich antagonistische Entwicklungsoptionen gegenüberstehen.
Der Grundwiderspruch - die Individuen sollen unter kapitalistischen Verhältnissen höhere Qualifikation und Einsicht unter Absehung ihres eigenen als verallgemeinerbaren Interesses realisieren, statt über Art, Inhalt und Methode gesellschaftlicher Produktion und Reproduktion qualifiziert und kooperativ bestimmen zu können - verschärft sich im Zuge der wissenschaftlich-technischen Entwicklung, da wissenschaftliche Erkenntnisse immer unmittelbarer gesellschaftliche Anwendung finden und das Kapital die Ergebnisse direkt zur Sicherung und Maximierung eigener Profite abfordert. Inhalt, Methode und Ergebnis menschlicher Qualifikation sollen dementsprechend durch das Profitinteresse bestimmt sein. Die Widersprüchlichkeit spitzt sich also in der Grundfrage nach Tausch- oder Gebrauchswertorientierung menschlicher Qualifikation - d.h. nach Privatisierung oder Demokratisierung der Bildungsinstitutionen - zu. Von neoliberaler Seite wird diese widersprüchliche allgemeine Entwicklung im Interesse des Kapitals beantwortet, Kapitalpositionen werden zur Konzeption der allgemein herrschenden Politik: Der Staat soll über zunehmende "Deregulierung" lediglich die Rahmenbedingungen der Profitmaximierung sichern. Zur Profitrealisierung sollen die Individuen in den Institutionen der Bildung und Wissenschaft eigenständig beitragen, indem sie sich den "Markterfordernissen" anpassen. Die Inhalte der Wissenschaft werden den Kriterien der Verwertungslogik unterworfen, so daß neue Erkenntnisse und Erfindungen unter Absehung des sozialen Nutzens "nur neue Drangsale bedeuten".
Um die Möglichkeiten der wissenschaftlich-technischen Entwicklung im Interesse Aller zu nutzen, ist über massenhafte Qualifizierung die Einsicht in die je eigenen Lebensbedingungen und die Erkenntnis des verallgemeinerbaren Interesses zu ermöglichen. Nur darüber wird die kooperative Eigentätigkeit der Subjekte gestärkt, so daß diese im Bewußtsein der Gegenkräfte organisiert tätig werden können, um die unmittelbare Verfügung über den gesellschaftlichen Prozeß durchzusetzen und eine fortschrittliche Gesellschaftsentwicklung zu erwirken.
Hierfür ist es nötig, daß über die Kritik an der neoliberalen Privatisierungs- und Sparpolitik hinaus die Grundkontroverse gesellschaftlicher Auseinandersetzungen an den Hochschulen - Wissenschaften zur "Standortsicherung" oder für humanistische Nützlichkeit - erkannt wird. Dies ist Voraussetzung dafür, daß die Subjekte in den Wissenschaften sich für Verfügungserweiterung entscheiden können. Diese Entscheidung bedeutet für den Einzelnen, sich im Hegemoniekampf gegen die Marktausrichtung als Teil der auf Verfügung orientierten Subalternen und als handelndes Subjekt zu begreifen.
Hieraus ergibt sich, daß zur Erleichterung der "Mühseligkeit der menschlichen Existenz" in den Wissenschaften für humanistische Inhalte und gesellschaftskritischen Praxisbezug gestritten werden muß. Das heißt, daß die Menschen in Bildung und Wissenschaft befähigt werden, die gesellschaftlichen Verhältnisse in ihrer historischen Entwicklung zu erkennen, um sie selbsttätig im eigenen Interesse verändern zu können. In diesem Sinne müssen wissenschaftliche Inhalte darauf gerichtet sein, die globalen und sozialen Probleme (Krieg, Unterentwicklung...) und ihre Ursachen zu analysieren und zu deren Überwindung beizutragen.
Um diese Position durchsetzungsfähig zu machen, d.h. um die Wissenschaften als Produktivkraft für eine humanistische Gesellschaftsentwicklung wirksam werden zu lassen, ist es zentrale Aufgabe, die Demokratisierung der wissenschaftlichen Institutionen zu erstreiten. Das bedeutet, die neoliberale Hegemonie in diesen Institutionen zu kritisieren und den Konsens mit ihr zu brechen sowie in den Institutionen den demokratischen Prozeß zur humanistischen Zielbestimmung der Wissenschaft zu organisieren, so daß die aktuelle Dominanz der Marktideologie überwunden und das Bildungssystem zur sozialen Befreiung im gesellschaftlichen Prozeß wirksam werden kann.
 

Neoliberale Hochschulpolitik

Das Kapital verlangt mittlerweile den direkten Zugang zu den Bildungsinstitutionen, um eigenen Einfluß zu gewinnen und neu durchzusetzen. Hierfür muß es in der Hochschule Zustimmung erheischen und die an der Hochschule Tätigen darauf trimmen, damit es volle Entscheidungsgewalt im Interesse der Profitrealisierung erlangen kann. Historisch konkret wird die kapitalgerechte Zurichtung der Institutionen der Wissenschaft z. B. anhand eines Papiers der Hamburger Handelskammer "Hamburger Hochschulen reformieren - Mehr Freiheit für unternehmerisches Handeln", mit dem die Interessenvertretung der Hamburger Wirtschaft der Hamburger Politik ein Programm zur vollständigen Durchkommerzialisierung und betriebswirtschaftlichen Orientierung der Hochschulen vorgelegt hat. Es soll der "modernen" Leitvorstellung gefolgt werden: "Hochschulen sind am Markt agierende Anbieter von Lehr- und Forschungsleistungen, Studierende fragen diese Leistungen nach, der Staat ist gefordert, geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen. Der unternehmerische Handlungsspielraum für die Hamburger Hochschulen muß deutlich gestärkt werden." Mit diesem Gesamtkonzept wird die umfassende Unterordnung der Hochschulen unter die Partikularinteressen einer gesellschaftlichen Minderheit verlangt. Die Hochschulen sollen als gesellschaftliche Institutionen direkt für die Kapitalverwertung verfügbar sein. Die Mehrheit - und damit auch die an den Hochschulen Tätigen - soll, von ihren eigenen als verallgemeinerbaren Interessen absehend, dem Kapital dienstbar sein. Hierfür wird die propagandistische Eliminierung historisch erkämpfter sozialer und zivilisatorischer Errungenschaften organisiert und gesellschaftliche Widersprüche werden geleugnet.
Die politische Einflußnahme auf die Wissenschaften wird zunehmend ersetzt durch die Schaffung und Nutzung ökonomischer Abhängigkeiten in der Wissenschaft. Über die Finanzierung (Drittmittel, Sponsoring, Mäzenatentum) wird in den Hochschulen das Prinzip "Wes' Brot ich eß, des' Lied ich sing" eingeführt und die Wissenschaft zur Mätresse des Profits. Ideologisch wird dies durch die Propagierung von "Freiheit" realisiert. So forderte bereits der ehemalige Bundespräsident Herzog in seiner Bildungs-"Ruckrede" die Befreiung der Hochschulen von "staatlicher Gängelung". Diese postulierte "Freiheit" bedeutet, daß alle auf sich geworfen zur Unterordnung unter das Interesse des Kapitals gezwungen werden: Die Individuen sollen sich "frei" fühlen, indem sie die gesellschaftlichen Tatsachen als Sachzwänge anerkennen und ihre persönlichen Interessen in gegebenem Rahmen formulieren und in Konkurrenz zu anderen verfolgen. Der Mensch soll seinen eigenen Warencharakter unmittelbar und selbstgewollt reproduzieren: Unterordnung ist gleich Freiheit...
Praktisch wird dies durch die Übertragung öffentlicher Aufgaben auf das private Kapital realisiert. Abgesichert wird der private Einfluß über neoliberale Politik, d. h. die staatliche Akzeptanz und Förderung privater Aktivitäten, die Mitinitiierung durch staatliche Hoheitsträger und enge institutionelle Verflechtungen von Kapital und staatlichen Instanzen. So hat z. B. die Stiftung des weltweit größten Medienkonzerns Bertelsmann das "Centrum für Hochschulentwicklung" (CHE) gegründet, das Unsummen für Aktivitäten und "Projekte" ausgibt, die an den Universitäten Akzeptanz für die neoliberale Umstrukturierung schaffen sollen (Einführung globalisierter Haushalte, Managementstrukturen statt demokratischer Gremien, Marketingorientierung des "Wissenschaftsunternehmens" u. a.). Die konzerneigenen Medien werden dabei fleißig genutzt.
Der Grundwiderspruch von Kapital und Arbeit wird so negiert und das Interesse des Kapitals zum Allgemeininteresse erklärt. Um die brutale Tauschwertorientierung im Wissenschaftsprozeß zu realisieren und damit die neoliberale Marktorientierung in den Wissenschaften funktionieren kann, muß Politik als potentiell kritische Reflexion dieses Prozesses aus den Hochschulen verschwinden. Die Möglichkeit zur Entscheidung für die Alternative muß eliminiert werden. Öffentliche Kontrolle und demokratische Einflußnahme sollen deshalb zurückgedrängt werden. Über Dienstleistungs- und Kundenorientierung sollen sich die Hochschulen den Gesetzen des Marktes unterwerfen und sich kapitalistischen Betrieben strukturell angleichen (Landesbetrieb, Stiftung, GmbH?). Hierbei ist das Kapital der Hauptkunde, Studierende sollen als "Investoren" in ihr "Humanvermögen" am besten dafür zahlen (Studiengebühren), daß sie so werden, wie das Kapital will. Managementstrukturen sollen demokratische Entscheidungsmöglichkeiten ersetzen (Aufsichtsräte statt Universitätsparlamente). Und um das System von Kaufen und Verkaufen, Dienen und Leisten auch in Forschung und Lehre durchzusetzen, werden "Ziel- und Leistungsvereinbarungen" unter ungleichen Partnern geschlossen, die befördern, daß alle wollen, was sie wollen sollen, "Leistungsanreize" im Dienstrecht eingeführt, damit auch Professoren kuschen, und ein schnelles, "effizientes" und "leistungsorientiertes" Studium restriktiv erzwungen (Zwangsberatung und -exmatrikulation, Kurzzeitstudiengänge, Leistungspunktsysteme...).
In der studentischen Interessenvertretung und in den Gremien der akademischen Selbstverwaltung muß Klarheit über die Grundkontroverse zwischen Privatisierung und Demokratisierung gewonnen und der Streit geführt werden: Soll das Bildungssystem der Kommerzialisierung und der privatwirtschaftlichen Verwertung unterworfen werden, oder soll die Qualifizierung aller Menschen zur Demokratisierung sozialer Bedingungen durch gesellschaftliche Problemlösungskompetenz beitragen?
 

Qualifiziert organisiert, oppositionell

Um diesen Streit zu führen, haben sich die linken Gruppierungen der Verfaßten Studierendenschaft (VS) der Uni Hamburg zu einem Bündnis zusammengeschlossen, in dem Humanisten, linke Sozialdemokraten, Sozialisten und Kommunisten eine gemeinsame Position und Praxis zur Hochschul- und Wissenschaftspolitik als Gesellschaftspolitik erarbeiten. In der studentischen und akademischen Selbstverwaltung werden die Ursachen der gesellschaftlichen Krise benannt und praxisorientierte Alternativen erarbeitet, die es durch gesellschaftlich oppositionelles Agieren zu verwirklichen gilt. Die humanistische Zielbestimmung der Wissenschaften gegen marktorientierte Regulierung ist wesentliche Aufgabe der studentischen und universitären Interessenvertretung.
Gegen dieses gesellschaftlich oppositionelle Wirken der Linken in der Wissenschaftspolitik bildete sich in der VS eine Negativ-Allianz der Rechten und der Grün-Liberalen heraus, deren gemeinsames Anliegen - in Affirmation des Bestehenden - die Verhinderung einer VS ist, die sich als Teil der auf Verfügungserweiterung orientierten Kräfte versteht. Die immer noch vorherrschende neoliberale Hegemonie ermöglichte dieser Allianz die Verhinderung der Durchsetzung und Institutionalisierung fortschrittlicher linker Politik auf AStA-Ebene.
Zur Überwindung dieses Entwicklungshemmnisses in der VS und um gegen die neoliberale Hegemonie reformpolitische Durchbrüche (soziale Absicherung, "Bildung für alle" als gesellschaftliche Aufgabe, umfassende Demokratisierung) durchzusetzen, ist es erforderlich, mit sozialistischer Gesellschaftsperspektive die Kooperation linker Kräfte in der VS auszubauen und zu verstetigen. Die fortschrittlichen Organisationen verschiedener Tradierungen müssen im Bewußtsein ihrer eigenen Geschichte für humanistische Wissenschaftsinhalte und eine egalitäre Gesellschaftsentwicklung in direkter Kontrahenz zum gesellschaftlichen Antagonisten streiten. Durchzusetzen ist in dieser Auseinandersetzung, daß der kritische Gesellschaftsbezug der Wissenschaften und ihre Orientierung auf die Überwindung sozialer und globaler Probleme wirksamer Bestandteil gesellschaftlicher Entwicklung wird. Insbesondere die Gremien der VS (AStA, Studierendenparlament, Fachschaftsräte) können gegen die Verwertungsinteressen neoliberaler Barbarisierungspolitik zu selbstorganisierten Assoziationen kritischer Debatte werden, in denen sich die Studierenden zur Gewinnung von Handlungsperspektive und zur Vertretung ihrer Interessen organisieren. Dafür bedarf es der hochschulinternen Demokratisierung, des politischen Mandats für die VS und der Repolitisierung der akademischen Gremien (Akademischer Senat, Konzil, Fachbereichs- und Institutsräte) über die organisierte, statusgruppenübergreifende linke Kooperation. Das Bündnis mit fortschrittlichen gesellschaftlichen Gruppierungen (Gewerkschaften, Parteien, Initiativen) ist Voraussetzung, um als Teil gesamtgesellschaftlicher Opposition grundlegende Reformen zu erreichen. Der Widerspruch zwischen der neoliberal lediglich propagierten "Freiheit" der Wissenschaften respektive der Subjekte der wissenschaftlichen Institutionen einerseits und der tatsächlich zu verwirklichenden Verfügung der Menschen über den politischen und wissenschaftlichen Prozeß andererseits muß qualifiziert tätig überwunden werden. Mit der solidarischen Aufhebung des Widerspruchs zwischen Freiheit und Gleichheit ist auch in der VS die gesellschaftliche Entwicklungskontroverse positiv zu entscheiden. Durch die kritisch-praktische Einheit von Wissenschaft, Kultur und Politik ist die volle Entfaltung der Individuen und somit die allgemeine Vermenschlichung der Gesellschaft zu erwirken.



Vorwärts und nicht vergessen!
Zur Geschichte fortschrittlicher studentischer Politik
 

"Nicht um das Vergangene ist es zu tun,
sondern um die uneingelöste Hoffnung im Vergangenen."
(Ernst Bloch)


Das Alte und das Neue oder
Der Kampf um die demokratische Verfaßtheit und die Inhalte der Wissenschaften

An der Universität Hamburg wird die Auseinandersetzung zwischen der Herausbildung von "Elite" einerseits und demokratischer Qualifizierung andererseits in neuer Schärfe geführt: Soll das Bildungssystem mittels Kürzungspolitik, "Globalhaushalt", privatem Sponsoring, betriebswirtschaftlicher Organisation, schneller Verwertbarkeit von Forschung und Lehre und Zweiteilung des Studiums in "Masse und Elite" vollends zugerichtet werden auf die taumelnde Gewinnmaximierung für die Unternehmen des nationalen Standortes, oder sind ausreichende öffentliche Finanzierung der gesellschaftlichen Institutionen, soziale Absicherung der Ausbildung, demokratische Entscheidungsprozesse und -strukturen, kritischer Praxisbezug von forschendem Lernen und lernendem Forschen wesentliche Momente einer problemlösungsorientierten wissenschaftlichen Qualifikation der Menschen?
An den Hochschulen soll die Abwicklung der Errungenschaften von '68ff über die allgemein praktizierte Geschichtsvergessenheit durchsetzungsfähig gemacht werden, damit sie zu Institutionen für die "Produktion" ausbeutungskonformen "Humankapitals" zugerichtet werden können. Seit von herrschender Seite 1989 das Ende der Geschichte postuliert wurde, sollen die in der Vergangenheit geführten sozialen Kämpfe und der dadurch erzielte historische Fortschritt vergessen gemacht werden - für die Zukunft wird die Möglichkeit fortschrittlicher Entwicklung negiert. Die scheinbare "Selbstverwirklichung" der Individuen als Verherrlichung der Fremdanforderungen des "Marktes" führt heute zu massenhafter Desorganisierung der individuellen Lebensweise in allen gesellschaftlichen Bereichen (Gewerkschaften, Bildung, Kultur). Der maßgebliche Protagonist dieser Orientierung in der Verfaßten Studierendenschaft (VS) ist in Hamburg die Grüne Hochschulgruppe (GHG), die 1992/93 mit dem Slogan "Der AStA redet Müll, wir schaffen ihn weg" antrat, um linke Politik, wie sie seit '68 in der studentischen Interessenvertretung hegemonial war, abzuwickeln. Studentische Interessen wurden von der GHG eher verwaltet als vertreten, Probleme bestenfalls gelindert statt überwunden. Auf diese Weise mit "dem System Frieden geschlossen", waren die Grünen nach der Maßgabe "links Blinken, rechts Fahren" bestens geeignet, Akzeptanz für die seit '89 forcierte Marktorientierung zu schaffen. Inzwischen ist auch das "links Blinken" weitgehend aufgegeben worden: Soziale Interessen werden geleugnet, der Sozialstaat wird zum größten Unterdrücker des "Individuums" erklärt, Konkurrenz wird zum Motor für individuelle Entfaltung deklariert, potentielle Mitbestimmung in den Selbstverwaltungsgremien wird durch Infantilisierung und Selbstentmündigung zur aggressiven Affirmation des (Vor-) Gegebenen, und der Einsatz von Bodentruppen im Kosovo wird als höchstes Gebot des Humanismus gefordert. So ordnet sich die GHG inzwischen nicht nur dem CDU-RCDS, sondern auch seinen Burschenschafter-Freunden unter.
Im Unterschied zu diesem dekadenten "Kriechzug" konnte die '68er- Studierendenbewegung mit der Perspektive, die kapitalistischen Verhältnisse überwinden zu wollen, weitreichende Hochschulreformen im Kapitalismus durchsetzen. Der wissenschaftlich-technische Fortschritt war Ende der 60er Jahre so weit entwickelt, daß die autoritär verfaßte und einer Elite vorbehaltene Wissenschaft mit antiquierten Methoden und Inhalten den Anforderungen einer massenhaften, realistischen Qualifikation entgegenstand. Mit der Forderung nach "Bildung für Alle" wurden Hochschule und Wissenschaft in Inhalten und Struktur weitreichend demokratisiert, und viele Menschen wurden für die Vertretung ihrer Interessen tätig und organisierten sich in linken Parteien und Verbänden sowie in der Verfaßten Studierendenschaft.
Im Zuge des wissenschaftlich-technischen Fortschritts ist die Höherqualifikation aller Menschen für die gesellschaftliche Weiterentwicklung notwendig. Dadurch gewinnen die je einzelnen einen hohen Grad allgemeiner Wirkung und subjektiver Entfaltung, so daß die Subjekte zunehmend planend und organisierend neben die unmittelbare Produktion treten könnten. Das macht erforderlich, daß die unmittelbaren Produzenten wissenschaftlich und künstlerisch qualifiziert und gemeinsam den Arbeitsprozeß bestimmen, womit die Arbeiterklasse tendenziell zur Intelligenz wird. Zur Aufrechterhaltung der kapitalistischen Herrschaftsverhältnisse sollen die Menschen jedoch von ihren eigenen verallgemeinerbaren Interessen absehen und den spontanen Konsens mit Ausbeutung und Entfremdung auf hohem Niveau realisieren. Daher wird von neoliberaler Seite versucht, '68 zu revidieren: Betriebswirtschaftslehre als Leitwissenschaft soll die Sozialwissenschaften als Orientierungswissenschaften ablösen, und das Kapital drängt an die Hochschulen. So fordert die Hamburger Handelskammer "mehr Freiheit für unternehmerisches Handeln" an den Hochschulen und schlägt vor, diese in Stiftungen oder - besser - in GmbHs umzuwandeln. Eine Forderung, die der Präsident der Universität Hamburg mit vertritt.
Gegen diese herrschende Wirklichkeit (auch) an den Hochschulen, in der Unterordnung, Isolierung, Fatalismus und Verfügungslosigkeit allgemein inhumane Praxis sind, ist umfassender Widerstand zu realisieren. Die Entwicklung der Verfaßten Studierendenschaft (VS) zu einer Assoziierung studentischer Interessenvertretung, in der tendenziell alle Studierenden - organisiert und je individuell - in Kritik an neoliberaler "Deregulierung" die individuelle Qualifikation für höhere politische Handlungsfähigkeit humanistisch entwickeln hin auf gesellschaftliche Veränderungen, und dafür auch zielgerichtet die materielle und soziale Absicherung der Hochschulen und ihrer Mitglieder durchsetzen und dafür Massenprotest initiieren, ist notwendig möglich. So ist eine Abkehr von neoliberaler Hochschulpolitik mit dem Regierungswechsel in Bonn zwar möglich geworden, doch stellt die Verwirklichung eines tatsächlichen Politikwechsels die Anforderung an studentische Interessenvertretung, in Bestimmung der verallgemeinerbaren studentischen Interessen (Qualifizierung, soziale Absicherung, Verfügungserweiterung) in die sozialen Auseinandersetzungen einzugreifen.
Eine solche Politisierung der studentischen Interessenvertretung zu erwirken, sind die fortschrittlichen Gruppierungen in der VS gefordert. An der Universität Hamburg hat sich ein Bündnis fortschrittlicher Kräfte der unterschiedlichen Tradierungen herausgebildet, das nicht nur gemeinsame Kritik an der neoliberalen Zurichtung erarbeitet, sondern daraus eine politische Praxis entwickelt, die darauf orientiert ist, kooperativ zu agieren: in den Gremien der VS und der Akademischen Selbstverwaltung, aber auch in der außerparlamentarischen Opposition.
Es ist der Beginn einer Neufundierung studentischer Politik, die in Aufhebung ihrer Geschichte - antiautoritäre Studentenbewegung Ende der 60er Jahre und gewerkschaftlich orientierte Politik der 70er und 80er Jahre - Hochschulpolitik als Gesellschaftspolitik entwickelt und praktiziert. Die Möglichkeitsbedingungen für die Weiterentwicklung dieser Politik sind historisch aktuell zu bestimmen.
Die gesellschaftlichen Verhältnisse sind als von Menschen gemachte veränderbar!
 

Der Kampf gegen die Elitenbildung und für die Massenuniversität
Die Studierendenbewegung der 60er Jahre

Nach der Befreiung vom Faschismus 45 trug der in weiten Teilen der Bevölkerung herrschende Antifaschismus starke antikapitalistische Momente. Die alten Eliten sollten entmachtet, die Banken und Großkonzerne sozialisiert und demokratische Beteiligung sowie Arbeit, Bildung und soziale Sicherheit durchgesetzt werden. Die Politik der fortschrittlichen Kräfte war von der Lehre aus dem Faschismus bestimmt, daß dieser nur überwunden werden kann, wenn der Kapitalismus überwunden wird. Dies war der politische Inhalt der Forderung "Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!".
Das Kapital und die westlichen Alliierten konnten jedoch die kurz nach dem Krieg noch schlecht organisierten fortschrittlichen Kräfte erfolgreich einschränken und so, statt der anstehenden Überwindung des Kapitalismus, seine Restauration durchsetzen. Auf diese Weise war der Widerspruch zwischen Antifaschismus und Kapitalismus in der BRD zwar aufgeschoben, aber nicht aufgehoben. In den 60ern entwickelte sich - aufgerufen durch die Wiedereinsetzung ehemaliger Eliten, die Notstandsgesetze und den Vietnamkrieg - verstärkt gesellschaftliche Bewegung gegen den autoritären Mief der biederen Adenauer-Zeit und den Antikommunismus als Staatsdoktrin. Auch aus Sicht des Kapitals war die 'Modernisierung' der BRD zur Ausweitung und Sicherung der Profite notwendig geworden, was in der ersten Nachkriegswirtschaftskrise zum Ausdruck kam. Aufgrund der Produktivkraftentwicklung war eine größere Anzahl qualifizierter Menschen erforderlich geworden, was jedoch von den Subalternen selbst durchgesetzt werden mußte und im Kampf darum deren gesellschaftliche Bedingungen verbesserte.
Dabei waren die Herrschenden in der BRD durch die Systemkonkurrenz mit der sozialistischen DDR "vor der Haustür" herausgefordert, in den sozialen Auseinandersetzungen Zugeständnisse zu machen. Fortschrittliche Parteien und Bewegungen - z. T. mit sozialistischer Perspektive - konnten Reformen durchsetzen: der Sozialstaat im Kapitalismus mit relativer Vollbeschäftigung, höherem Lohnniveau, Demokratisierung und höherer Bildungsqualifikation konnte dem Kapital abgetrotzt werden. Zum ersten und bis jetzt einzigen Mal in der BRD wurde ein gestiegener Anteil am gesellschaftlichen Mehrprodukt für die Seite der Arbeit erkämpft.
Die Studierendenbewegung hat eine wesentliche Rolle in der außerparlamentarischen Opposition gespielt. Die Universitäten waren nicht mehr nur elitäre Wissenschaftseinrichtungen, sondern entwickelten sich immer mehr zur massenhaften Ausbildungsstätte für den gesellschaftlichen Bedarf an qualifizierter Arbeit und gewannen dadurch an Bedeutung. Die somit der Arbeiterbewegung näher gerückte Studierendenbewegung hat im Bündnis mit den Gewerkschaften und anderen fortschrittlichen Organisationen - darunter auch Kommunisten und Sozialisten - Perspektive für gesellschaftliche Opposition mit entwickelt. Die Absetzung rechter, antikommunistischer ASten, die Fackelmärsche an die "Mauer" organisierten, sowie die Durchsetzung fortschrittlicher Inhalte und kritischen Gesellschaftsbezugs in der wissenschaftlichen Tätigkeit ("Unter den Talaren Muff von 1000 Jahren") und Ausbau und Öffnung der Hochschule (Massenuniversität), ihre Demokratisierung (Gruppenuniversität) und die soziale Absicherung (BAföG) waren die Ergebnisse dieses Engagements.
Die entscheidende Kraft, die diese Auseinandersetzungen seitens der Studierenden führte, war der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS). Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde er als sozialdemokratische Hochschulorganisation gegründet und entwickelte vor allem in den 60er Jahren weitreichende marxistische Positionen. Über die Auseinandersetzungen Ende der 60er hatten sich im SDS weitere Tradierungen zusammengefunden, von Kommunisten bis zu radikalisierten bürgerlichen Demokraten. Nachdem wesentliche Reformen erkämpft worden waren, fehlte eine gemeinsame weitergehende Sozialismusperspektive, so daß sich der SDS Anfang der 70er Jahre auflöste. Die antikapitalistische Studierendenbewegung differenzierte sich in die drei fortschrittlichen Tradierungen der bürgerlichen Gesellschaft aus:

Trotz der Unterschiede zwischen den sozialdemokratischen Organisationen und dem MSB gelang es in den 70ern und 80ern im Rahmen des Konzeptes der gewerkschaftlichen Orientierung, eine kooperative Praxis in der studentischen Interessenvertretung zu realisieren. Die Zusammenarbeit zwischen den Gruppen der gewerkschaftlichen Orientierung einerseits und den Basisgruppen andererseits gelang nur punktuell, weil die Bezugnahme des autonomen Spektrums zu den sozialen Interessen relativ schwach ausgeprägt war. Hinkünftig wäre das Zusammenwirken der drei fortschrittlichen Tradierungen anhand einer emanzipatorischen Gesamtperspektive für Hochschule und Gesellschaft praktisch weiterzuentwickeln. Es gilt, gemeinsame Handlungsfähigkeit zur Durchsetzung von Reformen streitbar-kooperativ zu erarbeiten - im Hinblick auf die Aufhebung der revolutionären Forderungen des bürgerlichen Humanismus: die Realisierung von Freiheit, Gleichheit und Solidarität.
 

Die Politik der gewerkschaftlichen Orientierung
Die 70er und 80er Jahre

Konnten bis zu Beginn der 70er Jahre soziale Reformen durchgesetzt werden, so spitzten sich die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen in den 70er und 80er Jahren wieder zu. Die Krise der 70er wurde von der sozial-liberalen Regierung auf Druck von Kapital und anderen konservativen Kräften mit der Abkehr von Sozialstaat und Keynesianismus beantwortet. Die zuerst realisierten sozialen Reformen wurden nur noch verwaltet und dann (teilweise) wieder zurückgenommen. Die herrschende Politik gegenüber gesellschaftlich oppositionellen Kräften, wie der Friedens- und der Anti-AKW-Bewegung sowie Gewerkschaften, die um kürzere Arbeitszeiten kämpften, wurde restriktiver, um den Machterhalt zu sichern und die Umverteilung des Reichtums für die Seite der Arbeit umzukehren. Das zunehmend restriktive Agieren der Regierung gegenüber fortschrittlichen gesellschaftlichen Kräften fand in den Hochschulen besondere Ausprägung. So wurde in Baden-Württemberg und Bayern die Verfaßte Studierendenschaft (VS) abgeschafft: "Der terroristische Sumpf an den Hochschulen muß trockengelegt werden", so Filbinger (Nazi-Richter und baden-württembergischer CDU-Ministerpräsident). Wo es die VS noch gab, wurde ihr das Politische Mandat entzogen.
In der studentischen Interessenvertretung war von 1971 bis 1989 das Konzept der gewerkschaftlichen Orientierung (GO) hegemonial. Im Rahmen der Reformpolitik der 70er Jahre und gegen den restriktiven Druck von Kapitalseite wurde es in kooperativer Praxis wesentlich entwickelt von Kommunisten und linken Sozialdemokraten, also dem MSB, SHB und - mit Einschränkungen - auch den Juso-Hochschulgruppen. Im Vordergrund des GO-Konzeptes stand die organisierte Vertretung der materiellen und sozialen Interessen der Studierenden. Sie sollten - aufgrund wesentlicher Interessenübereinstimmung - im Bündnis mit der Arbeiterklasse (als Subjekt gesellschaftlicher Veränderung) durchgesetzt werden. Die GO-Politik war - mit der teilweisen Durchsetzung demokratischer Mitbestimmung, materieller Absicherung des Studiums und der aktiven Teilnahme an der Friedensbewegung - im Rahmen der gesellschaftlichen Bewegung von Anfang der 70er bis Anfang der 80er Jahre erfolgreich. Dazu gehörte die weitgehende Überwindung antidemokratischer Forschungsansätze aus Kolonialzeit und Faschismus und die Etablierung fortschrittlicher Inhalte (Antifaschismus, Frieden, Internationalismus, demokratische Traditionen) in den Wissenschaften, die zusammen mit linken Kräften aus dem Wissenschaftsbereich sowie anderen Organisationen wie Gewerkschaften und Parteien durchgesetzt werden konnten. Mit der Beschränkung der sozial-liberalen Regierungspolitik auf die Verwaltung der Reformen und dem schrittweisen Abrücken von den Prinzipien des Sozialstaats ab Ende der 70er Jahre wurde die konservativ-liberale Regierungsübernahme von 1982 vorbereitet. Die sich in diesen Jahren herausbildende neoliberale Politik bedeutete für die Hochschulen eine zunehmende Ausrichtung an dem unmittelbaren Kapitalverwertungsinteresse. Während dieser Zeit beschränkte sich die GO-Politik im wesentlichen auf gut organisierte und zum Teil auch erfolgreiche Abwehrkämpfe.
Die Entwicklung des gesellschaftlichen Gesamtprozesses in der Widersprüchlichkeit von steigendem Reichtum und gestiegenen Qualifikationsanforderungen einerseits und privater Aneignung sowie Marktzurichtung der Individuen andererseits wurden unzureichend reflektiert. Der zu überwindende Mangel in Theorie und Praxis der GO-Politik lag in der Trennung zwischen Hochschulpolitik (Vertretung der sozialen und materiellen Interessen der Studierenden) einerseits und politisch weitgehend folgenloser Wissenschaftskritik andererseits. Dadurch wurde kein Ansatz fortschrittlichen Wirkens entwickelt, der die Inhalte und Methoden von Wissenschaft, ihre gesellschaftliche Praxisrelevanz sowie entsprechend begründeter Forderungen nach materieller Ausstattung und sozialer Absicherung der in diesem Bereich Tätigen umfaßt. Statt einer eigenen wissenschaftlich begründeten Sozialismusperspektive für das hochschulpolitische Wirken blieben der idealistische Bezug auf die Wirkungsmöglichkeiten der Wissenschaft "an sich" sowie das Vertrauen in den real existierenden Sozialismus. Dies führte zu einer Schwächung der fortschrittlichen Organisationen und mit 1989 zu einem weitgehenden Einbruch linker studentischer Organisiertheit. Damit konnten Marktorientierung und kleinbürgerliche Politik der Beliebigkeit in der Hochschule durchgesetzt werden. In der VS trugen dazu maßgeblich die Realo-Grünen bei, die in Marktdevotion lediglich Linderung der Probleme versprachen, aber nicht einmal diese realisieren konnten (teuerstes Semesterticket der Republik). Inzwischen verwalten sie nur noch ihre Kleinstprojekte ("Kinderkiste", "Campusrad", "Sommernachtstraum" und "Semesterticket"), verwirklicht über die Umverteilung innerhalb der Studierendenschaft. Ihre letzte Energie bringen die Grünen noch für den Versuch auf, die VS zu entdemokratisieren und die letzten Überbleibsel aus fortschrittlicher studentischer Politik zu entsorgen. Diese Destruktion in der VS ist zu überwinden.
 

Rekonstruktion sozialistischer studentischer Politik
und mögliche Renaissance der oppositionellen Studierendenbewegung

Fortschrittliche studentische Interessenvertretung ist mit den Erfahrungen aus der Arbeiterbewegung und dem antifaschistischen Widerstand in neuer Qualität zu erarbeiten. Dabei ist vor allem das Verhältnis der Studierendenbewegung zu den wesentlichen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen zu bestimmen: Die Verfügung Aller über das gesellschaftliche Gesamt, über Produktion und Reproduktion, ist notwendig und möglich. Die 68er Forderung nach "Bildung für Alle" ist in neuer Qualität zu stellen: auf Grundlage des hohen Stands der Produktivkraftentwicklung und zur Lösung der gesellschaftlichen Probleme ist durchzusetzen, über den sozialen Inhalt von Arbeit bestimmen zu können, Einsicht in die gesellschaftlichen Verhältnisse und ihre Geschichte zu erlangen und somit die Verfügungserweiterung über die eigenen Angelegenheiten realisieren zu können. So ist "Arbeit für Alle" durchzusetzen, denn nur mittels der Verfügung über den gesellschaftlichen Produktionsprozeß ist die demokratische Integration in den sozialen Gesamtprozeß zu realisieren. Wissenschaftspolitik - als Einheit von Hochschulpolitik und Wissenschaftskritik - ist somit als Gesellschaftspolitik zu entwickeln.
Daran zu arbeiten, haben wir uns als Liste LINKS im Herbst 1993 aus der Linken Liste, der Offenen AusländerInnenliste und Fachschaftsaktiven konstituiert. Wir stehen in kritisch aneignender Weise in der Tradition der GO-Politik, insbesondere der des MSB Spartakus, und agieren in der VS und in der akademischen Selbstverwaltung: Im Studierendenparlament als dem zentralen Ort für öffentliche Diskussion über die Bestimmung studentischer Interessen und ihrer Durchsetzung; in Fachschaftsrätekonferenz und Fachschaftsräten zur Koordination und Rekonstruktion fortschrittlichen Agierens an Instituten und Fachbereichen; im AStA-AusländerInnenreferat zur Neufundierung internationaler Solidarität, radikaler Egalität und Vertretung der Interessen ausländischer KommilitonInnen; in Konzil und Akademischen Senat befördern wir die politische Kontroverse gegen Privatisierung, Kommerzialisierung und Marktausrichtung der Uni und streiten für humanistische Wissenschaftsinhalte in Bezug auf gesellschaftliche Veränderung. So ist die Liste LINKS ebenfalls in der außerparlamentarischen Opposition wirksam tätig - z. B. im Hamburger Forum für Völkerverständigung und weltweite Abrüstung (Hamburger Friedensbewegung) oder im Hamburger Bündnis gegen Rassismus und Faschismus.
Es geht - auf allen Arbeitsgebieten - in neuer Qualität um Qualifikation, Demokratisierung, humanistische Inhalte und kritischen Gesellschaftsbezug, als Bedingungen für die Rekonstruktion sozialistischer Perspektive und Praxis, die darauf zielt, die gesellschaftlichen Verhältnisse umzuwälzen, um die freie Entwicklung aller Menschen zu ermöglichen. Dafür ist die arbeitsteilige Kooperation aller fortschrittlichen Kräfte im Wissenschaftsbereich notwendig: Es besteht die Aufgabe, die gesellschaftliche Möglichkeit und Notwendigkeit umfassender Verwissenschaftlichung der individuellen Vergesellschaftung als Voraussetzung dafür aufzuzeigen, daß "die Köchin den Staat lenken kann". In diesem Sinne ist für die Verbesserung der materiellen Bedingungen von Hochschulen und der sozialen und kulturellen Bedingungen ihrer Mitglieder sowie für demokratischen Gesellschaftsbezug wissenschaftlicher Tätigkeit zu streiten. In Kritik an den gesellschaftlichen Grundverhältnissen sind die wissenschaftlichen Anforderungen zur Lösung globaler Probleme zu erarbeiten, und es ist für gleiche Rechte sowie demokratische Teilhabe Aller zu kämpfen. Daran müssen sowohl Radikaldemokraten als auch Kommunisten und Sozialdemokraten, in Tradition der GO-Politik stehend, ihre Weiterentwicklung und ihr kooperatives Wirken orientieren. Methode fortschrittlicher Politik ist demnach, sich die bestehenden Verhältnisse wissenschaftlich anzueignen und historisch zu erklären, Schlußfolgerungen zur Durchsetzung gesellschaftlichen Fortschritts zu ziehen und so - kollektiv und je individuell - fortschrittliche Forderungen in den wissenschaftlichen Institutionen der Zivilgesellschaft durchzusetzen.

Vorwärts und nicht vergessen!



Gleichheit ist Freiheit - der Hegemoniekampf gegen rechts
 

"So liegen also in der menschlichen Natur drei hauptsächliche Konfliktursachen: Erstens Konkurrenz, zweitens Mißtrauen, drittens Ruhmsucht."
(Thomas Hobbes: Leviathan)


Nach 1945 engagierten sich die Antifaschisten, die gegen den Faschismus für die demokratische Republik gekämpft hatten, für eine grundlegend friedliche und humanistische Gesellschaftsentwicklung. In der Folge legten die Siegermächte nach der militärischen Befreiung im Potsdamer Abkommen fest, daß Deutschland vollständig entmilitarisiert, die Nazi-Organisationen zerschlagen und die ökonomische Macht der Großbanken und -konzerne wesentlich eingeschränkt werden sollten. Weithin akzeptiertes Ziel war kurz nach '45, die Großkonzerne, die von Faschismus und Krieg profitiert hatten, aufzulösen, um Gleichheit, Bildung und Demokratie als umfassende Prinzipien gesellschaftlicher Entwicklung gegen Militarismus, Unterordnung und Verdummung durchzusetzen.
Aus dieser historischen Erfahrung heraus waren kapitalistische Konkurrenz, Ausbeutung und Entfremdung von 1945 bis 1989 durch die sozialistischen Staaten sowie die gesellschaftliche Opposition im Kapitalismus relativ gebändigt. "Konkurrenz", "Mißtrauen" und "Ruhmsucht" haben aber, seit das Kapital mit dem Wegfall der sozialistischen Staaten weitgehend ungehindert um den Erdball jagen kann, gesellschaftlich neue Bedeutung gewonnen und gelten gewissermaßen als menschliche Natur. So konnten mit der Schwächung fortschrittlicher Kräfte nach 1989 die extremen Rechten an die Zeit von Diktatur und Krieg anknüpfen, um das ungebändigte Wirken des Kapitals aggressiver gegen das kritische Wirken von links zu legitimieren. "Marktwirtschaft, Privateigentum, Unternehmerinitiative und Konkurrenzprinzip sind die Grundbausteine jeder funktionierenden Wirtschaftsordnung" (Die Republikaner, Schwerpunkte aus dem Wahlprogramm zur Landtagswahl in NRW 1990). Die kapitalistische Verwertungslogik soll nicht mehr nur in der ökonomischen Ausbeutung dominieren, sondern ihre Prinzipien sollen auf alle anderen gesellschaftlichen Bereiche übertragen werden. Wettbewerb, Privatisierung gesellschaftlicher Aufgaben und die umfassende Konkurrenz aller gegen alle werden als prinzipielle Voraussetzungen einer funktionierenden Gesellschaftsordnung propagiert, sie werden mit Macht als gesellschaftliche Normalität nahegelegt.
Die hoch entwickelten gesellschaftlichen Möglichkeiten können aber nur dann in Krieg, Armut und kulturelle Verdummung pervertiert werden, wenn die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen als herrschendes Interesse tagtäglich umgesetzt und die Unterordnung als einzige und ewige Freiheit untertänigst bejubelt wird. Die Funktion der Rechten ist dabei, zur Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung der Ausbeutungsverhältnisse den Antagonismus von Herrschenden und Beherrschten aufrechtzuerhalten und soziale Widersprüche als unüberwindbar in Gesinnung oder Gen der Menschen zu begründen. Die Konkurrenz wird den Subalternen kulturell als eigene Wolfsnatur suggeriert, damit sie sich über das eigene als verallgemeinerbares Interesse täuschen und sich - dem Druck von rechts beugend - gefügig der Ausbeutung anheimstellen. Um die herrschenden Verhältnisse zu konservieren, wird deren historische Genese verschleiert und somit deren prinzipielle Unveränderbarkeit behauptet. Wenn Martin Walser zur Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels 1998 für ein "Wegschauen" von Auschwitz plädiert und der kritischen Auseinandersetzung mit dem Faschismus und seinen Ursachen die Funktion der "Drohroutine" und der "Instrumentalisierung zu gegenwärtigen Zwecken" zuschreibt, erhält der Anti-Antifaschismus höhere Weihen. So wurde die neue Qualität imperialistischer Weltherrschaft nach '89 zur Normalität erklärt: Die ungehemmte Anwendung militärischer Gewalt zur unbeschränkten Kapitalherrschaft, wie im Nato-Angriffskrieg gegen Jugoslawien, wird legitimiert, indem geschichtsklitternd die Erfahrungen und Schlußfolgerungen aus Krieg und Nazidiktatur vergessen gemacht werden sollen.
Zur Hauptfunktion der Rechten gehört also, im Kampf um die Deutungsmacht sozialer Widersprüche das aufklärerische und auf gegenseitige Nützlichkeit Aller orientierte Wirken zu behindern. Jegliches fortschrittliche Agieren kann daher nur gegen die Herrschaft des Kapitals und in Kritik an der Unterordnung durchgesetzt werden.
Der entscheidende Unterschied zwischen der 'alten' und der 'modernen' Rechten besteht nun darin, daß die alte wesentlich die staatlich-autoritäre Diktatur anstrebt, während als modern gilt, die unmittelbar ökonomische Marktdiktatur als Ausleseprinzip auf Höhe der Zeit zu akzeptieren und die kulturell vermittelte Unterordnung des Individuums zur profitablen Verwertung grinsend zu bejahen: friß oder stirb! Den Untertanen als modernen Marktsubjekten wird in Leugnung sozialer Widersprüche und ihrer fortschrittlichen Entwicklungsmöglichkeit machtvoll nahegelegt, sich dem allgegenwärtig und direkt wirkenden stummen ökonomischen Zwang 'freiwillig' zu unterwerfen und diese Zumutungen brachial gegen andere für den scheinbar eigenen Vorteil zu wenden. Im Wilhelminismus beteten sie "Gott, Kaiser und Vaterland" an - höhere Instanzen, durch die das Wirken der Menschen auf das allgemein durchgesetzte Klasseninteresse der Bourgeoisie beschränkt werden sollte. Neoliberalismus bedeutet hingegen die unmittelbare Herrschaft des Kapitalverhältnisses als ökonomischen Verwertungszwang auf dem Markt und - vermittelt über die neoliberale Hegemonie - Sozialdarwinismus als ausschließliches Entwicklungsprinzip. Dadurch gewinnen die Hegemoniekämpfe in den Institutionen der Zivilgesellschaft um Menschenbild, Deutung sozialer Widersprüche, Zielrichtung gesellschaftlicher Entwicklung und Verfügung über die Quellen des gesellschaftlichen Reichtums an Bedeutung, ohne daß staatliche Zwangsmaßnahmen zur Aufrechterhaltung von "Ruhe und Ordnung" ihre prinzipielle Funktion verlören.
 

Der Hegemoniekampf in der Hamburger Verfaßten Studierendenschaft
 

"Denn Diederich war so beschaffen, daß [...] die Macht, die kalte Macht, an der er selbst, wenn auch nur leidend, teilhatte, sein Stolz war. Am Geburtstag des Ordinarius bekränzte man Katheder und Tafel. Diederich umwand sogar den Rohrstock."
"Jeder einzelne ein Nichts, steigen wir in gegliederten Massen als Neuteutonen, als Militär, Beamtentum, Kirche und Wissenschaft, als Wirtschaftsorganisation und Machtverbände kegelförmig hinan, bis dort oben, wo sie selbst steht, steinern und blitzend! Leben in ihr, haben teil an ihr, unerbittlich gegen die, die ihr ferner sind, und triumphierend, noch wenn sie uns zerschmettert: denn so rechtfertigt sie unsere Liebe!"
(Heinrich Mann: Der Untertan)


Unter der Hegemonie neoliberaler Politik besteht die Funktion rechter Gruppen in der studentischen Interessenvertretung, Akzeptanz zu schaffen für die Durchsetzung institutioneller Elitenbildung, subjektiver Verwertungsorientierung (Karriere) und Privatisierung sowie in der Behinderung einer gesellschaftlich oppositionellen studentischen Interessenvertretung durch Serviceorientierung und Marktmanagement.
In der studentischen Interessenvertretung der Universität Hamburg war seit Ende der 60er bis 1994 der rechte Rand durch den RCDS (Ring christlich-demokratischer Studenten, CDU) bestimmt, dessen Agieren durch die Hegemonie linker Organisationen marginalisiert war. 1994 konnte mit "Uni Aktiv" zum ersten Mal eine Liste ins Studierendenparlament gelangen, in der sich Bundeswehrreservisten und Mitglieder der rechtsextremen Hamburger Burschenschaft "Germania" organisierten. Ihre Nachfolgelisten sind "Pro Universitate" und "Veritas - Karriere geht vor", denen sich ein reaktionär orientierter RCDS angenähert hat. Sie wollen die Hochschule als Dienstleistungsunternehmen für die Privatwirtschaft und die Verfaßte Studierendenschaft als Karrierezentrum für die künftige Elite, wobei sie durch die von Rechts-Grünen im AStA praktizierte Entpolitisierung und neoliberale Akzeptanzpolitik befördert werden. Die Rechten propagieren brutal und bierselig dumm die Devotion vor der "Macht" ungehinderter Kapitalverwertung. Dabei trommelt "Pro Universitate" traditionell rechts für "persönliche Leistungs- und Opferbereitschaft" und "Orrrdnung". Dort wird gegen fortschrittliche Interessenvertretung gegeifert: Sie solidarisiere sich mit "Terroristen, ruft dazu auf, sich an Arbeiterdemonstrationen zu beteiligen und verunglimpft Kommilitonen, die ihren Wehrdienst abgeleistet haben!" Der RCDS geht bäuerlich-konservativ gegen Verstand und Kritik vor ("Null Bock auf Links") und ist gleichzeitig 'modern' für jegliche neoliberale Umstrukturierungsmaßnahme ("Im Gegensatz zu den Linken wünschen wir uns noch mehr Unterstützung von privater Seite für unsere Hochschule"). "Veritas" vertritt den Kapitalstandpunkt nicht weniger aggressiv, aber mehr auf Höhe der Zeit, indem die Verteidigung grün-liberaler AStA-Entdemokratisierungspolitik gegen die Kritik von links verbunden wird mit Forderungen nach kultureller Marktdevotion durch Eliten- und Karriereförderung ("offensives Hochschul-Marketing", "Recruitingmessen", "öffentliche Abschlußverleihungen"). Zwar können die Rechten aufgrund der Zusammenarbeit der linken Gruppierungen keine Mehrheiten realisieren, jedoch haben sie Einfluß gewonnen, weil die grün-liberale AStA-Koalition ihnen nachgibt und teils mit ihnen - gegen links - zusammenarbeitet.
Für fortschrittlich orientierte Gegenkräfte besteht die Entscheidung, sich der Kontroverse gegen rechts prinzipiell und in allen Bereichen zu stellen: im Bewußtsein und in Kenntnis der historischen Dimension des Widerstreitens zwischen links und rechts zu agieren und sich dem Druck des gesellschaftlichen Hegemons zu stellen, indem man sich in qualifizierender Kooperation mit anderen Antifaschisten für gesellschaftliche Veränderung entfaltet. "Linke", die nicht gegen rechts vorgehen, beugen sich der rechten Hegemonie durch Ausbeutungswillfährigkeit - und verfallen.
 

Die Pervertierung der Aufklärung

Rechte Wissenschaftspolitik zielt einzig auf die Zurichtung wissenschaftlicher Tätigkeit auf die unmittelbaren Renditezwecke sowie die Aufrechterhaltung der bestehenden Herrschaftsverhältnisse. Der Mensch wird als machtloses Geschöpf gedeutet, das sich den 'natürlichen' Marktkräften und heroischen Führern zu beugen habe. Mit der verstärkten Marktdominanz werden zunehmend rechte Ideologeme zur 'Erklärung' sozialer Probleme auch in den Wissenschaften herangezogen. Die Aufklärung wird pervertiert, indem verstandesgemäße Analyse, Kritik und Erkenntnis zur gesellschaftsverändernden Entfaltung durch geschichtsklitternde Mythenbildung nivelliert werden, wie bei der Auseinandersetzung um die 1995 eröffnete Wanderausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944".
Absicht war, die Legende von der "sauberen Wehrmacht" zu zerstören. Deren Krieg im Osten zwischen 1941 und '44 wurde mit eindrucksvollen Dokumenten als ein geplanter und organisierter Vernichtungskrieg dargestellt, als ein Eroberungsfeldzug, bei dem die Zivilbevölkerung, vor allem die jüdische sowie sowjetische Kriegsgefangene, systematisch ermordet wurden und bei dem alle Ränge innerhalb der Wehrmacht funktional beteiligt waren. Die Brisanz der Ausstellung bestand darin, daß durch ihre Rezeption unweigerlich Parallelen in der deutschen Geschichte entstanden, da beim NATO-Angriffskrieg auf Jugoslawien, an dem die BRD beteiligt war, dieselben Orte bombardiert wurden, die schon im Zweiten Weltkrieg Kriegsschauplatz waren und von der Wehrmacht erobert wurden. Außerdem wurde in Verbindung von Bild- und Textdokumenten die Frage nach der subjektiven Verantwortung für Zerstörung oder Humanität aufgeworfen, so daß die weltanschaulichen Grundauffassungen und handlungsleitenden Motivationen für das organisierte Verbrechen deutlich wurden.
Gegen die Ausstellung marschierten Nazis ("Der Soldaten Ehre ist auch unsere Ehre! Verteidigen wir sie!"), um die Verbrechen des Faschismus zu relativieren und den Militarismus zu forcieren. Dem folgten teilweise auch konservative und liberale "Historiker" und attackierten die Ausstellung. Ihr Hauptargument war, daß in der Ausstellung unzulässigerweise alle Wehrmachtssoldaten als Verbrecher hingestellt würden, so daß ein "einseitiges bis falsches Bild Deutschlands" im Ausland (Möller) vermittelt werde. Gerade das verharmlost aber die barbarische Planung und Gesamtfunktion der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg und verschleiert historische Zusammenhänge, gesellschaftliche Ursachen und weltanschaulich-subjektive Handlungsgründe.
Die Ausstellungsmacher reflektierten nicht die politischen Folgen ihrer aufklärerischen Absicht, sondern gaben im Oktober 1999 den heftigen Attacken von rechts nach, obwohl antifaschistische Kräfte sich mit außerparlamentarischen Aktionen gegen diese Verharmlosung von Faschismus und Krieg wandten. Sie versuchten, sich "wissenschaftlich neutral" zu verhalten und zogen die Ausstellung - "zur Überarbeitung" - zurück, statt den kritischen Aktualitätsbezug gegen die Mystifizierungen von rechter Seite herzustellen und politische Schlußfolgerungen aus der Beschäftigung mit der Geschichte zu ziehen, um Frieden und Abrüstung, soziale Gleichheit und Demokratie umfassend zu realisieren.
 

Zivilisation statt Barbarei!
 
 

"Verstand ich den Vorgang recht, so unterlag dieser Herr der Negativität seiner Kampfposition. Wahrscheinlich kann man vom Nichtwollen seelisch nicht leben; eine Sache nicht tun wollen, das ist auf die Dauer kein Lebensinhalt."
(Thomas Mann: Mario und der Zauberer, 1930)


Je barbarischer und dekadenter die herrschenden Verhältnisse werden, je mehr also eine zum Kapitalismus alternative, höhere Gesellschaftsformation auf der historischen Tagesordnung steht, desto biestiger wird das Gang und Gäbe von Rechten verteidigt.
Um durchzusetzen, daß Krieg, Armut und kulturelle Verdummung prinzipiell überwunden werden, ist unhintergehbar, daß die Subjekte fortschrittlicher politischer Tradierungen in der bürgerlichen Gesellschaft - Reformkräfte, fortschrittliche Humanisten und Revolutionäre - im Bewußtsein der historischen Dimension der Kontrahenz zwischen links und rechts enger kooperieren. Dazu ist die je eigenständige Entwicklung einer kapitalismusüberschreitenden Gesellschaftsperspektive und die wissenschaftliche Qualifizierung hin auf gemeinsames kämpferisch-aufklärerisches Wirken zwingend. Nur so kann reale Veränderung gegen anti-aufklärerische, anti-egalitäre und anti-humanistische Deutungen und Kräfte erreicht und die volle und umfassende Entfaltung und Verfügung Aller erkämpft werden. Wenn Ausbeutung brutalisiert und Verdummung vulgarisiert werden, müssen sich die Linken durch Qualifikation und Kooperation radikalisieren, um im Hegemoniekampf gegen rechts umfassend Gleichheit, Frieden, internationale Solidarität und Bildung durchzusetzen.



Für Frieden und internationale Entwicklung
 

"Der Krieg wird nicht unnötig
Wenn er nicht geführt wird
Sondern nur, wenn er unnötig ist
Braucht er nicht geführt zu werden."
(Bertolt Brecht: Richtigstellung)


Mit der ersten kollektiven "Krisenintervention" der NATO in Jugoslawien unter deutscher Beteiligung wurde ein neuer Maßstab für internationale Verhältnisse geschaffen, die herrschaftsgefährdende Entwicklung von Konflikten soll militärisch unterbunden werden. Wer gegnerisches Ziel von Kriegsführung ist, haben die USA in ihrer 1998 verabschiedeten Doktrin "Neue Strategie für ein neues Jahrhundert" festgelegt: "Schurkenstaaten", nämlich diejenigen, die sich nicht öffnen für repräsentative Demokratie und Marktwirtschaft im westlichen Sinne - auch die ehemaligen sozialistischen Staaten sollen sich für Markt und Kapital verfügbar machen. Mit dem Ende der Systemauseinandersetzung wurde die internationale "Regulierung" von Konflikten durch entfesselte Unterwerfungspolitik ersetzt. Der erste Angriffskrieg der NATO ist ein historisch neuer Schritt zur weiteren Durchsetzung und Sicherung der "neuen Weltordnung" und zur Brutalisierung der internationalen Unterwerfung unter die Konkurrenzbedingungen globaler Verwertungsverhältnisse.
Nach diesem Krieg resümiert die NATO, "effizientere" Mittel zu brauchen, auch ohne demokratischen "Ballast" zügig eingreifen zu können, um die "Schurken" zu bekämpfen. Und eingreifen will sie auf jeden Fall, " [...] ich weiß nur noch nicht, wann und wo." (Naumann). Und eingreifen wird sie, da Entwicklungsunterschiede - eine der wesentlichen Konfliktursachen - nach wie vor notwendiger Bestandteil des internationalen Kapitalismus sind. Soziale Ungleichheit ist nicht "gottgewollt" oder "natürlich", sondern Ergebnis von brachialer Konkurrenz um Marktanteile und Profit. Rüstung und Krieg sind der brutalste Ausdruck von Konkurrenz und das entscheidende Hindernis für eine fortschrittliche und humanistische Entwicklung.
Um gegen dieses Hindernis zu wirken, ist die Auseinandersetzung mit der Geschichte und den sozialen Kämpfen um gesellschaftliche Entwicklung notwendig. Die brutale Niederschlagung von Widerstand soll die Überwindung der Verhältnisse verhindern und dient der Aufrechterhaltung sozialer Ungleichheit. Nur in Auseinandersetzung mit den Ursachen von gesellschaftlichen Widersprüchen und der Wirkung von geführten Klassenauseinandersetzungen wird Geschichte nicht zum Zufallsprodukt erklärt, sondern deutlich, daß sie immer ein Ergebnis von Klassenkämpfen ist, aus deren Erfolgen und Niederlagen für fortschrittliche Kräfte historische Erfahrungen abgeleitet wurden, die immer wieder handlungsrelevant sind.
 

Historische Entwicklung internationaler Arbeitsteilung und Ausbeutung

Die aktuelle internationale soziale Ungleichheit ist Resultat menschlicher Geschichte als Entwicklung sozialer Grundwidersprüche. Entscheidende Schritte gesellschaftlicher Entwicklung wurden mit Kolonialisierung, Industrialisierung sowie der Bildung von Monopolen und den daraus resultierenden Auseinandersetzungen zwischen Herrschenden und Ausgebeuteten erreicht. Besonders im Kapitalismus sind die Herrschenden gezwungen, zur Steigerung ihrer Profite mehr Ausbeutung durch die Revolutionierung der Produktionsmittel zu realisieren und Krieg zur Sicherung des "freien Zugangs zu Rohstoffen und Märkten" zu führen: "Die Kapitalisten reden vom Frieden, um den Krieg führen zu können. [...] Die Kapitalisten wünschen nur zum Teil den Krieg, aber alle die kriegerische Wirtschaft, und sie wollen Krieg führen gegen die unkriegerische Wirtschaft" (Bertolt Brecht: Die fünf Hauptlügen).
Der so entstandene Widerspruch zwischen rasanter wissenschaftlich-technischer Entwicklung und Produktivität einerseits und der dynamisierten Ausbeutung andererseits ist die materielle und objektive Grundlage für subjektiven Widerstand gegen privaten Besitz an Produktionsmitteln sowie die private Aneignung von Profiten und somit für die Schaffung einer klassenlosen Gesellschaft. Um gesellschaftliche Ungleichheit zu legitimieren und aufrecht zu erhalten sowie wissenschaftlich-technische Entwicklung voranzutreiben, waren wissenschaftliche Erkenntnisse und die Auseinandersetzung um ihre Deutung - zur Legitimation und Verschleierung herrschender Verhältnisse oder zur Aufklärung für eine humanistische Gesellschaftsentwicklung - notwendig. Für den ersten Schritt zur internationalen Arbeitsteilung mußte die Ständegesellschaft überwunden und die bürgerliche Gesellschaft herausgebildet werden. Das Handelsbürgertum eignete sich fremdes Mehrprodukt räuberisch für den internationalen Handel an. Durch die Kolonialisierung wurde eine internationale "Arbeitsteilung" manifestiert, da für die Schaffung von zusätzlichem Mehrprodukt für das Handelsbürgertum einerseits billige Rohstoffe und Sklaven, andererseits Absatzmärkte notwendig waren. Diese Akkumulation von gesellschaftlichem Reichtum war die notwendige Voraussetzung für die Schaffung der materiellen Grundlagen der Industrialisierung.
Die Bourgeoisie bildete sich als Vertreter des gesellschaftlichen Allgemeininteresses an der Ablösung des Feudaladels als herrschender Klasse heraus. Es hat gemeinsam mit den anderen subalternen Ständen und der Orientierung "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" für die Abschaffung feudaler Privilegien und formale Gleichheit aller gewirkt: "Mit einem Wort: wir wollen den Willen der Natur erfüllen, das Schicksal der Menschheit vollenden, das Versprechen der Philosophie halten und die Vorsehung von der langen Herrschaft des Verbrechens und der Tyrannei lossprechen ... und während wir unser Werk mit unserem Blut besiegeln, können wir zumindest die Morgenröte des universellen Glücks erstrahlen sehen" (Robespierre: Über die Grundsätze der politischen Moral, die den Konvent leiten sollen).
Für die "Erschließung" neuer Märkte und Handelswege war die rationale Überwindung der religiösen Weltaneignung notwendig. Aus der "Entdeckung" und Eroberung anderer Weltteile und Völker entstanden notwendigerweise Wissenschaften zur Erklärung anderer Kulturen, wie Ethnologie, Anthropologie und Sprachwissenschaften.

Aus der kapitalistischen Produktion der Fabriken wuchs der Bedarf nach neuen Rohstoffen, Absatzmärkten und Arbeitskräften sowie die Notwendigkeit der weiteren ständigen Revolutionierung von Produktionsmitteln, um in der kapitalistischen Konkurrenz bestehen zu können: "Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz für ihr Produkte jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel. Überall muß sie sich einnisten, überall anbauen, überall Verbindungen herstellen." (K. Marx / F. Engels: "Manifest der Kommunistischen Partei", MEW 4, S. 465).
Durch die Herausbildung der industriellen Produktion konstituierte sich die Fabrikarbeiterschaft zur Klasse, da mit der Industrialisierung die Bauern - von feudaler Abhängigkeit befreit - zu doppelt freien Lohnarbeitern, die lediglich ihre Ware Arbeitskraft verkaufen können, wurden.
Die industrielle Massenproduktion und immer komplexere Arbeitsprozesse machten eine höhere Qualifizierung der Arbeitenden notwendig, was zur Erkämpfung der Schulpflicht und des allgemeinen Hochschulwesens führte. Nur so konnte das Ersetzen menschlicher Muskelkraft durch Dampfkraft sowie Mechanisierung der Produktion erreicht werden.

Mit dem Abschluß der grundlegenden Industrialisierung hat die Bourgeoisie ihre "historische Mission" erfüll,.weil sie die materielle Grundlage für eine klassenlose Gesellschaft geschaffen und damit die Arbeiterklasse als historisches Subjekt der gesellschaftlichen Entwicklung herausgebildet wurde. Wegen der Aufrechterhaltung herrschender Verhältnisse wurden Finanzkapital und Finanzexport herausgebildet, da Profite nicht mehr voll reinvestiert, sondern für Spekulationen dienten: "1. Konzentration der Produktion und des Kapitals, die eine so hohe Entwicklungsstufe erreicht hat, daß sie Monopole schafft, die im Wirtschaftsleben die entscheidende Rolle spielen; 2. Verschmelzung des Bankkapitals mit dem Industriekapital und Entstehung einer Finanzoligarchie auf der Basis dieses "Finanzkapitals"; 3. der Kapitalexport, zum Unterschied vom Warenexport, gewinnt besonders wichtige Bedeutung; 4. es bilden sich internationale monopolistische Kapitalistenverbände, die die Welt unter sich teilen, und 5. die territoriale Aufteilung der Erde unter die kapitalistischen Großmächte [...]." (W.I. Lenin: Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus1916). Zur Sicherung von Kapitalinteressen mußte internationale Unterwerfung in neuer Qualität erzwungen werden. Dafür sollte mit dem 1. Weltkrieg als erstem internationalen Krieg mit Massenvernichtungswaffen die Welt unter den imperialistischen Zentren neu aufgeteilt werden.
In der internationalen Monopolbildung ist ein so hoher Grad an Vergesellschaftung angelegt, daß prinzipiell internationale Regulierung von Produktion sowie demokratische Verfügung über den Produktionsprozeß möglich wurden. Das Verhältnis von Wissenschaft und Industrie wurde institutionalisiert. So wurde hin auf die Erfordernisse der Produktion geforscht und Forschungsergebnisse konnten direkt umgesetzt werden. Jedoch eignete sich das Bürgertum nach wie vor die Produkte der freien Lohnarbeit privat an, womit soziale Ungleichheit als Ausdruck des Klassenantagonismus von Kapital und Arbeit zugespitzt wurde. Aus der Erkenntnis dieses Widerspruchs heraus wurde in Rußland Widerstand gegen kapitalistische Verhältnisse, für Frieden, soziale Gleichheit und demokratische Verfügung über die Produktionsmittel entwickelt. Durch die Oktoberrevolution wurde die erste sozialistische Gesellschaft erkämpft.
Anders als in Rußland konnte die internationale Solidarisierung der Arbeiterschaft zur Überwindung kapitalistischer Verhältnisse in den hochindustrialisierten Ländern nicht durchgesetzt werden. Die brachialste Form zur Verhinderung des Sozialismus wurde die Verflechtung von Kapital und Diktatur in Deutschland mit der Durchsetzung des Faschismus als nach innen terroristische und nach außen militaristische Kapitalherrschaft. Mit der Zerschlagung der gesellschaftlichen Opposition und der umfassenden Militarisierung der Gesellschaft wurde der Zweite Weltkrieg, der faschistische Raubzug zur Durchsetzung der weltweiten Vorherrschaft des deutschen Kapitals, vorbereitet. Mit der Mystik von der "Blutsgemeinschaft" und dem "Herrenmenschentum" wurde die Unterordnung unter den "totalen Krieg" erzwungen.

Die Bildung einer internationalen antifaschistischen Allianz war die Voraussetzung für den Sieg über den Faschismus und die Beendigung des Zweiten. Weltkrieges. Nach dieser historischen Zäsur konnten sozialistische Staaten erkämpft werden und sich zu einem Staatenbund assoziieren, der als staatlich organisierte Gegenbewegung zum Kapitalismus die fortschrittliche Option darstellte. Dadurch fanden auch Widerstandsbewegungen gegen die kapitalistische Ausbeutung und koloniale Unterdrückung in anderen Ländern solidarische Unterstützung. Auch in den kapitalistischen Hauptländern konnten dadurch dem Kapital zur Verbesserung der allgemeinen Lebensbedingungen Zugeständnisse abgerungen werden.
 

Internationale Entwicklung und Solidarität!

Die materiellen Voraussetzungen für die soziale Gleichheit aller Menschen sind vorhanden, der Stand der Produktivkraftentwicklung und des immensen gesellschaftlichen Reichtums ermöglichen die fortschrittliche Aufhebung der "heroischen Illusion" von 1789. Dies wird allerdings durch die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse behindert, und die Produktivkräfte schlagen auf Grund des herrschenden Profitprinzips in Destruktivkräfte um. Die Anforderung an fortschrittliche Politik besteht darin, industrielle Produktion auf höchstem wissenschaftlich-technischem und sozialem Niveau sowie demokratische Verfügung aller über die Produktion weltweit für gleiche Entwicklungsmöglichkeiten durchzusetzen. Erst wenn das soziale Konkurrenzprinzip überwunden ist, wird Kriegführung unnötig.
Als Lehre aus zwei Weltkriegen und Faschismus wurde 1948 die UN-Menschenrechtsdeklaration verabschiedet, die als Reaktion auf die Barbarisierung die Rechte und Grundfreiheiten "aller Mitglieder der menschlichen Familie" festschreiben sollte. Doch nach mehr als fünfzig Jahren Menschenrechtsdeklaration sind Eroberungskriege und Ausbeutung nach wie vor herrschende Politik, weshalb die Mehrheit der Menschen weit davon entfernt ist, Verfügung über ihr eigenes gesellschaftliches Leben zu haben. Propagiert wird von herrschender Seite hingegen, daß ein höheres Maß an Freiheit die Verfügung über Privatbesitz sei, der mit allen Mitteln verteidigt werden müsse, was der Legitimation dafür dient, daß soziale Krisengebiete zu Kriegsgebieten erklärt werden, wo nur militärisch "Ordnung" geschaffen werden könne.
Erst mit der Einstellung jeglicher Militärforschung und der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den Gründen weltweiter Entwicklungsunterschiede werden die sozialen Bedingungen der Mehrheit der Menschen als veränderbare erkennbar und die gesellschaftliche Entwicklung hin zur Zivilisation möglich. Die fortschrittlichen Kräfte in der Bundesrepublik müssen sich für die Abschaffung der Bundeswehr und den Stop von Auslandseinsätzen, Rüstungsproduktion und Waffenhandel einsetzen und dafür wirken, alle in Rüstung eingebundenen Kräfte gesellschaftlich nützlich (Bildung, Gesundheit und Kultur) umzuwandeln. Weiter ist die Vergesellschaftung der multinationalen Rüstungskonzerne wesentlich für eine humanistische Entwicklung. Um die Ursachen von Migration und nicht ihre Erscheinung zu bekämpfen, ist weltweit der Zugang aller zu Arbeit, Bildung, Gesundheitsvorsorge und Kultur durchzusetzen. Dem entgegen formuliert die Kapitalseite ihre gemeinsamen Interessen und versucht sich an deren Durchsetzung: Nach dem Scheitern der Verhandlungen über das MAI (Multilateral Agreement on Investment) soll nun in der "Milleniums-Runde", deren Auftakt unter bürgerkriegsähnlichen Bedingungen in Seattle stattfand, festgeschrieben werden, daß das Kapital weltweit ungehindert der Profitmaximierung bis hin zur Patentierung und Vermarktung von genetischen Informationen frönen kann, ohne daß ein Minimum der Realisierung an Allgemeinwohl erkennbar ist. Prinzipiell gilt, daß sich die armen Länder solchen Runden sowie IWF und Weltbank unterzuordnen haben. Dem entgegen ist Arbeit, Bildung und demokratische Verfügung über die eigenen Lebensbedingungen weltweit durchzusetzen. Um die allgemeine Entwicklung hin zur gesellschaftlichen Gleichheit aller Menschen realisieren zu können, ist internationale Organisiertheit und Solidarität aller fortschrittlichen Kräfte notwendig. Gemeinsame Interessen sind zu formulieren und Möglichkeiten für ihre Durchsetzung zu entwickeln. Das sind die Voraussetzungen für die solidarische Zusammenarbeit zur Überwindung der weltweiten Barbarei.
 

"Was am Ausgange dieses Krieges stehen muß und wird, ist klar. Es ist der Beginn einer Weltvereinigung; die Schaffung eines neuen Gleichgewichts von Freiheit und Gleichheit; die Wahrung der individuellen Werte im Rahmen der Forderungen des kollektiven Lebens; der Abbau der nationalen Staatssouveränität und die Errichtung einer Gesellschaft freier, aber der Gesamtheit verantwortlicher Völker mit gleichen Rechten und gleichen Pflichten."
(Thomas Mann: Deutsche Hörer! November 1940)


Diese Welt muß unser sein!



Für die Gleichheit aller Menschen
 

"... alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist."
(Karl Marx, Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, MEW 1, S. 385)


In dem Zusammenhang, durch den zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit in größerem Umfang ein gesellschaftliches Mehrprodukt durch Ackerbau und Viehzucht geschaffen wurde, gewann, mittels besonderer Aneignung des Mehrproduktes, die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung an sozialer Bedeutung. Der Mann realisierte über die Verfügung an der gesellschaftlichen Produktion eine einflußreichere soziale Position als die Frau. Der biologisch-kulturelle Unterschied zwischen Mann und Frau wurde zu einem umfassend sozialen, der mit dem Ursprung der Klassengesellschaft zusammenfällt: "Der erste Klassengegensatz, der in der Geschichte auftritt, fällt zusammen mit der Entwicklung des Antagonismus von Mann und Weib in der Einzelehe, und die erste Klassenunterdrückung mit der des weiblichen Geschlechts durch das männliche." (Friedrich Engels, Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats, MEW 21). Die soziale Entwicklung des Menschen "aus der Natur heraus" und das Überwinden der unmittelbaren Existenzsicherung hin zur Arbeitsteilung, brachte gleichzeitig die spezifische Benachteiligung von Frauen in den allgemeinen Ausbeutungsverhältnissen hervor.
Unter diesen historisch herausgebildeten Voraussetzungen ist die gesellschaftliche Benachteiligung von Frauen im gegenwärtigen Kapitalismus zu betrachten. Die spezifische Einschränkung von Frauen in Klassengesellschaften wird - wie alle aus überwundenen sozialen Formationen tradierten antiegalitären Momente gesellschaftlicher Praxis im Kapitalismus mitgeschleppt.
Letztendlich beruhen alle Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse auf dem Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung des Mehrprodukts. Eine Minderheit verfügt privat über die Hervorbringungen und Ergebnisse der gesellschaftlichen Arbeit und somit auch über die Quellen menschlichen Reichtums sowie über die allgemeine Bedürfnisbefriedigung und beherrscht damit wesentlich den inhaltlichen Verlauf gesellschaftlicher Prozesse. Die relative Einflußlosigkeit der Mehrheit der Menschen läßt sich von daher nur durch die vollständige Überwindung der Ungleichheit und also die Überwindung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen beseitigen, was durch kämpferische Weltaneignung zur Verfügungserweiterung aller Subjekte, gleich welchen Geschlechts, zu erreichen ist.
 

Die bürgerliche Kleinfamilie

Mit der Durchsetzung des Kapitalismus wurde die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und Vergesellschaftung, die gesellschaftlich funktionale Trennung zwischen Produktion und Reproduktion (Erwerbsarbeit und Hausarbeit), d. h. die Trennung von Öffentlichkeit und Privatheit, in neuer Qualität hervorgebracht. Vermittelt über die bourgeoise Ehe und Familie, in der die Frau dem Haushalt vorstand und der Mann seinen Handels- und Industriegeschäften nachging, wurde diese Trennung mit Erhöhung des gesellschaftlichen Entwicklungsstandes auch für das Kleinbürgertum und Proletariat relevant und in der bürgerlichen Kleinfamilie gesellschaftlich verallgemeinert.
Die Funktionalität der so vergesellschafteten Trennung zwischen Produktion und Reproduktion besteht für das Kapital darin, daß der größte Teil des Wiederherstellungsaufwandes für die Ware Arbeitskraft privat und individualisiert geleistet wird. Immer weniger Reproduktionserfordernisse werden zudem im Zuge der Durchkapitalisierung aller sozialer Bereiche staatlich organisiert und finanziert und immer mehr gesellschaftlich relevante Aufgaben müssen als private Dienstleistungen erbracht oder gekauft werden.
Die Spaltung rechnet sich, solange gesellschaftliche Reproduktionsaufgaben (Socken waschen, Graupensuppe kochen, Puschen hinstellen, Kinder dressieren, Alte krank- und Kranke totpflegen und dabei "harmonisierend" und "ausgleichend" wirken) privat geleistet werden.
Desweiteren ist die bürgerliche Privatheit entscheidend für die Entfremdungskompensation, über welche das Einverständnis mit den Grundverhältnissen immer wieder hergestellt wird. Im Privatbereich sollen alle Sorgen des Alltags vergessen werden können und ein Stück "irdischen Glücks" herbeigesäuselt werden, fern von Anforderungen und Konflikten des "harten Tages". Hier liegt die Zuständigkeit für das "Ausgleichende" und "Zwischenmenschliche" - egal, von wem auch wie übernommen -, wobei damit lediglich im "Privatbereich" die Folgen von Entfremdung und ausschaltender Konkurrenz ausgeglichen und besänftigt werden sollen, auf daß die verfügungsarm entfremdeten Menschen morgens frisch und gut gelaunt zum Verkauf ihrer Ware Arbeitskraft kommen. Die Privatheit erscheint so als das eigentliche "Reich der Freiheit", in welchem vollständige individuelle Entfaltung durch privatistische Bedürfnisbefriedigung im bloßen sozialen Nahraum auch innerhalb der kapitalistischen Beschränkungen erlangt werden könne, ohne sich mit den herrschenden Bedingungen kritisch auseinandersetzen zu müssen. Somit fungieren Ehe und Familie - ob "klassisch" oder "modern" - als entscheidender Ort zur notwendigen Reproduktion der Ware Arbeitskraft. Hinzu kommt, daß (potentielle) Lohnabhängige, die als Hausfrauen oder -männer aus dem Produktionsprozeß ausgeschlossen bzw. in prekären Arbeitsverhältnissen beschäftigt sind, eine "Reservearmee" für den Arbeitsmarkt bilden. Die Subalternen können durch die so beförderte Konkurrenz bestens gegeneinander ausgespielt werden.
Diese Art und Weise der Vergesellschaftung widerspricht der bewußten Realisierung eigener sozialer Interessen, wird aber den Menschen in den Institutionen Ehe und Familie nahegelegt und als quasi "natürlich" vermittelt. Dies dient dem Zweck, Einsicht in die Notwendigkeit von Verfügungserweiterung zu verhindern.
 

Der Anachronismus herrschender Verhältnisse

In den hochentwickelten kapitalistischen Ländern wird im Zuge der wissenschaftlich-technischen Entwicklung diese kulturelle Trennung von Produktion und Reproduktion zunehmend anachronistisch. Obwohl die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung aufgrund der Produktivkraftyentwicklung zunehmend dysfunktional wird, hält das Kapital sie aufrecht. Die Herrschenden selbst geraten in den Widerspruch, daß die Anpassung sämtlicher Bereiche menschlichen Lebens an die Verwertungsbedingungen auf hohem Niveau (Qualifikation, "Flexibilität", "deregulierte" Arbeitsbedingungen, "Mobilität") den tradierten Familien- und Beziehungsstrukturen entgegenstehen. Obwohl die üblichen Familienverhältnisse so zunehmend auch im Kapitalismus in Frage gestellt sind, soll das Grundprinzip der privaten Reproduktion in zwar modifizierter und modernisierter Form ("Singletum", "living apart together", "Homoehe"...), aber dennoch als privatistische und individuelle Bezugnahme, aufrechterhalten werden, um die gesellschaftlichen Grundverhältnisse durch den kompensatorischen Inhalt der sozialen Bezugnahme abzusichern.
 

...und die notwendig kritische Überschreitung feministischer Politik

Zu Beginn des Jahrhunderts erkämpften bürgerliche und proletarische Frauenbewegung auf der Grundlage weitgehend gemeinsamer Anliegen bei unterschiedlichen Grundpositionen wesentliche Verbesserungen für die Situation von Frauen wie den Hochschulzugang (1899), das Wahlrecht (1918) oder die Liberalisierung des § 218 in der Weimarer Republik. Dieser gemeinsame Kampf setzte sich nach der Befreiung vom Faschismus in der Frauenfriedensbewegung und den Auseinandersetzungen der siebziger Jahre um gleichen Lohn für gleiche Arbeit, die Reform des Familienrechts und die Abschaffung des § 218 fort. Auf heutigem gesellschaftlichen Entwicklungsniveau ist die formale Gleichberechtigung von Männern und Frauen realisiert und die Durchsetzung umfassender gesellschaftlicher Gleichheit aller Menschen steht auf der Tagesordnung.
Auffallend ist, daß sich beim Problem der geschlechtsspezifischen Benachteiligung die Positionen aller politischen "Lager" nur in Nuancen unterscheiden, die feministischen bzw. frauenpolitischen Ansätze den anstehenden Aufgaben nicht gerecht werden, sondern teilweise spontan und unbewußt, teilweise aber auch bedacht politisch gewollt die bestehenden Verhältnisse reproduzieren. Frauenunterdrückung wird zum globalen Problem deklariert (ähnlich wie beim Thema Ökologie), welches von allen MenschInnen "guten Willens" gemeinsam gelöst werden müsse, wobei die sozialen Widersprüche im Kapitalismus unberücksichtigt bleiben oder vernebelt werden.
Die neueste Stufe affirmativer Integration feministischer "Politik" in die bürgerliche Gesellschaft ist durch den Karrierefeminismus erreicht:
"Fast unbemerkt hat sich so in Deutschland eine neue Frauenbewegung in Gang gesetzt. Sie demonstriert nicht lautstark auf den Straßen, sondern steigt in die Führungsetagen der Unternehmen auf. Sie ist nicht mit feministischen Politikfibeln munitioniert, sondern mit Karriereratgebern." ("Fordert, was ihr kriegen könnt"", "SPIEGEL" 47/1999).
Wenn diese Aussage die gesellschaftliche Realität auch schönt, so wird doch deutlich: Die Emanzipationsbewegung gegen die spezifischen Einschränkungen von Frauen mündet im kapitalistischen Erwerbsleben - möglichst als dynamische Jungunternehmerin.
In den 70er und auch noch den 80er Jahren waren Frauenpolitik und feministische Politik verbunden mit Friedenspolitik, Ökologiepolitik sowie Arbeitskämpfen.
Als Bestandteil fortschrittlicher Politik und eigenständige außerparlamentarische Bewegung sind die Kritik an sozialen Machtstrukturen, die Forderungen nach Abschaffung des § 218, nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit, Protest gegen die Atomkraftwerke, das Engagement für Abrüstung, die Entwicklung von kritischen Wissenschaftsinhalten wesentliche Momente der auf freie Entfaltung, über die gegebenen sozialen Verhältnisse hinaus, gerichteten emanzipatorischen Politik gewesen.
"Moderner" Feminismus hingegen ist voll im Kapitalismus angekommen. "Von den Männern lernen, heißt siegen lernen" ist die neue Devise, welche auch von Alice Schwarzer vertreten wird. Frauenbünde, Karriereratgeber(innen) und die affirmative Integration in Konkurrenz-, Entfremdungs- und Ausbeutungsverhältnisse sind die Folge, ungeachtet des möglichen historischen Bewußtseins der Erfolge und Grenzen kritischen Engagements außerparlamentarischer Bewegungen und fortschrittlich organisierten Handelns. Um diese politischen und kulturellen Erfahrungen perspektivisch aufzuheben, ist die Neufundierung egalitären Engagements zur umfasssenden Realisierung allgemeiner gleicher Lebensbedingungen erforderlich.
Zur Entwicklung fortschrittlicher Politik ist deshalb anzustreben, daß ein höherer Grad gesamtgesellschaftlicher Demokratisierung die Reduzierung spezifischer Benachteiligung in einzelnen gesellschaftlichen Bereichen beinhaltet und so gleiche Möglichkeitsbedingungen für alle Menschen durchgesetzt werden können.
 

Für die Gleichheit aller Menschen

Ausgehend von der Kritik an den durch private Verfügung über den allgemeinen Reichtum gefesselten Möglichkeiten gesellschaftlicher Entwicklung ist die Ausbeutung in jeder spezifischen Form zu bekämpfen und das Allgemeininteresse an der Aufhebung der Einschränkung des Menschen durch den Menschen durchzusetzen sowie die zivilisatorische Gleichheit aller Menschen zu realisieren. Alle gesellschaftlichen, historisch gewordenen sozialen Unterschiede zwischen Menschen sind zu überwinden. Mit der Aufhebung des Kapitalismus als der letzten antagonistischen Klassengesellschaft ist somit auch die Überwindung des scheinbaren "Antagonismus von Mann und Frau" möglich.
Die aus der Produktivkraftentwicklung resultierenden Möglichkeiten zur fortschrittlichen Vergesellschaftung müssen daher genutzt und gleiche Voraussetzungen zur Verfügung über gesellschaftliche Entwicklung und integrative Teilhabe an den je eigen allgemeinen Entwicklungsmöglichkeiten realisiert werden. Um die Lebensverhältnisse auf dieses Ziel hin verändern zu können, bedarf es der Erkenntnis, daß innerhalb kapitalistischer Verhältnisse, die auf Unterdrückung und Konkurrenz Aller gegen Alle zur Realisierung von größtmöglichen Profiten beruhen, keine tatsächliche Aufhebung der geschlechtsspezifischen Einschränkungen möglich ist.
Um die kapitalistisch vergesellschaftete Trennung von Produktion und Reproduktion und somit die geschlechtsspezifisch entwickelte Arbeitsteilung überwinden zu können, bedarf es nicht nur der gesellschaftlichen Planung und Organisation der Reproduktion, sondern ebenfalls verbesserter Arbeits- (höhere Löhne, Arbeitszeitverkürzung, qualifizierte Bestimmung des Inhalts) und Lebensbedingungen (Bildung, Kultur, Demokratie), um auch die kulturelle Emanzipation der Menschen von jahrtausendelang bestehenden Ausbeutungsverhältnissen zu realisieren.
So sind die bürgerlich-zivilgesellschaftlichen Institutionen Ehe und Familie als Vermittler eines ausbeutungskonformen bzw. individualistischen Menschen- und Gesellschaftsbezuges zu überwinden und vor allem die Institutionen der Kultur und Wissenschaft - in denen die Auseinandersetzung um das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft verallgemeinert geführt wird - progressiv zu verändern, so daß in diesen Bereichen für eine öffentlich organisierte und gleichberechtigte Beteiligung Aller gestritten werden kann. Ziel ist die demokratische Teilhabe aller am gesellschaftlichen Prozeß über die Durchsetzung gleicher politischer Rechte und sozialer Möglichkeiten zur Vertretung gemeinsamer Interessen.

Wenn es eine Zukunft jenseits der Barbarei geben soll, so kann dies nur eine menschliche sein: Humanismus kennt kein Geschlecht.



Für eine humanistische Vergesellschaftung der Naturaneignung
 

"Gegenüber der Natur wie der Gesellschaft kommt bei der heutigen Produktionsweise vorwiegend nur der erste, handgreiflichste Erfolg in Betracht; und dann wundert man sich noch, daß die entfernteren Nachwirkungen der hierauf gerichteten Handlungen ganz andre, meist entgegengesetzte sind [...]"
(Friedrich Engels, Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen, MEW 20, S. 455)


Die kapitalistisch bestimmte, auf die Herstellung von immer mehr Produkten mit bloßem Tauschwert gestützte, und damit zerstörerisch wirkende industrielle Produktion gefährdet die eigenen Grundlagen der natürlichen Stoffwechselprozesse. Da sie die Quellen der menschlichen Bedürfnisbefriedigung zunehmend ohne Wiederherstellung zur weiteren Profitsteigerung nutzt, wird das Überleben der Menschheit selbst in Frage gestellt. Dieser Zerstörungsprozeß hat wegen der weltweiten Dominanz des Profitinteresses - und einer demzufolge deformierten Produktivkraftentwicklung - eine neue Qualität erreicht. Der gesellschaftliche Austausch des Menschen mit der Natur wird hauptsächlich durch die Erhöhung der Profite bestimmt.
Statt den wissenschaftlich-technischen Fortschritt dafür zu nutzen, einen höheren Gebrauchswert der Produkte zu entwickeln und damit ein reproduktionsfähiges Mensch-Natur-Austauschverhältnis zu verwirklichen, wird der Gebrauchswert zurückgedrängt und mittels bloßem Gebrauchswertversprechen immenser Aufwand betrieben, um den Tauschwert realisieren zu können. So stellte das amerikanische Marktforschungsinstitut AC Nielsen in einer Untersuchung fest, daß von den rund 25000 in Europa 1997 mit aufwendigen Werbekampagnen neu eingeführten Produkten der Nahrungs- und Genußmittelindustrie, "wirklich neu" lediglich 2,2 Prozent der Produkte waren, der überwiegende Teil (75 Prozent) entfiel auf "Me-too-Produkte" (Kopien). Im privaten Konkurrenzkampf des Höher, Schneller, Weiter ist irrelevant, welche langfristigen Folgen bei kurzzeitigen Eingriffen in den natürlichen Stoffwechselprozeß entstehen. Dadurch wird der Zusammenhang ganzer ökologischer Systeme als Grundlage menschlichen Lebens zerstört. Anhand des angestrebten "Energiekonsenses" der "rot-grünen" Bundesregierung beim sogenannten Ausstieg aus der Kernenergie wird deutlich, wer, wenn öffentliche Gegenwehr ausbleibt, das Sagen hat: Trotz undichter Castor-Behälter und Gau in Japan wird der Ausstieg auf mehrere Jahrzehnte gestreckt - dem Zeitraum, welcher ohnehin der von der Rendite diktierten Betriebszeit entspricht. So werden die Auswirkungen des Verwertungsprinzips - das nicht nach gesellschaftlichem Nutzen geht, sondern nach der Erhöhung der Gewinne - für die Menschen immer massiver.
 

Individuelle Verarbeitungsweisen der ökologischen Krise

Daß die ökologische Krise überwunden werden muß, ist gesellschaftlicher Konsens, was allerdings unter neoliberaler Hegemonie dazu führt, diesen Aufwand je individuell zu leisten. Zur individuellen Verarbeitung dieser Krise haben sich im wesentlichen zwei Positionen herausgebildet.
1. Von pragmatisch orientierten Ideologen grüner Couleur wird vertreten, daß durch vermeintlich ökologisches Agieren im unmittelbaren sozialen Nahraum ein eigener Beitrag zur Lösung der Probleme geleistet werden könne. Es wird die Parole ausgegeben, den hauseigenen Müll zu trennen und auf den Kauf bestimmter Produkte zu verzichten. Mit z. B. dem individuellen Verzicht auf Edelhölzer oder dem Gebrauch von chlorfrei gebleichtem "Umweltpapier" soll die Vernichtung der tropischen Regenwälder gestoppt werden, daß allerdings 97% aller Druckerzeugnisse für Werbezwecke hergestellt werden, spielt keine Rolle. Auch die "Ökosteuer" entspricht diesem Verzichts-Prinzip. Die Verbrauchssteuern für die Kleinkonsumenten auf Energie wird erhöht und gerade die "energieintensiven" Industrien sind davon ausgenommen. Entscheidend ist dabei nicht, die gesellschaftlichen Ursachen des Problems zu erkennen und zu ihrer politischen Beseitigung beizutragen, sondern das gute Gefühl, im Rahmen des individuell Machbaren, seinen Beitrag geleistet zu haben und sich so der persönliche Persilschein ausgestellt werden kann. Das trägt zur "Entpolitisierung" des Problems bei und zudem wird das Verhältnis von kapitalistischer Produktion und Konsumtion auf den Kopf gestellt: Im Bereich des Warenkonsums sollen die Veränderungen erreicht werden, die nur durch radikale Veränderungen der Produktionsverhältnisse und damit auch der Produktion verwirklicht werden können, wozu man sich allerdings mit den Besitzern der Produktionsmittel anlegen müßte!
2. Reaktionär und antihuman wird es, wenn vertreten wird, daß die eigentliche Ursache der Naturzerstörung der Mensch selbst sei, denn: "der Mensch schmutzt" und greift in seinem kurzsichtigen Größenwahn in das "göttliche" Gleichgewicht von "Mutti Natur" ein und bringt es aus dem Lot. Der Mensch solle nicht in die Natur eingreifen, sondern sich dieser unterordnen und möglichst bescheiden und unauffällig leben ("Zurück auf die Bäume"). Damit wird selbst hinter die mit der Kantschen Theorie von der Entstehung der jetzigen Weltkörper aus rotierenden Nebelmassen formulierte Erkenntnisse der bürgerlichen Gesellschaft zurückgefallen, daß die Natur sich in einem stetigen Entwicklungsprozeß befindet. Grundlegende Forderungen dieser reaktionären gesellschaftspolitischen Position sind, daß die technische und industrielle Entwicklung zurückgeschraubt und die "Überbevölkerung", mit der man es in den in Unterentwicklung gehaltenen Ländern zu tun habe, reduziert werden solle. Nicht die miserablen sozialen Bedingungen, unter denen die Menschen leben müssen - und die erst dazu führen, Regenwälder abholzen zu müssen - sollen bekämpft werden, sondern die Menschen selbst. Die herrschenden Verhältnisse werden somit als von Gott gegeben und als natürlich festgeschrieben und unveränderbar ideologisiert.
Die Auffassung, daß die ökologische Krise durch individuelles Eingreifen überwunden werden könne, führt zwangsläufig dazu, "Ökoschweinen", die sich dem nicht unterordnen, die "moralische Schuld" an der Krise zu zuweisen, anstatt die Produktionsverhältnisse als Basis der Produktionsweise zu verändern.
 

Politische Lösungskonzepte

In den parteipolitischen Auseinandersetzungen besteht über alle Parteigrenzen und Positionsunterschiede hinweg Einigkeit darüber, daß Ökologie ein entscheidendes Thema sei, wenn es um die "Zukunftsfähigkeit der deutschen Industrienation" geht. So soll die ach so soziale Marktwirtschaft um eine ökologische Komponente erweitert werden. Der auf dem Prinzip der Konkurrenz basierenden kapitalistischen Warenproduktion soll also ein grüner Anstrich verpaßt werden. Von konservativer Seite wird die Entwicklung sogenannter moderner Umwelttechnologien favorisiert. Mit modernstem High-Tech sollen die Abfälle und Schäden, die in anderen Bereichen industrieller Produktion entstehen, verhindert, eventuell sogar beseitigt, in jedem Fall aber minimiert werden. Hierbei handelt es sich um einen profit- und zukunftsträchtigen Wachstumsmarkt: Weltweit werden beim Mülleimer bis zur Computersteuerung von Produktionsanlagen enorme Gewinne erwirtschaftet. Hier wird die Naturzerstörung selbst zum Gegenstand von Profitrealisation, und damit die Schweinerei zum Prinzip erhoben. Ein Spezifikum dieses Ansatzes ist die sogenannte Effizienzrevolution. Es soll mit Hilfe von sogenannten modernen Technologien der "Ressourcenverbrauch" halbiert und das wirtschaftliche Wachstum verdoppelt werden.
Zum gemeinsamen Bezugspunkt zwischen unterschiedlichen Positionen und Ansätzen - national wie international - ist "nachhaltige Entwicklung" (sustainable development) geworden:
Von fortschrittlicher Seite wird sich dabei auf die "Agenda 21" berufen, in der soziale Verbesserungen sowie verstärkte Anstrengungen in den Bereichen Bildung und Wissenschaft gerade für die Länder der sogenannten "3. Welt" gefordert werden, um die ökologische Krise zu überwinden. So berechtigt einzelne Forderungen, die in diesem Konzept enthalten sind, auch sein mögen, das grundlegende Problem solcher Vorstellungen bleibt, daß menschliche Entwicklung weltweit auf die Lösung der ökologischen Krise verkürzt wird und ihr untergeordnet werden soll.
Die Gemeinsamkeit aller vorgenannten Vorstellungen und politischen Konzepte besteht darin, daß sie erst dort ansetzen, wo die "entfernteren Nachwirkungen" der kapitalistischen industriellen Produktionsweise als menschheitsbedrohende Gefährdung der natürlichen Lebensgrundlagen auftreten. Da die Bestimmung und Verfügung über die Produktivkraftentwicklung und den Produktionsprozeß kritiklos dem Kapital zugestanden werden, das Profitinteresse einiger Weniger damit unangetastet bleibt, können radikale Veränderungen der Bedingungen und Inhalte der Produktion, hin auf ein reproduktionsfähiges Mensch-Natur-Austauschverhältnis und ihre humanistische Nützlichkeit, nicht realisiert werden. Das Kapital eignet sich die Quellen gesellschaftlichen Reichtums, Arbeit und Natur, zerstörerisch an. Dabei sollen die lohnabhängig Tätigen diese zerstörerische Kapitallogik reproduzieren, die Unterordnung der Natur im Dienste des Kapitals realisieren und die Konsequenzen der Zerstörung auch hauptsächlich tragen.
 

Naturaneignung durch den Menschen

Um die irrationale Ebene des Moralisierens und Schuldzuweisens zu verlassen, ist es notwendig, das Verhältnis zwischen Mensch und Natur als ein prinzipielles zu begreifen und nicht von einer strikten Trennung auszugehen. Denn der Mensch ist Teil der Natur und tritt gleichzeitig durch die Arbeit aus ihr heraus, er hat durch die Gesellschaftlichkeit des menschlichen Wesens eine "zweite" soziale Natur. Die "erste" Natur ist jedoch weiterhin "der unorganische Leib des Menschen, nämlich die Natur, soweit sie nicht selbst menschlicher Körper ist." (Karl Marx, "Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844", MEW EB 1, S. 516). Die Frage der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen ist also weniger eine der technischen Machbarkeit oder der möglichst umfassenden Unterordnung unter die "unsichtbare Hand der Natur", sondern eine der Bestimmung der Produktionsverhältnisse und der in ihnen realisierbaren Produktivkraftentwicklung, wodurch gesellschaftliche Naturaneignung und -veränderung stattfindet. Der entscheidende Bereich des vergesellschafteten Stoffaustauschprozesses mit der Natur ist die materielle Produktion. Durch menschliche Arbeit wird die Natur ständig verändert. Dies hat zur Folge, daß es keine Natur im Sinne eines von menschlicher Tätigkeit unbeeinflußten Zustandes mehr gibt. So kann die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen nur durch bewußte gesellschaftliche Tätigkeit der Menschen auf Grundlage der sozialen Bedingungen ermöglicht werden. Diese Bedingungen sind so zu bestimmen, daß es möglich wird, die Schäden bisheriger Naturzerstörung zu beseitigen, diese hinkünftig zu verhindern und durch den Menschen bewußt betriebene Naturentwicklung zu realisieren, wobei ohne wissenschaftliche Aneignung als demokratische Kontrolle diese bewußte Praxis unmöglich ist.
Die Unterordnung unter die Kapitalverwertungsinteressen wird allerdings auch in den Wissenschaften praktiziert. Mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen sollen die sozialen Verhältnisse reproduziert werden, indem z.B. Gentechnologie zur weiteren Realisierung von Profiten genutzt wird. Die Veränderbarkeit der gesellschaftlichen Verhältnisse wird ebenfalls unter Vorspiegelung von "Natürlichkeit" in den Gesellschaftswissenschaften negiert; in den Naturwissenschaften werden die sozialen Bedingungen für die wissenschaftlich-technische Entwicklung ausgeklammert. Der Naturzerstörung und den destruktiven Tendenzen in der Wissenschaft ist nur entgegenzutreten, wenn zum Ausgangspunkt wird, daß der gesellschaftliche Mensch selbst entscheidender Teil des gesellschaftlichen Stoffaustauschprozesses mit der Natur ist, und daß der Kampf um Bedingungen, die für alle Menschen das Höchstmaß an Entwicklung bieten, der wirkungsvollste Beitrag gegen die Zerstörung natürlicher Lebensgrundlagen ist. Notwendig ist es, naturwissenschaftlichen Erkenntnisgewinn für humanistische Zwecke zu erarbeiten und in diesem Sinne eine gesellschaftlich sinnvolle Produktivkraftentwicklung voranzutreiben.
Hier sind die radikal-fortschrittlichen Kräfte herausgefordert, die grundlegenden sozialen Bedingungen des Stoffaustauschprozesses zwischen Gesellschaft und Natur zu analysieren und dergestalt umzuwälzen, daß grundlegend andere soziale Beziehungen zwischen den Menschen und eine dementsprechende gesellschaftliche Produktion und Reproduktion als Grundlage dieser Beziehungen durchgesetzt werden. Dazu ist es notwendig, die Entfremdung des Menschen von sich selbst und damit auch von seiner Naturaneignung zu überwinden. Der Inhalt der gesellschaftlichen Produktion, seine soziale Nützlichkeit, ist im demokratischen Prozeß der internationalen Arbeitsteilung neu zu bestimmen und radikal umzuwandeln, der Kriegsmüll bedarf der Konversion, menschliche Bedürfnisbefriedigung, der rationalen Organisation bzw. Verwendung natürlicher Ressourcen. Der Mensch kann "Herr" seiner eigenen Geschichte und einer reproduktionsfähigen Entwicklung der Natur werden, indem er in bewußter gesellschaftlicher Handhabung der grundlegenden Wirkungszusammenhänge der Natur sich die Natur aneignet.
 

Zurück zum Anfang des Dokumentes



Jakobinersperling